Verfahrensinformation

In den Verfahren geht es um die Klärung von Fragen im Zusammenhang mit durch Freizeitausgleich auszugleichender Mehrarbeit. Dies betrifft die bei einer Dienstleistung im Ausland erbrachte Mehrarbeit, aber auch die bei der Dienstleistung im Inland - u.a. bei der Absicherung der sog. Castor-Transporte - angefallene Mehrarbeit.


Mehrere Kläger sind Bundespolizisten und waren für einige Monate an das Auswärtige Amt abgeordnet und als Personenschützer bei den Deutschen Botschaften in Bagdad und Kabul eingesetzt. Sie begehren insbesondere weiteren Freizeitausgleich für Anwesenheitszeiten auf dem Botschaftsgelände. Ein anderer Kläger ist Polizeibeamter des Landes Berlin und begehrt weiteren Freizeitausgleich für polizeiliche Unterstützungseinsätze in anderen Bundesländern.


Nach den vorinstanzlich teilweise erfolgreichen Klagen sind Revisionen sowohl der Kläger als auch der Beklagten wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden. Das Bundesverwaltungsgericht wird insbesondere darüber zu entscheiden haben, ob Mehrarbeit in Form von Bereitschaftsdienst im Verhältnis „1 zu 1“ durch Freizeit auszugleichen ist.


Pressemitteilung Nr. 96/2016 vom 17.11.2016

Mehrarbeit in Form von Bereitschaftsdienst ist im Verhältnis „1 zu 1“ durch Freizeit auszugleichen

Die Mehrarbeit eines Beamten in Form von Bereitschaftsdienst ist im Verhältnis „1 zu 1“ durch Freizeit auszugleichen. Hingegen besteht kein Anspruch auf Freizeitausgleich für eine reine Rufbereitschaft oder bloße Anwesenheitszeiten ohne dienstliche Inanspruchnahme in dieser Zeit. Bei Freizeitausgleich für im Ausland geleisteten Dienst besteht außerdem kein Anspruch auf Auslandsbesoldung, wenn der Freizeitausgleich im Inland genommen wird. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Ein Teil der Kläger sind Bundespolizisten und war in den vergangenen Jahren mehrfach für jeweils einige Monate bei den deutschen Botschaften in Kabul und in Bagdad tätig. Dort nahmen sie Aufgaben des Personen- und Objektschutzes wahr. Während ihres Dienstes im Ausland erhielten sie Auslandsbesoldung. Ein weiterer Kläger ist Polizeibeamter des Landes Berlin und wurde mehrfach für mehrere Tage bei polizeilichen Unterstützungseinsätzen in anderen Bundesländern eingesetzt.


Die Vorinstanzen haben die Beklagten verurteilt, den Klägern für Zeiten des Bereitschaftsdienstes Freizeitausgleich im Verhältnis „1 zu 1“ zu gewähren. Hingegen haben sie die Klagen abgewiesen, soweit die Kläger (vollen) Freizeitausgleich auch für Zeiten der Rufbereitschaft und für bloße Anwesenheitszeiten ohne dienstliche Inanspruchnahme in dieser Zeit begehrt haben. Außerdem haben sie die Klagen der Bundespolizisten abgewiesen, soweit diese Auslandsbesoldung für die Zeit der Inanspruchnahme von Freizeitausgleich im Inland beansprucht haben.


Das Bundesverwaltungsgericht hat sowohl die Revisionen der Kläger als auch die der Beklagten zurückgewiesen. Es hat zur Begründung insbesondere ausgeführt: Der Wortlaut der maßgeblichen Normen (§ 88 Satz 2 BBG, § 53 Absatz 2 LBG Berlin: „entsprechende“ Dienstbefreiung) legt eine Differenzierung nach Mehrarbeit in Volldienst oder Bereitschaftsdienst oder qualitativ nach der Intensität der geleisteten Mehrarbeit nicht nahe. Vor allem aber dient der Freizeitausgleich nicht nur dazu, eine Regeneration des Beamten zu ermöglichen, sondern hat in erster Linie den Zweck, die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit jedenfalls im Gesamtergebnis zu gewährleisten. Dies erfordert einen vollen Ausgleich.


