Beschluss vom 07.11.2019 -
BVerwG 1 B 77.19ECLI:DE:BVerwG:2019:071119B1B77.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 07.11.2019 - 1 B 77.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:071119B1B77.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 77.19

  • VG Freiburg - 29.10.2018 - AZ: VG A 4 K 5246/17
  • VGH Mannheim - 13.08.2019 - AZ: VGH A 3 S 370/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 7. November 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. August 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde, mit der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird, bleibt ohne Erfolg.

2 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Daran gemessen verhelfen die von dem Kläger aufgeworfenen Fragen von angeblich grundsätzlicher Bedeutung der Beschwerde nicht zum Erfolg.

3 1. Die Fragen
"Ist davon auszugehen, dass die in § 3a Abs.2 Nr.5 AsylG aufgeführte Verweigerung des Militärdienstes in einem völkerrechtswidrigen Konflikt die explizite Ablehnung des Wehrdienstes, gegebenenfalls in einem formalisierten Verfahren verlangt[,] oder schützt § 3[a] Abs.2 Nr.5 AsylG auch Personen, die sich nach Ablauf der Zurückstellung vom Militärdienst nicht zur Verfügung stellen oder sich dem Wehrdienst durch Flucht entziehen?"
und
"Ist § 3a Abs.2 Nr.5 AsylG[,] wonach der verweigerte Militärdienst Verbrechen oder Handlungen, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des § 3 Abs.2 AsylG fallen, umfasst, auch auf Wehrpflichtige anwendbar, die ihren künftigen militärischen Einsatzbereich nicht kennen, weil das Militär wiederholt und systematisch solche Verbrechen unter Einsatz von Wehrpflichtigen begeht?"
rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht, weil sie in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wären.

4 Gemäß § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG können als Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 1 AsylG unter anderem die Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt gelten, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des § 3 Abs. 2 AsylG (Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit) fallen. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG beruht unionsrechtlich auf Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 S. 9) - RL 2011/95/EU -, der wiederum wortgleich mit Art. 9 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 S. 12) - RL 2004/83/EG - ist.

5 Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat zu dieser Regelung entschieden, in Anbetracht des Ziels der Richtlinie 2004/83/EG, diejenigen Personen zu bestimmen, die wegen besonderer Umstände tatsächlich internationalen Schutz benötigen und rechtmäßig in der Union darum ersuchen, stelle die Eigenschaft als Militärangehöriger eine notwendige, wenngleich nicht hinreichende Voraussetzung dar, um den Schutz zu genießen, der mit den Bestimmungen von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2004/83/EG verbunden sei. Die Regelung umfasse überdies nur Fälle, in denen der geleistete Militärdienst in einem bestimmten Konflikt die Begehung von Kriegsverbrechen umfassen würde. Es obliege demjenigen, der die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. e RL 2004/83/EG erstrebe, mit hinreichender Plausibilität darzulegen, dass die Einheit, der er angehöre, die Einsätze, mit denen sie betraut worden sei, unter Umständen durchführe oder in der Vergangenheit durchgeführt habe, unter denen Handlungen der in dieser Bestimmung genannten Art mit hoher Wahrscheinlichkeit begangen würden oder worden seien (EuGH, Urteil vom 26. Februar 2015 - C-472/13 [ECLI:​EU:​C:​2015:​117], Shepherd - Rn. 34 ff. und 43). Das Bundesverwaltungsgericht ist dieser Rechtsprechung auch in Bezug auf die Richtlinie 2011/95/EU mit Urteilen vom 22. Mai 2019 - 1 C 10.18 und 1 C 11.18 - (jeweils juris Rn. 21) gefolgt.

