Beschluss vom 31.05.2021 -
BVerwG 20 F 14.20ECLI:DE:BVerwG:2021:310521B20F14.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 31.05.2021 - 20 F 14.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:310521B20F14.20.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 14.20

  • VGH Mannheim - 27.10.2020 - AZ: VGH 14 S 2081/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 31. Mai 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg vom 27. Oktober 2020 geändert. Die Sperrerklärung des Beigeladenen vom 28. Mai 2020 ist auch teilweise rechtswidrig, soweit sie sich auf den kursiv gedruckten ersten Absatz auf Seite 25 der Verwaltungsakte mit Ausnahme des Satzteils zwischen den Worten "somit" und "mitteilbar" bezieht.
  2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
  3. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I

1 In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt der Kläger Auskunft über die beim Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg zu seiner Person gespeicherten Daten.

2 Im Hauptsacheverfahren hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aufgefordert, die vollständigen Unterlagen zu übersenden. Daraufhin wurde ein teilweise geschwärzter Teil der Akten vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten aber unter Vorlage einer Sperrerklärung des Beigeladenen vom 28. Mai 2020 verweigert. In der Folge beantragte der Kläger, die Akten dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung vollständiger Akteneinsicht vorzulegen.

3 Mit Verfügung vom 19. Juni 2020 wies die Berichterstatterin die Verfahrensbeteiligten darauf hin, dass das Gericht nach Beratung durch die Kammer die bisher nur geschwärzt bzw. nicht vorgelegten Aktenbestandteile für entscheidungserheblich halte. Der Kläger begehre Auskunft, weil er von Maßnahmen in Verbindung mit dem Verbot des Vereins linksunten.indymedia betroffen sei und dieses auf Erkenntnisse des Beklagten zurückgehe. Damit habe er die Voraussetzungen für einen Anspruch aus § 13 Abs. 1 Satz 1 LVSG dargelegt. Ohne Einsicht in die vollständigen und ungeschwärzten Unterlagen könne die Kammer das Vorliegen von Ausschlussgründen nach § 13 Abs. 2 LVSG nicht beurteilen. Entscheidungserheblich seien die geschwärzten Aktenbestandteile auch, wenn kein Anspruch aus § 13 Abs. 1 Satz 1 LVSG bestehe. Ob die Beklagte ihr Ermessen, auch ohne die Voraussetzungen Auskunft zu erteilen, fehlerfrei ausgeübt habe, könne nicht ohne Einsicht in die ungeschwärzten Unterlagen beurteilt werden. Unter Verweis auf diese Verfügung legte das Verwaltungsgericht die Akten dem Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofes vor.

4 Mit Beschluss vom 27. Oktober 2020 hat der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofes festgestellt, dass die Sperrerklärung des Beigeladenen rechtswidrig ist, soweit sie sich auf einzelne Worte und Passagen der Seiten 16, 19, 20, 23 und 24 der Verfahrensakte bezieht. Im Übrigen lehnte er den Antrag des Klägers ab. Hiergegen richtet sich dessen Beschwerde.

II

5 Die zulässige Beschwerde ist nur zu einem geringen Teil begründet. Über die Feststellung des Fachsenats des Verwaltungsgerichtshofes hinaus ist die Sperrerklärung auch insoweit rechtswidrig, als sie sich auf den kursiv gedruckten ersten Absatz auf Seite 25 der Verwaltungsakte mit Ausnahme des Satzteils zwischen den Worten "somit" und "mitteilbar" der Verwaltungsakte bezieht. Die weitergehende Beschwerde ist unbegründet.

6 1. Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung des Fachsenats im selbständigen Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt für seine Zulässigkeit voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen in ordnungsgemäßer Form bejaht hat (BVerwG, Beschlüsse vom 20. Dezember 2018 - 20 F 5.18 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 75 Rn. 12 und vom 8. März 2019 - 20 F 8.17 - juris Rn. 5).

