Verfahrensinformation

Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste im Dezember 2015 zusammen mit seiner Familie, bestehend aus seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte in der Folgezeit einen Asylantrag. Die gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht als unbegründet zurück. Bei den Klägern lägen keine Gründe für die Gewährung internationalen Schutzes (Flüchtlingsschutz oder subsidiärer Schutz) vor, auch sei Abschiebungsschutz nach nationalem Recht (nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG) nicht zu gewähren; denn es sei zu erwarten, dass die Familie des Klägers ihren Lebensunterhalt in einer als relativ sicher geltenden Stadt in Afghanistan nach einer Wiedereingliederungsphase zumindest auf einem nach westlichen Maßstäben niedrigen Niveau sicherstellen könne.


Der allein wegen des Begehrens auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG zugelassenen Berufung gab das Oberverwaltungsgericht in Bezug auf die Ehefrau und die Kinder statt. Bei der gebotenen individuellen Betrachtung läge für sie ein Abschiebungsverbot vor, weil sie den Auswirkungen einer verarmten städtischen Umgebung besonders schutzlos gegenüber stünden und wegen der Betreuungs- und Erziehungsaufgaben die Mutter mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Existenzminimum für sich und ihre Kinder nicht werde erwirtschaften können. Für den Kläger bestehe jedoch kein Abschiebungsverbot, weil er als gesunder, leistungsfähiger Mann in der Lage sein werde, sich auch ohne soziales Netzwerk auf niedrigem Niveau zu unterhalten und ohne erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit seinen Lebensunterhalt sicherzustellen. Für die Prüfung möglicher trennungsbedingter Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis sei das Bundesamt nicht zuständig.


Das Oberverwaltungsgericht hat die - vom Kläger eingelegte - Revision zugelassen, weil in der obergerichtlichen Rechtsprechung die Frage unterschiedlich beurteilt werde, ob für die Rückkehrprognose im Kontext des § 60 Abs. 5 AufenthG die Kernfamilie - bestehend aus Vater, Mutter und Kindern - als Ganzes in den Blick zu nehmen oder für jedes einzelne Familienmitglied gesondert zu prüfen sei, ob ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliege.


In den Verfahren BVerwG 1 C 49.18 und 50.18 stellen sich vergleichbare Fragen.


Pressemitteilung Nr. 53/2019 vom 04.07.2019

Trotz Abschiebungsschutzes einzelner Mitglieder der Kernfamilie ist bei der Gefahrenprognose für die übrigen Mitglieder von einer gemeinsamen Rückkehr auszugehen

Bei der Prüfung von Abschiebungsverboten nach nationalem Recht wegen der Verhältnisse im Herkunftsland hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) für die Gefahrenprognose im Regelfall davon auszugehen, dass Eltern und die mit ihnen zusammenlebenden minderjährigen Kinder („gelebte“ Kernfamilie) gemeinsam zurückkehren. Dies gilt auch dann, wenn einzelne Familienmitglieder bereits Abschiebungsschutz genießen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute in Änderung seiner Rechtsprechung entschieden.


Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste im Dezember 2015 zusammen mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie stellten einen Asylantrag, den das Bundesamt ablehnte. Die auf Schutzgewähr gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Der allein wegen des Begehrens auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zugelassenen Berufung gab das Oberverwaltungsgericht nur in Bezug auf die Ehefrau und die Kinder statt. Bei der gebotenen individuellen Betrachtung läge für sie ein Abschiebungsverbot vor, weil die Mutter wegen der Betreuungs- und Erziehungsaufgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Existenzminimum für sich und ihre Kinder nicht werde erwirtschaften können. Der Kläger indes werde als (alleinstehender) gesunder, leistungsfähiger Mann in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt auch ohne soziales Netzwerk auf niedrigem Niveau sicherzustellen. Für die Prüfung möglicher trennungsbedingter Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis sei die Ausländerbehörde und nicht das Bundesamt zuständig.


Der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat das Bundesamt verpflichtet, auch für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen. Zutreffend ist zwar der rechtliche Ansatz des Oberverwaltungsgerichts, dass Abschiebungsverbote für jeden Schutzsuchenden gesondert zu prüfen sind. Bei der Prognose, welche Gefahren oder Schwierigkeiten im Herkunftsland drohen, ist indes auf eine zwar hypothetische, aber realitätsnahe Rückkehrsituation abzustellen. Bei einer im Bundesgebiet tatsächlich „gelebten“ Kernfamilie von Eltern und ihren minderjährigen Kindern ist dabei im Regelfall davon auszugehen, dass deren Mitglieder entweder nicht oder nur gemeinsam zurückkehren. Nicht zu unterstellen ist, dass der Familienverband zerrissen wird und einzelne Familienmitglieder für sich allein in das Herkunftsland zurückkehren. Dies gilt auch dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist. Die bisherige Rechtsprechung, die in solchen Fällen eine Ausnahme vom Grundsatz der Rückkehr im Familienverband angenommen hatte, wird aufgegeben. Nicht zu entscheiden war, ob dieser Grundsatz auch dann greift, wenn eine Familientrennung ausnahmsweise mit dem besonderen Familienschutz nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK vereinbar wäre.


Den Entscheidungen in den Verfahren BVerwG 1 C 49.18 und 50.18 lagen im Kern vergleichbare Sachverhalte und Erwägungen zugrunde.


BVerwG 1 C 45.18 - Urteil vom 04. Juli 2019

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, 1 A 215/18.A - Urteil vom 03. Juli 2018 -

VG Chemnitz, 5 K 1907/16.A - Urteil vom 10. April 2017 -

BVerwG 1 C 49.18 - Urteil vom 04. Juli 2019

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, 1 A 1236/17.A - Urteil vom 03. Juli 2018 -

VG Chemnitz, 5 K 1734/16.A - Urteil vom 17. Juli 2017 -

BVerwG 1 C 50.18 - Urteil vom 04. Juli 2019

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, 1 A 210/18.A - Urteil vom 03. Juli 2018 -

VG Chemnitz, 5 K 2632/16.A - Urteil vom 27. Februar 2017 -


Urteil vom 04.07.2019 -
BVerwG 1 C 45.18ECLI:DE:BVerwG:2019:040719U1C45.18.0

Rückkehr im Familienverband im Regelfall Grundlage der Rückkehrprognose nach § 60 Abs. 5 AufenthG

Leitsätze:

1. Auch bei familiärer Lebensgemeinschaft ist für jedes Familienmitglied gesondert zu prüfen, ob ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt.

2. Für die Prognose der bei einer Rückkehr drohenden Gefahren ist bei realitätsnaher Betrachtung der Rückkehrsituation im Regelfall davon auszugehen, dass eine im Bundesgebiet in familiärer Gemeinschaft lebende Kernfamilie (Eltern und minderjährige Kinder) im Familienverband in ihr Herkunftsland zurückkehrt (Fortführung von BVerwG, Urteile vom 8. September 1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 und vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163).

3. Von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband ist für die Rückkehrprognose im Regelfall auch dann auszugehen, wenn einzelnen Familienmitgliedern bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist (Aufgabe der Rechtsprechung BVerwG, Urteile vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 und vom 27. Juli 2000 - 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39).

4. Nicht zu entscheiden war, ob kein Regelfall anzunehmen ist, wenn der Konventions- und Grundrechtsschutz familiärer Bindungen etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zurückzutreten hat und eine zur Trennung des Familienverbandes führende Abschiebung in Betracht kommt.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 6
    EMRK Art. 3, 8
    AufenthG § 60 Abs. 5

  • VG Chemnitz - 10.04.2017 - AZ: VG 5 K 1907/16.A
    OVG Bautzen - 03.07.2018 - AZ: OVG 1 A 215/18.A

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 04.07.2019 - 1 C 45.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:040719U1C45.18.0]

Urteil

BVerwG 1 C 45.18

  • VG Chemnitz - 10.04.2017 - AZ: VG 5 K 1907/16.A
  • OVG Bautzen - 03.07.2018 - AZ: OVG 1 A 215/18.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann
für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
  2. Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Juli 2018, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 10. April 2017 zurückgewiesen hat, sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz, soweit es die Klage des Klägers abgewiesen hat, werden geändert und der Bescheid der Beklagten vom 1. August 2016 wird aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. In Änderung der Kostenentscheidung des Oberverwaltungsgerichts trägt die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens. Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht tragen der Kläger sowie die vormaligen Kläger (Kläger) zu je 3/16 und die Beklagte zu 1/4. Von den außergerichtlichen Kosten der Kläger im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht trägt die Beklagte 1/4, von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht tragen die Kläger jeweils 3/16. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Verfahren sind gerichtskostenfrei.

Gründe

I

1 Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste im Dezember 2015 zusammen mit seiner Ehefrau (der ehemaligen Klägerin zu 2, geb. 1991) und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern (den ehemaligen Klägerinnen zu 3 und zu 4) in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte in der Folgezeit einen Asylantrag.

2 Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 1. August 2016 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3), stellte zudem fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), und forderte den Kläger und seine Familie unter Androhung ihrer Abschiebung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung der Entscheidung über den Abschiebungsschutz führte das Bundesamt aus, die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan rechtfertigten nicht die Annahme, eine Abschiebung bewirke eine Verletzung von Art. 3 EMRK.

3 Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht als unbegründet ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung allein hinsichtlich der begehrten Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zugelassen und mit Urteil vom 3. Juli 2018 hinsichtlich der vormaligen Klägerinnen zu 2 bis 4 die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass jeweils ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt; die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die Beurteilung, ob nationale Abschiebungsverbote vorlägen, sei nicht die Kernfamilie - hier bestehend aus Vater, Mutter und Kindern - als Ganzes in den Blick zu nehmen; auch in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK sei dies für jedes Familienmitglied gesondert zu beurteilen. Für die Prüfung möglicher trennungsbedingter Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis sei das Bundesamt nicht zuständig. Die obergerichtliche Rechtsprechung, welche eine einheitliche Betrachtung der Kernfamilie für maßgeblich halte, weil bei einer realitätsnahen Betrachtung die gemeinsame Rückkehr der Kernfamilie zu unterstellen sei, überzeuge vor diesem Hintergrund nicht. Auf dieser Grundlage läge zwar in Bezug auf die Ehefrau des Klägers und die gemeinsamen Kinder jeweils ein Abschiebungsverbot vor, weil die Mutter wegen der Betreuungs- und Erziehungsaufgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Existenzminimum für sich und ihre Kinder nicht werde erwirtschaften können.

4 Für den Kläger seien die Voraussetzungen des nationalen Abschiebungsschutzes hingegen nicht erfüllt. Die Lage in Kabul sei prekär, dennoch könne nicht für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan an (familiären oder sonstigen) Beziehungen fehle, angenommen werden, dass diesen eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohe. Das Erwirtschaften eines - wenn auch sehr geringen - Einkommens werde zurückkehrenden leistungsfähigen Männern trotz des angespannten Arbeitsmarktes wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese in der Lage seien, den Unterhalt für ihre Angehörigen zu sichern. Ausgehend hiervon sei der Kläger als gesunder, leistungsfähiger Mann auch ohne soziales Netzwerk in der Lage, sich - jedoch nicht auch seine Familie - auf niedrigem Niveau zu unterhalten. Auch daraus folge für den Kläger kein nationales Abschiebungsverbot.

