Beschluss vom 29.04.2020 -
BVerwG 2 B 47.19ECLI:DE:BVerwG:2020:290420B2B47.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.04.2020 - 2 B 47.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:290420B2B47.19.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 47.19

  • VG Potsdam - 09.10.2018 - AZ: VG 11 K 4593/15
  • OVG Berlin-Brandenburg - 09.07.2019 - AZ: OVG 3 B 122.18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. April 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 9. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 1. Der Kläger wendet sich gegen die Wahl der ständigen richterlichen Mitglieder des Richterwahlausschusses durch den Brandenburgischen Landtag im Jahr 2014.

2 Der Kläger ist Richter am Verwaltungsgericht im Dienst des beklagten Landes. Er kandidierte im Jahr 2014 für die Vorschlagsliste zur Wahl der ständigen richterlichen Mitglieder des Richterwahlausschusses. Bei der im Oktober 2014 in der Richterschaft des Landes durchgeführten Wahl erzielte er das drittbeste Ergebnis. Der Präsident des Brandenburgischen Oberlandesgerichts übermittelte die sich durch die Wahl ergebende, acht Namen umfassende, Vorschlagsliste im Oktober 2014 dem Justizministerium. Der Minister leitete die Vorschlagsliste an die Landtagspräsidentin weiter, ebenso die Vorschlagslisten für die nichtständigen Mitglieder sowie die Mitglieder aus der Rechtsanwaltschaft.

3 Die Landtagspräsidentin leitete das Schreiben nebst den Anlagen an die Mitglieder des zu diesem Zeitpunkt noch nicht konstituierten Rechtsausschusses mit der Bitte weiter, darüber zu beraten und einen Vorschlag zu unterbreiten. Der Rechtsausschuss des Landtags gelangte einstimmig zu der Überzeugung, dass als ständige richterliche Mitglieder des Richterwahlausschusses die beiden auf der Vorschlagsliste bestplatzierten Kandidaten und als deren Vertreter die nach den Wahlergebnissen folgenden Vorgeschlagenen gewählt werden sollten. Damit sollte der Kläger als stellvertretendes Mitglied des Richterwahlausschusses gewählt werden. Dieses Beratungsergebnis fand Eingang in die Landtagsdrucksache 6/224 ("Antrag mit Wahlvorschlag des Rechtsausschusses zur Wahl der nichtparlamentarischen Mitglieder des Richterwahlausschusses"). In der Plenarsitzung des Landtags am 18. Dezember 2014 stimmten alle anwesenden Parlamentarier der Drucksache 6/224 zu. Die Landtagspräsidentin teilte dem Beschwerdeführer unter dem 22. Dezember 2014 mit, er sei als Stellvertreter eines ständigen richterlichen Mitglieds des Richterwahlausschusses gewählt worden. Auf eine außerordentliche Wahlanfechtung und einen vorsorglich erhobenen Widerspruch teilte die Verwaltung des Landtags dem Kläger mit, beide Rechtsbehelfe seien nicht statthaft.

4 Das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg verwarf mit Beschluss vom 18. September 2015 - 14/15 - (LVerfGE 26, 103) die Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen die Wahl der ständigen richterlichen Mitglieder des Richterwahlausschusses durch den Landtag im Jahr 2014 wegen fehlender Rechtswegerschöpfung als unzulässig; der Kläger habe den möglichen und ihm zumutbaren fachgerichtlichen Rechtsschutz nicht in Anspruch genommen.

5 Seine verwaltungsgerichtliche Klage auf Feststellung, dass die am 18. Dezember 2014 durch den Landtag erfolgte Wahl der ständigen richterlichen Mitglieder des Richterwahlausschusses sowie der Stellvertreter ungültig ist, ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:

6 Die Klage sei zwar zulässig, insbesondere sei der Verwaltungsrechtsweg eröffnet, denn die öffentlich-rechtliche Streitigkeit sei nichtverfassungsrechtlicher Art. Nach Art. 109 Abs. 1 Satz 1 LV Bbg entscheide der zuständige Minister gemeinsam mit dem Richterwahlausschuss über die Berufung in ein Richteramt. Einzelheiten - insbesondere die Zusammensetzung, die Wahl, der Status sowie Fragen des Geschäftsgangs des Richterwahlausschusses - ergäben sich aus dem den Gesetzesvorbehalt des Art. 109 Abs. 1 Satz 5 LV Bbg ausfüllenden Brandenburgischen Richtergesetz. Das Verfahren der Wahl der richterlichen Mitglieder sei zweistufig ausgestaltet: Nach § 15 Abs. 1 BbgRiG wähle die Richterschaft Kandidatinnen und Kandidaten, die dann nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BbgRiG vom Landtag gewählt würden. Für die Wahl der dem Landtag vorzuschlagenden Kandidatinnen und Kandidaten enthielten die §§ 88 ff. BbgRiG Regelungen. Der hier zugrunde liegende Streit sei im Schwerpunkt einfachgesetzlich und damit verwaltungsrechtlich geprägt.

7 Die Klage sei aber unbegründet, denn der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung. Der Wahlvorgang im Landtag sei rechtmäßig gewesen, es habe keine rechtlich relevanten Wahlfehler gegeben. Die Abstimmung im Landtag über die ständigen richterlichen Mitglieder des Richterwahlausschusses sei eine Wahl im parlamentsrechtlichen Sinn gewesen, die nicht stets die Auswahl zwischen mehreren Personen voraussetze. Zudem habe hier die Auswahlmöglichkeit aus den acht aus den justizinternen Wahlen hervorgegangenen Richterinnen und Richtern bestanden. Dass der Landtag mithilfe eines seiner Ausschüsse dieses Wahlverfahren im Rahmen seines Selbstorganisationsrechts mit dem Ergebnis eines einheitlichen Wahlvorschlags vorstrukturiert habe, ändere daran nichts, da der Ausschuss lediglich Empfehlungen abgegeben habe, denen das Plenum nicht hätte folgen müssen. Im Rahmen der Parlamentsautonomie könne der Landtag zudem von den selbst gesetzten Regeln im Einzelfall abweichen; es gebe kein Verbot der Geschäftsordnungsdurchbrechung. Die Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses durch den Landtag nach § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BbgRiG, der den Kernbereich parlamentarischer Autonomie unangetastet lasse, habe "aus" der Vorschlagsliste im Sinne von § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 15 BbgRiG heraus stattgefunden und sich auf "jedes Mitglied" im Sinne von § 12 Abs. 2 BbgRiG bezogen. Die abstimmenden Abgeordneten seien vollständig über die Vorschläge aus der Justiz informiert gewesen. Dieses Vorgehen sei Ausfluss des Selbstorganisationsrechts des Landtags. Aus dem Plenum heraus hätte jederzeit vor der Abstimmung Einzelwahl der beiden Mitglieder und ihrer Stellvertreter beantragt werden können, was jedoch nicht geschehen sei.

8 Auch inhaltlich sei die Wahl nicht zu beanstanden. Als genuin politische parlamentarische Entscheidung unterliege sie nicht gewöhnlichen Rechtsmaßstäben. Allenfalls das verfassungsrechtliche Willkürverbot könne ggf. eine Grenze darstellen. Ob dieser Maßstab bestehe, müsse hier nicht entschieden werden, denn die Intention von vorbereitendem Rechtsausschuss wie wählendem Plenum, das Vorschlagsvotum der brandenburgischen Justiz nach der Anzahl der erzielten Stimmen zu berücksichtigen, sei nicht willkürlich.

9 2. Die Sache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.

10 Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4 und vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9).

11 Es kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet, weil die aufgeworfene Frage sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde.

12 Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob es ein Verbot der Gesetzesdurchbrechung durch den (Brandenburgischen) Landtag gibt. Sie macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe § 88 BbgRiG - wonach Wahlen nach dem Brandenburgischen Richtergesetz geheim durchgeführt werden - dadurch verletzt, dass es angenommen habe, dass sich diese Norm nur auf Wahlen von in die Vorschlagslisten nach § 12 BbgRiG zu wählenden Richtern durch die Richter, nicht aber auf die Wahl aus diesen Vorschlagslisten in den Richterwahlausschuss durch den Landtag beziehe. Sie hält dies für rechtsfehlerhaft, denn das Plenum des Landtags hätte über jeden einzelnen Kandidaten auf der Vorschlagsliste getrennt und geheim abstimmen müssen. Indem das Oberverwaltungsgericht für die Wahl durch den Landtag den Grundsatz der Parlamentsautonomie statt § 88 BbgRiG als einschlägig angesehen habe, habe es den Rechtssatz aufgestellt, dass es kein Verbot der Gesetzesdurchbrechung durch den Landtag gebe.