Hingegen sind Zeiten reiner Rufbereitschaft oder bloße Anwesenheitszeiten ohne dienstliche Inanspruchnahme keine als Mehrarbeit ausgleichspflichtigen Dienstzeiten. Ebensowenig gibt es eine Rechtsgrundlage für das Begehren auf Fortzahlung der Auslandsbesoldung, wenn der Freizeitausgleich für Auslandsdienste im Inland genommen wird. Auslandsbesoldung bezweckt einen Ausgleich für Erschwernisse des Dienstes im Ausland, setzt also einen Aufenthalt im Ausland voraus.


BVerwG 2 C 21.15 - Urteil vom 17. November 2016

Vorinstanzen:

OVG Münster, 1 A 419/14 - Urteil vom 24. August 2015 -

VG Köln, 15 K 3/13 - Urteil vom 16. Januar 2014 -

BVerwG 2 C 22.15 - Urteil vom 17. November 2016

Vorinstanzen:

OVG Münster, 1 A 2545/13 - Urteil vom 24. August 2015 -

VG Köln, 15 K 7111/12 - Urteil vom 26. September 2013 -

BVerwG 2 C 23.15 - Urteil vom 17. November 2016

Vorinstanzen:

OVG Münster, 1 A 421/14 - Urteil vom 24. August 2015 -

VG Köln, 15 K 6/13 - Urteil vom 16. Januar 2014 -

BVerwG 2 C 24.15 - Urteil vom 17. November 2016

Vorinstanzen:

OVG Münster, 1 A 418/14 - Urteil vom 24. August 2015 -

VG Köln, 15 K 3583/12 - Urteil vom 16. Januar 2014 -

BVerwG 2 C 3.16 - Urteil vom 17. November 2016

Vorinstanz:

VG Berlin, 26 K 58.14 - Urteil vom 02. Dezember 2015 -

BVerwG 2 C 28.15 - Urteil vom 17. November 2016

Vorinstanzen:

VGH Mannheim, 4 S 169/12 - Urteil vom 17. Juni 2014 -

VG Stuttgart, 3 K 1353/13 - Urteil vom 05. Dezember 2012 -


Urteil vom 17.11.2016 -
BVerwG 2 C 3.16ECLI:DE:BVerwG:2016:171116U2C3.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 17.11.2016 - 2 C 3.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2016:171116U2C3.16.0]

Urteil

BVerwG 2 C 3.16

  • VG Berlin - 02.12.2015 - AZ: VG 26 K 58.14

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 17. November 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
Dr. Kenntner, Dollinger und Dr. Günther
für Recht erkannt:

  1. Die Sprungrevision des Klägers und die Sprungrevision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Dezember 2015 werden zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 1/3 und der Beklagte zu 2/3.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten über den Freizeitausgleich bei Bereitschaftsdienstzeiten im Polizeivollzugsdienst.

2 Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter im Landesdienst. Er war in den Jahren 2009 und 2010 bei polizeilichen Unterstützungsmaßnahmen in anderen Bundesländern (Lüneburg, Dresden, Gorleben) eingesetzt. Hierbei fielen als Mehrarbeit angeordnete Überstunden an, für die Freizeitausgleich gewährt wurde. Der Beklagte hat dabei Mehrarbeit in Form von Bereitschaftsdienst zeitlich nur im Verhältnis 1 zu 3 in Ansatz gebracht; Hintergrund dieser Praxis ist eine zwischen den Bundesländern und dem Bund im Jahr 2006 geschlossene Verwaltungsvereinbarung, die auch die Abrechnung der bei Unterstützungseinsätzen entstehenden Personalkosten regelt. Der Kläger erstrebt einen Freizeitausgleich im Verhältnis 1 zu 1 und dies auch für Zeiten nach dem Ende der Unterstützungseinsätze.

3 Das Verwaltungsgericht hat dem Kläger für den Einsatz in Gorleben pro Bereitschaftsstunde eine Stunde Freizeitausgleich zuerkannt. Insoweit sei Mehrarbeit angeordnet oder jedenfalls nachträglich genehmigt worden. Hieraus ergebe sich gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 LBG Berlin ein Anspruch auf vollen Freizeitausgleich. Eine Differenzierung beim Umfang des Freizeitausgleichs nach der Arbeitsintensität sei weder mit Wortlaut, Systematik, Sinn und Zweck sowie der Entstehungsgeschichte der Norm noch mit unionsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren. Hingegen seien die Zeiten nach dem Ende der Unterstützungseinsätze in Lüneburg und Dresden keine ausgleichspflichtige Mehrarbeit. Der Kläger habe sich zwar an einem von seiner Dienstbehörde bestimmten Ort außerhalb seiner Wohnung aufhalten müssen. Es handele sich aber nicht um Bereitschaftsdienst, weil diese Aufenthaltsbestimmung nicht den Zweck gehabt habe, die Heranziehung zur Dienstleistung zu ermöglichen; eine Nachalarmierung sei nicht vorgesehen gewesen. Außerdem fehle es auch an der Anordnung oder Genehmigung einer Mehrarbeit. Gegen dieses Urteil haben beide Beteiligte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision eingelegt.

