Verfahrensinformation

Doppelte Anrechnung der Auslandsverwendung eines Soldaten als ruhegehaltfähige Dienstzeit


Die Kläger sind Soldaten der Bundeswehr. Sie beanspruchen, dass von ihnen während einer Auslandsverwendung (im Rahmen internationaler Einsätze der Bundeswehr) geleistete Dienstzeiten bei der Berechnung ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeit doppelt berücksichtigt werden. Gemäß der durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz vom 5. Dezember 2011 eingeführten Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) können Dienstzeiten einer Auslandsverwendung von bestimmter Dauer als doppelt ruhegehaltfähig berücksichtigt werden, wenn es sich um Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung im Sinne der mit Wirkung vom 1. Dezember 2002 in Kraft getretenen Regelung des § 63c Abs. 1 SVG handelt.


Unter den Oberverwaltungsgerichten ist umstritten, ob die Neuregelung auch Auslandsverwendungen erfasst, die vor dem 1. Dezember 2002 liegen. Das wird in den beim Bundesverwaltungsgericht anhängig gewordenen Revisionsverfahren voraussichtlich zu klären sein.


Pressemitteilung Nr. 57/2021 vom 09.09.2021

Doppelte Anrechnung von Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung bei Berufssoldaten als ruhegehaltfähige Dienstzeit

Während einer Auslandsverwendung im Rahmen internationaler Einsätze der Bundeswehr geleistete Dienstzeiten von Berufssoldaten können bei der Berechnung ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeit auch dann doppelt zu berücksichtigen sein, wenn sie vor dem 1. Dezember 2002 absolviert worden sind. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.


Die Kläger waren Berufssoldaten der Bundeswehr. Sie traten zwischen 2008 und 2018 in den Ruhestand. Ihre Anträge, von ihnen während Auslandsverwendungen vor Dezember 2002 geleistete Dienstzeiten bei der Berechnung ihrer ruhegehaltfähigen Dienstzeit doppelt zu berücksichtigen, lehnte die Beklagte ab. In den dagegen geführten Gerichtsverfahren verpflichteten die Oberverwaltungsgerichte die Beklagte, über die Anträge der nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen Berufssoldaten erneut zu entscheiden. Die Klage des bereits 2008 in den Ruhestand getretenen Berufssoldaten ist dagegen im Berufungsverfahren ohne Erfolg geblieben.


Die dagegen gerichteten Revisionen sind vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben. Gemäß der durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz mit Wirkung vom 13. Dezember 2011 eingeführten Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 des Soldatenversorgungsgesetzes (SVG) in Verbindung mit der seit 2002 geltenden Bestimmung des § 63c Abs. 1 SVG können Dienstzeiten einer Auslandsverwendung von bestimmter Dauer als doppelt ruhegehaltfähig berücksichtigt werden, wenn es sich um Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung - etwa des KFOR-Einsatzes im Kosovo oder des ISAF-Einsatzes in Afghanistan - handelt. Diese Regelung gilt für Berufssoldaten, die nach dem Inkrafttreten des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG in den Ruhestand treten. Nach dem sog. Versorgungsfallprinzip wird Versorgung nach Maßgabe der am Tag des Eintritts in den Ruhestand geltenden Rechtslage gewährt. Bei den nach dem 13. Dezember 2011 in den Altersruhestand getretenen Klägern können danach auch die vor Dezember 2002 absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen als doppelt ruhegehaltfähig berücksichtigt werden. Denn das Gesetz enthält - anders als die am selben Tag in Kraft getretene Parallelvorschrift im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (§ 76e SGB VI) - keine ausdrückliche Beschränkung auf solche Zeiten ab Dezember 2002. Die doppelte Berücksichtigung dieser Zeiten bei der Ruhegehaltfähigkeit ist allerdings auf den Höchstruhegehaltssatz gedeckelt. Über die Berücksichtigung dieser Zeiten muss die Beklagte aufgrund des ihr eingeräumten Ermessens neu entscheiden.


Fußnote:

§ 25 Abs. 2 Satz 3 Soldatenversorgungsgesetz lautet:


Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Absatz 1 können bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben.


 


§ 63c Abs. 1 Satz 1 Soldatenversorgungsgesetz lautet:


Eine besondere Auslandsverwendung ist eine Verwendung auf Grund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen,


1. für die ein Beschluss der Bundesregierung vorliegt oder


2. die im Rahmen von Maßnahmen nach § 56 Absatz 1 Satz 2 Nummer 4 des Bundesbesoldungsgesetzes stattfindet.


BVerwG 2 C 1.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

VGH Mannheim, 4 S 473/19 - Urteil vom 10. Dezember 2019 -

VG Sigmaringen, 10 K 6420/17 - Urteil vom 17. Oktober 2018 -

BVerwG 2 C 4.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Bautzen, 2 A 1193/18 - Urteil vom 18. Dezember 2019 -

VG Leipzig, 3 K 2358/17 - Urteil vom 16. August 2018 -

BVerwG 2 C 14.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Hamburg, 5 Bf 384/18 - Urteil vom 23. April 2020 -

VG Hamburg, 20 K 3029/18 - Urteil vom 07. September 2018 -

BVerwG 2 C 16.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Hamburg, 5 Bf 381/18 - Urteil vom 23. April 2020 -

VG Hamburg, 20 K 2928/18 - Urteil vom 07. September 2018 -

BVerwG 2 C 34.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Schleswig, 2 LB 8/20 - Urteil vom 10. September 2020 -

VG Schleswig, 12 A 100/17 - Urteil vom 12. September 2017 -

BVerwG 2 C 35.20 - Urteil vom 09. September 2021

Vorinstanzen:

OVG Schleswig, 2 LB 11/20 - Urteil vom 10. September 2020 -

VG Schleswig, 12 A 84/17 - Urteil vom 17. Januar 2018 -


Urteil vom 09.09.2021 -
BVerwG 2 C 1.20ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C1.20.0

Berücksichtigung von Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung bis zum Doppelten als ruhegehaltfähig auch bei Berufssoldaten mit Einsatzzeiten vor dem 1. Dezember 2002; Wiederaufgreifen des Verfahrens

Leitsätze:

1. Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung i.S.v. § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG 2004 können gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 bei Berufssoldaten auch dann bis zum Doppelten als ruhegehaltfähig berücksichtigt werden, wenn der Einsatz vor dem 1. Dezember 2002 stattgefunden hat.

