Beschluss vom 15.04.2021 -
BVerwG 7 B 13.20ECLI:DE:BVerwG:2021:150421B7B13.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 15.04.2021 - 7 B 13.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:150421B7B13.20.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 13.20

  • OVG Berlin-Brandenburg - 05.03.2020 - AZ: OVG 12 A 5.17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 15. April 2021
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Schemmer und Dr. Günther
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 5. März 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des Eisenbahn-Bundesamtes vom 16. Oktober 2017, der den Neubau einer Eisenbahnüberführung im Land Berlin betrifft. Er hat am 4. Dezember 2017 einen Antrag auf Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss gestellt und nach Ablehnung des Antrags am 4. Dezember 2018 unter Beantragung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand Klage erhoben. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Klage als verfristet abgewiesen; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei ihm nicht zu gewähren. Ein Beteiligter, der wegen Mittellosigkeit nicht in der Lage sei, rechtzeitig zu klagen, habe Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn er innerhalb der Klagefrist alles Zumutbare getan habe, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben. Er müsse bis zum Ablauf der Klagefrist alles aus seiner Sicht Erforderliche getan haben, damit aufgrund der von ihm eingereichten Unterlagen ohne Verzögerung über sein Prozesskostenhilfegesuch entschieden werden könne. Dies habe der Kläger nicht geleistet.

2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen; hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

3 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

4 1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von dem Kläger beigemessene grundsätzliche Bedeutung.

5 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache dann, wenn in einem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss die grundsätzliche Bedeutung gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Oktober 2017 - 7 B 4.17 - juris Rn. 6 und vom 20. Dezember 2019 - 7 B 5.19 - juris Rn. 4). An diesen Voraussetzungen fehlt es hier.

6 Mit der Frage,
"Ist es mit verfassungsrechtlichen Grundprinzipien, insbesondere dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar, wenn das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg seine Entscheidung lediglich an vermeintlich einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung der höchsten Gerichte in Gestalt des Bundesgerichtshofs, Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts (namentlich: BVerfG, Beschluss vom 11. März 2010 - 1 BvR 290/10 u.a. - juris Rn. 18; BVerwG, Beschlüsse vom 10. August 2016 - 1 B 93.16 - juris Rn. 5 und 28. Januar 2004 - 6 PKH 15.03 - juris Rn. 5; BGH, Beschlüsse vom 31. August 2005 - XII ZB 116. 05 - juris Rn. 13 und vom 26. Oktober 2005 - XII ZB 125.05 - juris Rn. 7) stützt und dabei ebenfalls - einschlägige und in wesentlichen Grundsätzen davon abweichende Urteile ebenfalls höchster deutscher Gerichte (namentlich insbesondere BVerfG, Beschluss vom 11. Februar 1999 - 2 BvR 229/98) und ihre darin enthaltenen Wertungen bei seiner zu treffenden Entscheidung völlig unberücksichtigt lässt?",
zeigt die Beschwerde keine grundsätzliche Bedeutung der Sache auf. Das Oberverwaltungsgericht hat seine Entscheidung schon nicht auf die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage gestützt. Die Beschwerde macht zudem keinen Klärungsbedarf geltend, sondern rügt lediglich die Nichtberücksichtigung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1999 - 2 BvR 229/98 - (NJW 2000, 275). Mit der Rüge einer fehlerhaften Rechtsanwendung lässt sich ein grundsätzlicher Klärungsbedarf jedoch nicht begründen.

7 Auch eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nicht vor. Eine solche Rüge macht die Beschwerde zwar nicht ausdrücklich, der Sache nach aber geltend. Sie legt indes keinen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz dar, auf den das Oberverwaltungsgericht seine Auffassung gestützt hat. Die divergierenden Rechtssätze müssen einander präzise gegenübergestellt werden. Das Aufzeigen einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht oder unter anderem das Bundesverfassungsgericht in der Rechtsprechung aufgestellt hatten, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge nicht (BVerwG, Beschluss vom 10. August 2016 - 1 B 93.16 - juris Rn. 2 f.). So liegt es hier.

8 Die Beschwerde hat dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1999 - 2 BvR 229/98 - (NJW 2000, 275), wonach derjenige, der Prozesskostenhilfe beantragt und dabei einen Bescheid des Sozialamts beifügt, darauf vertrauen darf, dass das Gericht sein Gesuch auf der Grundlage dieser Angaben prüft und ihm aus der Verwendung einer vereinfachten Erklärung keine Nachteile erwachsen, keinen divergierenden Rechtssatz aus der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts gegenüber gestellt. Sie rügt vielmehr die Nichtbeachtung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1999 - 2 BvR 229/98 - (a.a.O.) bei der Rechtsanwendung des Oberverwaltungsgerichts. Damit kann sie die Zulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht erreichen.

