Beschluss vom 28.02.2019 -
BVerwG 1 B 20.19ECLI:DE:BVerwG:2019:280219B1B20.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 28.02.2019 - 1 B 20.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:280219B1B20.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 20.19

  • VG Köln - 24.11.2015 - AZ: VG 7 K 6723/14
  • OVG Münster - 03.12.2018 - AZ: OVG 11 A 3074/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 28. Februar 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph und Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Dezember 2018 wird verworfen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, mit der eine Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) (2.) und Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) (1.) geltend gemacht werden, bleibt ohne Erfolg.

2 1. Die geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) einer Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) (1.1) und eines Verstoßes gegen das Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (1.2) sind schon nicht dargelegt.

3 1.1 Für eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) ist Hinreichendes nicht dargetan.

4 a) Die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht erfordert eine substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, durch einen Beweisantrag hingewirkt worden ist und die Ablehnung der Beweiserhebung im Prozessrecht keine Stütze findet, oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Februar 2013 - 8 B 58.12 - ZOV 2013, 40 und vom 12. Juli 2018 - 7 B 15.17 - juris Rn. 23).

5 b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde ersichtlich nicht.

6 aa) Die Klägerin hatte in Bezug auf ihr Vorbringen, sich vor ihrer Übersiedlung zum deutschen Volkstum bekannt zu haben, hinreichend Gelegenheit, sich zu äußern. Nicht zuletzt mit Blick auf das von dem Berufungsgericht herangezogene, rechtskräftige Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2012 - 11 B 11.25 42 - (juris) musste sie auch ohne einen ausdrücklichen Hinweis damit rechnen, dass ein hinreichendes Bekenntnis zum deutschen Volkstum vor der Ausreise (zumindest) zweifelhaft sei, insbesondere der vor der Ausreise erwirkte Nationalitäteneintrag nicht ausreichen werde und das Berufungsgericht auch ohne neuerliche Anhörung der Klägerin oder ihres Ehemannes als Zeugen (s. dazu auch BVerwG, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 5 B 11.13 - juris) im Ergebnis der Bewertung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs folgen werde. Zudem ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht, dass die Klägerin, die in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht anwesend war, durch einen Beweisantrag oder eine hinreichend bestimmte Beweisanregung im Berufungsverfahren auf eine Beweiserhebung hingewirkt hätte oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Berufungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.

7 bb) Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gebietet entgegen der nicht näher belegten Rechtsbehauptung der Klägerin ebenfalls nicht stets und ausnahmslos, eine Klägerin, deren Angaben nicht gefolgt werden soll, persönlich anzuhören. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht der Umfang der erforderlichen Beweiserhebung grundsätzlich im Ermessen des Berufungsgerichts. Dies gilt auch für die erneute Vernehmung oder Anhörung von Beteiligten oder Zeugen und der Verwertung ihrer Angaben in anderen Verfahren; nicht gegeben ist hier der Fall, dass das Berufungsgericht an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung der Vorinstanz oder anderer Vorentscheidungen zweifelt, es insbesondere die Glaubwürdigkeit abweichend beurteilen will (dazu BVerwG, Beschlüsse vom 10. Mai 2002 - 1 B 392.01 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 S. 79 und vom 5. Juni 2013 - 5 B 11.13 - juris Rn. 12).

8 cc) Die Rüge, das Berufungsgericht habe die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof "angeblich festgestellten Tatsachen [...] nicht ungeprüft und ohne sie in die Diskussion der Parteien zu stellen" übernehmen dürfen, greift schon deswegen nicht durch, weil sich das Berufungsgericht der Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, die Klägerin erfülle die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BVFG 1993 nicht, "(u)nabhängig von der Frage der Bindungswirkung dieses rechtskräftigen Urteils und der Möglichkeit der Durchbrechung von dessen Rechtskraft" und damit aufgrund eigener Sachprüfung angeschlossen hat.

9 dd) Die Heranziehung dieses - der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten bekannten - Urteils und der darin gefundenen Bewertung der Angaben der Klägerin und ihres Ehemannes u.a. aus der Anhörung bzw. Einvernahme durch das Verwaltungsgericht Bayreuth vom 29. Juli 2009 widerspricht auch nicht "den Grundsätzen eines fairen Verfahrens". Dass das Berufungsgericht nicht das gesamte Urteil des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs oder doch die eingehende, auf das Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum bezogenen Abschnitte (UA S. 19 bis 23 <Rn. 68 bis 85>) wiedergegeben, sondern sich auf eine Zusammenfassung der Kernerwägungen beschränkt hat, weist auch nicht darauf, das Berufungsgericht habe seine Schlüsse aus "bruchstückhaft eingeführten angeblichen Aussagen der Klägerin gezogen".