5 Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, für die ihm bei Rückkehr drohenden Gefahren sei er nicht isoliert, sondern als Teil seiner Kernfamilie zu betrachten, für die er Sorge zu tragen habe. Das Berufungsgericht habe ihn daher fehlerhaft der Gruppe der alleinstehenden, arbeitsfähigen, männlichen afghanischen Rückkehrer zugeordnet. Seine isolierte Rückkehr sei aufgrund von Art. 6 GG weder realistisch noch von Rechts wegen zu fordern. Gerade diese realitätsnahe, wenngleich hypothetische Rückkehr der Kernfamilie sei im Rahmen der Prüfung nationaler Abschiebungsverbote zugrunde zu legen. Es müsse daher darauf abgestellt werden, ob die Existenz für die gesamte Kernfamilie gesichert werden könne. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, etwa wenn einzelne Familienangehörige aufgrund rechtskräftiger Feststellungen als politisch Verfolgte Abschiebungsschutz genössen, sei eine andere Betrachtung geboten. Ein solcher Ausnahmefall liege nicht vor. Die Abschiebungshindernisse für seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder seien nur festgestellt worden, weil von einer isolierten Rückkehr dieser ohne den Kläger ausgegangen worden sei.

6 Die Beklagte verteidigt insoweit das angegriffene Urteil und hebt hervor, die von dem Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen genügten in Bezug auf den Kläger schon nicht, um ein nationales Abschiebungsverbot annehmen zu können. Hierfür reiche nicht aus, wenn die zielstaatsbezogene Gefährdungslage erst dadurch die nötige Intensität erreiche, dass nicht unmittelbar auf die Person des Drittstaatsangehörigen wirkende tatsächliche Faktoren bzw. Umstände hinzuträten, die zu einer Gefährdungserhöhung führten. Die Prognose einer zielstaatsbezogenen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG könne nur personenbezogen mit Blick auf die faktischen Umstände vorgenommen werden, die im Zielstaat unmittelbar eine Gefährdung bewirkten, die also dem Ausländer selbst im Abschiebezielstaat drohten. Unerheblich wäre es mithin, wenn der Kläger nicht in der Lage wäre, über den eigenen Lebensunterhalt hinaus auch den Unterhalt für Angehörige zu erwirtschaften. Das Schutzbedürfnis eines nahen Familienangehörigen führe nicht zu einer eigenen Rechtsposition des Ausländers. Die aus moralischen, traditionellen oder rechtlichen Gründen obliegende Pflicht, über die eigene Person hinaus für Angehörige das Nötige zu deren Existenzminimum zu erwirtschaften, sei kein Aspekt, der sich unmittelbar auf die persönlichen Möglichkeiten zur Erwirtschaftung eines Einkommens auswirke. Die Zwangslage für denjenigen, dem als Ernährer eine Sicherung des Überlebens der Familie obliege, der hierzu aber nur für sich und nicht für seine Familie in der Lage sei, erreiche nicht den Schweregrad einer gerade dem Erwerbsfähigen konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder der Freiheit. Bei tatsächlicher Existenzgefährdung oder einer konventionswidrigen Situation eines vom Erwerbsfähigen abhängigen Angehörigen sei dann nur diesem Abschiebungsschutz zu gewähren.

7 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht an dem Verfahren beteiligt.

II

8 Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes sei für die Gefahrenprognose nicht eine Rückkehr des Klägers im Familienverband zugrunde zu legen, ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Dem Kläger steht auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ebenfalls ein Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu (2.).

9 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), sowie das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert mit Wirkung vom 1. August 2018 durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts eintreten, sind zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12). Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich seit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts allerdings nicht geändert.

10 1. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass als Rechtsgrundlage für den nur noch im Streit stehenden Abschiebungsschutz nach nationalem Recht hier allein § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht kommt (1.1) und die Prüfung, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt, für jeden Schutzsuchenden gesondert vorzunehmen ist (1.2). Seine Rechtsauffassung, für die Prognose der Gefahren, die dem Kläger in seinem Herkunftsland drohen, sei eine Rückkehr ohne die weiteren Mitglieder seiner Kernfamilie zugrunde zu legen, ist mit Bundesrecht indes unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.3). Auf diesem Bundesrechtsverstoß beruht die Bewertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger kein Abschiebungsschutz nach nationalem Recht zustehe (1.4).

11 1.1 Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.

12 Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 25; s.a. Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:​EU:​C:​2017:​127], C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. [ECLI:​EU:​C:​2019:​219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:​EU:​C:​2019:​218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre".

13 Von diesen Grundsätzen, die auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung herangezogen werden (s. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 176 f.; VGH München, Urteil vom 21. November 2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26 f.; OVG Münster, Beschluss vom 14. März 2018 - 13 A 341/18.A - juris Rn. 19 f.), ist zutreffend auch das Berufungsgericht ausgegangen (UA Rn. 27 ff.).

14 1.2 Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend weiterhin davon ausgegangen (UA Rn. 24 ff.), dass bei dem nationalen Abschiebungsschutz (nur) dem einzelnen Ausländer drohende Gefahren erheblich sind, nicht Gefahren, die Dritten drohen (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 27.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 78 S. 129 f.; VGH München, Urteil vom 21. November 2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 17). Nationaler Abschiebungsschutz ist für jeden Ausländer einzeln und gesondert zu prüfen; eine Gewährung von "Familienabschiebungsschutz" kennt das nationale Recht nicht. Die Regelungen zum Familienasyl (§ 26 AsylG) sind auf den Abschiebungsschutz nach nationalem Recht weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

15 1.3 Mit Bundesrecht (§ 60 Abs. 5 AufenthG) nicht vereinbar ist dagegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass auch für die Prognose, welche Gefahren dem einzelnen Ausländer bei Rückkehr in das Herkunftsland drohen, bei im Bundesgebiet "gelebter" Kernfamilie nicht die Situation einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband zugrunde zu legen sei, sondern allein die Situation des jeweiligen Ausländers bei individueller Prüfung. Für die Gefahrenprognose ist vielmehr von einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der - wenngleich notwendig hypothetischen - Rückkehrsituation und damit bei tatsächlicher Lebensgemeinschaft der Kernfamilie im Regelfall davon auszugehen, dass diese entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam im Familienverband zurückkehrt (1.3.1). Dies gilt auch dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebungsschutz festgestellt worden ist; insoweit hält der Senat an der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht fest (1.3.2). Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur Erörterung, unter welchen Voraussetzungen die Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr im Familienverband nicht greift (1.3.3).

16 1.3.1 Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine - zwar notwendig hypothetische, aber doch - realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, Urteile vom 8. September 1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 <368 f.> und vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163 S. 391 f.).

17 Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen (BVerwG, Urteil vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163 S. 391 f.). Art. 6 GG gewährt zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208>), enthält aber als wertentscheidende Grundsatznorm, dass der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, und gebietet die Berücksichtigung bestehender familiärer Bindungen bei staatlichen Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Bereits für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen.

18 Diese Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-)besteht und infolgedessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden. Für eine in diesem Sinne "gelebte" Kernfamilie reichen allein rechtliche Beziehungen, ein gemeinsames Sorgerecht oder eine reine Begegnungsgemeinschaft nicht aus. Maßgeblich ist für die typisierende Betrachtung im Rahmen der Rückkehrprognose nicht der - nicht auf Kernfamilien beschränkte - Schutzbereich des Art. 6 GG (dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 10) bzw. des Art. 8 EMRK. Bestehende, von familiärer Verbundenheit geprägte enge Bindungen jenseits der Kernfamilie mögen ebenfalls durch nach Art. 6 GG schutzwürdige besondere Zuneigung und Nähe, familiäre Verantwortlichkeit füreinander, Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft geprägt sein (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 - BVerfGE 136, 383 Rn. 22 f.); sie rechtfertigen für sich allein aber nicht die typisierende Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose.

19 1.3.2 Eine im Regelfall gemeinsame Rückkehr im Familienverband ist der Gefährdungsprognose auch dann zugrunde zu legen, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist. An der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a) hält der Senat nicht fest (b).

20 a) Das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass nicht von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband auszugehen sei, wenn einzelnen Familienmitgliedern bestandskräftig Abschiebungsschutz oder sonst ein gesichertes Bleiberecht zuerkannt worden ist (BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 <308 f.>). Die Annahme gemeinsamer Rückkehr unterstellte dann, dass dieses gesicherte Bleiberecht zugunsten der Wahrung des Familienverbandes aufgegeben werde, widerspräche damit der verbindlichen Schutzfeststellung und stünde deshalb nicht im Einklang mit der Rechtsprechung zum Erfordernis einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Situation im - hypothetischen - Rückkehrfall (s.a. BVerwG, Urteile vom 23. Mai 2000 - 9 C 2.00 - juris Rn. 2 und vom 27. Juli 2000 - 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39 S. 63 f.). Es sei Sache der Ausländerbehörden zu prüfen, ob eine Trennung des nichtbleibeberechtigten Familienmitglieds von den bleibeberechtigten Familienangehörigen in Betracht komme oder Art. 6 GG/Art. 8 EMRK durch ein Vollstreckungshindernis (nunmehr) nach § 60a Abs. 2 AufenthG Rechnung zu tragen sei (BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2000 - 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39 S. 63 f.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Oktober 2001 - 2 BvR 891/00 - juris).

21 b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat mit Blick auf den grund- und konventionsrechtlichen Schutz der Familie nicht fest. Für die Prognose der bei Rückkehr in das Herkunftsland drohenden Gefahren ist in Bezug auf die einzubeziehenden Personen auch zu berücksichtigen, unter welchen Voraussetzungen es überhaupt zu einer Rückkehr kommen kann und wird. Der grund- und konventionsrechtliche Schutz des bestehenden Kernfamilienverbandes wirkt auf diese Rückkehrkonstellation ein und lässt auch bei bestehender Bleibeberechtigung einzelner Mitglieder eine getrennte Betrachtung einzelner Familienmitglieder für den Rückkehrfall in der Regel nicht zu. Bereits das Bundesamt hat davon auszugehen, dass Art. 6 GG/Art. 8 EMRK einer Trennung der in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie entgegenstehen und es daher zur Rückkehr - wegen bestandskräftiger Bleiberechte - entweder nicht oder nur im Familienverband kommen wird. Das Bundesamt entscheidet damit nicht über inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, die es auch nicht einzelfallbezogen inzident zu prüfen hat. Es berücksichtigt im Rahmen der realitätsnahen Prognose lediglich das im Regelfall aus Art. 6 GG/Art. 8 EMRK folgende Trennungsverbot bei der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung über die den einzelnen Familienmitgliedern im Herkunftsland drohenden Gefahren.