9 Abgesehen hiervon ist der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1999 - 2 BvR 229/98 - (NJW 2000, 275) nicht einschlägig. Nach dieser sich auf § 2 Abs. 2 der Prozeßkostenhilfevordruckverordnung vom 17. Oktober 1994 (BGBl. I S. 3001) stützenden Entscheidung befreit die Vorlage eines Bescheids über gewährte Leistungen zum Lebensunterhalt davon, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Einzelnen darzulegen und nachzuweisen, es sei denn, das Gericht hatte dies gemäß Absatz 3 angeordnet. Entsprechendes gilt nach der Prozesskostenhilfevordruckverordnung vom 6. Januar 2014 (BGBl. I S. 34) für die Partei, die nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch laufende Leistungen zum Lebensunterhalt bezieht. Ein solcher Bescheid ist gegenüber dem Kläger allerdings nicht ergangen. Das Oberverwaltungsgericht hat hierzu nachvollziehbar ausgeführt, dass der an den Vater des Klägers adressierte Bescheid über Hilfe zum Lebensunterhalt vom 20. Juli 2017 insoweit keinen hinreichenden Aufschluss gegeben habe. Im Bescheid sei nur ein Gesamtbetrag für den Kläger und seinen Bruder in Höhe von 259,88 € (erhöhter Betrag wegen Schulbedarf) für August 2017 und 138,41 € für September 2000 berechnet worden. Dass diese Angaben keine in sich schlüssigen Informationen im Hinblick auf ein hinreichendes Einkommen zur Deckung des Lebensbedarfs des Klägers sind, ist offensichtlich.

10 2. Auch Verfahrensmängel, die zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen könnten, ergeben sich aus dem Beschwerdevorbringen nicht.

11 Die Beschwerde meint, dem Kläger sei in dem dem Hauptsacheverfahren vorgeschalteten Verfahren auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht ausreichend rechtliches Gehör im Sinne des Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO durch das Oberverwaltungsgericht gewährt worden. Es habe ihm keinen Hinweis auf zu ergänzende Erklärungen über seine wirtschaftlichen Verhältnisse erteilt. Dieser Vorwurf kann die Verletzung des Gebots rechtlichen Gehörs nicht begründen.

12 Art. 103 Abs. 1 GG garantiert den Beteiligten in einem gerichtlichen Verfahren die Gelegenheit, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs setzt auch voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welchen Tatsachenvortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Es kommt im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags gleich, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>). So liegt es hier nicht.

13 Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, der Kläger habe innerhalb der Klagefrist nicht alles Zumutbare getan, um das in seiner Mittellosigkeit bestehende Hindernis zu beheben, war danach nicht überraschend. Der Kläger durfte mit Rücksicht auf die im Prozesskostenhilfeverfahren vorgelegten Unterlagen nicht darauf vertrauen, dass das Oberverwaltungsgericht gegebenenfalls ergänzende Auskünfte zu seiner wirtschaftlichen Situation anfordern würde. Denn die Aussagekraft der vorgelegten Unterlagen und insbesondere des Bescheids vom 20. Juli 2017 an den Vater des Klägers entsprachen eindeutig nicht den Unterlagen im Sinne der Prozesskostenhilfevordruckverordnung. Die Bezugnahme der Beschwerde auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Februar 1999 - 2 BvR 229/98 - (NJW 2000, 275) geht daher fehl.

14 Gegen die Notwendigkeit eines Hinweises sprach auch, dass der Beklagte während des Prozesskostenhilfeverfahrens mit Schriftsatz vom 9. Januar 2018 auf nicht nachvollziehbare Erklärungen zur wirtschaftlichen Lage des Klägers wegen Grundstückseigentums und Unterhaltsansprüchen gegen seine Eltern hingewiesen hatte. Die Eigentumsverhältnisse des Klägers sind zwischen den Beteiligten streitig geblieben. Die Frage, ob der Kläger nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung aufbringen kann, ließ das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zwar unbeantwortet und stützte seine ablehnende Entscheidung auf fehlende Erfolgsaussichten einer Klage. Die Beigeladene hat im Klageverfahren aus den benannten Gründen aber ebenfalls Zweifel an der Bedürftigkeit des Klägers sowie an der Einhaltung der Klagefrist und am Bestehen von Wiedereinsetzungsgründen geäußert (Schriftsatz vom 5. November 2019). Schließlich hat das Oberverwaltungsgericht mit Verfügungsschreiben vom 29. Januar 2020 den Kläger vorsorglich darauf hingewiesen, dass im Termin zur mündlichen Verhandlung Fragen der Zulässigkeit der Klage zu erörtern sein würden.

15 Abgesehen hiervon hat die Beigeladene mit Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger nicht dargelegt habe, welche Angaben und Belege er auf einen gerichtlichen Hinweis nachgereicht hätte und inwieweit diese zur Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit des Prozesskostenhilfeantrags geführt hätten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - NJW 1997, 3328). Dieser Umstand steht einer zulässigen Verfahrensrüge entgegen.

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.