Beschluss vom 30.01.2018 -
BVerwG 9 B 10.17ECLI:DE:BVerwG:2018:300118B9B10.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 30.01.2018 - 9 B 10.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:300118B9B10.17.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 10.17

  • VG Bayreuth - 16.03.2016 - AZ: B 4 K 14.642
  • VGH München - 01.12.2016 - AZ: VGH 6 BV 16.856

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 30. Januar 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Bier und
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und Dr. Martini
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Dezember 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 718,25 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO stützt, bleibt ohne Erfolg.

2 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht vermag die Zulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit im Hinblick auf die einschlägigen landesrechtlichen Regelungen sowie die Entscheidungserheblichkeit ihrer Klärung in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung darzulegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 - 6 B 64.07 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 132 Rn. 5 und vom 16. Juli 2013 - 9 B 15.13 - juris Rn. 5).

3 Die Fragen,
ob das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes dem Entstehen einer Abgabe (hier: kommunaler Straßenausbaubeitrag) dann entgegensteht, wenn der Sachverhalt (beitragspflichtige Maßnahme), der der Erhebung der Abgabe zugrunde liegt, abgeschlossen ist, ohne dass zu diesem Zeitpunkt der die Abgabepflicht begründende gesetzliche Tatbestand (Bestehen einer Baulast) erfüllt ist und die fehlende rechtliche Voraussetzung der Abgabenerhebung (Widmung einer Straße zur öffentlichen Sache) erst nachträglich geschaffen wird,
ob die Auslegung eines das Entstehen einer Beitragsschuld begründenden Rechtssatzes durch ein Gericht dann gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) und das objektive Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, wenn sie über dessen gefestigtes und unter Anwendung klassischer Methoden der Auslegung von Rechtssätzen gewonnenes Verständnis (Zeitpunkt des Abschlusses einer Investitionsmaßnahme) hinausgeht und damit erweiterte Abgabenpflichten begründet, sowie
in welchem Umfang auch die Rechtsfortbildung durch die Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Einschränkungen erfährt,

4 rechtfertigen danach nicht die Zulassung der Revision. Sie zielen auf die Vereinbarkeit der Auslegung des Landesrechts durch das Berufungsgericht mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip unter dem Gesichtspunkt des Rückwirkungsverbots und des Grundsatzes des Vertrauensschutzes sowie mit dem Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Beschwerdebegründung ist aber nicht zu entnehmen, inwieweit die Rechtssache in diesem Zusammenhang bisher ungeklärte Fragen des Verständnisses dieser Verfassungsbestimmungen und -grundsätze aufwirft. Darüber hinaus lassen sich die genannten Fragen, ohne dass es hierzu der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf, aufgrund der vorliegenden Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und des Bundesverwaltungsgerichts beantworten.

5 Das Berufungsgericht hat das nicht revisible (§ 137 Abs. 1 VwGO) Landesrecht dahin ausgelegt, dass auch eine erst nach Abschluss der Ausbaumaßnahme erfolgte Widmung die Straßenausbaubeitragspflicht entstehen lassen kann. Soweit der Beschwerdeführer mit der zweiten und dritten Frage letztlich rügt, das Gericht habe hierbei gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Willkürverbot verstoßen, führt sein Vortrag auch insoweit zu der mit der ersten Frage aufgeworfenen Grundsatzrüge, welche Grenzen Art. 20 Abs. 3 GG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG der Beitragserhebung setzt. Dem Rechtsstaatsprinzip sind indes keine Vorgaben zu entnehmen, in welcher Reihenfolge die Voraussetzungen für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erfüllt werden müssen. Es lässt danach - etwa im Erschließungsbeitragsrecht (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Juni 1968 - 4 C 65.66 - Buchholz 406.11 § 127 BBauG Nr. 3 S. 7 und vom 12. Dezember 1969 - 4 C 100.68 - Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 34 S. 10, Beschluss vom 29. Oktober 1997 - 8 B 194.97 - NVwZ-RR 1998, 513) - Raum dafür, dass die Beitragspflicht auch bei einer technisch bereits fertiggestellten Anlage erst mit der nachträglichen Widmung entsteht (ebenso für das Ausbaubeitragsrecht: Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 31 Rn. 3 m.w.N.).

6 Das Rechtsstaatsprinzip verbietet jedoch in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit, lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten heranzuziehen. Es verpflichtet deshalb den Gesetzgeber, sicherzustellen, dass Beiträge, die einen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils schaffen sollen, zeitlich nicht unbegrenzt festgesetzt werden können. Im Rahmen des danach zu schaffenden Ausgleichs zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Er darf indes die Interessen des Bürgers nicht völlig unberücksichtigt lassen und ganz von einer Regelung absehen, die der Erhebung einer Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt. Diese Grundsätze gelten für das gesamte Beitragsrecht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143 Rn. 42 ff.; BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 8 f.).

7 Soweit der Landesgesetzgeber in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 KAG BY angeordnet hat, dass die Ausschlussfrist für die Beitragserhebung 30 Jahre beträgt, erfüllt die - vom Beschwerdeführer allenfalls sinngemäß aufgeworfene - Frage, ob diese Frist in Einklang mit dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit steht, gleichfalls nicht die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision. Denn im vorliegenden Fall lagen zwischen dem Eingang der letzten Rechnung bei der Klägerin am 17. März 2009 und dem Erlass des angefochtenen Beitragsbescheides am 12. März 2012 weniger als drei Jahre. Innerhalb dieser kurzen Zeitspanne konnte sich ungeachtet der Verfassungsmäßigkeit der vorgenannten Regelungen weder ein schützenswertes Vertrauen entwickeln, für die in den Jahren 2004 bis 2006 durchgeführten Erneuerungsarbeiten nicht mehr zu Beiträgen herangezogen zu werden, noch überschreitet die Beitragserhebung hinsichtlich der Zeitspanne sonst die Grenze des verfassungsrechtlich Zumutbaren (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 15. April 2015 - 9 C 19.14 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 218 Rn. 17).

8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.