Beschluss vom 25.10.2019 -
BVerwG 1 B 72.19ECLI:DE:BVerwG:2019:251019B1B72.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 25.10.2019 - 1 B 72.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:251019B1B72.19.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 72.19

  • VG Köln - 02.08.2017 - AZ: VG 10 K 3900/16
  • OVG Münster - 04.07.2019 - AZ: OVG 11 A 2178/17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 25. Oktober 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 4. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, mit der eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend gemacht wird, bleibt ohne Erfolg.

2 1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - Buchholz 442.066 § 78 TKG Nr. 1 Rn. 6 f. und vom 11. November 2011 - 5 B 45.11 - juris Rn. 3). Dem genügt das Beschwerdevorbringen nicht.

3 2. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
"[o]b eine ablehnende Entscheidung des Bundesverwaltungsamts, die auf einer unrichtigen deutschen Übersetzung einer ausländischen Urkunde basiert, offensichtlich rechtswidrig ist",
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, da sie sich nicht verallgemeinerungsfähig beantworten lässt und in dieser Allgemeinheit weder von dem Oberverwaltungsgericht aufgeworfen und entschieden worden ist noch sich in dieser allgemeinen Form in einem Revisionsverfahren stellen würde.

4 § 51 Abs. 5 i.V.m. den §§ 48, 49 VwVfG ermächtigt eine Behörde auch für den Fall, dass die in § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG normierten Voraussetzungen nicht vorliegen, ein abgeschlossenes Verwaltungsverfahren wiederaufzugreifen, eine inhaltlich unrichtige Entscheidung zu korrigieren und eine neue, der gerichtlichen Überprüfung zugängliche Sachentscheidung zu treffen. Die Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne steht im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Der Betroffene hat insoweit nur einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung. Hierbei kommt weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips ein genereller Vorrang gegenüber den Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten zu. Diese Grundsätze stehen vielmehr regelmäßig gleichberechtigt nebeneinander. Das Gebot der materiellen Gerechtigkeit vermittelt dem Betroffenen nur dann einen Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung "schlechthin unerträglich" ist. Das Vorliegen dieser Voraussetzung ist einer pauschalen Betrachtung entzogen und nur auf der Grundlage einer Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte festzustellen. Ein Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann "schlechthin unerträglich", wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Auch eine offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann die Annahme rechtfertigen, dessen Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Indes genügt hierfür allein der Umstand, dass der ablehnende Verwaltungsakt - gemessen an den sich aus der aktuellen Rechtsprechung ergebenden Anforderungen - nicht rechtmäßig verfügt werden durfte, nicht für die Annahme einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit (BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13 und vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 - BVerwGE 163, 370 Rn. 25 f. und 28 m.w.N.). Ebenso wenig lässt das Festhalten an der bestandskräftigen Ablehnung schlechthin unerträglich erscheinen, dass der Erfolg eines Begehrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheides von der "Zufälligkeit" des Zeitpunkts des Ergehens des Ablehnungsbescheides abhängt. Die hieraus resultierenden Folgen sind vielmehr gerade Ausfluss der Bestandskraft von Verwaltungsakten (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 - BVerwGE 163, 370 Rn. 29).

5 Setzt eine offenkundige Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts somit eine - im maßgeblichen Zeitpunkt seines Ergehens (vgl. BVerwG, Urteile vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 12 und vom 9. Mai 2012 - 6 C 3.11 - BVerwG 143, 87 Rn. 43; Beschluss vom 7. Juli 2004 - 6 C 24.03 - BVerwGE 121, 226 <229>) - offenkundig fehlerhafte Anwendung geltenden Rechts durch die Behörde im konkret entschiedenen Einzelfall voraus, so bedarf es auch zur Klärung der Frage, ob eine ablehnende Entscheidung des Bundesverwaltungsamts, die auf einer unrichtigen deutschen Übersetzung einer ausländischen Urkunde beruht, offensichtlich rechtswidrig ist, einer wertenden Betrachtung der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles.

6 3. Ebenso wenig verhilft die als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage,
"[o]b im Falle der Aufnahmebewerber, über deren Aufnahmeanträge nach dem BVFG vor dem 18.03.1999 (Entscheidung des BVerwG Az.: 5 C 5/99 wegen des Ausschlusstatbestandes des § 5 Nr. 1 Buchstabe d) BVFG a.F.) ohne Einzelfallprüfung negativ entschieden wurde, die Verweigerung des Wideraufgreifens des Verfahrens im weiteren Sinne nach § 51 Abs. 5 i.V.m. den §§ 48, 49 VwVfG einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG darstellt und zu einer unangemessenen Benachteiligung gegenüber den Aufnahmebewerbern, über deren Aufnahmeantrag nach dem 18.03.1999 im Einklang mit der Entscheidung des BVerwG vom 18.03.1999, Az.: 5 C 5/99 nach einer Einzelfallprüfung hinsichtlich des § 5 Nr. 1 Buchstabe d) BVFG a.F. entschieden wurde, führt",
der Beschwerde zum Erfolg, da sich deren Begründung nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO gerecht werdenden Weise mit der dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegenden und unter 2. wiedergegebenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zu § 51 Abs. 5 i.V.m. den §§ 48, 49 VwVfG auseinandersetzt.

7 Gemäß § 5 Nr. 1 Buchst. d des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl. I S. 829), zuletzt geändert durch den am 1. Januar 1998 in Kraft getretenen Art. 30 des Gesetzes vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594) (BVFG 1998), erwarb die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG 1998 nicht, wer in den Aussiedlungsgebieten eine herausgehobene politische oder berufliche Stellung innegehabt hat, die er nur durch eine besondere Bindung an das totalitäre System erreichen konnte, oder wer von einer entsprechenden Stellung seiner Eltern, seines nichtdeutschen Ehegatten oder dessen Eltern begünstigt wurde.

8 Soweit die Beschwerde eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes des Art. 3 Abs. 1 GG darin sieht, dass die vormalige Auslegung und Anwendung des Merkmals der herausgehobenen politischen oder beruflichen Stellung nicht im Einklang mit § 5 Nr. 1 Buchst. d BVFG 1998 stand und die Klägerin durch diesen Verstoß gegen Bundesrecht gegenüber Aufnahmebewerbern, über deren Anträge erst nach dem Ergehen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. März 1999 - 5 C 2.99 - (BVerwGE 108, 340 <343 f.>) entschieden worden sei, unangemessen benachteiligt werde, hätte es einer substantiierten Auseinandersetzung mit der unter 2. wiedergegebenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedurft, der zufolge sich die offenkundige Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts im Zeitpunkt seines Ergehens beurteilt und allein der Umstand, dass der Erfolg eines Begehrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheides von der "Zufälligkeit" des Zeitpunkts des Ergehens des Ablehnungsbescheides abhängt, das Festhalten an der bestandskräftigen Ablehnung nicht schlechthin unerträglich erscheinen lässt. An einer solchen Auseinandersetzung fehlt es hier.

9 4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

10 5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.