Beschluss vom 21.05.2021 -
BVerwG 7 B 14.20ECLI:DE:BVerwG:2021:210521B7B14.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 21.05.2021 - 7 B 14.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:210521B7B14.20.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 14.20

  • OVG Lüneburg - 10.08.2020 - AZ: OVG 12 KN 18/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 21. Mai 2021
durch
den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Löffelbein und Dr. Wöckel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. August 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Der Kläger begehrt, den Beklagten zu verurteilen, für dessen Gebiet einen Luftreinhalteplan aufzustellen, der Maßnahmen vorsieht, die zur baldigen Einhaltung geltender Immissionswerte für Ammoniak und Feinstäube führen.

2 Er bewohnt ein im Außenbereich - inmitten intensiv landwirtschaftlich genutzter Flächen - gelegenes Wohnhaus.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.

II

4 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.

5 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt, also näher ausgeführt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91> und vom 9. Juni 2020 - 7 B 16.19 - juris Rn. 10). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt.

6 1. Die auf eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union zielende Frage,
ob es nach der Luftreinhalte-Richtlinie zulässig ist, dass trotz offensichtlichem Vorhandensein entsprechender Schadstoffpartikel keine Schadstoffwerte für Ammoniak durch die Bundesrepublik Deutschland als Grenzwert oder Zielwert festgelegt worden sind, obwohl eine Emissionshöchstmenge für Ammoniak in § 33 Abs. 1 Nr. 4 der 39. BImSchV in Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/2284 festgelegt wurde,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

7 Zwar ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts anerkannt, dass eine Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auch dann hat, wenn das Bundesverwaltungsgericht als letztinstanzliches Gericht in dem angestrebten Revisionsverfahren zur Auslegung einer entscheidungsrelevanten unionsrechtlichen Regelung voraussichtlich eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV einholen muss (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Oktober 1986 - 3 B 43.86 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 243 und vom 13. Juli 2007 - 3 B 16.07 - Buchholz 451.511 § 6 MOG Nr. 9 Rn. 15). Die Zulassung der Revision setzt aber voraus, dass der Klärungsbedarf durch den Gerichtshof von der Beschwerde dargelegt wird. Daran fehlt es hier.

8 Die Beschwerde kritisiert, dass in der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. L 152 S. 1) - Luftreinhalterichtlinie - kein Grenzwert für Ammoniak festgelegt worden ist und sieht darin eine Verletzung der Rechte des Klägers aus Art. 37 und 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta). Damit wird die Beschwerde ihren Darlegungsanforderungen nicht gerecht. Es fehlt jede Erläuterung, warum sich aus Art. 37 EU-GR-Charta, der die Einbeziehung eines hohen Umweltschutzniveaus in die Politik der Union fordert, ein Anspruch des Einzelnen auf Festlegung von Grenzwerten für Ammoniak ergeben soll, die über die in der Richtlinie 2001/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2001 über nationale Emissionshöchstmengen für bestimmte Luftschadstoffe (ABl. L 309 S. 22) und deren Nachfolgerichtlinie 2016/2284 vom 14. Dezember 2016 (ABl. L 344 S. 1) bzw. den in § 33 Abs. 1 Nr. 4 der 39. BImSchV festgelegten Emissionshöchstmengen für Ammoniak hinausgehen.

9 Dessen ungeachtet sind (auch) private Betroffene bzw. Nachbarn emittierender Anlagen gegenüber erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen durch die Einwirkung von Ammoniak - namentlich auf empfindliche Pflanzen (z.B. Baumschulen, Kulturpflanzen) - nicht schutzlos gestellt. Insoweit ist zwar kein Immissions(grenz)wert für Ammoniak zum Schutz vor erheblichen Nachteilen festgelegt. Jedoch findet nach Nr. 4.4.2 und 4.8 der als allgemeiner Verwaltungsvorschrift nach § 48 BImSchG erlassenen TA Luft, die die Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes im Hinblick auf die Luftreinhaltung konkretisiert, im Falle der Einwirkung von Ammoniak eine Prüfung statt, ob insbesondere unter Berücksichtigung bestimmter Mindestabstände der Schutz vor erheblichen Nachteilen gewährleistet ist (vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 20. August 2008 - 4 C 11.07 - BVerwGE 131, 352 Rn. 33).

10 Das Vorbringen der Beschwerde erschöpft sich im Übrigen in dem Hinweis auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2019 - C-752/18 [ECLI:​EU:​C:​2019:​1114] -. Diese beschäftigt sich allerdings lediglich mit der Frage, ob das zuständige nationale Gericht befugt ist, Zwangshaft gegen Amtsträger zu verhängen, wenn diese sich beharrlich weigern, eine klare, genaue und unbedingte Verpflichtung zu erfüllen, die sich aus der Luftreinhalterichtlinie ergibt. Ein Zusammenhang mit der von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig aufgeworfenen Frage ist nicht erkennbar. Aus der zitierten Entscheidung des Gerichtshofs lässt sich insbesondere nichts dafür entnehmen, dass die Luftreinhalterichtlinie mit Blick auf Art. 37 EU-GR-Charta ein Defizit bei der Festlegung der einzuhaltenden Grenzwerte aufweist.

