Beschluss vom 11.07.2022 -
BVerwG 2 B 15.22ECLI:DE:BVerwG:2022:110722B2B15.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 11.07.2022 - 2 B 15.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:110722B2B15.22.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 15.22

  • VG Chemnitz - 01.12.2021 - AZ: 3 K 985/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 11. Juli 2022
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dr. Hartung sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 1. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2 700 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde des Klägers ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.

2 1. Der 1964 geborene Kläger stand als Soldat auf Zeit im Dienst der Beklagten, zuletzt als Oberstleutnant. Seit Februar 2014 ist der Kläger im Reservewehrdienstverhältnis im Landeskommando S. der Bundeswehr als Leiter eines Kreisverbindungskommandos tätig; diese Dienstzeit endet mit Ablauf des November 2025. Zudem wurde der Kläger für den Zeitraum vom 30. November 2020 bis zum 31. Januar 2021 im Rahmen der Wehrpflicht zur temporären Verbesserung der personellen Einsatzbereitschaft herangezogen. Am 25. Januar 2021 zeigte der Kläger gegenüber dem Landeskommando S. selbst an, dass er möglicherweise ein Dienstvergehen durch Verstoß gegen die Social-Media-Richtlinie der Bundeswehr begangen habe. Der Kläger hatte auf seinem privaten Facebook Account einen Bericht über einen Anschlag der Gruppe "Islamischer Staat" in Bagdad geteilt und wie folgt kommentiert:
"Wen überrascht das?
Man hat zu viele Islamisten am Leben gelassen anstatt sie mit Stumpf und Stiel sowie mit Kind und Kegel auszurotten!
Als ob es nicht ohnehin schon zu viele Menschen gäbe, sammelt man die Überlebenden in Gefangenenlagern, füttert sie durch und hört sich ihre Lügen von 'Neugierde' oder 'Zufall' oder 'Dummheit' an.
Noch ist es nicht zu spät alle zu töten, an die man herankommt - dann hat man Kräfte und Mittel frei, um den Rest zu finden und auszurotten!
Religiöse Extremisten kann man weder wie normale Kriminelle behandelt noch wie normale Kriegsgefangene.
JEDER EINZELNE ist eine gefährliche Zeitbombe, die man nur durch einen finalen Akt entschärfen kann."

3 Unter Hinweis auf diesen Kommentar entließ die Beklagte den Kläger vorzeitig mit Ablauf des 26. Januar 2021 aus dem Wehrdienst zur temporären Verbesserung der personellen Einsatzbereitschaft. Die Beschwerde des Klägers gegen diesen Bescheid blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat die Klage des Klägers gegen die beiden Bescheide abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

4 Verbliebe der Kläger im Dienst, würde die militärische Ordnung ernstlich gefährdet. Der Kläger habe seine Dienstpflichten aus § 10 Abs. 6 SG, die Rechte anderer Menschen, insbesondere deren Ehre und deren Leben zu achten, und im Hinblick auf die Art und Weise der Äußerung, die eigene Meinung besonnen, tolerant und sachlich zu vertreten, schwerwiegend verletzt. Er habe zum Ausdruck gebracht, dass nicht nur militärische Gegner in Gestalt extremistischer Personen gegebenenfalls mit Mitteln der Androhung und Anwendung von Waffengewalt zu bekämpfen, sondern auch unbeteiligte Frauen, minderjährige Kinder und nahe Verwandte von extremistisch-gewalttätig handelnden Personen, unabhängig von einer Beteiligung am Konflikt, zu töten seien. Ihrer Tötung sei dabei sogar der Vorrang vor einer Unterbringung in Gefangenenlagern zu geben. Insbesondere der Umstand, dass nach dem Inhalt des Kommentars auch Frauen und Kinder, die lediglich durch ihre familiäre Verknüpfung zu militärischen Gegnern mit diesen verbunden seien, auszurotten seien, vermittle ein Menschenbild, das dem Konzept einer universellen Menschenwürde jedes einzelnen und damit den Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes entgegenstehe. Die Umsetzung des ernsthaft dargestellten Ansinnens sei in jedem Einzelfall ein Kriegsverbrechen und im Falle eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung sogar ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Erschwerend komme hinzu, dass die Begriffe wie "auszurotten" und "durch finalen Akt entschärfen" den Eindruck einer Versachlichung von Individuen aufdränge, wobei sich dieser Eindruck gerade nicht lediglich auf militärische Gegner, sondern auf nicht unerhebliche Teile der Zivilbevölkerung betroffener Staaten erstrecke. Eine derartige menschenverachtende Rhetorik, die das Lebensrecht von ganzen Familien in Abrede stelle, verbiete sich im beruflichen Kontakt uneingeschränkt, besonders für einen Offizier im Rang des Klägers. Sie lasse in jeder Hinsicht Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit vermissen.