2. Aus den Vorschriften über das Einsatzversorgungsrecht der Berufssoldaten (§§ 63c bis 63g SVG 2004) kann kein Rückschluss gegen eine besondere Berücksichtigung solcher Einsatzzeiten als ruhegehaltfähig gezogen werden.

3. Bei einem Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens über die Berücksichtigung von Einsatzzeiten gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 hat die zuständige Behörde in ihre Ermessensentscheidung (§ 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG) insbesondere die Erwägung einzustellen, dass das Absehen von der Rücknahme einer rechtswidrig zu niedrig erfolgten Versorgungsfestsetzung zur dauerhaften Aufrechterhaltung einer der strikten Gesetzesbindung (§ 1a SVG, vgl. auch § 3 BeamtVG) widersprechenden Versorgung führt.

  • Rechtsquellen
    SVG 2011 § 25 Abs. 2 Satz 3
    SVG 2004 § 63c Abs. 1
    SGB VI 2011 § 76e Abs. 1 Satz 1
    VwVfG § 48 Abs. 1 Satz 1, § 51 Abs. 5

  • VG Sigmaringen - 17.10.2018 - AZ: VG 10 K 6420/17
    VGH Mannheim - 10.12.2019 - AZ: VGH 4 S 473/19

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 09.09.2021 - 2 C 1.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C1.20.0]

Urteil

BVerwG 2 C 1.20

  • VG Sigmaringen - 17.10.2018 - AZ: VG 10 K 6420/17
  • VGH Mannheim - 10.12.2019 - AZ: VGH 4 S 473/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung
und Dollinger sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. Dezember 2019 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, über den am 12. Januar 2017 eingegangenen Antrag des Klägers auf Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend die Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung von vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts für den Zeitraum ab dem 12. Januar 2017 erneut zu entscheiden.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein Soldat im Ruhestand, beantragt das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Neufestsetzung seines Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen.

2 Der 1962 geborene Kläger stand von Februar 1991 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 31. Dezember 2016 als Berufssoldat, zuletzt im Rang eines Oberfeldveterinärs, im Dienst der Beklagten. Im Zeitraum zwischen Dezember 1997 und August 2002 absolvierte er vier mindestens 30-tägige Auslandsverwendungen im Rahmen von SFOR- und KFOR-Einsätzen der NATO mit einer Gesamteinsatzzeit von 373 Tagen.

3 Die Generalzolldirektion setzte die Versorgungsbezüge des Klägers mit Bescheid vom 7. Dezember 2016 auf 70,73 v.H. fest; hierbei wurden nur nach dem 1. Dezember 2002 geleistete Zeiten von Auslandsverwendungen doppelt angerechnet. Den darauf am 12. Januar 2017 bei ihr eingegangenen Antrag des Klägers, sein Ruhegehalt unter doppelter Berücksichtigung der vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen neu festzusetzen, lehnte die Generalzolldirektion mit Bescheid vom 8. Juni 2017 ab. Der Bescheid vom 7. Dezember 2016 sei mangels rechtzeitigen Widerspruchs bestandskräftig. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens lägen nicht vor. Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2017 zurück.

4 Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, die Versorgungsbezüge des Klägers ab März 2017 mit einem Ruhegehaltssatz von 71,75 v.H. festzusetzen. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und damit dafür, die Bestandskraft des Versorgungsfestsetzungsbescheids zu beseitigen, lägen trotz Fehlens der tatbestandlichen Voraussetzungen des Gesetzes vor. Das Gebot materieller Gerechtigkeit verlange die Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich sei. Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung könnten bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert hätten. Die vier Auslandseinsätze des Klägers erfüllten diese Voraussetzungen. Sie seien bei der Festsetzung der Altersbezüge des Klägers zu berücksichtigen, obwohl sie vor dem 1. Dezember 2002 gelegen hätten.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beklagte unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten und Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts erneut zu entscheiden. Bei dem Versorgungsfestsetzungsbescheid handele es sich um einen bestandskräftigen und (von Anfang an) rechtswidrigen Verwaltungsakt. Denn der Kläger habe Anspruch auf Berücksichtigung der von ihm im Zeitraum von Dezember 1997 bis August 2002 absolvierten Zeiten von vier besonderen Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten. Einer Doppelanrechnung der streitgegenständlichen Auslandseinsatzzeiten stehe nicht entgegen, dass sie sämtlich vor dem Inkrafttreten der einschlägigen soldatenversorgungsgesetzlichen Regelung über besondere Auslandsverwendungen am 1. Dezember 2002 lägen.