6 Ob Personen, die sich dem Militärdienst nach Ablauf einer Zurückstellung vom Militärdienst nicht zur Verfügung stellen oder diesem durch Flucht entziehen, schon deshalb nicht § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG unterfallen, weil sie keine Militärangehörige sind, bedarf hier keiner Klärung (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 22. Mai 2019 - 1 C 10.18 - juris Rn. 22). Selbst für den Fall, dass eine Berufung auf die Vorschrift auch bereits bei beachtlich wahrscheinlicher Einberufung zum Militärdienst und ungewisser künftiger Zuordnung zu einer bestimmten Einheit infrage käme (zum Streitstand VG Hannover, Beschluss vom 7. März 2019 - 4 A 3526/17 - juris), hat der Verwaltungsgerichtshof gerade nicht festgestellt, dass entweder sämtliche, nach der Rechtsprechung des EuGH in Betracht zu nehmende Einheiten mit hoher Wahrscheinlichkeit in als Kriegsverbrechen einzustufende Handlungen involviert sind oder doch hinreichend plausibel ist, dass wehrdiensttauglichen Personen bei Rückkehr nach Syrien der Einsatz in solchen Einheiten drohte. Dieser hat vielmehr auf Quellen verwiesen, denen zufolge die syrische Armee für Kampfeinsätze vorrangig auf Elitetruppen, loyale Milizen und Unterstützung aus dem Ausland setze, Wehrpflichtige hieran wenig beteiligt seien und oftmals insbesondere für administrative und logistische Tätigkeiten verwendet würden (BA S. 18). Eine Anwendung des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG auch auf Wehrpflichtige unterstellt, fehlte es zudem an dem erforderlichen (dazu 2.) Verfolgungsgrund.

7 2. Die Revision ist zudem nicht wegen der des Weiteren als rechtsgrundsätzlich aufgeworfenen Frage
"Ist auch im Fall der Verfolgung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem völkerrechtswidrigen Konflikt § 3a Abs.2 [AsylG] für die Flüchtlingseigenschaft Voraussetzung, dass eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen und Verfolgungshandlungen besteht?"
zuzulassen, da diese Frage in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt ist.

8 Als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die entweder aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist. Die in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten Verfolgungsgründe erfahren in § 3b Abs. 1 AsylG eine Konkretisierung. Zwischen den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG genannten und in § 3b AsylG konkretisierten Verfolgungsgründen und den in § 3a Abs. 1 und 2 AsylG beschriebenen Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss gemäß § 3a Abs. 3 AsylG, Art. 9 Abs. 3 RL 2011/95/EU eine Verknüpfung bestehen. Die Maßnahme muss darauf gerichtet sein, den von ihr Betroffenen gerade in Anknüpfung an einen oder mehrere Verfolgungsgründe zu treffen. Ob die Verfolgung in diesem Sinne "wegen" eines Verfolgungsgrundes erfolgt, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme zu beurteilen, nicht hingegen nach den subjektiven Gründen oder Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Diese Zielgerichtetheit muss nicht nur hinsichtlich der durch die Verfolgungshandlung bewirkten Rechtsgutverletzung, sondern auch in Bezug auf die Verfolgungsgründe im Sinne des § 3b AsylG, an die die Handlung anknüpft, anzunehmen sein. Für eine derartige "Verknüpfung" reicht ein Zusammenhang im Sinne einer Mitverursachung aus. Ein bestimmter Verfolgungsgrund muss nicht die zentrale Motivation oder alleinige Ursache einer Verfolgungsmaßnahme sein; indes genügt eine lediglich entfernte, hypothetische Verknüpfung mit einem Verfolgungsgrund nicht den Anforderungen des § 3a Abs. 3 AsylG (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 - BVerwGE 162, 44 Rn. 11 ff. und vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 - juris Rn. 12 ff.). Für die Verfolgungshandlungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG gilt insoweit nichts anderes als für die übrigen in § 3a Abs. 2 AsylG geregelten Verfolgungshandlungen (BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2018 - 1 B 82.18 - juris Rn. 8).

9 3. Ohne Erfolg bleibt schließlich auch die Anschlussfrage
"Ist diese Verknüpfung bereits dann gegeben, wenn Strafverfolgung oder Bestrafung nach § 3a Abs.2 Nr.5 AsylG an die Verweigerung anknüpfen?".

10 Diese bedarf nicht der Klärung, da sie sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Ausweislich der den Senat in Ermangelung zulässiger und begründeter Verfahrensrügen gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs besitzt der Kläger nicht die notwendige Eigenschaft als Militärangehöriger (vgl. 1.), da er den Wehrdienst nicht verweigert hat, sondern sich diesem durch Flucht entzogen hat (BA S. 18), und sind auch die Voraussetzungen einer Erweiterung des § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG auf Wehrpflichtige gerade nicht festgestellt (vgl. 1.).

11 4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

12 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.