22 Diese Betrachtungsweise mindert zugleich Friktionen, die sich daraus ergeben können, dass über die Schutzanträge der einzelnen Mitglieder der Kernfamilie nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt entschieden wird. Dann nämlich hing es nach bisheriger Rechtsprechung von Zufälligkeiten der Verfahrensgestaltung ab, ob für die Rückkehrprognose noch eine gemeinsame Rückkehr im Familienverband zugrunde zu legen oder wegen bestandskräftiger Schutzgewähr für einzelne Familienmitglieder eine getrennte Betrachtung vorzunehmen war, bei der die Beachtung aus Art. 6 GG/Art. 8 EMRK folgender Trennungsverbote nicht mehr dem Bundesamt, sondern der Ausländerbehörde oblag. Systematische Unstimmigkeiten waren selbst dann nicht auszuschließen, wenn das Bundesamt der Rückkehrprognose zunächst eine Rückkehr im Familienverband zugrunde legt und wegen einer sich dann für alle Mitglieder der Kernfamilie ergebenden Gefährdung für alle Mitglieder nationalen Abschiebungsschutz feststellt; denn mit Eintritt der Bestandskraft einer solchen Entscheidung für einzelne Mitglieder war eine Änderung der für die Gefahrenprognose heranzuziehenden Familienkonstellation verbunden und damit für einzelne Familienmitglieder ein Widerrufsgrund (§ 73c Abs. 2 AsylG) zu prüfen.

23 1.3.3 Nicht zu vertiefen ist aus Anlass des vorliegenden Falles, unter welchen Voraussetzungen der an den Fortbestand der familiären Lebensgemeinschaft geknüpfte Regelfall einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband nicht (mehr) vorliegt. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn - unter Beachtung der hierzu in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze (dazu eingehend Welte, Der Familienschutz im Spektrum des Ausländerrechts, 2012, S. 309 ff., passim; Hoppe, ZAR 2008, 251; Tanneberger, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand Mai 2019, § 55 AufenthG Rn. 12 ff.; für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung s.a. Kluth/Breidenbach, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand Mai 2019, § 60a AufenthG Rn. 15 ff.) - der Konventions- und Grundrechtsschutz familiärer Bindungen etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zurückzutreten hat und eine zur Trennung des Familienverbandes führende Abschiebung rechtlich zulässig wäre. Näherer Betrachtung mögen bei tatsachengestütztem Missbrauchsverdacht auch Fälle bedürfen, in denen die familiäre Lebensgemeinschaft nicht schon im Herkunftsland bestanden hat, sondern erst nach der Einreise begründet worden ist, oder es sich nicht um leibliche Kinder zumindest eines der Ehegatten handelt.

24 1.4 Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf dem vorbezeichneten Bundesrechtsverstoß. Für die Prognose der (individuell) dem Kläger bei Rückkehr drohenden Gefahren ist hier nicht unerheblich, ob er allein oder im Familienverband zurückkehrt. Nicht zu folgen ist der Rechtsauffassung der Beklagten, Gefährdungssteigerungen aus den "Versorgungslasten" für nahe Familienangehörige seien "nicht unmittelbar auf die Person des Drittstaatsangehörigen wirkende tatsächliche Faktoren bzw. Umstände", die für die Gefahrenprognose unbeachtlich seien.

25 Im Ansatz zutreffend weist die Beklagte allerdings darauf hin, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die mangels beachtlicher Verfahrensrügen den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), der Kläger in der Lage sein wird, seinen eigenen Lebensunterhalt (notdürftig) zu sichern, sodass bei einer allein auf seine Person bezogenen Betrachtung kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist. Die Fähigkeit, seine eigene Versorgung zu sichern, verliert der Kläger auch nicht durch das Hinzutreten weiterer zurückkehrender Familienangehöriger. Dies verändert gleichwohl die für die Gefahrenprognose maßgeblichen Umstände. Denn kann der Kläger nicht auch das Existenzminimum der mit ihm zurückkehrenden Familienangehörigen sichern, handelt es sich um mehr als einen nur mittelbar auf ihn einwirkenden Umstand.

26 Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie (auch) als Solidar-, Betreuungs- und Unterstützungsverband. Bei Mitgliedern einer häuslichen und familiären Gemeinschaft ist anzunehmen, dass diese in besonderer Weise füreinander einstehen und bereit sind, ihren Lebensunterhalt auch jenseits zwingender rechtlicher Verpflichtungen gegenseitig zu sichern (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 371/11 - BVerfGE 142, 353 Rn. 63). Eine familiäre Lebensgemeinschaft ist eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, bei der ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann (ebd., Rn. 39) Dies gilt namentlich für die familiäre Lebensgemeinschaft mit besonders schutzbedürftigen minderjährigen Kindern; denn Eltern sind zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und haben für einen angemessenen Unterhalt des Kindes zu sorgen, zumindest aber die Existenz des Kindes auch finanziell sicherzustellen, soweit und solange sie hierzu in der Lage sind (BVerfG, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52 <72 f.>). Regelmäßig werden in einem Haushalt zusammenlebende Familienangehörige umfassend "aus einem Topf" wirtschaften (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 371/11 - BVerfGE 142, 353 Rn. 53, 65).

27 Diese aus Art. 6 GG folgenden Unterhalts- und Unterstützungs"obliegenheiten", die in der konkret erwartbaren Rückkehrsituation ein Familienmitglied treffen und deren Erfüllung sich notwendig - positiv wie negativ - auf den gesamten Familienverband auswirkt (z.B. Anforderung an "familientaugliche" Unterkunftsverhältnisse, Versorgungsprobleme, geringere räumliche Flexibilität), prägen zumindest normativ die Rückkehrsituation. Es ist bei bestehender familiärer Gemeinschaft im Regelfall davon auszugehen, dass sich der einzelne Rückkehrer nicht nur in der verfassungsrechtlich gestützten Rechtspflicht zur Unterhaltsgewähr und Versorgung, sondern auch in einer entsprechenden sittlich-moralischen Pflicht sieht. Bei der Rückkehr im Familienverband, bei der lediglich ein Familienmitglied sein eigenes Existenzminimum (notdürftig) sichern könnte, nicht aber das seiner Angehörigen, steht dieses vor der Alternative, entweder unter Verletzung seiner Familienobliegenheiten zunächst vollständig seine eigene Existenz (hinreichend) zu sichern und dafür auch die tatsächliche Existenzgefährdung oder eine konventionswidrige Situation der von ihm abhängigen Angehörigen in Kauf zu nehmen oder unter dem Eindruck der in ihrer Existenz gefährdeten Familienmitglieder auf die hinreichende Sicherung der eigenen Existenz durch "Teilen" mit Familienangehörigen auch dann zu verzichten, wenn dies zu einer konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder der Freiheit der eigenen Person führt. Entscheidet er sich für Letzteres, handelt es sich nicht um eine "freiwillige Selbstgefährdung", die eine "außergewöhnliche Notlage" im Sinne des Art. 3 EMRK ausschließt. Art. 6 GG/Art. 8 EMRK schützen jedenfalls normativ die - für die Rückkehrprognose naheliegende - Entscheidung eines Elternteils, auf die Erfüllung grundlegender familiärer Solidarpflichten auch dann nicht zugunsten der eigenen Existenzsicherung zu verzichten, wenn damit das eigene Existenzminimum unterschritten und für die eigene Person eine mit Art. 3 EMRK unvereinbare Lage herbeigeführt wird. Die Unterschreitung auch des eigenen Existenzminimums, die in der Familiensituation aus der existenziellen Notlage für jedes einzelne Familienmitglied folgt, ist dann auch nicht eine bloß mittelbare Gefährdungssteigerung aus den "Versorgungslasten" für nahe Familienangehörige; sie bewirkt auch nicht, dass lediglich das Schutzbedürfnis eines nahen Familienangehörigen zu einer eigenen Rechtsposition des Ausländers führt (dies - für eine andere Fallkonstellation ablehnend - BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 27.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 78 S. 129 f.).

28 2. Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (2.1), denen die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten ist (2.2), ist für den Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nach den zu 1. dargelegten Grundsätzen festzustellen. Bei einer Rückkehr im Familienverband drohen ihm wie seinen Familienangehörigen wegen der Lebensbedingungen in Afghanistan und der hieraus folgenden Gefährdungen der Existenz mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Leben unter Bedingungen, die mit Art. 3 EMRK nicht (mehr) vereinbar sind.

29 2.1 Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Bewertung, bei einer Rückkehr im Familienverband drohe wegen schlechter humanitärer Bedingungen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK.

30 Das Berufungsgericht hat sich - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bei der Würdigung der Lebensbedingungen in Afghanistan zwar auf die Situation alleinstehender Frauen mit Kleinkindern einerseits und zurückkehrender arbeitsfähiger junger Männer andererseits konzentriert. Es hat sich hierauf indes nicht beschränkt und seine Feststellung, der Kläger werde als gesunder, leistungsfähiger Mann in der Lage sein, ein - wenn auch sehr geringes - Einkommen zu erwirtschaften und sich auf niedrigem Niveau in Kabul zu unterhalten, um den Hinweis ergänzt, er werde hingegen nicht in der Lage sein, dort auch für das Existenzminimum für seine Familie zu sorgen, bzw. nicht in der Lage sein, auch noch für Angehörige den Unterhalt zu sichern (UA Rn. 45, 46). Diese Bewertungen gründen auf Feststellungen zu den landesweiten Lebensverhältnissen in Afghanistan und auch denjenigen in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung, für die sich das Berufungsgericht insbesondere Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg (Urteile vom 3. November 2017 - A 11 S 1704/17 - juris und vom 11. April 2018 - A 11 S 1729/17 - juris) zu eigen gemacht hat. Diese Entscheidungen berücksichtigen eine Vielzahl von Erkenntnismitteln, von denen sich dem Berufungsgericht aus dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes keine im Wesentlichen abweichenden Erkenntnisse ergeben haben.

31 Besondere begünstigende Umstände, welche ausnahmsweise die Sicherung der Existenz für alle Familienangehörigen als möglich erscheinen lassen, sind von dem Berufungsgericht nicht festgestellt oder von der Beklagten geltend gemacht worden.

32 2.2 Die Beklagte, die in Bezug auf die Verpflichtung, für die Ehefrau des Klägers und seine Kinder kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist der berufungsgerichtlichen Bewertung der abschiebungsrelevanten Lage in Afghanistan auch sonst nicht - etwa mit der Gegenrüge - substantiiert entgegengetreten.

33 Soweit die Beklagte in der Revisionserwiderung geltend gemacht hat, die berufungsgerichtlichen Feststellungen genügten nicht, um zur Person des Klägers ein Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung nationalen Abschiebungsschutzes bejahen zu können, knüpft dies ersichtlich an den bundesrechtlich unzutreffenden Maßstab an, der nicht von einer Rückkehr im Familienverband ausgeht; überdies setzt sich dieses Vorbringen nicht substantiiert mit den entgegenstehenden tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts auseinander.

34 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert von 5 000 € für das Revisionsverfahren ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Urteil vom 04.07.2019 -
BVerwG 1 C 49.18ECLI:DE:BVerwG:2019:040719U1C49.18.0

Urteil

BVerwG 1 C 49.18

  • VG Chemnitz - 17.07.2017 - AZ: VG 5 K 1734/16.A
  • OVG Bautzen - 03.07.2018 - AZ: OVG 1 A 1236/17.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann
für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
  2. Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Juli 2018, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 17. Juli 2017 zurückgewiesen hat, sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz, soweit es die Klage des Klägers abgewiesen hat, werden geändert und der Bescheid der Beklagten vom 25. Juli 2016 wird aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. In Änderung der Kostenentscheidung des Oberverwaltungsgerichts trägt die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens. Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht tragen der Kläger sowie die vormaligen Kläger (Kläger) zu je 3/20 und die Beklagte zu 1/4. Von den außergerichtlichen Kosten der Kläger im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht trägt die Beklagte 1/4, von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht tragen die Kläger jeweils 3/20. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Verfahren sind gerichtskostenfrei.