6 Allerdings habe sich auf der Rechtsfolgenseite der Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nicht im Wege der Ermessensreduzierung zu einem Anspruch auf Neuberechnung verdichtet. Das Aufrechterhalten des angefochtenen Ruhegehaltbescheids sei nicht von vornherein "schlechthin unerträglich". Insbesondere sei angesichts einer Gesamtversorgung des Klägers nicht davon auszugehen, er wäre ohne diese Erhöhung unangemessen versorgt. Jedoch habe die Beklagte das ihr verbliebene Wiederaufgreifensermessen nicht fehlerfrei ausgeübt.

7 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. Dezember 2019 und des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 17. Oktober 2018 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

8 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision der Beklagten.

II

10 Die zulässige Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Neubescheidung des Antrags des nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen Klägers darauf, dass auch seine vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Auslandseinsätze als Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung erfasst werden, nicht nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, sondern nach der des Bundesverwaltungsgerichts richtet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

11 Der Kläger hat ab dem Zeitpunkt seiner Antragstellung - 12. Januar 2017 - einen Anspruch auf die begehrte Neuregelung seiner Versorgung im Wege des Wiederaufgreifens nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Bei dem Versorgungsfeststellungsbescheid vom 7. Dezember 2016 handelt es sich um einen bestandskräftigen und nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsakt (1.). Der Anspruch auf Wiederaufgreifen hat sich aber nicht im Wege der Ermessensreduzierung auf Null zu einem Anspruch auf Neufestsetzung und Neuberechnung der Versorgungsbezüge verdichtet (2.). Die Beklagte hat das ihr verbliebene Wiederaufgreifensermessen allerdings nicht fehlerfrei ausgeübt; deshalb hat sie über den Antrag des Klägers auf Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut zu entscheiden (3.).

12 1. Der Versorgungsfeststellungsbescheid vom 7. Dezember 2016 ist ein von Anfang an rechtswidriger Verwaltungsakt i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Denn der Kläger kann verlangen, dass die von ihm vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können.

13 Die am 13. Dezember 2011 in Kraft getretene Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz) vom 5. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2458 - SVG 2011) bestimmt, dass die Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Der erstmals durch Art. 2 Nr. 10 Einsatzversorgungsgesetz vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3592) rückwirkend zum 1. Dezember 2002 in Kraft getretene § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG (SVG 2004) definiert eine besondere Auslandsverwendung als eine Verwendung aufgrund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen, für die ein Beschluss der Bundesregierung vorliegt.

14 a) Der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, dass besondere Auslandsverwendungen i.S.v. § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 für Soldaten, die nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getreten sind, auch für Zeiträume vor dem 1. Dezember 2002 berücksichtigt werden können. Denn die Regelung enthält - anders als die zeitgleich durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz (Art. 6 Ziff. 3) für gesetzlich Rentenversicherte geschaffene Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 - keine zeitliche Einschränkung dahingehend, dass bei der Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten nur besondere Auslandsverwendungen ab dem 1. Dezember 2002 Berücksichtigung finden. Die von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in Bezug genommene Regelung des § 63c Abs. 1 SVG 2004 ihrerseits beschränkt sich auf eine Definition des Tatbestands der besonderen Auslandsverwendung. Eine ausdrückliche zeitliche Einschränkung der Definition etwa dahingehend, dass besondere Auslandsverwendungen nur solche ab einem bestimmten Zeitpunkt sind, enthält auch diese Vorschrift nicht. Aus dem Wortlaut der Norm lassen sich also keine Anknüpfungspunkte für die von der Beklagten nach Maßgabe ihrer behördeninternen Verwaltungsvorschriften (Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->, vom 23. August 2012 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -> und vom 16. August 2013 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 ->) vorgenommenen Auslegung entnehmen, dass eine Doppelanrechnung von im Auslandseinsatz absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen erst ab dem 1. Dezember 2002 möglich ist. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Beklagtenseite geäußerte Ansicht, man habe es als "Erlasshalter" für ausreichend gehalten, das - seitens des Bundesministeriums - "Gewollte" im Erlasswege, nämlich in den vorbezeichneten Anwendungshinweisen, zu regeln, ist insoweit unbehelflich.

15 b) Die Entstehungsgeschichte von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 63c Abs. 1 SVG 2004 andererseits ist für die Beantwortung der Frage nach der zeitlichen Reichweite der ruhegehaltrechtlich doppelt berücksichtigungsfähigen Zeiten besonderer Auslandsverwendungen unergiebig. Zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 enthält sich die Begründung des Gesetzesentwurfs jeder Stellungnahme zur Frage, ob die doppelte Anrechnung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen auch auf solche Auslandseinsätze zu erstrecken ist, die Soldaten vor dem 1. Dezember 2002 absolviert haben (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 15). Auch aus der Vorgeschichte des Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetzes 2011 - dem Einsatzversorgungsgesetz 2004 - ergibt sich nichts für oder gegen eine doppelte Ruhegehaltsanrechnung für Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 24). Die Einzelbegründung des Gesetzgebers zu der Vorschrift, in der die "besondere Auslandsverwendung" legal definiert wird - § 63c Abs. 1 SVG 2004 -, verhält sich ebenso wenig zur Beantwortung der Frage der zeitlichen Rückerstreckung von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 auf Sachverhalte vor dem 1. Dezember 2002 (vgl. BT-Drs. 15/3416, S. 18). Nichts anderes ergibt sich aus den Materialien zum Einsatz-Weiterverwendungsgesetz 2007, das ausschließlich Regelungen zugunsten infolge besonderer Auslandsverwendungen "einsatzgeschädigter Soldaten" zum Gegenstand hat (vgl. BT-Drs. 16/6564 S. 15). Auch die weitere Rückerstreckung von Einsatzversorgungsleistungen für im Ausland verunfallte Soldaten auf die Zeit ab dem 1. November 1991 durch das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz 2015 hat ausschließlich "schwer gesundheitlich geschädigte Personen" in den Blick genommen, die trotz zum Teil erheblicher Gefährdungslagen zum Beispiel im Bosnien- und Kosovoeinsatz bis dahin nicht dieselbe versorgungsrechtliche Absicherung wie ab dem 1. Dezember 2002 im Einsatz Geschädigte besaßen (BT-Drs. 18/3697 S. 63). Schließlich beschränken sich auch die in diesem Zusammenhang jüngsten gesetzlichen Änderungen durch das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz 2019 - § 63c Abs. 1 SVG 2019 (BGBl. I S. 1147 <3054>) - nach der Gesetzesbegründung allein auf die unfallrechtliche Einsatzversorgung; allgemeine Fragen der Ruhegehaltsberechnung haben sie nicht zum Gegenstand (vgl. BT-Drs. 19/9491 S. 139).

