Beschluss vom 13.06.2019 -
BVerwG 5 B 29.18ECLI:DE:BVerwG:2019:130619B5B29.18.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 13.06.2019 - 5 B 29.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:130619B5B29.18.0]

Beschluss

BVerwG 5 B 29.18

  • VG Düsseldorf - 17.03.2017 - AZ: VG 26 K 3961/14
  • OVG Münster - 18.05.2018 - AZ: OVG 1 A 1028/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 13. Juni 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Vormeier,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Harms und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Holtbrügge
beschlossen:

  1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. Mai 2018 wird verworfen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 192,41 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (1.) und des Verfahrensmangels (2.) gestützte Beschwerde ist unzulässig, weil sie den Darlegungsanforderungen nicht genügt.

2 1. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf (BVerwG, Beschluss vom 8. Mai 2018 - 5 B 18.18 - juris Rn. 3). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 4. April 2012 - 5 B 58.11 - juris Rn. 2 und vom 12. März 2018 - 5 B 26.17 D - juris Rn. 3 m.w.N.). Soweit sich die Vorinstanz mit der Frage beschäftigt hat, gehört zu der erforderlichen Durchdringung des Prozessstoffes die Erörterung sämtlicher Gesichtspunkte, die im Einzelfall für die erstrebte Zulassung der Revision rechtlich Bedeutung haben könnten (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. März 1993 - 3 B 105.92 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 11 S. 13 und vom 26. September 2016 - 5 B 1.16 D - juris Rn. 26 m.w.N.). Daran fehlt es hier.

4 Die Beschwerde hält die Fragen für grundsätzlich klärungsbedürftig,
"1. Schließt die Feststellung des BfArM über die Wirksamkeit eines Arzneimittels im Rahmen der Zulassungsentscheidung über ein konkretes Arzneimittel nach §§ 21, 25 Abs. 1 AMG eine nochmalige Überprüfung des Arzneimittels durch das LBV NRW auf eine (allgemeine) wissenschaftliche Anerkennung des Arzneimittels auf der Grundlage von § 75 Abs. 8 Satz 1, S. 2 Nr. 2 lit. c) BVO NRW a.F.) heute: § 77 Abs. 8 S. 1 S. 2 Nr. 2 lit.c) BVO NRW) bzw. dessen Fehlen aus, kommt also der Zulassungsentscheidung des BfArM nicht auch gegenüber dem LBV NRW eine Bindungswirkung in Bezug auf das Merkmal der 'Wirksamkeit' eines Arzneimittels zu - wie auch gleichermaßen im Bereich des SGB V gegenüber dem Gemeinsamen Bundesausschuss (vgl. § 92 Abs. 2 S. 12 SGB V: 'Verordnungseinschränkungen oder -ausschlüsse eines Arzneimittels wegen Unzweckmäßigkeit nach Absatz 1 Satz 1 dürfen den Feststellungen der Zulassungsbehörde über Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Arzneimittels nicht widersprechen'.)?" (Beschwerdebegründung S. 5 f.)
"2. Ist die Anwendung eines Ausschlussgrundes einer 'fehlenden wissenschaftlichen Anerkennung' bzw. einer 'fehlenden allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung' mit der Intention des Schutzes vor wirkungslosen Behandlungsmethoden und Arzneimitteln in der Art und Weise zulässig, dass damit auch Arzneimittel einer gesetzlich durch AMG und SGB V ausdrücklich anerkannten besonderen Therapierichtung wie hier der Anthroposophischen Medizin von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen werden, obwohl die streitgegenständlichen Arzneimittel vom BfArM als Arzneimittel nach § 25 Abs. 1 AMG zugelassen wurden und u.a. die Wirksamkeit der Arzneimittel Teil der Zulassungsprüfung durch das BfArM ist und damit die Frage ihrer Wirksamkeit an der Tatbestands- bzw. Feststellungswirkung der Zulassungsbescheide des BfArM teilhaben?" (Beschwerdebegründung S. 6).

5 Im Hinblick auf beide Fragen genügt die Beschwerdebegründung den Darlegungsanforderungen bereits deshalb nicht, weil sie sich weder mit den nicht näher bezeichneten "höchstrichterlichen und obergerichtlichen Urteilen zum Begriff der (allgemeinen) wissenschaftlichen Anerkennung" noch mit den Gründen der angegriffenen Entscheidung substantiiert auseinandersetzt (vgl. Beschwerdebegründung S. 6 bis 9). Insbesondere geht sie nicht auf den vom Oberverwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Begriff der allgemeinen wissenschaftlichen Anerkennung (UA S. 15 f.) sowie dessen Erwägungen ein, mit der zur arzneimittelrechtlichen Verkehrsfähigkeit führenden Genehmigung anthroposophischer Arzneimittel sei schon deshalb keine allgemeine wissenschaftliche Anerkennung verbunden, weil die Prüfung der Wirksamkeit gemäß § 25 Abs. 2 Satz 4 AMG an den Maßstäben der jeweiligen Therapierichtung zu erfolgen habe, so dass es auf die Erkenntnisse der medizinischen (evidenzbasierten) Wissenschaft insoweit nicht ankomme (vgl. UA S. 18 ff.). Ebenso wenig befasst sie sich mit der Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, wegen der grundlegenden Strukturunterschiede zwischen der gesetzlichen Krankenversicherung und der privaten Eigenvorsorge mit ergänzender Beihilfe sei das Gleichbehandlungsgebot durch Unterschiede bei der Leistungsgewährung in der Regel nicht verletzt (UA S. 22).