10 1.2 Die Rüge eines Verstoßes gegen das Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

11 a) Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf nicht einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse aus seiner Würdigung ausblenden. Im Übrigen darf es zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung ist nicht schon dann infrage gestellt, wenn ein Beteiligter das vorliegende Tatsachenmaterial anders würdigt oder aus ihm andere Schlüsse ziehen will als das Gericht. Diese Grenzen sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 23).

12 b) Aus der Beschwerdebegründung ergeben sich keine diesen Anforderungen genügenden Ausführungen zu den geltend gemachten verfahrensrechtlichen Mängeln der Überzeugungsbildung.

13 aa) Das Berufungsgericht hat das Vorbringen der Klägerin zu ihrer Abstammung und ihrem Bekenntnisverhalten zur Kenntnis genommen und - im Anschluss an die Feststellungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs - unter Berücksichtigung u.a. ihres Vorbringens im Aufnahmeverfahren, in zeitlicher Nähe zu ihrer Einreise im Februar 1993 und in dem (ersten) gerichtlichen Verfahren, in dem sie erfolglos die Erteilung einer Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG angestrebt hatte, dahin gewürdigt, dass es sich bei der während ihres Aufnahmeverfahrens erwirkten Änderung des Nationalitäteneintrages nicht um eine ernsthafte, nach außen hin als Bekenntnis zum deutschen Volkstum darstellende Erklärung handele. Das Beschwerdevorbringen rügt der Sache nach hier eine vermeintlich unzutreffende Bewertung des Sachverhalts unter nicht hinreichender Gewichtung des - teils geänderten bzw. gesteigerten - Vorbringens der Klägerin. Die verfahrensrechtlichen Grenzen der Überzeugungsbildung sind indes erst dann überschritten, wenn das Gericht auch nach dem Vorbringen der Beschwerde entscheidungserheblichen Akteninhalt unberücksichtigt gelassen oder aktenwidrige Tatsachen zugrunde gelegt hat und die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen auch gegen die Denkgesetze verstoßen. Hierfür ist nichts dargelegt.

14 bb) Die Rüge, das Berufungsgericht habe nicht "dargelegt", warum "es sich im Falle der Klägerin bei der Änderung des Inlandspasses 1992 um ein 'Lippenbekenntnis' gehandelt haben sollte", und die hieran anknüpfenden Erwägungen zu Beweislastregeln, die einen solchen Nachweis gerade nicht forderten, geben die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 16. Februar 1993 - 9 C 25.92 - BVerwGE 92, 70 <76> und vom 29. August 1995 - 9 C 391.94 - BVerwGE 99, 133 <146 f.>), die auch in der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (Urteil vom 12. Dezember 2012 - 11 B 11.25 42 - juris Rn. 68 ff.) herangezogen worden ist, nicht vollständig und in dem hier entscheidungserheblichen Aspekt unzutreffend wieder. Zur Darlegung der Überschreitung der verfahrensrechtlichen Grenzen der Überzeugungsbildung sind sie nicht geeignet.

15 cc) Die Rüge, das Berufungsgericht handele "willkürlich", wenn es zu der "inneren Tatsache[ ]" des Volkstumsbewusstseins der Klägerin ohne deren Anhörung und ohne Feststellung äußerer Tatsachen entschieden habe, die dann aber "von dem erkennenden Gericht in eigener Verantwortung festgestellt werden [müssten, das] nicht [die] Meinung eines anderen Gerichtes ungeprüft übernehmen" dürfe, vermischt Rechtsbehauptungen zur verfahrensfehlerfreien Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen mit solchen zur Überzeugungsbildung. Einen möglichen Verstoß gegen das Gebot rechtsfehlerfreier Überzeugungsbildung legt dies nicht dar.

16 2. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist ebenfalls nicht in einer Weise dargelegt, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entspricht.

17 Die Beschwerde rügt, das Berufungsurteil weiche von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 23. März 2000 - 5 C 25.99 - Buchholz 412.3 § 6 BVFG Nr. 92) zur Wahrunterstellung entscheidungserheblicher Tatsachen im Verwaltungsprozess ab, wenn es sich "unabhängig von der Frage der Bindungswirkung des rechtskräftigen Urteils und der Möglichkeit der Durchbrechung von dessen Rechtskraft" der Beweiswürdigung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs "vollumfänglich" angeschlossen habe. Dies bezeichnet schon keinen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz, mit dem das Berufungsgericht einem von der Rechtsprechung unter anderem des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat. Es verkennt überdies, dass das Berufungsgericht hier weder ausdrücklich noch konkludent eine Wahrunterstellung vorgenommen hat; vielmehr ist es - in diesem Punkt zugunsten der Klägerin - davon ausgegangen, dass es nicht schon rechtlich an das rechtskräftige Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gebunden ist, nach dem sich die Klägerin vor ihrer Ausreise gerade nicht (hinreichend) zum deutschen Volkstum bekannt hat.

18 3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

19 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.