4 Der Kläger begehrt mit der Sprungrevision die Gewährung von Freizeitausgleich auch für die Zeiten nach dem Ende der Unterstützungseinsätze in Lüneburg und Dresden.

5 Der Kläger beantragt,
unter teilweiser Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Dezember 2015 den Beklagten zu verpflichten,
1. dem Kläger für die in der Zeit vom 10. bis 12. April 2009 anlässlich des Unterstützungseinsatzes in Lüneburg (Niedersachsen) als Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit vollumfänglich Dienstbefreiung (Freizeitausgleich) im Umfang von weiteren 11,4 Stunden zu gewähren,
2. dem Kläger für die in der Zeit vom 12. bis 14. Februar 2010 anlässlich des Unterstützungseinsatzes in Dresden (Sachsen) als Bereitschaftsdienst geleistete Mehrarbeit vollumfänglich Dienstbefreiung (Freizeitausgleich) im Umfang von weiteren 12 Stunden zu gewähren.

6 Der Beklagte beantragt,
die Sprungrevision des Klägers zurückzuweisen und unter teilweiser Änderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Dezember 2015 die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

7 Der Beklagte macht mit seiner Sprungrevision geltend, dass der Freizeitausgleich bei Bereitschaftsdienst geringer ausfallen dürfe als bei Volldienst.

8 Der Kläger beantragt,
die Sprungrevision des Beklagten zurückzuweisen.

II

9 Die Sprungrevisionen des Klägers und des Beklagten sind unbegründet. Das angegriffene Urteil verletzt kein revisibles Recht. Die Sprungrevision des Beklagten ist unbegründet, weil bei Mehrarbeit in der Form des Bereitschaftsdienstes voller Freizeitausgleich zu gewähren ist (1.). Die Sprungrevision des Klägers ist unbegründet, weil die geltend gemachten Zeiten nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts keine - unter den Voraussetzungen angeordneter oder genehmigter Mehrarbeit - freizeitausgleichspflichtige Bereitschaftsdienstzeiten sind (2.).

10 1. Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Bei Mehrarbeit in der Form des Bereitschaftsdienstes ist gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 Berliner Landesbeamtengesetz vom 19. März 2009 (GVBl. S. 70) - im Folgenden: LBG BE - voller Freizeitausgleich zu gewähren.

11 a) Nach § 53 Abs. 2 Satz 1 LBG BE (vgl. auch § 88 Satz 2 BBG) ist Beamtinnen und Beamten, die durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht werden, innerhalb eines Jahres für die Mehrarbeit, die sie über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus leisten, entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Voraussetzung für den Freizeitausgleich ist damit, dass Mehrarbeit angeordnet oder genehmigt worden ist; es kommt nicht darauf an, ob sie auch angeordnet oder genehmigt werden durfte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. März 1967 - 6 C 79.63 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 2 S. 12 f.).

12 Mehrarbeit im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 LBG BE ist der Dienst, den der einer Arbeitszeitregelung unterliegende Beamte aufgrund dienstlicher Anordnung oder Genehmigung zur Wahrnehmung der Obliegenheiten des Hauptamts oder, soweit ihm ein Amt nicht verliehen ist, zur Erfüllung der einem Hauptamt entsprechenden Aufgaben über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus - d.h. nicht im Rahmen des normalen Arbeitsumfangs - verrichtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2004 - 2 C 61.03 - BVerwGE 122, 65 <68> = juris Rn. 14 f.).