16 c) In gesetzessystematischer Hinsicht ist zu differenzieren: Nach der gesetzlichen Systematik des Soldatenversorgungsgesetzes ist zu beachten, dass § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eine allein ruhegehaltbezogene Rechtsfrage in Anknüpfung an die "besondere Auslandsverwendung" beantwortet. Dagegen beinhalten die in §§ 63c bis 63g SVG 2004 (BGBl. I S. 3592) sowie in § 103 Abs. 1 und 2 SVG getroffenen Vorschriften das besondere Recht der Einsatzversorgung mit Regelungen zur Dienstunfallfürsorge und der Wiedereingliederung. Der Ruhegehaltsanspruch, den § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 mit ausgestaltet, unterscheidet sich aber nach Funktion, Voraussetzungen und Rechtsfolge wesentlich vom Recht der Einsatzversorgung nach dem durch die Verweisung in Bezug genommenen § 63c SVG 2004.

17 Das in die Vorschriften der §§ 63c bis 63g SVG im Jahre 2004 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügte Einsatzversorgungsrecht umfasst grundsätzlich alle Leistungen der Dienstunfallfürsorge, allerdings angepasst an die Erfordernisse besonderer Auslandsverwendungen. Dazu zählen nach § 63c Abs. 3 SVG 2004 insbesondere der Schadensausgleich in besonderen Fällen (§ 63b), das Unfallruhegehalt (§ 63d) und die einmalige Entschädigung (§ 63e). Der Schutzzweck des Einsatzversorgungsrechts liegt in der verbesserten Absicherung von Soldaten gegenüber den Folgen einer anlässlich einer besonderen Auslandsverwendung erlittenen gesundheitlichen Schädigung.

18 Funktionell mit dem Einsatzversorgungsrecht verwandt ist das Recht der Einsatz-Weiterverwendung, das durch das Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen vom 12. Dezember 2007 zum 18. Dezember 2007 geschaffen worden ist (Einsatz-Weiterverwendungsgesetz - EinsatzWVG - BGBl. I S. 2861). Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz dient einer verbesserten Absicherung einsatzgeschädigter Soldaten dadurch, dass diesen insbesondere die Herstellung der Dienstfähigkeit für die Wiederaufnahme der bisherigen beruflichen Tätigkeit, für eine Weiterverwendung beim Bund oder für eine sonstige Eingliederung in das Arbeitsleben sowie die hierfür erforderliche berufliche Qualifizierung im Soldatenstatus ermöglicht werden. Es handelt sich mithin um ein besonderes Wiedereingliederungsrecht. Der Begriff der "Einsatzgeschädigten" (§ 1 EinsatzWVG) als zentrale persönliche Anspruchsvoraussetzung knüpft an einen Einsatzunfall i.S.v. § 63c Abs. 2 SVG 2004 an, der wiederum eine besondere Auslandsverwendung i.S.v. § 63c Abs. 1 SVG 2004 voraussetzt.

19 Materiell handelt es sich sowohl bei dem Recht der Einsatzversorgung als auch bei demjenigen der Einsatz-Weiterverwendung um Unfallfürsorgerecht, und damit um Soldatenversorgungsrecht in einem weiteren Sinne. Maßgeblich ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Schadensereignisses, d.h. im Zeitpunkt des Einsatzunfalls. Beide Institute setzen einen Einsatzunfall voraus und unterscheiden sich damit schon in ihren tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen vom Ruhegehaltsanspruch, für den es maßgeblich auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Zurruhesetzung ankommt (Versorgungsfallprinzip). Die Verschiedenheit des Ruhegehaltsrechts einerseits und des Einsatzversorgungsrechts als besonderes Dienstunfallrecht andererseits legt es nicht nahe, die Rechtsvorschriften trotz unterschiedlichen zeitlichen Anknüpfungspunkts einheitlich auszulegen. Dies deutet eher darauf hin, dass die Verweisung in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 allein auf die Legaldefinition der besonderen Auslandsverwendung in § 63c Abs. 1 SVG 2004 gerichtet ist.

20 d) Aus den verschiedenen maßgeblichen Zeitpunkten - d.h. dem Zeitpunkt des Schadensereignisses oder dem Zeitpunkt der Zurruhesetzung - folgt nach Sinn und Zweck der Regelungen, dass der Gesetzgeber im Einsatzversorgungsrecht, um (überhaupt) eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs zu bewirken, dies ausdrücklich regeln muss, während aufgrund des im Ruhegehaltsrecht geltenden Versorgungsfallprinzips eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs gleichsam von selbst eintritt mit der Folge, dass eine Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs nur erforderlich ist, wenn dieser entsprechend dem Gestaltungsanliegen des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Datum in der Vergangenheit begrenzt werden soll. Dementsprechend ist aus der Gesetzesbegründung zur Übergangsregelung in § 103 Abs. 2 SVG 2015 (BGBl. I S. 706) zu ersehen, dass der Gesetzgeber sich bei der Schaffung der Vorschrift der allgemeinen Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Normanwendung bewusst war und er mit der Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf den 1. November 1991 - anders als mit § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - ein konkretes Gestaltungsanliegen verfolgt hat.

