Urteil vom 25.09.2025 -
BVerwG 1 C 16.24ECLI:DE:BVerwG:2025:250925U1C16.24.0
Urteil
BVerwG 1 C 16.24
- VG Oldenburg - 05.06.2023 - AZ: 11 A 4641/16
- OVG Lüneburg - 30.05.2024 - AZ: 13 LC 165/23
In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß, Dollinger und Böhmann und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fenzl für Recht erkannt:
- Die Revision der Kläger wird zurückgewiesen.
- Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2024 wie folgt geändert und neu gefasst:
- "Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 5. Juni 2023 wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Kläger und die Klägerin jeweils zu 1/4 und der Beklagte zu 1/2. Der Kläger und die Klägerin tragen die Kosten des Berufungsverfahrens jeweils zu 1/2."
- Der Kläger und die Klägerin tragen die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils zur Hälfte.
Gründe
I
1 Die Kläger begehren die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung von Niederlassungserlaubnissen.
2 Der im Dezember 1970 geborene Kläger und die im März 1974 geborene Klägerin sind serbische Staatsangehörige und gehören zum Volk der Roma. Sie sind miteinander verheiratet und die Eltern von fünf volljährigen Kindern.
3 Die Kläger reisten Mitte der Neunziger Jahre in das Bundesgebiet ein. Ihre Asyl- und Asylfolgeanträge blieben ohne Erfolg. Im Januar 2009 erteilte der Beklagte den Klägern auf der Grundlage des § 104a AufenthG Aufenthaltserlaubnisse auf Probe, die zuletzt bis Ende 2015 verlängert wurden.
4 Im November 2015 beantragten die Kläger bei dem Beklagten jeweils die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis, hilfsweise die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG, weiter hilfsweise die Verlängerung ihrer bisherigen Aufenthaltserlaubnisse. Im September 2016 hat der Beklagte dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG und der Klägerin eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 4 AufenthG, beide befristet bis zum 26. September 2017, erteilt. Mit Wirkung vom Mai 2019 beziehungsweise vom März 2019 wurde bei den Klägern eine Pflegebedürftigkeit mit dem Pflegegrad 3 festgestellt; beide gelten seither als vollständig erwerbsgemindert. Mit Bescheid vom 18. April 2019 hat der Beklagte ihre Anträge auf Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnisse oder Erteilung auf anderer Rechtsgrundlage abgelehnt. In der Folge ist ihr Aufenthalt geduldet worden. Im Mai 2022 hat der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 25b Abs. 1 AufenthG bis zum 12. Mai 2024 verlängert. Im April 2022 sind die Kläger auf ihren Antrag hin als Pflegepersonen mit den Rechten und Pflichten aus § 1630 Abs. 3 BGB für drei in den Jahren 2008, 2014 und 2016 geborene Enkelkinder und einen im Jahr 2017 geborenen Neffen, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, bestellt worden. Ende Februar 2023 hat der Beklagte den Bescheid vom 18. April 2019, soweit er die Klägerin betrifft, rückwirkend zum 14. April 2022 zurückgenommen und ihr ab diesem Zeitpunkt eine bis zum 13. April 2025 gültige Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erteilt.
5 Mit Urteil vom 5. Juni 2023 - 11 A 1056/19 - hat das Verwaltungsgericht das Klageverfahren eingestellt, soweit die Klägerin und der Beklagte den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen verpflichtet, über den Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG betreffend den Zeitraum vom 27. September 2017 bis zum 13. April 2022 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, und den Bescheid des Beklagten vom 18. April 2019 aufgehoben, soweit er dem entgegensteht. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Mai 2024 - 13 LC 166/23 - das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert, den Beklagten verpflichtet, ihr rückwirkend ab dem 1. März 2019 bis zum 13. April 2022 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG zu erteilen, und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Auf die Revision des Beklagten hat das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 25. September 2025 - 1 C 17.24 - das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. Mai 2024 - 13 LC 166/23 - aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
6 Mit Urteil ebenfalls vom 5. Juni 2023 - 11 A 4641/16 - hat das Verwaltungsgericht das Klageverfahren eingestellt, soweit die Kläger und der Beklagte den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und die auf die Verpflichtung des Beklagten, den Klägern jeweils eine Niederlassungserlaubnis zu erteilen, gerichteten Klagen im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht mit Urteil vom 30. Mai 2024 - 11 LC 165/23 - das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und den Beklagten verpflichtet, über den Antrag der Klägerin vom 5. November 2015 auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden, und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen.
