Beschluss vom 01.12.2022 -
BVerwG 7 B 18.22ECLI:DE:BVerwG:2022:011222B7B18.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.12.2022 - 7 B 18.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:011222B7B18.22.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 18.22

  • OVG Berlin-Brandenburg - 28.04.2022 - AZ: 11 A 18/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Dezember 2022
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Löffelbein und Dr. Wöckel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. April 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beigeladenen beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

3 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob
"für Abfalllagerungs- bzw. Abfallbehandlungsanlagen durch (verhaltensbezogene) Auflagen/Nebenbestimmungen im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid sichergestellt werden [kann], dass sie als atypische - mithin nicht erheblich störende - Anlagen auch in einem Gewerbegebiet zulässig sind",
war für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich. Eine Rechtsfrage, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt hat, kann grundsätzlich - und auch hier - nicht zur Zulassung der Revision führen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Januar 2018 - 9 B 20.17 - Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 52 Rn. 9 m. w. N.). Das Oberverwaltungsgericht hat zur Beurteilung der Gebietsverträglichkeit der Abfalllagerungs- und Abfallbehandlungsanlage der Beigeladenen in einem Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. September 1992 - 7 C 7.92 - Buchholz 406.12 § 15 BauNVO Nr. 22 S. 13 f.) darauf abgehoben, ob trotz eines anlagentypischen Gefährdungspotenzials, das in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit zum Ausdruck komme, bauplanungsrechtlich ein konkretes, die Gebietsprägung beeinträchtigendes Störpotenzial ausnahmsweise nicht unterstellt werden könne, weil die Anlage dergestalt atypisch sei, dass sie nach Art und Betriebsweise von vornherein keine Störungen befürchten lasse und damit ihre Gebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt sei. Dies sei hier, so das Oberverwaltungsgericht, auch unter Berücksichtigung der Maßgaben der Genehmigung nicht der Fall. In diesem Zusammenhang war die von der Beschwerde aufgeworfene Frage für das Oberverwaltungsgericht nicht entscheidungserheblich. Es hat es nicht als generell ausgeschlossen angesehen, dass durch Nebenbestimmungen zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung die Gewerbegebietsverträglichkeit einer Abfalllagerungs- und Abfallbehandlungsanlage hergestellt werden kann. Vielmehr hat es - nur - konkret für die Anlage der Klägerin mit einer einzelfallbezogenen Begründung die Gebietsverträglichkeit verneint. Das Oberverwaltungsgericht hat zum einen mit der spezifischen Anlagenkonfiguration und Betriebsweise argumentiert (Umgang mit besonders zur Staubbildung neigenden Abfällen im Bereich der Schüttboxen außerhalb der Lager- und Sortierhalle; Staubentwicklung trotz Berieselung jedenfalls in heißen Sommern; permanentes Offenhalten eines der beiden Hallentore mit der Folge des Austritts von Staub aus der Halle). Zum anderen hat es die der Beigeladenen in der Genehmigung aufgegebenen Vorkehrungen zur Begrenzung der Staubemissionen in den Blick genommen und diese als nicht geeignet bewertet, das Störpotenzial des Anlagenbetriebs dauerhaft und sicher zu bewältigen. Auch soweit das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf abgestellt hat, die einschlägigen Nebenbestimmungen seien überwiegend verhaltensbezogen, hat es keine generelle Aussage zur (fehlenden) Eignung verhaltensbezogener Nebenbestimmungen schlechthin getroffen, sondern wiederum einzelfallbezogen damit argumentiert, die hier in Rede stehenden Regelungen setzten ein arbeitsintensives Tätigwerden von Betriebsangehörigen der Beigeladenen und deren wirksame Beaufsichtigung voraus.

4 2. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

5 a) Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde es als verfahrensfehlerhaft, dass das Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, der in der mündlichen Verhandlung zu den Betriebsabläufen angehörte Geschäftsführer der Beigeladenen habe eingeräumt, dass die zur Reduzierung der Staubentwicklung außerhalb der Lager- und Sortierhalle vorgesehene Berieselung jedenfalls bei sommerlich heißen Temperaturen Staubemissionen nicht verhindern könne. Mit ihrem Einwand, dies entspreche nicht den tatsächlichen Aussagen ihres Geschäftsführers, rügt die Beigeladene der Sache nach eine Unrichtigkeit des Tatbestands des Urteils, die nur nach Maßgabe von § 119 VwGO hätte behoben werden können. Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht, das die darin bezeugten Tatsachen beweist (§ 98 VwGO i. V. m. § 418 Abs. 1 ZPO) und dem Urteilstatbestand insoweit gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 314 Satz 2 ZPO vorgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2021 - 7 C 2.20 - BVerwGE 172, 365 Rn. 30 m. w. N.), enthält keine gegenteiligen Feststellungen.