Gründe

I

1 Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste Ende 2015 mit seiner Familie, bestehend aus seiner Ehefrau (der ehemaligen Klägerin zu 2) und drei gemeinsamen minderjährigen Kindern (den ehemaligen Klägern zu 3 bis 5) in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte in der Folgezeit einen Asylantrag.

2 Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 25. Juli 2016 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3), stellte zudem fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), und forderte den Kläger und seine Familie unter Androhung ihrer Abschiebung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung der Entscheidung über den Abschiebungsschutz führte das Bundesamt aus, die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan rechtfertigten nicht die Annahme, eine Abschiebung bewirke eine Verletzung von Art. 3 EMRK.

3 Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht als unbegründet ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung allein hinsichtlich der begehrten Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zugelassen und mit Urteil vom 3. Juli 2018 hinsichtlich der vormaligen Kläger zu 2 bis 5 die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass jeweils ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt; die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die Beurteilung, ob nationale Abschiebungsverbote vorlägen, sei nicht die Kernfamilie - hier bestehend aus Vater, Mutter und Kindern - als Ganzes in den Blick zu nehmen; auch in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK sei dies für jedes Familienmitglied gesondert zu beurteilen. Für die Prüfung möglicher trennungsbedingter Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis sei das Bundesamt nicht zuständig. Die obergerichtliche Rechtsprechung, welche eine einheitliche Betrachtung der Kernfamilie für maßgeblich halte, weil bei einer realitätsnahen Betrachtung die gemeinsame Rückkehr der Kernfamilie zu unterstellen sei, überzeuge vor diesem Hintergrund nicht. Auf dieser Grundlage läge zwar in Bezug auf die Ehefrau des Klägers und die gemeinsamen Kinder jeweils ein Abschiebungsverbot vor, weil die Mutter wegen der Betreuungs- und Erziehungsaufgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Existenzminimum für sich und ihre Kinder nicht werde erwirtschaften können. Der 13-jährige Sohn (der vormalige Kläger zu 3) könne auch nicht bei Verwandten des Klägers unterkommen.

4 Für den Kläger seien die Voraussetzungen des nationalen Abschiebungsschutzes hingegen nicht erfüllt. Die Lage in Kabul sei prekär, dennoch könne nicht für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan an (familiären oder sonstigen) Beziehungen fehle, angenommen werden, dass diesen eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohe. Das Erwirtschaften eines - wenn auch sehr geringen - Einkommens werde zurückkehrenden leistungsfähigen Männern trotz des angespannten Arbeitsmarktes wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese in der Lage seien, den Unterhalt für ihre Angehörigen zu sichern. Ausgehend hiervon sei der Kläger als gesunder, leistungsfähiger Mann von 31 Jahren auch ohne soziales Netzwerk in der Lage, sich - jedoch nicht auch seine Familie - auf niedrigem Niveau zu unterhalten. Auch daraus folge für den Kläger kein nationales Abschiebungsverbot.

5 Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, für die ihm bei Rückkehr drohenden Gefahren sei er nicht isoliert, sondern als Teil seiner Kernfamilie zu betrachten, für die er Sorge zu tragen habe. Das Berufungsgericht habe ihn daher fehlerhaft der Gruppe der alleinstehenden, arbeitsfähigen, männlichen afghanischen Rückkehrer zugeordnet. Seine isolierte Rückkehr sei aufgrund von Art. 6 GG weder realistisch noch von Rechts wegen zu fordern. Gerade diese realitätsnahe, wenngleich hypothetische Rückkehr der Kernfamilie sei im Rahmen der Prüfung nationaler Abschiebungsverbote zugrunde zu legen. Es müsse daher darauf abgestellt werden, ob die Existenz für die gesamte Kernfamilie gesichert werden könne. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, etwa wenn einzelne Familienangehörige aufgrund rechtskräftiger Feststellungen als politisch Verfolgte Abschiebungsschutz genössen, sei eine andere Betrachtung geboten. Ein solcher Ausnahmefall liege nicht vor. Die Abschiebungshindernisse für seine Ehefrau und die gemeinsamen Kinder seien nur festgestellt worden, weil von einer isolierten Rückkehr dieser ohne den Kläger ausgegangen worden sei.

6 Die Beklagte verteidigt insoweit das angegriffene Urteil und hebt hervor, die von dem Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen genügten in Bezug auf den Kläger schon nicht, um ein nationales Abschiebungsverbot annehmen zu können. Hierfür reiche nicht aus, wenn die zielstaatsbezogene Gefährdungslage erst dadurch die nötige Intensität erreiche, dass nicht unmittelbar auf die Person des Drittstaatsangehörigen wirkende tatsächliche Faktoren bzw. Umstände hinzuträten, die zu einer Gefährdungserhöhung führten. Die Prognose einer zielstaatsbezogenen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG könne nur personenbezogen mit Blick auf die faktischen Umstände vorgenommen werden, die im Zielstaat unmittelbar eine Gefährdung bewirkten, die also dem Ausländer selbst im Abschiebezielstaat drohten. Unerheblich wäre es mithin, wenn der Kläger nicht in der Lage wäre, über den eigenen Lebensunterhalt hinaus auch den Unterhalt für Angehörige zu erwirtschaften. Das Schutzbedürfnis eines nahen Familienangehörigen führe nicht zu einer eigenen Rechtsposition des Ausländers. Die aus moralischen, traditionellen oder rechtlichen Gründen obliegende Pflicht, über die eigene Person hinaus für Angehörige das Nötige zu deren Existenzminimum zu erwirtschaften, sei kein Aspekt, der sich unmittelbar auf die persönlichen Möglichkeiten zur Erwirtschaftung eines Einkommens auswirke. Die Zwangslage für denjenigen, dem als Ernährer eine Sicherung des Überlebens der Familie obliege, der hierzu aber nur für sich und nicht für seine Familie in der Lage sei, erreiche nicht den Schweregrad einer gerade dem Erwerbsfähigen konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder der Freiheit. Bei tatsächlicher Existenzgefährdung oder einer konventionswidrigen Situation des vom Erwerbsfähigen abhängigen Angehörigen sei dann nur diesem Abschiebungsschutz zu gewähren.

7 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht an dem Verfahren beteiligt.

II

8 Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes sei für die Gefahrenprognose nicht eine Rückkehr des Klägers im Familienverband zugrunde zu legen, ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Dem Kläger steht auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ebenfalls ein Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu (2.).

9 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), sowie das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert mit Wirkung vom 1. August 2018 durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts eintreten, sind zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12). Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich seit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts allerdings nicht geändert.

10 1. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass als Rechtsgrundlage für den nur noch im Streit stehenden Abschiebungsschutz nach nationalem Recht hier allein § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht kommt (1.1) und die Prüfung, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt, für jeden Schutzsuchenden gesondert vorzunehmen ist (1.2). Seine Rechtsauffassung, für die Prognose der Gefahren, die dem Kläger in seinem Herkunftsland drohen, sei eine Rückkehr ohne die weiteren Mitglieder seiner Kernfamilie zugrunde zu legen, ist mit Bundesrecht indes unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.3). Auf diesem Bundesrechtsverstoß beruht die Bewertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger kein Abschiebungsschutz nach nationalem Recht zustehe (1.4).

11 1.1 Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.

12 Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 25; s.a. Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:​EU:​C:​2017:​127], C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. [ECLI:​EU:​C:​2019:​219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:​EU:​C:​2019:​218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre".

13 Von diesen Grundsätzen, die auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung herangezogen werden (s. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 176 f.; VGH München, Urteil vom 21. November 2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26 f.; OVG Münster, Beschluss vom 14. März 2018 - 13 A 341/18.A - juris Rn. 19 f.), ist zutreffend auch das Berufungsgericht ausgegangen (UA Rn. 28 ff.).

14 1.2 Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend weiterhin davon ausgegangen (UA Rn. 24 ff.), dass bei dem nationalen Abschiebungsschutz (nur) dem einzelnen Ausländer drohende Gefahren erheblich sind, nicht Gefahren, die Dritten drohen (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 27.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 78 S. 129 f.; VGH München, Urteil vom 21. November 2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 17). Nationaler Abschiebungsschutz ist für jeden Ausländer einzeln und gesondert zu prüfen; eine Gewährung von "Familienabschiebungsschutz" kennt das nationale Recht nicht. Die Regelungen zum Familienasyl (§ 26 AsylG) sind auf den Abschiebungsschutz nach nationalem Recht weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

15 1.3 Mit Bundesrecht (§ 60 Abs. 5 AufenthG) nicht vereinbar ist dagegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass auch für die Prognose, welche Gefahren dem einzelnen Ausländer bei Rückkehr in das Herkunftsland drohen, bei im Bundesgebiet "gelebter" Kernfamilie nicht die Situation einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband zugrunde zu legen sei, sondern allein die Situation des jeweiligen Ausländers bei individueller Prüfung. Für die Gefahrenprognose ist vielmehr von einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der - wenngleich notwendig hypothetischen - Rückkehrsituation und damit bei tatsächlicher Lebensgemeinschaft der Kernfamilie im Regelfall davon auszugehen, dass diese entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam im Familienverband zurückkehrt (1.3.1). Dies gilt auch dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebungsschutz festgestellt worden ist; insoweit hält der Senat an der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht fest (1.3.2). Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur Erörterung, unter welchen Voraussetzungen die Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr im Familienverband nicht greift (1.3.3).

16 1.3.1 Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine - zwar notwendig hypothetische, aber doch - realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, Urteile vom 8. September 1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 <368 f.> und vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163 S. 391 f.).

17 Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen (BVerwG, Urteil vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163 S. 391 f.). Art. 6 GG gewährt zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208>), enthält aber als wertentscheidende Grundsatznorm, dass der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, und gebietet die Berücksichtigung bestehender familiärer Bindungen bei staatlichen Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Bereits für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen.

18 Diese Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-)besteht und infolgedessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden. Für eine in diesem Sinne "gelebte" Kernfamilie reichen allein rechtliche Beziehungen, ein gemeinsames Sorgerecht oder eine reine Begegnungsgemeinschaft nicht aus. Maßgeblich ist für die typisierende Betrachtung im Rahmen der Rückkehrprognose nicht der - nicht auf Kernfamilien beschränkte - Schutzbereich des Art. 6 GG (dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 10) bzw. des Art. 8 EMRK. Bestehende, von familiärer Verbundenheit geprägte enge Bindungen jenseits der Kernfamilie mögen ebenfalls durch nach Art. 6 GG schutzwürdige besondere Zuneigung und Nähe, familiäre Verantwortlichkeit füreinander, Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft geprägt sein (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 - BVerfGE 136, 383 Rn. 22 f.); sie rechtfertigen für sich allein aber nicht die typisierende Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose.

19 1.3.2 Eine im Regelfall gemeinsame Rückkehr im Familienverband ist der Gefährdungsprognose auch dann zugrunde zu legen, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist. An der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a) hält der Senat nicht fest (b).