7 Der Beklagte rügt mit seiner Revision eine Verletzung von § 26 Abs. 4 i. V. m. § 9 Abs. 2 AufenthG. Der Kläger, dem der Beklagte zunächst seit Mai 2024 Bescheinigungen nach § 81 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AufenthG und sodann im August 2024 eine bis Mitte August 2026 befristete Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG erteilt hat, und die Klägerin, die die Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis fristgerecht beantragt hat und der der Beklagte im April 2025 eine bis Oktober 2025 befristete Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AufenthG ausgestellt hat, verfolgen mit ihrer Revision ihr Begehren weiter.
II
8 Die Revision der Kläger ist unbegründet; das Berufungsurteil steht, soweit es die Berufungen der Kläger zurückgewiesen hat, im Einklang mit Bundesrecht. Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung, den Beklagten zu verpflichten, über den vom 5. November 2015 datierenden Antrag der Klägerin auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden, auf Gründe gestützt, die mit § 26 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG nicht vereinbar sind. Das angegriffene Urteil beruht daher in diesem Umfang auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
9 1. Die Kläger hatten in dem in tatsächlicher Hinsicht maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis oder Neubescheidung ihres darauf gerichteten Antrags (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO), da sie die tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage seinerzeit nicht erfüllt haben.
10 1.1. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen der Niederlassungserlaubnis ist, wenn der Antragsteller Verpflichtungsklage erhoben hat, in tatsächlicher Hinsicht der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder, falls mit Einverständnis der Beteiligten ohne eine solche entschieden worden ist, der Zeitpunkt der letzten Entscheidung des Tatsachengerichts. Abweichendes gilt nur, wenn und soweit aus Gründen des materiellen Rechts ausnahmsweise auf einen anderen Zeitpunkt abzustellen ist. Das Abstellen auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts trägt den Anforderungen an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Beurteilung der Lebenssituation des betroffenen Ausländers angemessen Rechnung. Sie ermöglicht im Einklang auch mit Grund- und Menschenrechten eine einzelfallbezogene Würdigung und Abwägung der öffentlichen Belange wie auch der gegenläufigen Interessen des Ausländers und stellt sicher, dass die Tatsachengerichte bei ihrer Entscheidung auf eine möglichst aktuelle, d. h. nicht bereits überholte Tatsachengrundlage abstellen (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 15. November 2007 - 1 C 45.06 - BVerwGE 130, 20 Rn. 12 ff.). Der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Tatsachengerichts entspricht zugleich der Aufgabenverteilung zwischen Tatsacheninstanzen und Revisionsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht ist als Revisionsgericht gemäß § 137 Ab. 2 VwGO grundsätzlich an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden und darauf beschränkt, deren Rechtsanwendung zu überprüfen.
11 1.2. Als Grundlage des Anspruchs der Kläger kommt allein § 26 Abs. 4 Satz 1 bis 3 AufenthG in Betracht. Gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der eine Aufenthaltserlaubnis nach diesem Abschnitt besitzt, eine Niederlassungserlaubnis erteilt werden, wenn die in § 9 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bezeichneten Voraussetzungen vorliegen. Nach § 26 Abs. 4 Satz 2 AufenthG gilt § 9 Abs. 2 Satz 2 bis 6 AufenthG entsprechend. § 26 Abs. 4 AufenthG verdrängt als lex specialis die allgemeine Vorschrift des § 9 AufenthG.
12 a) Entgegen § 26 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG haben sich die Kläger im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht für die Dauer von fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen befunden. Beide Normen gehen nicht nur von einem durchgehenden Titelbesitz seit fünf Jahren, sondern auch von einem nahtlosen Übergang zwischen der Aufenthaltserlaubnis und der Niederlassungserlaubnis aus. Der Besitz einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen gilt als Beleg für das Vorliegen humanitärer Gründe (vgl. auch § 26 Abs. 2 AufenthG). Diese gesetzliche Vermutung gilt in Bezug auf Zeiten einer Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 AufenthG nicht. Jedenfalls dann, wenn letztendlich die Verlängerung oder Neuerteilung eines Aufenthaltstitels abgelehnt wird, führen derartige Fiktionszeiten nicht zur Verfestigung des Aufenthalts. Kommt die Behörde der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nicht nach und verfolgt der Ausländer sein Begehren auf Verpflichtung des Beklagten zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über die Erteilung der Niederlassungserlaubnis weiter, so sind sowohl die Zeiten eines inzident festzustellenden Anspruchs auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anzurechnen als auch das Erfordernis des Besitzes einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung durch die Feststellung eines solchen Rechtsanspruchs als erfüllt anzusehen (vgl. bereits BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1995 - 1 C 7.94 - BVerwGE 98, 313 <321 f.>). Entsprechendes gilt, wenn der Ausländer während des Verfahrens nicht nur über einen Anspruch auf Verlängerung seiner humanitären Aufenthaltserlaubnis verfügt, sondern auch einen Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungserlaubnis erwirbt. Denn in diesem Fall ist im gerichtlichen Verfahren inzident zu prüfen, ob der Ausländer einen Anspruch auf Erteilung einer beantragten Niederlassungserlaubnis während des Verfahrens erworben hat, der dann dem Erfordernis des fortbestehenden Besitzes einer humanitären Aufenthaltserlaubnis bis zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gleichstünde (BVerwG, Urteil vom 30. März 2010 - 1 C 6.09 - BVerwGE 136, 211 Rn. 23 ff.).
