Beschluss vom 29.11.2021 -
BVerwG 8 B 15.21ECLI:DE:BVerwG:2021:291121B8B15.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 29.11.2021 - 8 B 15.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:291121B8B15.21.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 15.21

  • VG Berlin - 17.12.2020 - AZ: VG 9 K 170.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 29. November 2021
durch
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hoock,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rublack
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 17. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1 Die Klägerin ist als Verfolgte im Sinne des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes (BerRehaG) anerkannt. Sie begehrt die Bewilligung von Ausgleichsleistungen nach § 8 BerRehaG für die Monate April bis August 2018. Ihren darauf gerichteten Antrag lehnte der Beklagte ab. Das Einkommen der Klägerin habe in diesen Monaten die Einkommensgrenze des § 8 Abs. 3 BerRehaG aufgrund von im Februar 2018 zugeflossenen Einmaleinkünften, die auf einen Zeitraum von sechs Monaten aufzuteilen seien, jeweils überschritten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

2 Die Beschwerde, die sich auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft und Verfahrensmängel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend macht, hat keinen Erfolg.

3 1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

4 Die von der Klägerin aufgeworfenen Rechtsfragen,
welche Merkmale die begründeten Einzelfälle im Ausnahmefall nach § 82 Abs. 7 Satz 3 SGB XII im Gegensatz zum Regelfall der Verteilung auf 6 Monate ab bzw. nach dem Zuflussmonat nach § 82 Abs. 7 Satz 2 SGB XII aufweisen können bzw. müssen, um eine Verkürzung dieses Verteilzeitraums zu begründen,
nach welchem Maßstab der Verkürzungszeitraum von 1 bis 6 Monaten dann jeweils zu bestimmen ist,
und
ob im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Norm den Gerichten und Behörden ein Beurteilungsspielraum mit gebundener Entscheidung ohne Ermessen für die unbestimmten Tatbestandsmerkmale nach § 39 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG zur Verfügung steht, oder ob insoweit ein Ermessen nach § 39 Abs. 1 Satz 3, § 40 VwVfG auszuüben ist,
würden sich in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen, weil die von der Klägerin angesprochene Vorschrift des § 82 Abs. 7 Satz 3 SGB XII für das angegriffene Urteil nicht erheblich war. Das Verwaltungsgericht ist nicht im Sinne dieser Vorschrift von einer Verkürzung des Anrechnungszeitraums in einem begründeten Einzelfall, sondern von einem Fall des § 82 Abs. 7 Satz 2 SGB XII ausgegangen, in dem eine gleichmäßige Verteilung der einmaligen Einnahme der Klägerin auf einen Zeitraum von sechs Monaten erfolgt.

5 2. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

6 a) Die Klägerin hat eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) nicht dargelegt. Mit ihrer Rüge, der Bescheid des Beklagten sei formell rechtswidrig und das Verwaltungsgericht habe den - von der Klägerin angenommenen - Verstoß gegen § 39 Abs. 1 VwVfG nicht erkannt, wird kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dargetan. Diese Vorschrift erfasst nur Verfahrensfehler des Gerichts, nicht hingegen Mängel des Verwaltungsverfahrens (BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 - 8 B 20.13 - ZOV 2014, 48 = juris Rn. 17). Eine fehlerhafte Beurteilung verwaltungsverfahrensrechtlicher Fragen durch das Verwaltungsgericht stellt vielmehr einen Fehler bei der Anwendung des maßgeblichen materiellen Rechts dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 2006 - 7 B 70.05 - ZOV 2006, 282 - juris Rn. 16), der nicht zur Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels führen kann.

7 b) Eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht gemäß § 86 Abs. 3 VwGO legt die Klägerin ebenfalls nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dar. Sie macht geltend, das Verwaltungsgericht habe einen Hinweis unterlassen, dass sie Umstände, die im Rahmen der Einzelfallprüfung nach § 82 Abs. 7 Satz 3 SGB XII erheblich seien, hätte vortragen müssen. Eines gerichtlichen Hinweises nach § 86 Abs. 3 VwGO bedarf es jedoch nur dann, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher der unterliegende Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. Eine solche Prozesssituation war hier nicht gegeben, weil das Verwaltungsgericht seine Entscheidung nicht auf § 82 Abs. 7 Satz 3 SGB XII gestützt hat.

8 c) Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs gebietet, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. Nur wenn nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserhebliches tatsächliches oder rechtliches Vorbringen unerwähnt bleibt, lässt das darauf schließen, dass dieses Vorbringen nicht berücksichtigt wurde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 2015 - 8 B 10.15 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 Nr. 44 Rn. 4 m.w.N.). Das Verwaltungsgericht ist im Gegensatz zur Klägerin nicht von einem begründeten Einzelfall im Sinne des § 82 Abs. 7 Satz 3 SGB XII ausgegangen, so dass nach seiner insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung entsprechende Ausführungen nicht veranlasst waren.

9 Soweit die Klägerin darüber hinaus ihren Anspruch auf rechtliches Gehör durch die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Abzugsfähigkeit der Sonderumlage verletzt sieht, richtet sich ihr Vorbringen gegen die materiell-rechtliche Würdigung des Verwaltungsgerichts, ohne einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO darzulegen.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.