6 2. Die Beschwerde ist nicht gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

7 Die Beschwerde rügt insoweit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) (a) sowie einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) (b) und gegen den Untersuchungsgrundsatz (c). Sie trägt dazu im Wesentlichen vor, das Oberverwaltungsgericht habe die fehlende (allgemeine) wissenschaftliche Anerkennung der streitgegenständlichen Arzneimittel der Anthroposophischen Medizin ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens und ohne Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Literatur zur wissenschaftlichen Evaluation der Anthroposophischen Medizin und zum wissenschaftlichen Diskurs über Evaluationsverfahren in der Medizin angenommen, obwohl der Kläger im Folgenden zusammengefasst wiedergegebene Studien, Reviews sowie einen umfassenden Health-Technology-Assessment-Bericht zur Evaluation des Therapiesystems der anthroposophischen Medizin bzw. einzelner Elemente in das Verfahren eingeführt habe (Beschwerdebegründung S. 9 ff.).

8 a) Die Beschwerde legt damit eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar.

9 Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte brauchen sich jedoch nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich auseinanderzusetzen. Denn es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Beteiligtenvorbringen auch zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Etwas anderes gilt, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2015 - 5 B 43.14 - juris Rn. 7; BVerfG, Beschluss vom 23. Juli 2003 - 2 BvR 624/01 - NVwZ-RR 2004, 3). Wird die Gehörsrüge darauf gestützt, dass das Tatsachengericht relevantes Vorbringen übergangen habe, bedarf es der Darlegung, welches Vorbringen das Gericht nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat und unter welchem denkbaren Gesichtspunkt das nicht zur Kenntnis genommene oder nicht erwogene Vorbringen für die Entscheidung hätte von Bedeutung sein können (BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 2014 - 4 C 35.13 - NVwZ 2015, 656 Rn. 42 m.w.N.). Die Beschwerde genügt den Darlegungsanforderungen schon deshalb nicht, weil sie sich in keiner Weise damit auseinandersetzt, ob der angeblich übergangene Vortrag nach der insofern maßgeblichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, für die ausnahmsweise Beihilfefähigkeit komme es auf die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung ("von dritter Seite" oder in "evidenzbasierten Studien") der therapeutischen Wirksamkeit an (vgl. UA S. 15 ff.), für dessen Entscheidung erheblich sein können. Insbesondere fehlt es auch an der substantiierten Darlegung, dass der behauptete Gehörsverstoß mit Blick auf die Auffassung der Vorinstanz, eine Binnenanerkennung reiche nicht aus, erheblich sein könnte.

10 b) Soweit die Beschwerde einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) geltend macht, genügt sie den Darlegungsanforderungen ebenfalls nicht. Sie geht nicht ansatzweise darauf ein, warum das Oberverwaltungsgericht durch die behauptete Nichtberücksichtigung der angeführten wissenschaftlichen Stellungnahmen gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen haben sollte. Insbesondere legt sie - was erforderlich wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 2013 - 6 C 23.12 - Buchholz 442.066 § 21 TKG Nr. 4 Rn. 84; Beschlüsse vom 14. Juli 2010 - 10 B 7.10 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4 und vom 12. März 2014 - 5 B 48.13 - Buchholz 310 § 96 VwGO Nr. 62 Rn. 22, jeweils m.w.N.) - nicht dar, dass die tatrichterliche Beweiswürdigung auf einem Rechtsirrtum beruhen würde, objektiv willkürlich wäre oder allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Natur- oder Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze missachten würde.

11 c) Die Beschwerde zeigt auch keinen Verstoß des Oberverwaltungsgerichts gegen die ihm obliegende Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1, § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO) auf. Die Aufklärungsrüge setzt die substantiierte Darlegung voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung der Vorinstanz aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Überdies muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auf der Grundlage seiner materiellrechtlichen Auffassung auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 2018 - 5 C 4.17 - ZBR 2018, 340 Rn. 25 und Beschluss vom 5. November 2018 - 1 B 77.18 - juris Rn. 3 jeweils m.w.N.). Dem genügt der bloße Hinweis auf wissenschaftliche Stellungnahmen, die in das Verfahren eingeführt worden seien, nicht.

12 3. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

13 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.