7 Zwar hat das Verwaltungsgericht keinen - regelmäßig erforderlichen (BVerwG, Beschluss vom 8. März 2019 - 20 F 8.17 - juris Rn. 5) - Beweisbeschluss gefasst, auf Grundlage dessen die Sperrerklärung zeitlich nachfolgend und inhaltlich abgestimmt abgegeben wurde (BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2016 - 20 F 2.15 - NVwZ 2016, 467 Rn. 6). Allerdings ist die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zur Entscheidungserheblichkeit der geschwärzten Aktenbestandteile nach einer Beratung der zuständigen Kammer durch Verfügung der Berichterstatterin den Beteiligten zur Kenntnis gegeben worden. Diese Verlautbarung weist die Qualität einer zumindest vergleichbaren förmlichen Äußerung auf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. August 2020 - 20 F 6.19 - juris Rn. 11). Diese ist nicht offensichtlich fehlerhaft und daher für den Fachsenat bindend.

8 2. Der Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofes hat das Vorliegen der mit der Sperrerklärung vom 28. Mai 2020 differenzierend auf die einzelnen Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung der zutreffenden rechtlichen Maßstäbe geprüft.

9 a) Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde (BVerwG, Beschlüsse vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 4 m.w.N., vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 18 f. m.w.N. und vom 12. September 2017 - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und damit dem Wohl eines Landes ein Nachteil bereitet werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (BVerwG, Beschlüsse vom 4. März 2010 - 20 F 3.09 - juris Rn. 6 m.w.N. und vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 19). Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (BVerwG, Beschlüsse vom 23. März 2009 - 20 F 11.08 - juris Rn. 9 und vom 21. Januar 2014 - 20 F 1.13 - juris Rn. 19 m.w.N.). Nachrichtendienstliche Belange in diesem Sinne können zum Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde die Weigerung rechtfertigen, Akten vollständig, insbesondere ungeschwärzt, vorzulegen.

10 Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO. Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen der Klägerin ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht (BVerwG, Beschluss vom 12. September 2017 - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter (BVerwG, Beschluss vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 13). Personenbezogene Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten. Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22. Juli 2010 - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 9 f. und vom 24. Oktober 2018 - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 14).

11 b) Hiernach ist die Weigerung des Beklagten, die Seite 25 ungeschwärzt vorzulegen, rechtswidrig, soweit der kursiv gedruckte erste Absatz nicht offengelegt worden ist. Der dort enthaltene Hinweis ist mit der Ausnahme des Teilsatzes zwischen den Worten "somit" und "mitteilbar" nicht durch die geltend gemachten Weigerungsgründe gedeckt. Sein Inhalt ergibt sich vielmehr aus der Offenlegung des letzten Absatzes auf Seite 24 der Verwaltungsakte. Die geltend gemachten Weigerungsgründe bestehen aber für alle weiteren Inhalte der Seite 24 ober- und unterhalb des kursiv gedruckten Hinweises. Insoweit sind Schwärzungen nicht zu beanstanden.

12 Im Übrigen ist die Sperrerklärung, soweit sie Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Durchsicht der dem Senat im Original vorliegenden Unterlagen hat bestätigt, dass die vom Beklagten geltend gemachten Weigerungsgründe bestehen. Von einer weiteren Begründung wird nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO abgesehen. Weitere Teilschwärzungen, die über diejenigen, die dem Verwaltungsgericht bereits vorgelegten Aktenteile zu entnehmen sind, hinausgehen, kommen in Bezug auf diese Aktenbestandteile nicht in Betracht, weil sie nur zu inhaltsleeren und nichtssagenden Restbeständen führen würden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 28. November 2013 - 20 F 11.12 - juris Rn. 18 und vom 29. November 2016 - 20 F 10.16 - juris Rn. 12).

13 c) Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Vorlageverweigerung erfüllt sind, ist auch die Ermessensausübung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht zu beanstanden. Der Beigeladene hat in seiner Sperrerklärung die gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen bezogen auf die einzelnen Aktenstücke abgewogen, dabei die Möglichkeit von Teilschwärzungen geprüft und so eine Ermessensentscheidung getroffen, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 - 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m.w.N.) genügt.

14 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Kläger obsiegt nur in geringem Umfang, weil über die vom Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofes bereits zutreffend als rechtswidrig erkannten Schwärzungen und Entnahmen hinaus nur der Teil eines weiteren Satzes nicht durch Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gedeckt ist.