20 a) Das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass nicht von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband auszugehen sei, wenn einzelnen Familienmitgliedern bestandskräftig Abschiebungsschutz oder sonst ein gesichertes Bleiberecht zuerkannt worden ist (BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 <308 f.>). Die Annahme gemeinsamer Rückkehr unterstellte dann, dass dieses gesicherte Bleiberecht zugunsten der Wahrung des Familienverbandes aufgegeben werde, widerspräche damit der verbindlichen Schutzfeststellung und stünde deshalb nicht im Einklang mit der Rechtsprechung zum Erfordernis einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Situation im - hypothetischen - Rückkehrfall (s.a. BVerwG, Urteile vom 23. Mai 2000 - 9 C 2.00 - juris Rn. 2 und vom 27. Juli 2000 - 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39 S. 63 f.). Es sei Sache der Ausländerbehörden zu prüfen, ob eine Trennung des nichtbleibeberechtigten Familienmitglieds von den bleibeberechtigten Familienangehörigen in Betracht komme oder Art. 6 GG/Art. 8 EMRK durch ein Vollstreckungshindernis (nunmehr) nach § 60a Abs. 2 AufenthG Rechnung zu tragen sei (BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2000 - 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39 S. 63 f.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Oktober 2001 - 2 BvR 891/00 - juris).

21 b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat mit Blick auf den grund- und konventionsrechtlichen Schutz der Familie nicht fest. Für die Prognose der bei Rückkehr in das Herkunftsland drohenden Gefahren ist in Bezug auf die einzubeziehenden Personen auch zu berücksichtigen, unter welchen Voraussetzungen es überhaupt zu einer Rückkehr kommen kann und wird. Der grund- und konventionsrechtliche Schutz des bestehenden Kernfamilienverbandes wirkt auf diese Rückkehrkonstellation ein und lässt auch bei bestehender Bleibeberechtigung einzelner Mitglieder eine getrennte Betrachtung einzelner Familienmitglieder für den Rückkehrfall in der Regel nicht zu. Bereits das Bundesamt hat davon auszugehen, dass Art. 6 GG/Art. 8 EMRK einer Trennung der in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie entgegenstehen und es daher zur Rückkehr - wegen bestandskräftiger Bleiberechte - entweder nicht oder nur im Familienverband kommen wird. Das Bundesamt entscheidet damit nicht über inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, die es auch nicht einzelfallbezogen inzident zu prüfen hat. Es berücksichtigt im Rahmen der realitätsnahen Prognose lediglich das im Regelfall aus Art. 6 GG/Art. 8 EMRK folgende Trennungsverbot bei der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung über die den einzelnen Familienmitgliedern im Herkunftsland drohenden Gefahren.

22 Diese Betrachtungsweise mindert zugleich Friktionen, die sich daraus ergeben können, dass über die Schutzanträge der einzelnen Mitglieder der Kernfamilie nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt entschieden wird. Dann nämlich hing es nach bisheriger Rechtsprechung von Zufälligkeiten der Verfahrensgestaltung ab, ob für die Rückkehrprognose noch eine gemeinsame Rückkehr im Familienverband zugrunde zu legen oder wegen bestandskräftiger Schutzgewähr für einzelne Familienmitglieder eine getrennte Betrachtung vorzunehmen war, bei der die Beachtung aus Art. 6 GG/Art. 8 EMRK folgender Trennungsverbote nicht mehr dem Bundesamt, sondern der Ausländerbehörde oblag. Systematische Unstimmigkeiten waren selbst dann nicht auszuschließen, wenn das Bundesamt der Rückkehrprognose zunächst eine Rückkehr im Familienverband zugrunde legt und wegen einer sich dann für alle Mitglieder der Kernfamilie ergebenden Gefährdung für alle Mitglieder nationalen Abschiebungsschutz feststellt; denn mit Eintritt der Bestandskraft einer solchen Entscheidung für einzelne Mitglieder war eine Änderung der für die Gefahrenprognose heranzuziehenden Familienkonstellation verbunden und damit für einzelne Familienmitglieder ein Widerrufsgrund (§ 73c Abs. 2 AsylG) zu prüfen.

23 1.3.3 Nicht zu vertiefen ist aus Anlass des vorliegenden Falles, unter welchen Voraussetzungen der an den Fortbestand der familiären Lebensgemeinschaft geknüpfte Regelfall einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband nicht (mehr) vorliegt. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn - unter Beachtung der hierzu in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze (dazu eingehend Welte, Der Familienschutz im Spektrum des Ausländerrechts, 2012, S. 309 ff., passim; Hoppe, ZAR 2008, 251; Tanneberger, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand Mai 2019, § 55 AufenthG Rn. 12 ff.; für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung s.a. Kluth/Breidenbach, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand Mai 2019, § 60a AufenthG Rn. 15 ff.) - der Konventions- und Grundrechtsschutz familiärer Bindungen etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zurückzutreten hat und eine zur Trennung des Familienverbandes führende Abschiebung rechtlich zulässig wäre. Näherer Betrachtung mögen bei tatsachengestütztem Missbrauchsverdacht auch Fälle bedürfen, in denen die familiäre Lebensgemeinschaft nicht schon im Herkunftsland bestanden hat, sondern erst nach der Einreise begründet worden ist, oder es sich nicht um leibliche Kinder zumindest eines der Ehegatten handelt.

24 1.4 Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf dem vorbezeichneten Bundesrechtsverstoß. Für die Prognose der (individuell) dem Kläger bei Rückkehr drohenden Gefahren ist hier nicht unerheblich, ob er allein oder im Familienverband zurückkehrt. Nicht zu folgen ist der Rechtsauffassung der Beklagten, Gefährdungssteigerungen aus den "Versorgungslasten" für nahe Familienangehörige seien "nicht unmittelbar auf die Person des Drittstaatsangehörigen wirkende tatsächliche Faktoren bzw. Umstände", die für die Gefahrenprognose unbeachtlich seien.

25 Im Ansatz zutreffend weist die Beklagte allerdings darauf hin, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die mangels beachtlicher Verfahrensrügen den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), der Kläger in der Lage sein wird, seinen eigenen Lebensunterhalt (notdürftig) zu sichern, sodass bei einer allein auf seine Person bezogenen Betrachtung kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist. Die Fähigkeit, seine eigene Versorgung zu sichern, verliert der Kläger auch nicht durch das Hinzutreten weiterer zurückkehrender Familienangehöriger. Dies verändert gleichwohl die für die Gefahrenprognose maßgeblichen Umstände. Denn kann der Kläger nicht auch das Existenzminimum der mit ihm zurückkehrenden Familienangehörigen sichern, handelt es sich um mehr als einen nur mittelbar auf ihn einwirkenden Umstand.

26 Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie (auch) als Solidar-, Betreuungs- und Unterstützungsverband. Bei Mitgliedern einer häuslichen und familiären Gemeinschaft ist anzunehmen, dass diese in besonderer Weise füreinander einstehen und bereit sind, ihren Lebensunterhalt auch jenseits zwingender rechtlicher Verpflichtungen gegenseitig zu sichern (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 371/11 - BVerfGE 142, 353 Rn. 63). Eine familiäre Lebensgemeinschaft ist eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, bei der ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann (ebd., Rn. 39) Dies gilt namentlich für die familiäre Lebensgemeinschaft mit besonders schutzbedürftigen minderjährigen Kindern; denn Eltern sind zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und haben für einen angemessenen Unterhalt des Kindes zu sorgen, zumindest aber die Existenz des Kindes auch finanziell sicherzustellen, soweit und solange sie hierzu in der Lage sind (BVerfG, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52 <72 f.>). Regelmäßig werden in einem Haushalt zusammenlebende Familienangehörige umfassend "aus einem Topf" wirtschaften (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 371/11 - BVerfGE 142, 353 Rn. 53, 65).

27 Diese aus Art. 6 GG folgenden Unterhalts- und Unterstützungs"obliegenheiten", die in der konkret erwartbaren Rückkehrsituation ein Familienmitglied treffen und deren Erfüllung sich notwendig - positiv wie negativ - auf den gesamten Familienverband auswirkt (z.B. Anforderung an "familientaugliche" Unterkunftsverhältnisse, Versorgungsprobleme, geringere räumliche Flexibilität), prägen zumindest normativ die Rückkehrsituation. Es ist bei bestehender familiärer Gemeinschaft im Regelfall davon auszugehen, dass sich der einzelne Rückkehrer nicht nur in der verfassungsrechtlich gestützten Rechtspflicht zur Unterhaltsgewähr und Versorgung, sondern auch in einer entsprechenden sittlich-moralischen Pflicht sieht. Bei der Rückkehr im Familienverband, bei der lediglich ein Familienmitglied sein eigenes Existenzminimum (notdürftig) sichern könnte, nicht aber das seiner Angehörigen, steht dieses vor der Alternative, entweder unter Verletzung seiner Familienobliegenheiten zunächst vollständig seine eigene Existenz (hinreichend) zu sichern und dafür auch die tatsächliche Existenzgefährdung oder eine konventionswidrige Situation der von ihm abhängigen Angehörigen in Kauf zu nehmen oder unter dem Eindruck der in ihrer Existenz gefährdeten Familienmitglieder auf die hinreichende Sicherung der eigenen Existenz durch "Teilen" mit Familienangehörigen auch dann zu verzichten, wenn dies zu einer konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder der Freiheit der eigenen Person führt. Entscheidet er sich für Letzteres, handelt es sich nicht um eine "freiwillige Selbstgefährdung", die eine "außergewöhnliche Notlage" im Sinne des Art. 3 EMRK ausschließt. Art. 6 GG/Art. 8 EMRK schützen jedenfalls normativ die - für die Rückkehrprognose naheliegende - Entscheidung eines Elternteils, auf die Erfüllung grundlegender familiärer Solidarpflichten auch dann nicht zugunsten der eigenen Existenzsicherung zu verzichten, wenn damit das eigene Existenzminimum unterschritten und für die eigene Person eine mit Art. 3 EMRK unvereinbare Lage herbeigeführt wird. Die Unterschreitung auch des eigenen Existenzminimums, die in der Familiensituation aus der existenziellen Notlage für jedes einzelne Familienmitglied folgt, ist dann auch nicht eine bloß mittelbare Gefährdungssteigerung aus den "Versorgungslasten" für nahe Familienangehörige; sie bewirkt auch nicht, dass lediglich das Schutzbedürfnis eines nahen Familienangehörigen zu einer eigenen Rechtsposition des Ausländers führt (dies - für eine andere Fallkonstellation ablehnend - BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 27.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 78 S. 129 f.).

28 2. Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (2.1), denen die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten ist (2.2), ist für den Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nach den zu 1. dargelegten Grundsätzen festzustellen. Bei einer Rückkehr im Familienverband drohen ihm wie seinen Familienangehörigen wegen der Lebensbedingungen in Afghanistan und der hieraus folgenden Gefährdungen der Existenz mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Leben unter Bedingungen, die mit Art. 3 EMRK nicht (mehr) vereinbar sind.

29 2.1 Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Bewertung, bei einer Rückkehr im Familienverband drohe wegen schlechter humanitärer Bedingungen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK.