13 Dieser Vortrag ist nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Frage der Existenz eines Verbots der Gesetzesdurchbrechung durch ein (Landes-)Parlament zu begründen.

14 Denn das Oberverwaltungsgericht hat den von der Beschwerde beanstandeten Rechtssatz nicht aufgestellt oder seiner Entscheidung auch nur zugrunde gelegt. Vielmehr hat es den Geltungsbereich des § 88 Abs. 1 Satz 1 BbgRiG als auf justizinterne Wahlen beschränkt angesehen und ihn demzufolge nicht auf die Wahl der Richter des Richterwahlausschusses durch das Plenum des Landtags erstreckt. Die Auslegung des § 88 BbgRiG ist aber - wie die Beschwerde selbst einräumt - eine Frage des nicht revisiblen Landesrechts. Dass die Beschwerde diese Auslegung für rechtsstaatswidrig hält, macht die Frage der Auslegung des § 88 BbgRiG nicht zu einer grundsätzlich klärungsbedürftigen Frage des revisiblen Bundesrechts. Das Oberverwaltungsgericht hat lediglich den Rechtssatz aufgestellt, dass es kein Verbot der Geschäftsordnungsdurchbrechung gebe; Gesetzesdurchbrechung und Geschäftsordnungsdurchbrechung sind aber völlig verschiedene Aspekte. Abgesehen davon hat das Oberverwaltungsgericht diese Erwägung im Rahmen seiner Erwägungen zum Parlamentsrecht des Landes Brandenburg angestellt, die ihrerseits grundsätzlich nicht revisibles Recht betreffen.

15 3. Auch der geltend gemachte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

16 Die Beschwerde rügt als "Begründungsfehler" die Formulierung des Oberverwaltungsgerichts, es habe "keine rechtlich relevanten" Wahlfehler gegeben; damit habe es zum Ausdruck gebracht, dass es sehr wohl - als rechtlich nicht relevant angesehene - Wahlfehler gegeben habe, ohne diese zu benennen.

17 Das genügt ersichtlich nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO für eine Verfahrensrüge. Es wird bereits nicht deutlich, welche Norm die Beschwerde als verletzt ansieht, welche Anforderungen ihrer Ansicht nach an die Begründung eines verwaltungsgerichtlichen Urteils zu stellen sind und warum diese sich auch auf nicht entscheidungsrelevante Rechtsausführungen erstrecken sollten.

18 Auch in der Sache könnte die Verfahrensrüge keinen Erfolg haben. Zum einen ist die von der Beschwerde beanstandete Formulierung nicht zwingend in dem Sinne zu verstehen, dass das Berufungsgericht Wahlfehler bejaht, sie aber als nicht rechtlich relevant angesehen hat. Vielmehr deuten die weiteren Ausführungen im Berufungsurteil darauf hin, dass das Gericht nur seinen Prüfungsmaßstab und -gegenstand benannt hat, der nicht in jedwedem Wahlfehler, sondern nur in einem rechtlich relevanten Wahlfehler bestand. Zum zweiten wäre aber auch im anderen Fall kein Verstoß gegen § 117 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, wonach das Urteil Entscheidungsgründe enthalten muss, schon gar nicht in der Qualität des absoluten Revisionsgrundes nach § 138 Nr. 6 VwGO, eine nicht mit Gründen versehene Entscheidung, erkennbar. Denn Begründungserfordernisse für gerichtliche Entscheidungen erstrecken sich nicht auf nicht entscheidungserhebliche Aspekte, sofern und soweit der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht ausnahmsweise anderes erfordert. Das ergibt sich aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach im Urteil - nur - die Gründe anzugeben sind, die für die richterliche Überzeugung leitend waren.

19 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.