21 Für die Auslegung bedeutsam sind weiter Sinn und Zweck der in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 76e SGB VI 2011 andererseits enthaltenen unterschiedlichen Voraussetzungen. Während § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 die doppelte Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen für Berufssoldaten mit Pensionsanspruch regelt, verbessert § 76e SGB VI 2011 spiegelbildlich die rentenrechtliche Absicherung der Zivilbediensteten sowie der Helfer des Technischen Hilfswerks und der Soldaten ohne Pensionsanspruch, also von Soldaten auf Zeit und von Soldaten, die aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung eine Auslandsverwendung im Rahmen des Wehrdienstes leisten oder die im Rahmen ihrer Dienstleistungspflicht nach § 62 SG zu einer besonderen Auslandsverwendung herangezogen werden (insbesondere Reservisten).

22 Nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 werden für Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 SVG 2004 ab dem 13. Dezember 2011 Zuschläge an Entgeltpunkten zu den in diesem Monat erworbenen Pflichtbeiträgen gewährt, wenn während dieser Zeiten Pflichtbeitragszeiten vorliegen und nach dem 30. November 2002 insgesamt mindestens 180 Tage an Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung vorliegen, die jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Wie insbesondere an der identisch formulierten tatbestandlichen Anknüpfung an § 63c Abs. 1 SVG 2004 und den gleichen sachlichen Anforderungen an die Dauer der Einsatzzeiten zu erkennen ist, handelt es sich bei § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 um die funktionale Entsprechung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetz benennt die zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 analoge Funktion der Vorschrift, die Belastungen durch besondere Auslandsverwendungen verstärkt anzuerkennen (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 21), und behandelt die beiden Vorschriften aufgrund dessen in einem inhaltlichen Zusammenhang (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 1).

23 Die verbesserte rentenrechtliche Absicherung in Form von Zuschlägen an Entgeltpunkten nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gilt indes aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung - und dem Wortlaut nach damit wiederum abweichend von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - nur für Zeiten der besonderen Auslandsverwendung, für die bereits Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ab Dezember 2002 erworben wurden. Die Pflichtbeitragszeit muss aus der besonderen Verwendung im Ausland herrühren; sie bleibt dem ehemaligen Soldaten erhalten, wenn er nachversichert wird (vgl. Brall, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 76e Rn. 9; Gürtner, in: Kasseler Kommentar, SGB VI, Stand März 2021, § 76e Rn. 3). Denn nach § 185 Abs. 2 i.V.m. § 186a Abs. 1 und § 188 Abs. 1 SGB VI gelten auch Nachversicherungsbeiträge als rechtzeitig gezahlte Pflichtbeiträge. Außerdem unterscheiden sich beide Modelle darin, dass die doppelte Berücksichtigung der besonderen Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 durch den Ruhegehaltshöchstsatz von 71,75 v.H. gedeckelt ist, während die Zuschläge für die Entgeltpunkte nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gemeinsam mit den Entgeltpunkten für die versicherte Beschäftigung die Entgeltpunkte überschreiten dürfen, die sich aus Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze ergeben.

24 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nach der gesetzlichen Regelungstechnik in der Rechtsfolge um eine Vorschrift handelt, die die Entscheidung über eine doppelte ruhegehaltfähige Berücksichtigung der Zeiten besonderer Auslandsverwendung - grundsätzlich - ins pflichtgemäße Ermessen der Versorgungsbehörde legt ("können"). Dagegen handelt es sich bei der Entscheidung der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 über die Zuschläge an Entgeltpunkten infolge Zeiten besonderer Auslandsverwendung um eine in der Rechtsfolge gesetzlich gebundene Entscheidung ("werden").

25 e) Es ist Sache des Gesetzgebers, eine im Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 Niederschlag findende Stichtagsregelung für das Einsetzen der Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu bestimmen. Daran fehlt es bisher. Im Wortlaut der Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 ist dies gelungen. Im gewaltengeteilten Staat des Grundgesetzes ist es nicht Aufgabe der Gerichte, einer von Verwaltungsbehörden für zutreffend gehaltenen Gesetzesanwendung, die sich nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen dem Gesetz, insbesondere dem Gesetzeswortlaut, nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen lässt, Geltung zu verschaffen. Derartige Regelungsdefizite muss der Gesetzgeber selbst beheben (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 C 11.20 - Buchholz 239.2 LBeamtVersorgR Nr. 5 Rn. 40).

26 2. Der Kläger hat für die Zeit ab Antragstellung - hier: 12. Januar 2017 - nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 VwVfG einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung auf Wiederaufgreifen des Verfahrens betreffend die Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge unter Berücksichtigung von vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit.

27 Ein Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG besteht nicht. Eine nachträgliche Änderung der dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Sach- oder Rechtslage zugunsten des Klägers i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 1 VwVfG liegt nicht vor.