30 Das Berufungsgericht hat sich - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bei der Würdigung der Lebensbedingungen in Afghanistan zwar auf die Situation alleinstehender Frauen mit Kleinkindern einerseits und zurückkehrender arbeitsfähiger junger Männer andererseits konzentriert. Es hat sich hierauf indes nicht beschränkt und seine Feststellung, der Kläger werde als gesunder, leistungsfähiger Mann in der Lage sein, ein - wenn auch sehr geringes - Einkommen zu erwirtschaften und sich auf niedrigem Niveau in Kabul zu unterhalten, um den Hinweis ergänzt, er werde hingegen nicht in der Lage sein, dort auch für das Existenzminimum für seine Familie zu sorgen, bzw. nicht in der Lage sein, auch noch für Angehörige den Unterhalt zu sichern (UA Rn. 45, 46). Diese Bewertungen gründen auf Feststellungen zu den landesweiten Lebensverhältnissen in Afghanistan und auch denjenigen in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung, für die sich das Berufungsgericht insbesondere Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg (Urteile vom 3. November 2017 - A 11 S 1704/17 - juris und vom 11. April 2018 - A 11 S 1729/17 - juris) zu eigen gemacht hat. Diese Entscheidungen berücksichtigen eine Vielzahl von Erkenntnismitteln, von denen sich dem Berufungsgericht aus dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes keine im Wesentlichen abweichenden Erkenntnisse ergeben haben.

31 Besondere begünstigende Umstände, welche ausnahmsweise die Sicherung der Existenz für alle Familienangehörigen als möglich erscheinen lassen, sind von dem Berufungsgericht nicht festgestellt oder von der Beklagten geltend gemacht worden.

32 2.2 Die Beklagte, die in Bezug auf die Verpflichtung, für die Ehefrau des Klägers und seine Kinder kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist der berufungsgerichtlichen Bewertung der abschiebungsrelevanten Lage in Afghanistan auch sonst nicht - etwa mit der Gegenrüge - substantiiert entgegengetreten.

33 Soweit die Beklagte in der Revisionserwiderung geltend gemacht hat, die berufungsgerichtlichen Feststellungen genügten nicht, um zur Person des Klägers ein Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung nationalen Abschiebungsschutzes bejahen zu können, knüpft dies ersichtlich an den bundesrechtlich unzutreffenden Maßstab an, der nicht von einer Rückkehr im Familienverband ausgeht; überdies setzt sich dieses Vorbringen nicht substantiiert mit den entgegenstehenden tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts auseinander.

34 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert von 5 000 € für das Revisionsverfahren ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

Urteil vom 04.07.2019 -
BVerwG 1 C 50.18ECLI:DE:BVerwG:2019:040719U1C50.18.0

Urteil

BVerwG 1 C 50.18

  • VG Chemnitz - 27.02.2017 - AZ: VG 5 K 2632/16.A
  • OVG Bautzen - 03.07.2018 - AZ: OVG 1 A 210/18.A

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 4. Juli 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Fricke,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Fleuß,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Rudolph und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Böhmann
für Recht erkannt:

  1. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans vorliegt.
  2. Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Juli 2018, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 27. Februar 2017 zurückgewiesen hat, sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz, soweit es die Klage des Klägers abgewiesen hat, werden geändert und der Bescheid der Beklagten vom 21. September 2016 wird aufgehoben, soweit sie dem entgegenstehen.
  3. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. In Änderung der Kostenentscheidung des Oberverwaltungsgerichts trägt die Beklagte die Kosten des Berufungsverfahrens. Die gerichtlichen Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht tragen der Kläger sowie die vormaligen Kläger (Kläger) zu je 1/4 und die Beklagte zu 1/4. Von den außergerichtlichen Kosten der Kläger im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht trägt die Beklagte 1/4, von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht tragen die Kläger jeweils 1/4. Im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst. Die Verfahren sind gerichtskostenfrei.

Gründe

I

1 Der Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste Ende 2015 mit seiner Familie, bestehend aus seiner Ehefrau (der ehemaligen Klägerin zu 2) und dem gemeinsamen Kind (der ehemaligen Klägerin zu 3) in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte in der Folgezeit einen Asylantrag.

2 Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte mit Bescheid vom 21. September 2016 die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Anerkennung als Asylberechtigte (Nr. 2) sowie auf subsidiären Schutz ab (Nr. 3), stellte zudem fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4), und forderte den Kläger und seine Familie unter Androhung ihrer Abschiebung auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Nr. 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Zur Begründung der Entscheidung über den Abschiebungsschutz führte das Bundesamt aus, die derzeitigen humanitären Bedingungen in Afghanistan rechtfertigten nicht die Annahme, eine Abschiebung bewirke eine Verletzung von Art. 3 EMRK.

3 Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht als unbegründet ab. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung allein hinsichtlich der begehrten Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zugelassen und mit Urteil vom 3. Juli 2018 hinsichtlich der vormaligen Klägerinnen zu 2 und 3 die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass jeweils ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt; die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die Beurteilung, ob nationale Abschiebungsverbote vorlägen, sei nicht die Kernfamilie - hier bestehend aus Vater, Mutter und Kind(ern) - als Ganzes in den Blick zu nehmen; auch in Ansehung von Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK sei dies für jedes Familienmitglied gesondert zu beurteilen. Für die Prüfung möglicher trennungsbedingter Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK als inlandsbezogenes Abschiebungshindernis sei das Bundesamt nicht zuständig. Die obergerichtliche Rechtsprechung, welche eine einheitliche Betrachtung der Kernfamilie für maßgeblich halte, weil bei einer realitätsnahen Betrachtung die gemeinsame Rückkehr der Kernfamilie zu unterstellen sei, überzeuge vor diesem Hintergrund nicht. Auf dieser Grundlage läge zwar in Bezug auf die Ehefrau des Klägers und das gemeinsame Kind jeweils ein Abschiebungsverbot vor, weil die Mutter wegen der Betreuungs- und Erziehungsaufgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das Existenzminimum für sich und ihre Kinder nicht werde erwirtschaften können.

4 Für den Kläger seien die Voraussetzungen des nationalen Abschiebungsschutzes hingegen nicht erfüllt. Die Lage in Kabul sei prekär, dennoch könne nicht für sämtliche Rückkehrer aus dem westlichen Ausland, denen es in Kabul oder in Afghanistan an (familiären oder sonstigen) Beziehungen fehle, angenommen werden, dass diesen eine Verletzung von Art. 3 EMRK drohe. Das Erwirtschaften eines - wenn auch sehr geringen - Einkommens werde zurückkehrenden leistungsfähigen Männern trotz des angespannten Arbeitsmarktes wenigstens als Tagelöhner möglich sein. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass diese in der Lage seien, den Unterhalt für ihre Angehörigen zu sichern. Ausgehend hiervon sei der Kläger als gesunder, leistungsfähiger Mann von 31 Jahren auch ohne soziales Netzwerk in der Lage, sich - jedoch nicht auch seine Familie - auf niedrigem Niveau zu unterhalten. Auch daraus folge für den Kläger kein nationales Abschiebungsverbot.

5 Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, für die ihm bei Rückkehr drohenden Gefahren sei er nicht isoliert, sondern als Teil seiner Kernfamilie zu betrachten, für die er Sorge zu tragen habe. Das Berufungsgericht habe ihn daher fehlerhaft der Gruppe der alleinstehenden, arbeitsfähigen, männlichen afghanischen Rückkehrer zugeordnet. Seine isolierte Rückkehr sei aufgrund von Art. 6 GG weder realistisch noch von Rechts wegen zu fordern. Gerade diese realitätsnahe, wenngleich hypothetische Rückkehr der Kernfamilie sei im Rahmen der Prüfung nationaler Abschiebungsverbote zugrunde zu legen. Es müsse daher darauf abgestellt werden, ob die Existenz für die gesamte Kernfamilie gesichert werden könne. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen, etwa wenn einzelne Familienangehörige aufgrund rechtskräftiger Feststellungen als politisch Verfolgte Abschiebungsschutz genössen, sei eine andere Betrachtung geboten. Ein solcher Ausnahmefall liege nicht vor. Die Abschiebungshindernisse für seine Ehefrau und das gemeinsame Kind seien nur festgestellt worden, weil von einer isolierten Rückkehr dieser ohne den Kläger ausgegangen worden sei.

6 Die Beklagte verteidigt insoweit das angegriffene Urteil und hebt hervor, die von dem Berufungsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen genügten in Bezug auf den Kläger schon nicht, um ein nationales Abschiebungsverbot annehmen zu können. Hierfür reiche nicht aus, wenn die zielstaatsbezogene Gefährdungslage erst dadurch die nötige Intensität erreiche, dass nicht unmittelbar auf die Person des Drittstaatsangehörigen wirkende tatsächliche Faktoren bzw. Umstände hinzuträten, die zu einer Gefährdungserhöhung führten. Die Prognose einer zielstaatsbezogenen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG könne nur personenbezogen mit Blick auf die faktischen Umstände vorgenommen werden, die im Zielstaat unmittelbar eine Gefährdung bewirkten, die also dem Ausländer selbst im Abschiebezielstaat drohten. Unerheblich wäre es mithin, wenn der Kläger nicht in der Lage wäre, über den eigenen Lebensunterhalt hinaus auch den Unterhalt für Angehörige zu erwirtschaften. Das Schutzbedürfnis eines nahen Familienangehörigen führe nicht zu einer eigenen Rechtsposition des Ausländers. Die aus moralischen, traditionellen oder rechtlichen Gründen obliegende Pflicht, über die eigene Person hinaus für Angehörige das Nötige zu deren Existenzminimum zu erwirtschaften, sei kein Aspekt, der sich unmittelbar auf die persönlichen Möglichkeiten zur Erwirtschaftung eines Einkommens auswirke. Die Zwangslage für denjenigen, dem als Ernährer eine Sicherung des Überlebens der Familie obliege, der hierzu aber nur für sich und nicht für seine Familie in der Lage sei, erreiche nicht den Schweregrad einer gerade dem Erwerbsfähigen konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder der Freiheit. Bei tatsächlicher Existenzgefährdung oder einer konventionswidrigen Situation des vom Erwerbsfähigen abhängigen Angehörigen sei dann nur diesem Abschiebungsschutz zu gewähren.

7 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich nicht an dem Verfahren beteiligt.

II

8 Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, bei der Prüfung eines Abschiebungsverbotes sei für die Gefahrenprognose nicht eine Rückkehr des Klägers im Familienverband zugrunde zu legen, ist mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.). Dem Kläger steht auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ebenfalls ein Anspruch auf Feststellung eines nationalen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu (2.).

9 Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens sind das Asylgesetz (AsylG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert durch das am 12. Dezember 2018 in Kraft getretene Dritte Gesetz zur Änderung des Asylgesetzes vom 4. Dezember 2018 (BGBl. I S. 2250), sowie das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert mit Wirkung vom 1. August 2018 durch Art. 1 des Gesetzes vom 12. Juli 2018 (BGBl. I S. 1147). Rechtsänderungen, die nach der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts eintreten, sind zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Tatsachengericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es diese nunmehr träfe, die aktuelle Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - BVerwGE 146, 67 Rn. 12). Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich seit der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts allerdings nicht geändert.

10 1. Das Berufungsurteil verletzt Bundesrecht. Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass als Rechtsgrundlage für den nur noch im Streit stehenden Abschiebungsschutz nach nationalem Recht hier allein § 60 Abs. 5 AufenthG in Betracht kommt (1.1) und die Prüfung, ob ein Abschiebungsverbot vorliegt, für jeden Schutzsuchenden gesondert vorzunehmen ist (1.2). Seine Rechtsauffassung, für die Prognose der Gefahren, die dem Kläger in seinem Herkunftsland drohen, sei eine Rückkehr ohne die weiteren Mitglieder seiner Kernfamilie zugrunde zu legen, ist mit Bundesrecht indes unvereinbar (§ 137 Abs. 1 VwGO) (1.3). Auf diesem Bundesrechtsverstoß beruht die Bewertung des Berufungsgerichts, dass dem Kläger kein Abschiebungsschutz nach nationalem Recht zustehe (1.4).

