Beschluss vom 14.07.2022 -
BVerwG 4 BN 45.21ECLI:DE:BVerwG:2022:140722B4BN45.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 14.07.2022 - 4 BN 45.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:140722B4BN45.21.0]

Beschluss

BVerwG 4 BN 45.21

  • OVG Koblenz - 22.07.2021 - AZ: OVG 1 C 10724/20.OVG

In der Normenkontrollsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juli 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Decker und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Emmenegger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Juli 2021 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz wird zurückgewiesen.
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei kann offenbleiben, ob das Außerkrafttreten der Veränderungssperre am 18. Dezember 2021 zur Unzulässigkeit der Beschwerde führt (verneinend BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2022 - 4 BN 41.21 - juris Rn. 2), denn sie ist jedenfalls unbegründet.

2 1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Die Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe verfahrensfehlerhaft eine Sachentscheidung getroffen, greift nicht durch.

3 In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen kann, wenn das Tatsachengericht fehlerhaft das Vorliegen von Sachurteilsvoraussetzungen bejaht und zu Unrecht ein Sachurteil ergeht. Ein rügefähiger Verfahrensfehler liegt aber nur dann vor, wenn die inkorrekte Entscheidung auf einer fehlerhaften Anwendung der prozessualen Vorschriften beruht, etwa einer Verkennung ihrer Begriffsinhalte und der zugrunde liegenden Maßstäbe; demgegenüber liegt ein materiell-rechtlicher Mangel vor, wenn die Vorinstanz deswegen zu einer unzutreffenden Bewertung der Zulässigkeit gelangt ist, weil sie eine materiell-rechtliche Vorfrage fehlerhaft beantwortet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2021 - 4 B 28.20 - juris Rn. 12 m. w. N.). Ein Verfahrensmangel steht hiernach nicht in Rede.

4 a) Das Oberverwaltungsgericht hat die Antragsbefugnis der Antragstellerin zu 1 bejaht. Sie habe eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb eines Offroad-Parks auf den im Gebiet der Veränderungssperre gelegenen Grundstücken der Antragstellerin zu 2 beantragt. Dem Antrag habe die Antragstellerin zu 2 zugestimmt und ihr für den Fall der Genehmigungserteilung die Nutzung des Geländes aufgrund eines Pacht- oder Mietvertrags bzw. dessen Verkauf in Aussicht gestellt. Diese Abrede sei rechtswirksam.

5 Die Beschwerde rügt, die Annahme einer solchen Vereinbarung durch das Oberverwaltungsgericht verstoße gegen alle Auslegungsgrundsätze, insbesondere gegen die Denkgesetze der Logik. Jedenfalls sei die Vereinbarung zwischen den Antragstellerinnen mangels Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers der Antragstellerin zu 2 unwirksam, was bei zutreffender Auslegung des § 37 Abs. 2 GmbHG auf das Außenverhältnis durchschlage. Das führt nicht auf einen Verfahrensfehler. Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Oberverwaltungsgericht die prozessrechtlichen Maßstäbe für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verfehlt hat. Ihre Rüge, die Vereinbarung sei unwirksam, betrifft die vorgelagerten materiell-rechtlichen Fragen der Vertretungsbefugnis und die diesbezügliche Auslegung des Gesellschaftsvertrags (vgl. UA S. 9 ff.). Soweit die Beschwerde die Würdigung der Angaben der in der mündlichen Verhandlung befragten Geschäftsführer der Antragstellerinnen angreift, legt sie nicht dar, dass diese Würdigung ihrerseits verfahrensfehlerhaft ist. Ein revisionsrechtlich beachtlicher Verstoß gegen Denkgesetze kann nur dann bejaht werden, wenn eine Schlussfolgerung aus Gründen der Logik schlechthin nicht gezogen werden kann. Das ist nicht bereits dann der Fall, wenn der Tatrichter - wie hier – andere Schlüsse gezogen hat, als sie nach Auffassung eines Beteiligten hätten gezogen werden müssen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Juni 2021 - 4 B 41.20 - juris Rn. 5 m. w. N.). Auch im Übrigen zeigt die Beschwerde nicht auf, dass die Vorinstanz die verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhalts- und Beweiswürdigung überschritten hat.

6 b) Das Oberverwaltungsgericht ist ferner davon ausgegangen, dass die den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin zu 2 durch deren Geschäftsführer erteilte Prozessvollmacht wirksam ist (UA S. 14). Die Beschwerde rügt, bei Einleitung des Normenkontrollverfahrens habe noch keine schriftliche Prozessvollmacht vorgelegen. Die später vorgelegte Prozessvollmacht sei nicht wirksam erteilt worden. Hierzu hätte es zwingend eines Gesellschafterbeschlusses bedurft. Spätestens nach der Rüge der ordnungsgemäßen Bevollmächtigung hätte der Prozessbevollmächtigte sich einen Beschluss der Gesellschaftsversammlung vorlegen lassen müssen.