28 Das Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG steht grundsätzlich im Ermessen der Beklagten. Ein zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führender Rechtsverstoß ist nur eine notwendige, nicht aber hinreichende Voraussetzung für die Rücknahme und einen darauf zielenden Anspruch des Betroffenen. Der Gesetzgeber räumt bei der Aufhebung bestandskräftiger belastender Verwaltungsakte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise weder dem Vorrang des Gesetzes noch der Rechtssicherheit als Ausprägungen des Rechtsstaatsprinzips einen generellen Vorrang ein. Die Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Bestandskraft von Verwaltungsakten stehen vielmehr gleichberechtigt nebeneinander. Auch die Verfassungs- und Grundrechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) führt nicht dazu, dass das einer Behörde durch eine Ermächtigung zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte eingeräumte Ermessen allein deshalb auf Null reduziert ist, weil der zurückzunehmende Verwaltungsakt verfassungs- oder grundrechtswidrig ist (BVerwG, Beschluss vom 8. Juni 2021 - 9 B 26.20 - BayVBl 2021, 825 Rn. 6 ff.). Im Hinblick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit besteht jedoch ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich ist (BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2020 - 2 C 18.19 - BVerwGE 169, 138 Rn. 42 m.w.N.). Ob ein solcher Ausnahmefall angenommen werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte ab (BVerwG, Urteile vom 17. Januar 2007 - 6 C 32.06 - NVwZ 2007, 709 Rn. 13, vom 24. Februar 2011 - 2 C 50.09 - Buchholz 316 § 51 VwVfG Nr. 58 Rn. 11 und vom 7. Oktober 2020 - 2 C 18.19 - BVerwGE 169, 318 Rn. 42).

29 Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann schlechthin unerträglich, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich. Ferner kann in dem einschlägigen Fachrecht eine bestimmte Richtung der zu treffenden Entscheidung in der Weise vorgegeben sein, dass das Ermessen im Regelfall nur durch die Entscheidung für die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtmäßig ausgeübt werden kann, sodass sich das Ermessen in diesem Sinne als intendiert erweist (BVerwG, Urteil vom 7. Oktober 2020 - 2 C 18.19 - BVerwGE 169, 318 Rn. 43 m.w.N. der Rspr.).

30 An diesem Maßstab orientiert ist hier das Aufrechterhalten des Verwaltungsakts nicht "schlechthin unerträglich". Das Soldaten- wie das Beamtenverhältnis ist zwar als ein gemäß den hergebrachten Grundsätzen des Berufssoldaten- und Berufsbeamtentums nach Art. 14 Abs. 1 i.V.m. Art. 33 Abs. 5 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 u.a. - BVerfGE 145, 249 Rn. 43 m.w.N. zum Soldatenversorgungsrecht) verfassungsrechtlich gewährleistetes, grundsätzlich lebenslanges öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis von Besonderheiten geprägt. Daraus folgt aber nicht, dass das behördliche Rücknahmeermessen bei jedem rechtswidrigen Versorgungsbescheid ungeachtet der konkreten Umstände des Einzelfalls auf Null reduziert und ein solcher Bescheid daher ausnahmslos auf Antrag des Versorgungsempfängers für die Zukunft aufzuheben und durch eine rechtmäßige Neufestsetzung zu ersetzen wäre. Denn jedenfalls soweit die Rechtswidrigkeit eines Versorgungsbescheids - wie hier - nur auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung durch die Behörde beruht, liegt es an dem Versorgungsempfänger, sich innerhalb der Widerspruchsfrist Klarheit darüber zu verschaffen, ob der Bescheid der Rechtslage entspricht oder ob er ihn einer Rechtskontrolle unterziehen möchte. Versäumt er es aus von ihm zu vertretenden Gründen, fristgerecht Widerspruch einzulegen, führt dies nicht ohne Weiteres dazu, dass die Aufrechterhaltung des Bescheids im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts schlechthin unerträglich wäre, denn die Rechtswidrigkeit des Bescheids ist nur eine, aber nicht die einzige Voraussetzung eines Rücknahmeanspruchs.

31 Offensichtlich rechtswidrig ist der angefochtene Versorgungsbescheid schon deshalb nicht, weil die Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in der obergerichtlichen Rechtsprechung zwar überwiegend, aber nicht ausnahmslos bejaht worden ist (vgl. etwa dafür VGH Mannheim, Urteil vom 10. Dezember 2019 - 4 S 473/19 - NZWehrr 2020, 70 <73>; OVG Bautzen, Urteil vom 18. Dezember 2019 - 2 A 1193/18 - juris Rn. 16; OVG Schleswig, Urteil vom 10. September 2020 - 2 LB 8/20 - juris Rn. 26; dagegen aber OVG Lüneburg, Beschluss vom 23. Juli 2019 - 5 LA 108/18 - juris Rn. 20).

32 Auch im Übrigen ist das Aufrechterhalten des angefochtenen Versorgungsbescheids nicht "schlechthin unerträglich". Angesichts eines monatlichen Gesamtversorgungsbezugs des Klägers von rund 5 000 € und dem ihm versagten Erhöhungsbetrag von monatlich etwa 68 € ist nicht davon ausgehen, dass der Kläger ohne diese Erhöhung nicht angemessen versorgt wäre.

33 3. Die Beklagte hat aber das Wiederaufgreifensermessen mit dem Bescheid vom 8. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2017 nicht fehlerfrei ausgeübt (§ 114 VwGO), soweit sie eine Rücknahme des Versorgungsbescheids und Neufestsetzung der Versorgung ab Antragstellung des Klägers abgelehnt hat. Denn sie hat nicht alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen gewesen wären, in ihre Entscheidungsfindung einbezogen, sodass ein Abwägungsdefizit besteht.

