Beschluss vom 27.04.2022 -
BVerwG 2 B 29.21ECLI:DE:BVerwG:2022:270422B2B29.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 27.04.2022 - 2 B 29.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:270422B2B29.21.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 29.21

  • VG Hamburg - 23.11.2020 - AZ: 21 K 3477/16
  • OVG Hamburg - 07.04.2021 - AZ: 5 Bf 18/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 27. April 2022
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
Dr. Hartung und Dr. Meister
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 7. April 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf einen Verfahrensmangel gestützte Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist nicht begründet.

2 1. Der im Jahr 1954 geborene Kläger war als Zollbetriebsinspektor im Dienst der Beklagten beim Hauptzollamt H... tätig. Er begehrt die Anerkennung eines Vorfalls als Dienstunfall.

3 Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen ohne die Berufung zuzulassen. In der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung hat es darauf hingewiesen, dass innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils die Zulassung der Berufung beantragt werden kann.

4 Innerhalb der Rechtsmittelfrist haben die Bevollmächtigten des Klägers einen mit "Berufung" überschriebenen Schriftsatz beim Verwaltungsgericht eingereicht, in dem es heißt, dass gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berufung eingelegt und die Berufungsbegründung nachgereicht werde. Mit Verfügungen vom 22. Januar und 1. März 2021 hat das Oberverwaltungsgericht die Beteiligten darauf hingewiesen, dass die Berufung unzulässig sein dürfte und beabsichtigt sei, durch Beschluss gemäß § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu entscheiden. Der Kläger hat daraufhin mitgeteilt, dass die "Berufung" als "Antrag auf Zulassung der Berufung" auszulegen sei. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das mit Anwaltsschriftsatz eingelegte Rechtsmittel könne nicht als Antrag auf Zulassung der Berufung ausgelegt werden. Dem stehe der eindeutige Wortlaut des Schriftsatzes entgegen. Außerdem könne die Berufung des Klägers jedenfalls deshalb nicht in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden, weil die insoweit notwendige Klarstellung des wirklichen Begehrens nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgt sei.

5 2. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

6 a) Sofern das Beschwerdevorbringen bei rechtsschutzfreundlicher Auslegung dahingehend zu verstehen sein sollte, es werde als verfahrensfehlerhaft gerügt, dass das Oberverwaltungsgericht den vom Kläger eingelegten Rechtsbehelf nicht unabhängig vom Schriftsatz vom 16. März 2021 als Antrag auf Zulassung der Berufung gedeutet hat, wird damit kein Verfahrensfehler dargetan.

7 Prozesshandlungen der Beteiligten eines Rechtsstreits unterliegen der Auslegung, zu der auch das Revisionsgericht ohne Einschränkung befugt ist. Die Auslegung hat den Willen des Erklärenden zu ermitteln. Dabei kommt es nicht auf den inneren, sondern auf den erklärten Willen an. Die Auslegung darf freilich nicht am Wortlaut der Erklärung haften. Der maßgebende objektive Erklärungswert bestimmt sich danach, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere der recht verstandenen Interessenlage, die Erklärung verstehen muss (BVerwG, Beschluss vom 15. März 2018 - 4 B 14.18 - juris Rn. 5).

8 Danach ist hier nicht zweifelhaft, dass die Bevollmächtigten des Klägers mit dem Schriftsatz vom 14. Januar 2021 Berufung eingelegt, nicht aber einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt haben. Der Schriftsatz ist mit "Berufung" überschrieben und es wird die Einreichung einer Berufungsbegründung angekündigt. Die Beteiligten werden u.a. als "Berufungskläger" bzw. "Berufungsbeklagte" bezeichnet. Schließlich ist unter dem 12. Februar 2021 eine - auch ausdrücklich so bezeichnete - Berufungsbegründung eingereicht worden. Angesichts der eindeutigen Bezeichnung des Rechtsmittels und in Ermangelung jedes anderweitigen objektiven Anhaltspunktes scheidet eine Auslegung des Rechtsmittels als Antrag auf Zulassung der Berufung auch vor dem Hintergrund aus, dass allein dieser Rechtsbehelf statthaft gewesen wäre.

9 Eine Umdeutung des mit Schriftsatz vom 14. Januar 2021 eingelegten Rechtsmittels in einen Antrag auf Zulassung der Berufung losgelöst von einer klarstellenden Erklärung des Klägers kommt nicht in Betracht, weil Berufung und Antrag auf Zulassung der Berufung nicht auf das gleiche Ziel gerichtet sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 12. März 1998 - 2 B 20.98 u.a. - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 2 S. 2 f., vom 7. Februar 2005 - 2 B 104.04 - Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 103 S. 11 und vom 15. März 2018 - 4 B 14.18 - juris Rn. 7).

10 b) Auch die sonst vom Kläger gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs liegt nicht vor.

11 Der Kläger macht insoweit geltend, er habe erst am 1. März 2021 Kenntnis von der gerichtlichen Mitteilung vom 22. Januar 2021 erhalten, mit der auf die Unzulässigkeit der Berufung hingewiesen worden sei. Daraufhin habe er innerhalb der gesetzten Stellungnahmefrist reagiert und beantragt, sein Rechtsmittel in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umzudeuten. Ihm sei somit jede Möglichkeit genommen worden, auf den Hinweis vom 22. Januar 2021 zu reagieren.

12 Aus diesem Vorbringen ergibt sich keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Schon nach seinem eigenen Vortrag hat der Kläger auf den gerichtlichen Hinweis zur Unzulässigkeit der Berufung reagiert und einen Antrag auf Umdeutung seines Rechtsmittels gestellt. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs wird nicht dadurch verletzt, dass das Gericht einer vorgetragenen Rechtsansicht nicht folgt.

13 Im Übrigen ist der mit Schriftsatz vom 16. März 2021 gestellte Umdeutungsantrag des Klägers erst nach Ablauf der Frist für die Stellung eines Antrags auf Zulassung der Berufung bei Gericht eingegangen. Nach Ablauf der Antragsfrist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO kann eine Berufung nicht (mehr) in einen Antrag auf Zulassung der Berufung umgedeutet werden (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 12. März 1998 - 2 B 20.98 u.a. - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 2 S. 3 und vom 10. Januar 2013 - 4 B 30.12 - juris Rn. 4 m.w.N.).

14 Aus diesem Grund ist es auch unerheblich, ob dem Kläger der ursprüngliche Hinweis vom 22. Januar 2021 zugegangen ist oder nicht, denn ein bereits auf diesen früheren Hinweis gestellter Umdeutungsantrag hätte ebenfalls wegen der auch zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufenen Rechtsmittelfrist erfolglos bleiben müssen.

15 Weshalb der angegriffene Beschluss angesichts der Tatsache, dass dem Kläger die Auffassung des Berufungsgerichts zur Unzulässigkeit der Berufung bekannt war, eine unzulässige Überraschungsentscheidung sein soll, ist nicht nachvollziehbar. Vor dem Hintergrund der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Umdeutung von Rechtsbehelfen musste er vielmehr damit rechnen, dass das Oberverwaltungsgericht keine Umdeutung seiner Berufung in einen Antrag auf Zulassung der Berufung vornehmen würde.

16 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.