6 b) Auch soweit die Beschwerde eine Verletzung der Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO rügt, weil das Oberverwaltungsgericht einem hilfsweise gestellten Beweisantrag des Beklagten nicht entsprochen habe, rechtfertigt dies nicht die Zulassung der Revision. Dafür kann es auf sich beruhen, dass in dem Protokoll der mündlichen Verhandlung kein Hilfsbeweisantrag des Beklagten, sondern nur ein solcher der Klägerin vermerkt ist. Jedenfalls ist der geltend gemachte Verfahrensmangel entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht bezeichnet.

7 Während sich die Voraussetzungen für die Ablehnung eines in der mündlichen Verhandlung unbedingt gestellten Beweisantrags aus § 86 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 VwGO ergeben, wird mit einem nur hilfsweise gestellten Beweisantrag lediglich die weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO angeregt (BVerwG, Beschluss vom 21. Oktober 2019 - 1 B 49.19 - juris Rn. 46 m. w. N.). Eine Aufklärungsrüge kann nur Erfolg haben, wenn substantiiert dargetan wird, hinsichtlich welcher konkreter Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären, welche tatsächlichen Feststellungen bei der vermissten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern das unterstellte Ergebnis zu einer dem Kläger günstigeren Entscheidung hätte führen können. Zudem muss bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr beanstandet wird, hingewirkt werden, oder dargelegt werden, dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Juni 2018 - 4 B 63.17 - juris Rn. 7 f. m. w. N.). Dies leistet die Beschwerde nicht.

8 Das Oberverwaltungsgericht hat eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht für erforderlich gehalten, weil es die Frage der Gebietsverträglichkeit des Vorhabens bereits anhand der ihm vorliegenden Akten und aufgrund der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Erkenntnisse beurteilen könne. Die Beschwerde zeigt nicht auf, hinsichtlich welcher konkreter Umstände sich dem Oberverwaltungsgericht eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen und welche Feststellungen es diesbezüglich getroffen hätte, die nach seiner insoweit maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung die Entscheidung zugunsten der Beigeladenen hätten beeinflussen können. Sie verweist nur unspezifisch auf fortbestehenden "tatsächlichen Aufklärungsbedarf" zur Frage der Atypik und ein "hohes Maß an Schutzvorkehrungen" zugunsten der Nachbarschaft. Soweit sie darüber hinaus geltend macht, bei einer Inaugenscheinnahme wäre festgestellt worden, die verfügten Nebenbestimmungen stellten sicher, dass die Anlage keine Störwirkungen entfalte, mithin atypisch und damit gebietsverträglich sei, benennt sie keine konkreten und entscheidungserheblichen Tatsachen, sondern lediglich rechtliche Schlussfolgerungen, die von jenen des Oberverwaltungsgerichts abweichen. Ein Verfahrensmangel ist damit nicht aufgezeigt. Das gilt auch für die im gleichen Zusammenhang implizit erhobene Rüge einer Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) durch Außerachtlassen von der Beigeladenen vorgelegten Bildmaterials zu Einrichtungen zur Emissionsminderung. Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, inwieweit das Oberverwaltungsgericht damit entscheidungserhebliches Vorbringen übergangen hätte.

9 c) Ein Verfahrensmangel, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann, lässt sich dem Beschwerdevorbringen schließlich auch insoweit nicht entnehmen, als die Beigeladene eine Verletzung der Hinweispflicht des Vorsitzenden gemäß § 86 Abs. 3 VwGO rügt. Das Oberverwaltungsgericht ist dem Hilfsbeweisantrag erklärtermaßen "ungeachtet [dessen], ob eine zu beweisende Tatsache vom Beklagten überhaupt benannt worden ist", nicht nachgegangen. Damit war das Unterbleiben eines von der Beschwerde für geboten gehaltenen Hinweises auf etwaige Zweifel des Gerichts an einer hinreichenden Benennung der unter Beweis gestellten Tatsachen nicht entscheidungserheblich.

10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.