Beschluss vom 18.04.2018 -
BVerwG 3 A 7.17ECLI:DE:BVerwG:2018:180418B3A7.17.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 18.04.2018 - 3 A 7.17 - [ECLI:DE:BVerwG:2018:180418B3A7.17.0]

Beschluss

BVerwG 3 A 7.17

  • Bundesverwaltungsgericht - 29.06.2017 - AZ: 3 A 1.16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 18. April 2018
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und Rothfuß
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Kläger gegen das Urteil des Senats vom 29. Juni 2017 - BVerwG 3 A 1.16 - wird zurückgewiesen.
  2. Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger zu 1 4/10 und die Kläger zu 2 bis 4 jeweils 2/10. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Gründe

1 Die Anhörungsrüge der Kläger vom 11. Dezember 2017 hat keinen Erfolg; sie ist jedenfalls unbegründet.

2 Eine Anhörungsrüge kann nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO nur darauf gestützt werden, dass das Gericht den Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Die Kläger zeigen mit keiner ihren Rügen auf, dass der Senat nach seiner materiell-rechtlichen Auffassung entscheidungserhebliches Vorbringen der Kläger nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat.

3 1. Die Kläger meinen, der Senat habe seine Rechtsansicht, die Anwendbarkeit der Schall 03 1990 erfordere nicht, dass sie dem "Stand der Technik" entspreche (Urteilsabdruck Rn. 60 ff.), erstmals in den Urteilsgründen geäußert, dies sei neu und überraschend (I. der Rügeschrift vom 11. Dezember 2017). Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Die Maßstäbe für die Beurteilung der Schall 03 1990 sind in der mündlichen Verhandlung entsprechend der Verhandlungsgliederung, die den Beteiligten vom Senat zur Vorbereitung übersandt worden war (Nr. B.II.1, Bl. 361 der Prozessakte), erörtert worden. Die von den Klägern namentlich mit den Beweisanträgen 9 und 10 untermauerte Ansicht, die Schall 03 1990 entspreche nicht dem Stand der Technik und sei überholt, hat der Senat mit der Begründung abgelehnt, Maßstab sei nicht der Stand der Technik im Sinne von § 41 BlmSchG, sondern ob die Schall 03 1990 mit § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG und den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Gesundheitsschutzes vereinbar sei. Mit dieser Begründung ist der Beschluss, wie von § 86 Abs. 2, § 105 VwGO i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 6 und 7 ZPO gefordert und festgestellt, zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung verkündet worden (vgl. Anlage 20 des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2017, Bl. 402 der Prozessakte). Dass die Kläger, wie sie mit der Anhörungsrüge erneut ausführen, die Begründung in der Sache nicht teilen, ändert nichts daran, dass der Senat den Vortrag zur Kenntnis genommen, erwogen und ausdrücklich beschieden hat und seine Rechtsansicht zum Stand der Technik als Maßstab der Beurteilung schon in der mündlichen Verhandlung offengelegt hat. Dass die Kläger diese Ansicht für verfehlt halten, führt nicht auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs.

4 2. Entsprechendes gilt für die Rüge, der Senat habe
"weder schriftlich noch mündlich erläutert oder auch nur angedeutet, was nach seiner Ansicht noch an Sachvortrag fehlte, um die auf der Hand liegende Tatsache zu beweisen, dass die Vorgaben der alten Schall 03 (1990) keine realistische Anknüpfungstatsache zur Beurteilung der Gesundheitsgefahren nächtlichen Schienenlärms" seien (II. der Rügeschrift).

5 Den Vortrag, die Schall 03 (1990) enthalte keine realistischen Anknüpfungstatsachen zur Bewertung der Gesundheitsgefahren, hat der Senat zur Kenntnis genommen, erörtert und bei der Ablehnung des Beweisantrags 3 ausdrücklich beschieden (vgl. Anlage 18 zur Niederschrift vom 15. Juni 2017, Bl. 399 der Prozessakte). Ausgehend von der dabei offengelegten Rechtsauffassung, die Behauptung der Kläger sei nicht hinreichend substanziiert, bedeutet es keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, dass der Senat keine Tatsachen bezeichnet hat, die geeignet sein könnten, die aufgestellte Behauptung zu substanziieren. Ein solcher Hinweis wäre eine Rechtsberatung der - anwaltlich vertretenen - Kläger darüber, wie ihr Beweisantrag schlüssig gemacht werden könnte. Er wird weder von der Erörterungspflicht nach § 86 Abs. 3 VwGO noch von der Amtsermittlungspflicht gefordert, deren Verletzungen im Übrigen nicht mit der Anhörungsrüge geltend gemacht werden kann.

6 3. Die umfänglichen Darlegungen unter III. mit denen die Kläger neue Beweisanträge stellen und Studien anführen, die nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren und teilweise erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung veröffentlicht wurden, zeigen ebenfalls keinen entscheidungserheblichen Vortrag auf, den der Senat übergangen haben könnte.