7 Ein Verfahrensfehler wird hiermit nicht aufgezeigt. Die Beschwerde legt nicht dar, dass das Oberverwaltungsgericht die prozessualen Vorschriften über die Postulationsfähigkeit und die Prozessvollmacht, insbesondere § 67 Abs. 4 und 6 VwGO, fehlerhaft angewandt hat. Die Vollmacht muss erst am Schluss der mündlichen Verhandlung der Vorinstanz vorliegen (vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 17. April 1984 - GmS-OGB 2.83 - BVerwGE 69, 380 <381 f.>). Das war der Fall. Die von der Beschwerde gegen die materiell-rechtliche Wirksamkeit der Vollmachtserteilung erhobenen gesellschaftsrechtlichen Einwände betreffen wiederum nicht die Anwendung des Prozessrechts, sondern materiell-rechtliche Vorfragen.

8 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

9 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 4). Daran fehlt es.

10 Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob die Anwendung und Auslegung der landesrechtlichen Regelungen über die Mitwirkung von Ratsmitgliedern an der Beschlussfassung über die Veränderungssperre, die Eigentümer von außerhalb des Plans liegenden Grundstücken, die in räumlicher Entfernung von über 800 m zum Plangebiet liegen, aufgrund nicht auszuschließender Immissionen auf ihr Grundstück für von der Mitwirkung ausgeschlossen hält, gegen die Grenzen verstößt, die die bundesrechtlichen Regelungen über die Bauleitplanung und deren Sicherung durch Landesrecht setzen,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie führt nicht auf eine Frage des revisiblen Rechts.

11 Unter welchen Voraussetzungen Mitglieder des Gemeinderats wegen Interessenkollisionen von der Beratung und Entscheidung über Bauleitpläne und Veränderungssperren ausgeschlossen sind, bestimmt sich nach dem nichtrevisiblen Landesrecht. Gleiches gilt für die rechtlichen Konsequenzen, die aus der Mitwirkung eines von der Beschlussfassung ausgeschlossenen Gemeinderatsmitglieds zu ziehen sind (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. April 1988 - 4 N 4.87 - BVerwGE 79, 200 <205 f.>, vom 5. November 1998 - 4 BN 48.98 - Buchholz 406.11 § 214 BauGB Nr. 13 S. 2 f. und vom 12. November 2003 - 4 BN 67.03 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 20 S. 5). Allerdings setzen die bundesrechtlichen Regelungen zur Bauleitplanung und ihrer Sicherung dem Landesrecht insoweit einen Rahmen und Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen (BVerwG, Beschluss vom 15. April 1988 - 4 N 4.97 - a. a. O. S. 203 f.). Ein Verstoß gegen Bundesrecht kommt dann in Betracht, wenn die landesrechtlichen Vorschriften über die Befangenheit so ausgelegt und angewendet werden, dass selbst "völlig untergeordnete oder ganz entfernte Interessenkollisionen" berücksichtigt werden oder das Aufstellungsverfahren sonst wie geradezu blockiert wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. April 1988 - 4 N 4.87 - a. a. O. S. 207 f.).

12 Weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zu den bundesrechtlichen Maßstäben legt die Beschwerde nicht dar. Sie hält für näher konkretisierungsbedürftig, wenn von "völlig untergeordneten oder ganz entfernten Interessenkollisionen" oder einer das Verfahren sonst wie geradezu blockierenden Handhabung der Vorschriften auszugehen ist. Diese Fragen sind keiner grundsätzlichen Klärung zugänglich, sondern richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Aus der gewählten Formulierung der Frage folgt nichts Anderes. Sie läuft letztlich auf eine − wenn auch fallübergreifende − Subsumtion unter die geklärten bundesrechtlichen Maßstäbe hinaus. Abgesehen davon unterstellt sie, dass das Oberverwaltungsgericht für die Frage der Befangenheit ohne Rücksicht auf die weiteren Umstände des Einzelfalls allein auf die Lage von Grundstücken der Ratsmitglieder in einem "räumlichen Sperrbereich" abgestellt habe. Das geht am Inhalt des Urteils vorbei (UA S. 15 ff.).

13 Auf die weitere von der Beschwerde formulierte Frage, die sich auf die vom Oberverwaltungsgericht angenommene materielle Unwirksamkeit des Planfeststellungsbeschlusses wegen Verletzung des § 75 Abs. 2 Satz 1 GemO RP durch Nichtbeteiligung des Ortsbeirates bezieht, kommt es nicht (mehr) an. In Fällen, in denen ein Urteil − wie hier − in je selbständiger Weise mehrfach begründet ist, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn in Bezug auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht und gegeben ist (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 15, vom 14. Juni 2016 - 4 B 45.15 - juris Rn. 38 und vom 20. Dezember 2016 - 3 B 38.16 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 3).

14 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.