34 Zwar ist es im Regelfall des § 51 Abs. 5 VwVfG nicht zu beanstanden, wenn die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung dem Aspekt der Rechtssicherheit gegenüber dem Grundsatz der materiellen Rechtmäßigkeit den Vorzug gibt und den Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens ohne ins Einzelne gehende Ermessenserwägungen ablehnt (BVerwG, Urteil vom 20. November 2018 - 1 C 23.17 - BVerwGE 163, 370 Rn. 30). Im Beamtenrecht gilt dieser Grundsatz jedoch nicht gleichermaßen; vielmehr bedarf es hier regelmäßig substantieller Ermessenserwägungen. Denn auch wenn im Beamtenverhältnis das Rücknahmeermessen bei bestandskräftig fehlerhaft zu niedrig festgesetzten Versorgungsbezügen nicht regelhaft auf Null reduziert ist, hat die Behörde bei ihrer Abwägungsentscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens einzustellen, dass zwischen ihr und dem Soldaten im Ruhestand kein "beliebiges" Rechtsverhältnis, sondern ein verfassungsrechtlich geschütztes, besonders enges öffentlich-rechtliches Dienst- und Treueverhältnis besteht (Art. 14 Abs. 1 GG, Art. 33 Abs. 5 GG). Dieses legt nicht nur dem Soldaten oder Beamten, sondern auch dem Dienstherrn besondere, unter dem Begriff der Fürsorgepflicht zusammengefasste Treuepflichten auf; Ausfluss dieses besonderen Rechtsverhältnisses ist (u.a.) die Verpflichtung zu lebenslanger Alimentation des Soldaten oder Beamten. Hinsichtlich der Höhe der Beamtenversorgung gilt das Prinzip der Gesetzmäßigkeit. Die Verwaltung ist an die gesetzlichen Vorgaben gebunden und besitzt keine weiteren, davon unabhängigen Handlungsspielräume (§ 1a Abs. 1 SVG, § 3 Abs. 1 und 2 BeamtVG). Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 SVG - und der inhaltsgleichen Regelung in § 4 Abs. 2 BeamtVG - besteht der Anspruch auf Ruhegehalt nach Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand; ab diesem Zeitpunkt ist dem Beamten unabhängig von einer entsprechenden Antragstellung das Ruhegehalt auf Lebenszeit zu gewähren. Die Gesetzesbindung geht so weit, dass der Beamte oder Soldat auf die ihm gesetzlich zustehende Versorgung weder ganz noch teilweise verzichten kann (§ 1a Abs. 3 SVG, § 3 Abs. 3 BeamtVG).

35 Bei der Verpflichtung des Staates, seinen Versorgungsempfängern die gesetzlich zustehende Versorgung zukommen zu lassen, handelt es sich nicht nur um einen privaten Belang des Versorgungsempfängers, sondern dem verfassungsrechtlichen Alimentationsprinzip entsprechend um einen gewichtigen öffentlichen Belang (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvR 883/14 u.a. - BVerfGE 145, 304 Rn. 66). Das Absehen von der Rücknahme einer rechtswidrig zu niedrig erfolgten Versorgungsfestsetzung führt damit zur dauerhaften Aufrechterhaltung eines rechtswidrigen Zustands, bei dem der Versorgungsempfänger Monat für Monat schlechtergestellt wird, als er nach der bindenden Gesetzeslage zu stellen wäre (OVG Hamburg, Urteil vom 28. Februar 2013 - 1 Bf 10/12 - ZBR 2013, 309 <311>; VGH Mannheim, Urteil vom 24. Oktober 2011 - 4 S 1790/10 - juris Rn. 43). Dieser Umstand verleiht unter Berücksichtigung der geschilderten strengen Gesetzesbindung des Dienstherrn dem Aspekt der materiellen Rechtmäßigkeit gegenüber demjenigen der Rechtssicherheit besonderes Gewicht.

36 Diese für die Abwägung zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit gerade im Bereich der Soldaten- und Beamtenbesoldung und -versorgung zentralen Gesichtspunkte finden in den Ermessenserwägungen der Beklagten bislang keinen hinreichenden Niederschlag. Insbesondere hätte die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen einstellen müssen, dass nach ihrer behördeninternen Erlasslage für von Soldaten nach dem 30. November 2002 absolvierte Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen sind. Abgestufte Regelungen sind danach ausgeschlossen (Ziff. 4 der Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung vom 23. August 2012 zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->). Die Beklagte hat das ihr gesetzlich eingeräumte Einzelfallermessen damit durch Verwaltungsvorschrift dahingehend generalisiert, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in der Rechtsfolge bei Zeiten besonderer Auslandsverwendungen stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. Nach dieser - allerdings abänderbaren - Ermessenspraxis hat sie sich auch bei der Bewertung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 zu richten.

37 Die Beklagte hat folglich das ihr in § 51 Abs. 5, § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte Ermessen, ob sie die Versorgungsbezüge des Klägers für die Zeit ab Stellung des Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens den gesetzlichen Vorgaben entsprechend mit einem Ruhegehaltssatz von 71,75 v.H. neu festsetzt, nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt (vgl. § 114 Satz 1 VwGO) und ist daher zu verpflichten, über den Antrag des Klägers eine neue, fehlerfreie Ermessensentscheidung unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu treffen.

38 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteil vom 09.09.2021 -
BVerwG 2 C 14.20ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C14.20.0

Urteil

BVerwG 2 C 14.20

  • VG Hamburg - 07.09.2018 - AZ: VG 20 K 3029/18
  • OVG Hamburg - 23.04.2020 - AZ: OVG 5 Bf 384/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung
und Dollinger sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 23. April 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass über den Antrag der Klägerin auf Berücksichtigung ihrer vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu entscheiden ist.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Die Klägerin, eine Soldatin im Ruhestand, beansprucht die Neufestsetzung ihres Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung ihrer vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendung.