7 Mit diesen Ausführungen, wollen die Kläger ihre Ansicht weiter untermauern, dass die Schall 03 1990 "keine verantwortbare Analyse des Gefährdungspotentials von Schienenverkehr ermöglicht" (Rügeschrift S. 14). Diese Behauptung, die - wie auch andere Beweisanträge - mit dem Begriff "verantwortbar" ein wertendes Element enthält, haben die Kläger insbesondere mit dem Beweisantrag 3 aufgestellt. Ihn hat der Senat ausdrücklich beschieden und die Beweisfrage als nicht hinreichend substanziiert betrachtet (Anlage 18 zur Niederschrift vom 15. Juni 2017, Bl. 399 der Prozessakte). Wenn die Kläger ihre Behauptung nunmehr weiter untermauern wollen, ergibt sich daraus kein Vortrag, den der Senat im Klageverfahren nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen hat. Die Umstände, die aus Sicht der Kläger gegen die Tauglichkeit der Schall 03 1990 sprechen und mit den Beweisanträgen 3, 9 und 10 vorgebracht worden waren, sind im angegriffenen Urteil im Einzelnen gewürdigt worden (Urteilsabdruck Rn. 63 ff.). Dass der Senat dabei den Angriffen der Kläger gegen die Schall 03 1990 nicht gefolgt ist, führt nicht auf eine Gehörsverletzung. Art. 103 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass ein Gericht Vorbringen von Beteiligten nicht folgt oder ihm aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts, mithin auch aus Gründen prozessualer Darlegungspflichten nicht nachgeht (stRspr, BVerfG, Beschluss vom 21. April 1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305 <310> m.w.N.).

8 4. Soweit die Kläger darlegen, dass der Verordnungsgeber mit der Schall 03 1990 und den dort festgelegten Immissionsgrenzwerten sein Ermessen überschritten habe (IV. der Rügeschrift), stellen sie ihre Auffassung gegen jene des Senats (Urteilsabdruck Rn. 63 ff.). Eine Gehörsverletzung ergibt sich daraus nicht.

9 5. Auch die Ausführungen unter V. der Rügeschrift zeigen keine Verletzungen des rechtlichen Gehörs auf.

10 a) Dass der Senat den Vortrag der Kläger im Schriftsatz vom 23. Juni 2017 zur Kenntnis genommen und erwogen hat, belegt schon der - von den Klägern selbst hervorgehobene - Umstand, dass der Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung im Urteil ausdrücklich beschieden worden ist (Urteilsabdruck Rn. 19 f.). Mängel der Begründung, die eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ergeben könnten, sind nicht dargetan. Es wird den einschlägigen Urteilsgründen nicht gerecht, wenn die Kläger dem Senat eine bloß pauschale Befassung mit ihrem Antrag vorwerfen. Die Urteilsgründe lassen klar erkennen, aus welchen Erwägungen die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet worden ist. Mit Blick auf den Antragsvortrag werden unter Rn. 20 des Urteils zudem ergänzend die nachfolgenden Urteilsgründe in Bezug genommen, in denen im Einzelnen jene Umstände abgehandelt werden, die die Kläger schon in anderem Zusammenhang geltend gemacht und auf die sie im Schriftsatz vom 23. Juni 2017 den Wiedereröffnungsantrag gestützt hatten.

11 b) Entsprechendes gilt für die gerügte Bescheidung der Beweisanträge in der mündlichen Verhandlung. Es trifft ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung nicht zu, dass die Beweisanträge ohne Begründung abgelehnt worden sind. Wie schon für andere Beweisanträge ausgeführt, hat der Senat sämtliche Beweisanträge mit begründeten und zur Niederschrift verkündeten Beschlüssen abgelehnt. Das räumen die Kläger ein, wenn sie bemängeln, die Beweisanträge seien "mit pauschal-formelhaften Begründungen zurückgewiesen" worden. Auch dieser Vorwurf trifft freilich nicht zu. Es ist weder pauschal noch formelhaft, sondern rechtlich eindeutig definiert, was gemeint ist, wenn Beweisbehauptungen als unsubstanziiert oder nicht entscheidungserheblich gekennzeichnet werden. Die Kläger haben dadurch Gelegenheit erhalten, auf die Bewertung zu reagieren, was sie in der mündlichen Verhandlung auch zur Stellung weiterer Beweisanträge genutzt haben.

12 Soweit die Kläger die Ablehnung des Beweisantrags 8 für mangelhaft halten, weil der Senat ihn missverstanden habe, verkennen sie, dass sie die geltend gemachten "Fehler bei der Anwendung" der Schall 03 1990 selbst präzisiert haben und sich daraus zweifelsfrei ergab, dass die Kläger gerade keine folgerichtige "wörtliche", sondern eine wesentlich anders geartete Anwendung der Schall 03 1990 einforderten, bei der im Regelwerk vorgesehene Abschläge (wie der Schienenbonus und das besonders überwachte Gleis <büG>) außer Betracht gelassen, dafür aber nicht vorgesehene Zuschläge berücksichtigt werden sollten. Darin läge eine fundamentale, das gesamte System aufeinander bezogener Grenzwerte und Berechnungsverfahren erfassende Modifizierung der Schall 03 1990 in Richtung darauf, was die Kläger als den "Stand der Technik" ansehen.