13 aa) Im Einklang mit § 26 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung nicht seit fünf Jahren im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen ist.
14 (1) Der Kläger besaß im Zeitraum vom 27. September 2016 bis zum 26. September 2017 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 AufenthG. In der Zeit vom 27. September 2017 bis zum 12. Mai 2022 befand er sich im Besitz einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AufenthG. Für den Zeitraum vom 13. Mai 2022 bis zum 12. Mai 2024 erteilte ihm der Beklagte eine Aufenthaltserlaubnis wiederum nach § 25b Abs. 1 AufenthG. Im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung am 30. Mai 2024 ist er hingegen nur im Besitz einer Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AufenthG, nicht jedoch einer Aufenthaltserlaubnis gewesen.
15 (2) Wegen der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der letzten mündlichen Verhandlung des Tatsachengerichts muss der Umstand, dass der Beklagte die Aufenthaltserlaubnis des Klägers nach § 25b Abs. 1 AufenthG am 16. August 2024 bis zum 15. August 2026 verlängert hat, im vorliegenden Revisionsverfahren außer Betracht bleiben.
16 (a) Das Bundesverwaltungsgericht ist als Revisionsgericht grundsätzlich nur zur Rechtskontrolle berufen. In Ausnahmefällen ist ihm im Rahmen einer sinnvollen Prozessführung auch die Berücksichtigung von der Vorinstanz nicht nach § 137 Abs. 2 VwGO bindend festgestellter Tatsachen möglich, etwa wenn diese erstmals auf Grund einer von der Vorinstanz abweichenden Rechtsauffassung des Revisionsgerichts entscheidungserheblich werden, sie zwischen den Beteiligten nicht im Streit stehen und keiner Beurteilung durch das Berufungsgericht bedürfen und sich der Rechtsstreit hierdurch endgültig erledigt (BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 1992 - 9 C 77.91 - BVerwGE 91, 104 <106 f.> und vom 15. November 2011 - 1 C 21.10 - BVerwGE 141, 151 Rn. 19). Rechtfertigungsgrund für die in Rede stehenden Fälle der Berücksichtigung neuer Tatsachen durch das Revisionsgericht ist ein evidentes Interesse der Prozessökonomie. Dabei dürfen der Berücksichtigung keine sonstigen zwingenden rechtlichen, insbesondere prozessrechtlichen Hindernisse entgegenstehen. Die Berücksichtigung der neuen Tatsachen durch das Revisionsgericht muss dazu dienen, einen sonst objektiv drohenden weiteren Rechtsstreit in dieser Sache zu vermeiden und die Streitsache endgültig erledigen.
17 Entstehen im Nachhinein echte neue Tatsachen, die für die Entscheidung erheblich sind, kann der dadurch Begünstigte, falls sie im Revisionsverfahren keine Berücksichtigung finden, gestützt darauf grundsätzlich einen neuen Prozess anstrengen. Denn diese neuen Tatsachen werden von der Rechtskraft des abgeschlossenen Rechtsstreits nicht erfasst (Buchheister, in: Schoch/Schneider <Hrsg.>, Verwaltungsrecht, Stand Februar 2025, § 137 VwGO Rn. 191 m. w. N.). Sollen derartige Tatsachen indes ausnahmsweise in dem anhängigen Revisionsverfahren berücksichtigt werden, setzt dies ebenfalls voraus, dass sie nicht beweisbedürftig sind, keine Beurteilung durch das Tatsachengericht erforderlich machen und das Bundesverwaltungsgericht durch ihre Berücksichtigung in die Lage versetzt wird, eine abschließende Entscheidung zu treffen (BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2021 - 7 C 4.20 - BVerwGE 172, 383 Rn. 20 m. w. N.).
18 Diese letztgenannte Bedingung ist vorliegend nicht erfüllt, da die Erteilung der Niederlassungserlaubnis gemäß § 26 Abs. 4 Satz 1 AufenthG im pflichtgemäßen Ermessen des Beklagten steht, das er bislang nicht ausgeübt hat, und sich eine Reduzierung des behördlichen Ermessens auf Null jedenfalls nicht aufdrängt.
19 (b) Ist in dem Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts die erforderliche Aufenthaltserlaubnis nicht mehr vorhanden und fehlt es daher am Erfordernis des unbestrittenen, gesicherten Aufenthaltsrechts, so besteht ein Anspruch auf Erteilung der Niederlassungserlaubnis grundsätzlich nicht.