13 Die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit unterliegt keinem Schriftformerfordernis, sie muss sich aber auf konkrete und zeitlich abgegrenzte Mehrarbeitstatbestände beziehen; nicht erforderlich ist, dass im Zeitpunkt der Anordnung oder Genehmigung die Anzahl der zu leistenden oder bereits geleisteten Mehrarbeitsstunden bekannt ist. Der Dienstherr entscheidet über die Anordnung oder Genehmigung von Mehrarbeit nach Ermessen. Dabei hat er insbesondere zu prüfen, ob nach dienstlichen Notwendigkeiten überhaupt Mehrarbeit erforderlich ist und welchem Beamten sie übertragen werden soll (vgl. BVerwG, Urteile vom 2. April 1981 - 2 C 1.81 - Buchholz 237.7 § 78a LBG NW Nr. 2 S. 3 f. = juris Rn. 20, vom 28. Mai 2003 - 2 C 28.02 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 38 S. 5 = juris Rn. 14 und vom 23. September 2004 - 2 C 61.03 - BVerwGE 122, 65 <69> = juris Rn. 18).

14 Bereitschaftsdienst ist nach § 53 Abs. 2 Satz 1 LBG BE abgeltungsfähiger Dienst (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 29. März 1974 - 6 C 21.71 - Buchholz 232 § 72 BBG Nr. 10 S. 24 ff. und vom 25. Oktober 1979 - 2 C 7.78 - BVerwGE 59, 45 <46 f.> = juris Rn. 41). Bereitschaftsdienst liegt vor, wenn der Beamte sich an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs zu einem jederzeitigen unverzüglichen Einsatz bereitzuhalten hat und erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen ist (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 2009 - 2 C 90.07 - Buchholz 240.1 BBesO Nr. 31 Rn. 14, 17 m.w.N.; vgl. auch die Legaldefinition in § 2 Nr. 12 Arbeitszeitverordnung - AZV - vom 23. Februar 2006 <BGBl. I S. 427>).

15 b) "Entsprechende Dienstbefreiung" in § 53 Abs. 2 Satz 1 LBG BE heißt bei Bereitschaftsdienst - ebenso wie bei Volldienst - voller Freizeitausgleich im Verhältnis "1 zu 1". Dies ergibt sich aus der Auslegung dieser Bestimmung nach Wortlaut, Sinn und Zweck sowie ihrer Entstehungsgeschichte.

16 Der Wortlaut der Norm schließt es zwar nicht aus, zur Bestimmung des Umfangs des zu gewährenden Freizeitausgleichs auf das Maß und die Intensität der Inanspruchnahme während der geleisteten Mehrarbeit abzustellen, legt aber wegen des Fehlens der Benennung dieses Kriteriums gleichwohl nahe, dass allein an den zeitlichen Umfang der geleisteten Mehrarbeit angeknüpft und damit ohne Unterscheidung nach der Art des Dienstes - Volldienst oder Bereitschaftsdienst - voller Freizeitausgleich gewährt wird.

17 Entscheidend für die Auslegung, dass auch bei Bereitschaftsdienst ein Anspruch auf vollen Freizeitausgleich besteht, sprechen Sinn und Zweck des § 53 Abs. 2 Satz 1 LBG BE. Nach besonderer dienstlicher Beanspruchung dient der Freizeitausgleichsanspruch nicht in erster Linie der Regeneration des durch Mehrarbeit überobligationsmäßig herangezogenen Beamten. Dienstbefreiung für Mehrarbeit soll vielmehr die Einhaltung der regelmäßigen Arbeitszeit - jedenfalls im Gesamtergebnis - gewährleisten. Dem Beamten soll in ungeschmälertem Umfang Freizeit zur Verwendung nach seinen persönlichen Bedürfnissen und Interessen zur Verfügung stehen (vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Dezember 1970 - 2 C 45.68 - BVerwGE 37, 21 <24 f.> = juris Rn. 31 und vom 26. Juli 2012 - 2 C 70.11 - NVwZ 2012, 1472 Rn. 29). Auf die sich aus der gesetzlichen Arbeitszeitregelung ergebende Freizeit hat der Beamte auch dann einen Anspruch, wenn er sie nicht zur Wiederherstellung seiner Kräfte benötigt.