11 1.1 Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) unzulässig ist. Dies umfasst auch das Verbot der Abschiebung in einen Zielstaat, in dem dem Ausländer unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung im Sinne von Art. 3 EMRK droht.

12 Eine Verletzung des Art. 3 EMRK kommt in besonderen Ausnahmefällen auch bei "nichtstaatlichen" Gefahren aufgrund prekärer Lebensbedingungen in Betracht, bei denen ein "verfolgungsmächtiger Akteur" (§ 3c AsylG) fehlt, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung "zwingend" sind mit Blick auf die allgemeine wirtschaftliche Lage und die Versorgungslage betreffend Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12 Rn. 25; s.a. Urteil vom 13. Juni 2013 - 10 C 13.12 - BVerwGE 147, 8 Rn. 25). Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein "Mindestmaß an Schwere" (minimum level of severity) aufweisen (vgl. EGMR <GK>, Urteil vom 13. Dezember 2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien - Rn. 174; EuGH, Urteil vom 16. Februar 2017 - C-578/16 PPU [ECLI:​EU:​C:​2017:​127], C.K. u.a. - Rn. 68); es kann erreicht sein, wenn er seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (s.a. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - NVwZ 2019, 61 Rn. 11). In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 19. März 2019 - C-297/17 u.a. [ECLI:​EU:​C:​2019:​219], Ibrahim - Rn. 89 ff. und - C-163/17 [ECLI:​EU:​C:​2019:​218], Jawo - Rn. 90 ff.) darauf ab, ob sich die betroffene Person "unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not" befindet, "die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere, sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre".

13 Von diesen Grundsätzen, die auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung herangezogen werden (s. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 12. Oktober 2018 - A 11 S 316/17 - juris Rn. 176 f.; VGH München, Urteil vom 21. November 2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 26 f.; OVG Münster, Beschluss vom 14. März 2018 - 13 A 341/18.A - juris Rn. 19 f.), ist zutreffend auch das Berufungsgericht ausgegangen (UA Rn. 28 ff.).

14 1.2 Das Berufungsgericht ist im Ansatz zutreffend weiterhin davon ausgegangen (UA Rn. 24 ff.), dass bei dem nationalen Abschiebungsschutz (nur) dem einzelnen Ausländer drohende Gefahren erheblich sind, nicht Gefahren, die Dritten drohen (BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 27.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 78 S. 129 f.; VGH München, Urteil vom 21. November 2018 - 13a B 18.30632 - juris Rn. 17). Nationaler Abschiebungsschutz ist für jeden Ausländer einzeln und gesondert zu prüfen; eine Gewährung von "Familienabschiebungsschutz" kennt das nationale Recht nicht. Die Regelungen zum Familienasyl (§ 26 AsylG) sind auf den Abschiebungsschutz nach nationalem Recht weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.

15 1.3 Mit Bundesrecht (§ 60 Abs. 5 AufenthG) nicht vereinbar ist dagegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, dass auch für die Prognose, welche Gefahren dem einzelnen Ausländer bei Rückkehr in das Herkunftsland drohen, bei im Bundesgebiet "gelebter" Kernfamilie nicht die Situation einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband zugrunde zu legen sei, sondern allein die Situation des jeweiligen Ausländers bei individueller Prüfung. Für die Gefahrenprognose ist vielmehr von einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der - wenngleich notwendig hypothetischen - Rückkehrsituation und damit bei tatsächlicher Lebensgemeinschaft der Kernfamilie im Regelfall davon auszugehen, dass diese entweder insgesamt nicht oder nur gemeinsam im Familienverband zurückkehrt (1.3.1). Dies gilt auch dann, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits ein Schutzstatus zuerkannt oder für sie nationaler Abschiebungsschutz festgestellt worden ist; insoweit hält der Senat an der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht fest (1.3.2). Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass zur Erörterung, unter welchen Voraussetzungen die Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr im Familienverband nicht greift (1.3.3).

16 1.3.1 Der Prognose, welche Gefahren einem Ausländer bei Rückkehr in den Herkunftsstaat drohen, ist eine - zwar notwendig hypothetische, aber doch - realitätsnahe Rückkehrsituation zugrunde zu legen (BVerwG, Urteile vom 8. September 1992 - 9 C 8.91 - BVerwGE 90, 364 <368 f.> und vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163 S. 391 f.).

17 Lebt der Ausländer auch in Deutschland in familiärer Gemeinschaft mit der Kernfamilie, ist hiernach für die Bildung der Verfolgungsprognose der hypothetische Aufenthalt des Ausländers im Herkunftsland in Gemeinschaft mit den weiteren Mitgliedern dieser Kernfamilie zu unterstellen (BVerwG, Urteil vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 163 S. 391 f.). Art. 6 GG gewährt zwar keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt (BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 BvR 586/13 - NVwZ 2013, 1207 <1208>), enthält aber als wertentscheidende Grundsatznorm, dass der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, und gebietet die Berücksichtigung bestehender familiärer Bindungen bei staatlichen Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung. Bereits für die Bestimmung der voraussichtlichen Rückkehrsituation ist daher im Grundsatz davon auszugehen, dass ein nach Art. 6 GG/Art. 8 EMRK besonders schutzwürdiger Familienverband aus Eltern mit ihren minderjährigen Kindern nicht aufgelöst oder gar durch staatliche Maßnahmen zwangsweise getrennt wird. Die Mitglieder eines solchen Familienverbandes werden im Regelfall auch tatsächlich bestrebt sein, ihr - grundrechtlich geschütztes - familiäres Zusammenleben in einem Schutz- und Beistandsverband entweder im Bundesgebiet oder im Herkunftsland fortzusetzen.

18 Diese Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose setzt eine familiäre Gemeinschaft voraus, die zwischen den Eltern und ihren minderjährigen Kindern (Kernfamilie) bereits im Bundesgebiet tatsächlich als Lebens- und Erziehungsgemeinschaft (fort-)besteht und infolgedessen die Prognose rechtfertigt, sie werde bei einer Rückkehr in das Herkunftsland dort fortgesetzt werden. Für eine in diesem Sinne "gelebte" Kernfamilie reichen allein rechtliche Beziehungen, ein gemeinsames Sorgerecht oder eine reine Begegnungsgemeinschaft nicht aus. Maßgeblich ist für die typisierende Betrachtung im Rahmen der Rückkehrprognose nicht der - nicht auf Kernfamilien beschränkte - Schutzbereich des Art. 6 GG (dazu Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 6 Rn. 10) bzw. des Art. 8 EMRK. Bestehende, von familiärer Verbundenheit geprägte enge Bindungen jenseits der Kernfamilie mögen ebenfalls durch nach Art. 6 GG schutzwürdige besondere Zuneigung und Nähe, familiäre Verantwortlichkeit füreinander, Rücksichtnahme- und Beistandsbereitschaft geprägt sein (BVerfG, Beschluss vom 24. Juni 2014 - 1 BvR 2926/13 - BVerfGE 136, 383 Rn. 22 f.); sie rechtfertigen für sich allein aber nicht die typisierende Regelvermutung gemeinsamer Rückkehr als Grundlage der Verfolgungsprognose.

19 1.3.2 Eine im Regelfall gemeinsame Rückkehr im Familienverband ist der Gefährdungsprognose auch dann zugrunde zu legen, wenn einzelnen Mitgliedern der Kernfamilie bereits bestandskräftig ein Schutzstatus zuerkannt oder für diese ein nationales Abschiebungsverbot festgestellt worden ist. An der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a) hält der Senat nicht fest (b).

20 a) Das Bundesverwaltungsgericht ist in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass nicht von einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband auszugehen sei, wenn einzelnen Familienmitgliedern bestandskräftig Abschiebungsschutz oder sonst ein gesichertes Bleiberecht zuerkannt worden ist (BVerwG, Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - BVerwGE 109, 305 <308 f.>). Die Annahme gemeinsamer Rückkehr unterstellte dann, dass dieses gesicherte Bleiberecht zugunsten der Wahrung des Familienverbandes aufgegeben werde, widerspräche damit der verbindlichen Schutzfeststellung und stünde deshalb nicht im Einklang mit der Rechtsprechung zum Erfordernis einer möglichst realitätsnahen Beurteilung der Situation im - hypothetischen - Rückkehrfall (s.a. BVerwG, Urteile vom 23. Mai 2000 - 9 C 2.00 - juris Rn. 2 und vom 27. Juli 2000 - 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39 S. 63 f.). Es sei Sache der Ausländerbehörden zu prüfen, ob eine Trennung des nichtbleibeberechtigten Familienmitglieds von den bleibeberechtigten Familienangehörigen in Betracht komme oder Art. 6 GG/Art. 8 EMRK durch ein Vollstreckungshindernis (nunmehr) nach § 60a Abs. 2 AufenthG Rechnung zu tragen sei (BVerwG, Urteil vom 27. Juli 2000 - 9 C 9.00 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 39 S. 63 f.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. Oktober 2001 - 2 BvR 891/00 - juris).

21 b) An dieser Rechtsprechung hält der Senat mit Blick auf den grund- und konventionsrechtlichen Schutz der Familie nicht fest. Für die Prognose der bei Rückkehr in das Herkunftsland drohenden Gefahren ist in Bezug auf die einzubeziehenden Personen auch zu berücksichtigen, unter welchen Voraussetzungen es überhaupt zu einer Rückkehr kommen kann und wird. Der grund- und konventionsrechtliche Schutz des bestehenden Kernfamilienverbandes wirkt auf diese Rückkehrkonstellation ein und lässt auch bei bestehender Bleibeberechtigung einzelner Mitglieder eine getrennte Betrachtung einzelner Familienmitglieder für den Rückkehrfall in der Regel nicht zu. Bereits das Bundesamt hat davon auszugehen, dass Art. 6 GG/Art. 8 EMRK einer Trennung der in familiärer Gemeinschaft lebenden Kernfamilie entgegenstehen und es daher zur Rückkehr - wegen bestandskräftiger Bleiberechte - entweder nicht oder nur im Familienverband kommen wird. Das Bundesamt entscheidet damit nicht über inlandsbezogene Vollstreckungshindernisse, die es auch nicht einzelfallbezogen inzident zu prüfen hat. Es berücksichtigt im Rahmen der realitätsnahen Prognose lediglich das im Regelfall aus Art. 6 GG/Art. 8 EMRK folgende Trennungsverbot bei der von ihm zu treffenden Prognoseentscheidung über die den einzelnen Familienmitgliedern im Herkunftsland drohenden Gefahren.