5 2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde des Klägers beimisst.

6 Der Kläger sieht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache in der Frage,
"ob im Rahmen der Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 75 Abs. 1 Nr. 5 SG im Wesentlichen ein eventueller isolierter Verstoß gegen Dienstverpflichtungen maßgeblich ist oder das Gesamtverhalten des betroffenen Soldaten zu würdigen ist".

7 Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, weil sie anhand der anerkannten juristischen Auslegungsmethoden auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantwortet werden kann.

8 Nach § 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SG ist ein Soldat aus der Dienstleistung zu entlassen, wenn nach dem bisherigen Verhalten durch sein Verbleiben in der Bundeswehr die militärische Ordnung oder die Sicherheit der Truppe ernstlich gefährden würde. Geboten ist danach eine Bewertung des bisherigen Verhaltens des betroffenen Soldaten im Hinblick auf zu erwartende nachteilige Auswirkungen auf die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Dies ist von den Verwaltungsgerichten aufgrund einer Prognose zu beurteilen.

9 Von diesen Obersätzen zum Tatbestand des § 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SG ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Der Sache nach rügt der Kläger in der Beschwerde die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, das den vom Kläger angeführten Gesichtspunkten seines langjährig engagierten und beanstandungsfrei ausgeübten Dienstes in der Bundeswehr einschließlich der Auslandseinsätze und seines Engagements als Reservist für das Merkmal der Ernsthaftigkeit der Beeinträchtigung der militärischen Ordnung kein ausschlaggebendes Gewicht beigemessen habe. Mit Angriffen gegen die Richtigkeit eines gerichtlichen Urteils im Hinblick auf den Tatbestand der Ermächtigungsgrundlage können zwar ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) begründet werden, nicht aber die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

10 3. Die Rüge der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist unzulässig.

11 Eine die Revision eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 1995 - 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 18). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.

12 Die Beschwerde legt nicht im beschriebenen Sinne dar, dass das Urteil des Verwaltungsgerichts vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Januar 2021 - 2 WD 7.20 - (Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 89) abweicht. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts betrifft ein gegen einen Soldaten auf Zeit geführtes Disziplinarverfahren und die Anwendung von § 58 Abs. 7 und § 38 Abs. 1 WDO. Demgegenüber ist Gegenstand des angegriffenen Urteils die auf § 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SG gestützte Entlassung eines Soldaten aus der Dienstleistung. Zudem zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf, dass das angegriffene Urteil rechtssatzmäßig vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.

13 4. Das Urteil des Verwaltungsgerichts leidet auch nicht an dem in der Beschwerdebegründung geltend gemachten Verfahrensfehler der Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Das Verwaltungsgericht war nicht gehalten, sich bei seinem Urteil mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Januar 2021 - 2 WD 7.20 - auseinanderzusetzen.

14 Für das Urteil des Verwaltungsgerichts ist entsprechend § 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SG maßgeblich, ob nach dem bisherigen Verhalten des Klägers durch dessen Verbleiben in der Bundeswehr die militärische Ordnung oder die Sicherheit der Truppe ernstlich gefährdet würde. Ist eine solche ernstliche Gefährdung gegeben, ist der Soldat zwingend aus der Dienstleistung zu entlassen. Die Entscheidung, ob im Hinblick auf die Äußerung des Klägers vom 25. Januar 2021 die Tatbestandsvoraussetzungen des § 75 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SG erfüllt sind, setzt nicht zwingend die Befassung mit dem Umstand voraus, dass das Bundesverwaltungsgericht in einem anders gelagerten Disziplinarverfahren (Urteil vom 14. Januar 2021 - 2 WD 7.20 -) das einmalige Zeigen des Hitlergrußes durch einen Oberfähnrich auf einer Feier in einer Bundeswehrliegenschaft mit der Kürzung der Dienstbezüge des betreffenden Soldaten um 1/20 für die Dauer von 12 Monaten geahndet hat.

15 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Werts des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 GKG.