18 Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Entstehungsgeschichte der Norm. Der Begriff der "entsprechenden" Dienstbefreiung wurde 1965 zunächst auf Bundesebene in den damals den Freizeitausgleichsanspruch regelnden § 72 Abs. 2 BBG eingefügt. Zurück ging diese Formulierung auf einen Vorschlag aus der Mitte des Bundestages, wonach dem Mehrarbeit leistenden Beamten "dem Umfang der Mehrleistungen entsprechend" Dienstbefreiung zu gewähren sein sollte (BT-Drs. IV/2214 S. 1 und 3). Beabsichtigt war eine "klare gesetzliche Regelung ... des Umfanges der als Äquivalent für die gegenüber der regelmäßigen Arbeitszeit erhöhten Dienstleistungen zu gewährenden Dienstbefreiung". "Entsprechend" meint damit dem (zeitlichen) Umfang - nicht: der Intensität der Mehrleistung - entsprechend. Der Berliner Landesgesetzgeber folgte dieser Gesetzgebung des Bundes, indem er in seinem Landesbeamtengesetz im Jahre 1972 in den damaligen § 36 ebenfalls das Wort "entsprechende" zur Konkretisierung des Umfangs der bei Mehrarbeit zu gewährenden Dienstbefreiung einfügte (GVBl. S. 287).

19 c) Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ist Bereitschaftsdienst hinsichtlich der Einhaltung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit ohne Einschränkung wie Volldienst zu behandeln (vgl. EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2000 - C-303/98 [ECLI:​ EU:​C:​2000:​528], Simap - Slg. 2000, I-7963 Rn. 48 und 52, vom 9. September 2003 - C-151/02 [ECLI:​EU:​C:​2003:​437], Jaeger - Slg. 2003, I-8389 Rn. 71, 75 und 103 und vom 1. Dezember 2005 - C-14/04 [ECLI:​EU:​C:​2005:​728], Dellas - Slg. 2005, I-10253 Rn. 46; Beschluss vom 11. Januar 2007 - C-437/05 [ECLI:​EU:​C:​2007:​23], Vorel - Slg. 2007, I-331 Rn. 27). Art. 2 Nr. 1 der RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung - Arbeitszeitrichtlinie - definiert den Begriff der Arbeitszeit, der autonom, d.h. unabhängig von nationalstaatlichen Erwägungen und Besonderheiten auszulegen ist, weil nur so die einheitliche Anwendung in allen Mitgliedstaaten sichergestellt werden kann (vgl. EuGH, Beschluss vom 11. Januar 2007 - C-437/05, Vorel - Slg. 2007, I-331 Rn. 26). Die Anwendung dieses Arbeitszeitbegriffs ist zwar auf den Regelungsbereich der Richtlinie beschränkt und erstreckt sich deshalb nicht auf Fragen der Vergütung (vgl. EuGH, Beschluss vom 11. Januar 2007 - C-437/05, Vorel - Slg. 2007, I-331 Rn. 32) oder des Schadensersatzes (vgl. EuGH, Urteil vom 25. November 2010 - C-429/09 [ECLI:​EU:​C:​2010:​717], Fuß - Slg. 2010, I-12167 Rn. 44). Beim Anspruch auf Freizeitausgleich für Mehrarbeit steht aber der Umfang der zu leistenden Arbeitszeit selbst in Rede. Würde Bereitschaftsdienst nicht in vollem Umfang ausgeglichen, müssten die betroffenen Beamten ggf. mehr als die in der Arbeitszeitrichtiglinie festgelegten 48 Wochenstunden arbeiten.

20 2. Die Revision des Klägers ist ebenfalls unbegründet. Die geltend gemachten Zeiten sind nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts keine - unter den Voraussetzungen angeordneter oder genehmigter Mehrarbeit - freizeitausgleichspflichtigen Bereitschaftsdienstzeiten.

21 Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat sich der Kläger zwar an einem von seiner Dienstbehörde bestimmten Ort außerhalb seiner Wohnung aufhalten müssen. Allerdings habe diese Aufenthaltsbestimmung nicht den Zweck gehabt, die Heranziehung zur Dienstleistung zu ermöglichen; eine Nachalarmierung sei nicht vorgesehen gewesen. Außerdem fehle es auch an der Anordnung oder Genehmigung einer Mehrarbeit.

22 Nach diesen tatsächlichen Feststellungen handelt es sich mangels einer Dienstleistungspflicht nicht um Dienstzeit - auch nicht in der Form des Bereitschaftsdienstes -, sodass ein Anspruch auf Freizeitausgleich nach § 53 Abs. 2 Satz 1 LBG BE nicht in Betracht kommt. Diese tatsächlichen Feststellungen sind für das Revisionsgericht bindend; bei der Sprungrevision sind Verfahrensrügen - auch soweit sie sich auf tatsächliche Feststellungen des Verwaltungsgerichts beziehen - kraft Gesetzes ausgeschlossen (§ 134 Abs. 4 VwGO).

23 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.