20 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt nur in Betracht, wenn der erforderliche Aufenthaltstitel zwar abgelaufen, über seine Verlängerung jedoch noch nicht entschieden ist und wenn der Antragsteller für die Dauer des Verlängerungsverfahrens über eine Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 5 i. V. m. Abs. 4 Satz 1 AufenthG verfügt. Nach dem Sinn der Fiktionswirkung gilt dies allerdings nur, wenn eine Verlängerung des Aufenthaltstitels tatsächlich erfolgt (BVerwG, Urteile vom 10. November 2009 - 1 C 24.08 - BVerwGE 135, 225 Rn. 11 ff., vom 30. März 2010 - 1 C 6.09 - BVerwGE 136, 211 Rn. 18 ff. und Beschluss vom 6. März 2014 - 1 B 17.13 - juris Rn. 6).
21 Eine solche Verlängerungsentscheidung muss bis zu dem in tatsächlicher Hinsicht maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts getroffen worden sein, um in einem Revisionsverfahren Berücksichtigung zu finden. Das verfassungsrechtlich durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützte Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes zwingt grundsätzlich nicht dazu, die unter 1.1. skizzierte Aufgabenverteilung zwischen Tatsacheninstanz und Revisionsgericht zu verändern, da es dem Ausländer in aller Regel zuzumuten ist, die Erteilung der Niederlassungserlaubnis zum Gegenstand eines neuen Verwaltungsverfahrens und gegebenenfalls auch eines neuerlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu machen. Ob Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot eine Ausnahme von dem maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts gebietet, wenn eine Ausländerbehörde die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage systematisch durch Nichtbescheidung des Antrags bis zu dem vorgenannten Beurteilungszeitraum unterläuft, bedarf vorliegend keiner näheren Betrachtung, da keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Beklagte einen neuerlichen Antrag des Klägers in der vorbeschriebenen Weise behandeln wird.
22 bb) Unter Verstoß gegen § 26 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG hat das Oberverwaltungsgericht festgestellt, die Klägerin sei im maßgeblichen Zeitpunkt der Berufungsverhandlung seit fünf Jahren im ununterbrochenen Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen.
23 (1) Der Beklagte hat der Klägerin am 1. März 2023 auf der Grundlage von § 25 Abs. 5 AufenthG eine zunächst bis zum 13. April 2025 befristete Aufenthaltserlaubnis erteilt. Den Gründen des Bescheides ist konkludent zu entnehmen, dass nicht nur die Aufhebung des Bescheides vom 18. April 2019, sondern auch die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG rückwirkend zum 14. April 2022 erfolgte.
24 (2) Allerdings hat die Klägerin im Zeitraum vom 31. Mai 2019 bis zum 13. April 2022 keine Aufenthaltserlaubnis besessen. Mit Urteil vom 25. September 2025 - 1 C 17.24 - hat das Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vom 30. Mai 2024 - 13 LC 166/23 - aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung, den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin rückwirkend ab dem 1. März 2019 bis zum 13. April 2022 eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, auf Gründe gestützt, die mit § 25b Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Alt. 2 AufenthG und mit § 5 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG nicht im Einklang stehen. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Auf die Gründe des Urteils vom 25. September 2025 - 1 C 17.24 - wird insoweit umfassend verwiesen.
25 b) Nach dem Vorstehenden bedarf es im vorliegenden Revisionsverfahren keiner Klärung, ob die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, die Klägerin habe ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache im Sinne des § 26 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG nachgewiesen, mit Blick darauf, dass Nachweise über ausreichende Kenntnisse der Schriftsprache nicht erbracht worden sind, auf einer zu schmalen Tatsachengrundlage gründet, oder ob von dieser Voraussetzung gemäß § 26 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 bis 5 AufenthG abzusehen war.
26 c) Aus dem gleichen Grund bedarf es an dieser Stelle keiner Klärung, ob die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, der Beklagte müsse sich an der in dem Bescheid vom 27. September 2016 in Bezug auf die Klägerin getroffenen Feststellung des Vorliegens des Besitzes von Grundkenntnissen der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bund festhalten lassen, mit § 26 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 AufenthG im Einklang steht. Auf die darauf bezogenen Ausführungen des Senats in dem Urteil vom 25. September 2025 - 1 C 17.24 - zu § 25b Abs. 4 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG wird insoweit Bezug genommen. Ebenso wenig muss sich der Senat zu den Voraussetzungen eines Absehens nach Maßgabe des § 26 Abs. 4 Satz 2 i. V. m. § 9 Abs. 2 Satz 3 bis 5 AufenthG verhalten.
27 2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2, § 159 Satz 1 VwGO.