11 2. Auch die Frage,
ob eine Einzelperson berechtigt ist, einen Luftreinhalteplan einzufordern,
1. wenn sich aus der Überschreitung von Grenzwerten in einem großflächigen Bereich um seinen Wohnort herum ergeben hat, hier in Bezug auf Ammoniak die bundesweite Emissionshöchstmenge nach der NEC-Richtlinie 2001/81/EG nunmehr Richtlinie 2016/2284 sowie hinsichtlich der Wasserrahmenrichtlinie durch einen übermäßigen Eintrag auch über Luftschadstoffe in das Oberflächenwasser und das oberflächennahe Wasser entgegen der Wasserrahmenrichtlinie, dass gemeinschaftsrechtlich festgelegte Umweltziele auch durch luftgetragene Schadstoffe nicht erreicht werden,
2. (auch) wenn keine Messung der Luftqualität in seinem Bereich oder überhaupt in einem vergleichbaren Bereich der gesamten Bundesrepublik Deutschland stattfindet, aber die oben genannte Situation die Überschreitung der Grenzwerte hier indiziert,
3. bzw. weil die fehlende Messung überhaupt indiziert, dass ein Schadstoffeintragskomplex nicht berücksichtigt werden soll,
führt nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.

12 Soweit die Beschwerde mir ihrer Frage geklärt wissen will, ob eine Einzelperson bei Überschreitung festgelegter Grenzwerte die Aufstellung eines Luftreinhalteplans klageweise durchsetzen kann, bedarf es der Durchführung eines Revisionsverfahrens schon deswegen nicht, weil es in der Rechtsprechung des Senats bereits seit längerem geklärt ist, dass von Immissionsgrenzwertüberschreitungen unmittelbar betroffenen Personen ein solches Klagerecht zusteht (BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 - 7 C 21.12 - BVerwGE 147, 312 Rn. 41).

13 Mit ihrer weiteren Frage, ob auch dann ein Anspruch auf Aufstellung eines Luftreinhalteplans besteht, wenn eine Messung der Luftqualität nicht stattgefunden hat, eine Überschreitung von Grenzwerten aber indiziert ist, geht die Beschwerde von einem Sachverhalt aus, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Es hat es offengelassen, ob ein Anspruch auf Aufstellung eines Luftreinhalteplans ausnahmsweise auch dann bestehen könne, wenn eine Grenzwertüberschreitung nicht durch eine den Anforderungen der 39. BImSchV entsprechende behördliche Messung festgestellt worden ist. Selbst wenn man von dieser zweifelhaften Hypothese ausginge, müsse jedenfalls eine räumlich bestimmbare Überschreitung der Grenzwerte evident sein. Eine solche evidente Grenzwertüberschreitung hat es im Folgenden verneint. Es hat insoweit festgestellt, dass an keiner der bundesweit 350 Messstationen der über ein Kalenderjahr gemittelte Grenzwert für PM 10 von 40 µg/m³ und die Zahl der zulässigen Überschreitungen der über den Tag gemittelten Grenzwerte überschritten werden. Entsprechende Feststellungen hat es für PM 2,5 getroffen. Gegen diese Feststellungen hat die Beschwerde Verfahrensrügen nicht erhoben. Deshalb ist auch die Frage, ob eine unterlassene Messung indiziert, dass ein Schadstoffeintrag nicht habe berücksichtigt werden sollen, nicht entscheidungserheblich.

14 Gleiches gilt für die darüber hinaus formulierte Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland berechtigt ist, durch schlichtes Nichthandeln, die Feststellung der Luftreinhaltequalität zu hintertreiben und ob dies mit der Luftreinhalterichtlinie vereinbar ist. Hiernach kann es aus Rechtsgründen in einem Revisionsverfahren auch nicht auf die - tatsächliche - Frage etwaiger defizitärer Messungen der Ammoniakkonzentration in der Luft bzw. der Fehlinterpretation von Messwerten ankommen. Entsprechendes gilt hinsichtlich der anderweitigen Kenntniserlangung des Beklagten über Ammoniak emittierende Anlagen in seinem Bereich.

15 3. Schließlich ist die Behauptung der Beschwerde, eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergebe sich auch im Kontext der Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, hinsichtlich Feinstaub seien Grenzwertüberschreitungen im Gebiet des Beklagten nicht ersichtlich, nicht nachvollziehbar.

16 Soweit man den diesbezüglichen Vortrag als Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) dahingehend auslegt, das Oberverwaltungsgericht habe bei der Würdigung tatsächlicher Feststellungen gegen Denkgesetze - und damit gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO - verstoßen, so ist auch dies nicht erkennbar. Die Frage der Vergleichbarkeit der Lage vorhandener Messstationen mit der örtlichen Situation, in der sich das Wohnhaus des Klägers befindet, hat das Gericht lediglich anders beantwortet, als der Kläger dies in seiner Beschwerde tut. Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Grenzen zulässiger Sachverhaltswürdigung stellt dies nicht infrage (vgl. hierzu etwa BVerwG, Urteil vom 15. Mai 2019 - 7 C 27.17 - NVwZ 2019, 1601 Rn. 56 m.w.N.).

17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.