22 Diese Betrachtungsweise mindert zugleich Friktionen, die sich daraus ergeben können, dass über die Schutzanträge der einzelnen Mitglieder der Kernfamilie nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt entschieden wird. Dann nämlich hing es nach bisheriger Rechtsprechung von Zufälligkeiten der Verfahrensgestaltung ab, ob für die Rückkehrprognose noch eine gemeinsame Rückkehr im Familienverband zugrunde zu legen oder wegen bestandskräftiger Schutzgewähr für einzelne Familienmitglieder eine getrennte Betrachtung vorzunehmen war, bei der die Beachtung aus Art. 6 GG/Art. 8 EMRK folgender Trennungsverbote nicht mehr dem Bundesamt, sondern der Ausländerbehörde oblag. Systematische Unstimmigkeiten waren selbst dann nicht auszuschließen, wenn das Bundesamt der Rückkehrprognose zunächst eine Rückkehr im Familienverband zugrunde legt und wegen einer sich dann für alle Mitglieder der Kernfamilie ergebenden Gefährdung für alle Mitglieder nationalen Abschiebungsschutz feststellt; denn mit Eintritt der Bestandskraft einer solchen Entscheidung für einzelne Mitglieder war eine Änderung der für die Gefahrenprognose heranzuziehenden Familienkonstellation verbunden und damit für einzelne Familienmitglieder ein Widerrufsgrund (§ 73c Abs. 2 AsylG) zu prüfen.

23 1.3.3 Nicht zu vertiefen ist aus Anlass des vorliegenden Falles, unter welchen Voraussetzungen der an den Fortbestand der familiären Lebensgemeinschaft geknüpfte Regelfall einer gemeinsamen Rückkehr im Familienverband nicht (mehr) vorliegt. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn - unter Beachtung der hierzu in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts entwickelten Grundsätze (dazu eingehend Welte, Der Familienschutz im Spektrum des Ausländerrechts, 2012, S. 309 ff., passim; Hoppe, ZAR 2008, 251; Tanneberger, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand Mai 2019, § 55 AufenthG Rn. 12 ff.; für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung s.a. Kluth/Breidenbach, in: BeckOK Ausländerrecht, Stand Mai 2019, § 60a AufenthG Rn. 15 ff.) - der Konventions- und Grundrechtsschutz familiärer Bindungen etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zurückzutreten hat und eine zur Trennung des Familienverbandes führende Abschiebung rechtlich zulässig wäre. Näherer Betrachtung mögen bei tatsachengestütztem Missbrauchsverdacht auch Fälle bedürfen, in denen die familiäre Lebensgemeinschaft nicht schon im Herkunftsland bestanden hat, sondern erst nach der Einreise begründet worden ist, oder es sich nicht um leibliche Kinder zumindest eines der Ehegatten handelt.

24 1.4 Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf dem vorbezeichneten Bundesrechtsverstoß. Für die Prognose der (individuell) dem Kläger bei Rückkehr drohenden Gefahren ist hier nicht unerheblich, ob er allein oder im Familienverband zurückkehrt. Nicht zu folgen ist der Rechtsauffassung der Beklagten, Gefährdungssteigerungen aus den "Versorgungslasten" für nahe Familienangehörige seien "nicht unmittelbar auf die Person des Drittstaatsangehörigen wirkende tatsächliche Faktoren bzw. Umstände", die für die Gefahrenprognose unbeachtlich seien.

25 Im Ansatz zutreffend weist die Beklagte allerdings darauf hin, dass nach den Feststellungen des Berufungsgerichts, die mangels beachtlicher Verfahrensrügen den Senat binden (§ 137 Abs. 2 VwGO), der Kläger in der Lage sein wird, seinen eigenen Lebensunterhalt (notdürftig) zu sichern, sodass bei einer allein auf seine Person bezogenen Betrachtung kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG festzustellen ist. Die Fähigkeit, seine eigene Versorgung zu sichern, verliert der Kläger auch nicht durch das Hinzutreten weiterer zurückkehrender Familienangehöriger. Dies verändert gleichwohl die für die Gefahrenprognose maßgeblichen Umstände. Denn kann der Kläger nicht auch das Existenzminimum der mit ihm zurückkehrenden Familienangehörigen sichern, handelt es sich um mehr als einen nur mittelbar auf ihn einwirkenden Umstand.

26 Art. 6 Abs. 1 GG schützt die Familie (auch) als Solidar-, Betreuungs- und Unterstützungsverband. Bei Mitgliedern einer häuslichen und familiären Gemeinschaft ist anzunehmen, dass diese in besonderer Weise füreinander einstehen und bereit sind, ihren Lebensunterhalt auch jenseits zwingender rechtlicher Verpflichtungen gegenseitig zu sichern (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 371/11 - BVerfGE 142, 353 Rn. 63). Eine familiäre Lebensgemeinschaft ist eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft, bei der ein gegenseitiges Einstehen in den Not- und Wechselfällen des Lebens erwartet werden kann (ebd., Rn. 39) Dies gilt namentlich für die familiäre Lebensgemeinschaft mit besonders schutzbedürftigen minderjährigen Kindern; denn Eltern sind zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) und haben für einen angemessenen Unterhalt des Kindes zu sorgen, zumindest aber die Existenz des Kindes auch finanziell sicherzustellen, soweit und solange sie hierzu in der Lage sind (BVerfG, Beschluss vom 9. April 2003 - 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 - BVerfGE 108, 52 <72 f.>). Regelmäßig werden in einem Haushalt zusammenlebende Familienangehörige umfassend "aus einem Topf" wirtschaften (BVerfG, Beschluss vom 27. Juli 2016 - 1 BvR 371/11 - BVerfGE 142, 353 Rn. 53, 65).

27 Diese aus Art. 6 GG folgenden Unterhalts- und Unterstützungs"obliegenheiten", die in der konkret erwartbaren Rückkehrsituation ein Familienmitglied treffen und deren Erfüllung sich notwendig - positiv wie negativ - auf den gesamten Familienverband auswirkt (z.B. Anforderung an "familientaugliche" Unterkunftsverhältnisse, Versorgungsprobleme, geringere räumliche Flexibilität), prägen zumindest normativ die Rückkehrsituation. Es ist bei bestehender familiärer Gemeinschaft im Regelfall davon auszugehen, dass sich der einzelne Rückkehrer nicht nur in der verfassungsrechtlich gestützten Rechtspflicht zur Unterhaltsgewähr und Versorgung, sondern auch in einer entsprechenden sittlich-moralischen Pflicht sieht. Bei der Rückkehr im Familienverband, bei der lediglich ein Familienmitglied sein eigenes Existenzminimum (notdürftig) sichern könnte, nicht aber das seiner Angehörigen, steht dieses vor der Alternative, entweder unter Verletzung seiner Familienobliegenheiten zunächst vollständig seine eigene Existenz (hinreichend) zu sichern und dafür auch die tatsächliche Existenzgefährdung oder eine konventionswidrige Situation der von ihm abhängigen Angehörigen in Kauf zu nehmen oder unter dem Eindruck der in ihrer Existenz gefährdeten Familienmitglieder auf die hinreichende Sicherung der eigenen Existenz durch "Teilen" mit Familienangehörigen auch dann zu verzichten, wenn dies zu einer konkret drohenden Verletzung von Leib, Leben oder der Freiheit der eigenen Person führt. Entscheidet er sich für Letzteres, handelt es sich nicht um eine "freiwillige Selbstgefährdung", die eine "außergewöhnliche Notlage" im Sinne des Art. 3 EMRK ausschließt. Art. 6 GG/Art. 8 EMRK schützen jedenfalls normativ die - für die Rückkehrprognose naheliegende - Entscheidung eines Elternteils, auf die Erfüllung grundlegender familiärer Solidarpflichten auch dann nicht zugunsten der eigenen Existenzsicherung zu verzichten, wenn damit das eigene Existenzminimum unterschritten und für die eigene Person eine mit Art. 3 EMRK unvereinbare Lage herbeigeführt wird. Die Unterschreitung auch des eigenen Existenzminimums, die in der Familiensituation aus der existenziellen Notlage für jedes einzelne Familienmitglied folgt, ist dann auch nicht eine bloß mittelbare Gefährdungssteigerung aus den "Versorgungslasten" für nahe Familienangehörige; sie bewirkt auch nicht, dass lediglich das Schutzbedürfnis eines nahen Familienangehörigen zu einer eigenen Rechtsposition des Ausländers führt (dies - für eine andere Fallkonstellation ablehnend - BVerwG, Urteil vom 16. Juni 2004 - 1 C 27.03 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 78 S. 129 f.).

28 2. Nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts (2.1), denen die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten ist (2.2), ist für den Kläger ein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nach den zu 1. dargelegten Grundsätzen festzustellen. Bei einer Rückkehr im Familienverband drohen ihm wie seinen Familienangehörigen wegen der Lebensbedingungen in Afghanistan und der hieraus folgenden Gefährdungen der Existenz mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Leben unter Bedingungen, die mit Art. 3 EMRK nicht (mehr) vereinbar sind.

29 2.1 Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Bewertung, bei einer Rückkehr im Familienverband drohe wegen schlechter humanitärer Bedingungen ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK.

30 Das Berufungsgericht hat sich - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - bei der Würdigung der Lebensbedingungen in Afghanistan zwar auf die Situation alleinstehender Frauen mit Kleinkindern einerseits und zurückkehrender arbeitsfähiger junger Männer andererseits konzentriert. Es hat sich hierauf indes nicht beschränkt und seine Feststellung, der Kläger werde als gesunder, leistungsfähiger Mann in der Lage sein, ein - wenn auch sehr geringes - Einkommen zu erwirtschaften und sich auf niedrigem Niveau in Kabul zu unterhalten, um den Hinweis ergänzt, er werde hingegen nicht in der Lage sein, dort auch für das Existenzminimum für seine Familie zu sorgen, bzw. nicht in der Lage sein, auch noch für Angehörige den Unterhalt zu sichern (UA Rn. 45, 46). Diese Bewertungen gründen auf Feststellungen zu den landesweiten Lebensverhältnissen in Afghanistan und auch denjenigen in Kabul als Ankunfts- bzw. Endort der Abschiebung, für die sich das Berufungsgericht insbesondere Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg (Urteile vom 3. November 2017 - A 11 S 1704/17 - juris und vom 11. April 2018 - A 11 S 1729/17 - juris) zu eigen gemacht hat. Diese Entscheidungen berücksichtigen eine Vielzahl von Erkenntnismitteln, von denen sich dem Berufungsgericht aus dem im Zeitpunkt seiner Entscheidung aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes keine im Wesentlichen abweichenden Erkenntnisse ergeben haben.

31 Besondere begünstigende Umstände, welche ausnahmsweise die Sicherung der Existenz für alle Familienangehörigen als möglich erscheinen lassen, sind von dem Berufungsgericht nicht festgestellt oder von der Beklagten geltend gemacht worden.

32 2.2 Die Beklagte, die in Bezug auf die Verpflichtung, für die Ehefrau des Klägers und sein Kind kein Rechtsmittel eingelegt hat, ist der berufungsgerichtlichen Bewertung der abschiebungsrelevanten Lage in Afghanistan auch sonst nicht - etwa mit der Gegenrüge - substantiiert entgegengetreten.

33 Soweit die Beklagte in der Revisionserwiderung geltend gemacht hat, die berufungsgerichtlichen Feststellungen genügten nicht, um zur Person des Klägers ein Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung nationalen Abschiebungsschutzes bejahen zu können, knüpft dies ersichtlich an den bundesrechtlich unzutreffenden Maßstab an, der nicht von einer Rückkehr im Familienverband ausgeht; überdies setzt sich dieses Vorbringen nicht substantiiert mit den entgegenstehenden tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts auseinander.

34 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 und § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 ZPO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert von 5 000 € für das Revisionsverfahren ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.