13 Auch den Beweisantrag 9 hat der Senat mit allen Unterpunkten begründet beschieden und seine Erwägungen im Urteil im Einzelnen präzisiert. Ob die Erwägungen zutreffen, ist keine Frage des rechtlichen Gehörs. Im Übrigen bestätigen die Ausführungen der Kläger, dass sie mit dem Beweisantrag der Sache nach im Wesentlichen Rechtsfragen unter Beweis gestellt haben (wie Rechtswidrigkeit, Nichtigkeit, Verstoß gegen Grundrechte). Das gilt auch für die aufgeworfene Frage, ob das büG in der Schall 03 1990 vorgesehen ist (Unterpunkt 4). Der Inhalt einer - gegebenenfalls durch Auslegung zu ermittelnden - Rechtsnorm ist keine dem Beweis zugängliche Tatsache. Unterpunkt 5 dieses Beweisantrags nachzugehen ("dass der äquivalente Beurteilungspegel als Beurteilung von Schallimmissionen insbesondere von Güterzügen ungeeignet ist"), hat der Senat unter Berücksichtigung des mit der Anhörungsrüge bezeichneten schriftlichen Vorbringens als nicht hinreichend substanziiert abgelehnt und dies im Urteil näher begründet (Urteilsabdruck Rn. 63 ff.). Dass diese Bewertung unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen worden ist, machen die Kläger nicht ersichtlich. Ausgehend von den verfassungsrechtlichen Maßstäben, die die Kläger auch ihrer Anhörungsrüge nicht zugrunde legen, genügt der Vortrag nicht, um die gesetzliche Wertung durchgreifend infrage zu stellen, dass die Schall 03 1990 im Konzept des Lärmschutzes der 16. BImSchV 1990 geeignet ist, Gesundheitsgefahren auszuschließen. Überdies gehen die Kläger am zu entscheidenden Lebenssachverhalt vorbei. Dieser ist nicht, vor allem nicht nachts, von einem Lärmgeschehen geprägt, aus dem die Kläger ihre Ansicht über die mangelnde Eignung der Schall 03 1990 herleiten (vgl. Urteilsabdruck Rn. 71).

14 6. Soweit die Kläger unter VI. eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend machen, ist dies nach § 152a Abs. 1 VwGO nicht rügefähig. Abgesehen davon ist auch dieser Vorwurf nicht berechtigt. Der Amtsermittlungsgrundsatz gestattet einem Gericht nicht, Behauptungen nachzugehen, deren Behandlung letztlich auf ein fallunabhängiges Rechtsgutachten hinausliefe. So lagen die Dinge aber hier. Wenn der Senat Tatsachenbehauptungen der Kläger nicht nachgegangen ist, dann deshalb, weil diese angesichts der zu beachtenden rechtlichen Maßstäbe nicht hinreichend substanziiert oder nicht entscheidungserheblich waren.

15 7. Ob die im Schriftsatz vom 15. Dezember 2017 ergänzend erhobene Rüge nach Ablauf von zwei Wochen nach Zustellung des angegriffenen Urteils noch beachtlich ist (vgl. § 152a Abs. 2 Satz 1 und 6 VwGO), mag dahinstehen; sie ist jedenfalls nicht begründet. Es trifft nicht zu - und kann deshalb keine Überraschungsentscheidung darstellen -, dass der Senat von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen sei, wonach der Verordnungsgeber gehalten ist, seine Regelungen geänderten Verhältnissen anzupassen. Von diesem Grundsatz ist der Senat ausgegangen (vgl. Urteilsabdruck Rn. 62 und 70, dort unter Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Dezember 2010 - 7 A 14.09 - Buchholz 316 § 74 VwVfG Nr. 81 Rn. 52). Er hat angenommen, dass die Kläger bezogen auf die Schall 03 1990 und den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt keinen hinreichenden Anlass für eine zwingende Anpassungspflicht aufgezeigt haben. Das sehen die Kläger zwar anders. Sie setzen damit aber ihre Bewertung an diejenige des Gesetz- bzw. Verordnungsgebers, der insofern seinen weiten, gerichtlich nur beschränkt überprüfbaren Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum nicht überschritten hat, wie unter Rn. 63 ff. des angegriffenen Urteils ausgeführt ist. Diese Zusammenhänge sind etwa bezogen auf den Schienenbonus und die ihn betreffende Übergangsvorschrift in § 43 Abs. 1 Satz 2 BImSchG schon in der mündlichen Verhandlung erörtert worden.

16 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3, § 159 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 1 und 2 VwGO.