2 Der 1956 geborenen Klägerin stand bis zu ihrem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 31. März 2018 als Berufssoldatin, zuletzt im Rang einer Oberfeldärztin, im Dienst der Beklagten. Im Zeitraum zwischen August 1996 und Juli 2001 absolvierte sie zwei mindestens 30-tägige Auslandsverwendungen im Rahmen von IFOR- und KFOR-Einsätzen in Bosnien und Herzegowina und im Kosovo mit einer Gesamteinsatzzeit von 221 Tagen.

3 Mit Bescheid vom 5. März 2018 setzte die Generalzolldirektion die Versorgungsbezüge der Klägerin auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 70,40 v.H. fest; hierbei wurden nur nach dem 1. Dezember 2002 geleistete Zeiten von Auslandsverwendungen doppelt angerechnet. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruch vom 30. April 2018 zurück.

4 Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, die Versorgungsbezüge der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen. Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung könnten bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert hätten. Die Auslandseinsätze der Klägerin erfüllten diese Voraussetzungen. Sie seien bei der Festsetzung der Altersbezüge der Klägerin zu berücksichtigen, obwohl sie vor dem 1. Dezember 2002 gelegen hätten.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Klägerin habe Anspruch auf Berücksichtigung der von ihr im Zeitraum vor Dezember 2002 absolvierten Zeiten von besonderen Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten. Einer Doppelanrechnung der streitgegenständlichen Auslandseinsatzzeiten stehe nicht entgegen, dass sie sämtlich vor dem Inkrafttreten der einschlägigen soldatenversorgungsgesetzlichen Regelung über besondere Auslandsverwendungen am 1. Dezember 2002 lägen.

6 Zudem habe die Beklagte das ihr bei der Doppelberechnung eingeräumte Rechtsfolgeermessen noch nicht fehlerfrei ausgeübt. Die von ihr bei der Ermessensausübung zugrunde gelegten Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung seien dazu nicht geeignet, weil sie die Berücksichtigung von vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten besonderen Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten generell ausschlössen.

7 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. April 2020 und des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. September 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8 Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision der Beklagten.

II

10 Die zulässige Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass über den Antrag der - nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen - Klägerin auf Berücksichtigung ihrer vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit nicht nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, sondern nach der des Bundesverwaltungsgerichts zu entscheiden ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Beklagte hat das ihr im Rahmen dieser Entscheidung zustehende Ermessen bislang nicht fehlerfrei ausgeübt.

11 1. Der streitgegenständliche Anspruch folgt aus der am 13. Dezember 2011 in Kraft getretenen Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz) vom 5. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2458 - SVG 2011). Die Vorschrift bestimmt, dass die Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Der erstmals durch Art. 2 Nr. 10 Einsatzversorgungsgesetz vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3592) rückwirkend zum 1. Dezember 2002 in Kraft getretene § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG (SVG 2004) definiert eine besondere Auslandsverwendung als eine Verwendung aufgrund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen, für die ein Beschluss der Bundesregierung vorliegt.

12 a) Der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, dass besondere Auslandsverwendungen i.S.v. § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 für Soldaten, die nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getreten sind, auch für Zeiträume vor dem 1. Dezember 2002 berücksichtigt werden können. Denn die Regelung enthält - anders als die zeitgleich durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz (Art. 6 Ziff. 3) für gesetzlich Rentenversicherte geschaffene Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 - keine zeitliche Einschränkung dahingehend, dass bei der Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten nur besondere Auslandsverwendungen ab dem 1. Dezember 2002 Berücksichtigung finden. Die von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in Bezug genommene Regelung des § 63c Abs. 1 SVG 2004 ihrerseits beschränkt sich auf eine Definition des Tatbestands der besonderen Auslandsverwendung. Eine ausdrückliche zeitliche Einschränkung der Definition etwa dahingehend, dass besondere Auslandsverwendungen nur solche ab einem bestimmten Zeitpunkt sind, enthält auch diese Vorschrift nicht. Aus dem Wortlaut der Norm lassen sich also keine Anknüpfungspunkte für die von der Beklagten nach Maßgabe ihrer behördeninternen Verwaltungsvorschriften (Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->, vom 23. August 2012 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -> und vom 16. August 2013 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 ->) vorgenommene Auslegung entnehmen, dass eine Doppelanrechnung von im Auslandseinsatz absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen erst ab dem 1. Dezember 2002 möglich ist. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Beklagten geäußerte Ansicht, man habe es als "Erlasshalter" für ausreichend gehalten, das - seitens des Bundesministeriums - "Gewollte" im Erlasswege, nämlich in den vorbezeichneten Anwendungshinweisen, zu regeln, ist insoweit unbehelflich.

13 b) Die Entstehungsgeschichte von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 63c Abs. 1 SVG 2004 andererseits ist für Beantwortung der Frage nach der zeitlichen Reichweite der ruhegehaltrechtlich doppelt berücksichtigungsfähigen Zeiten besonderer Auslandsverwendungen unergiebig. Zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 enthält sich die Begründung des Gesetzesentwurfs jeder Stellungnahme zur Frage, ob die doppelte Anrechnung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen auch auf solche Auslandseinsätze zu erstrecken ist, die Soldaten vor dem 1. Dezember 2002 absolviert haben (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 15). Auch aus der Vorgeschichte des Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetzes 2011 - dem Einsatzversorgungsgesetz 2004 - ergibt sich nichts für oder gegen eine doppelte Ruhegehaltsanrechnung für Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 24). Die Einzelbegründung des Gesetzgebers zu der Vorschrift, in der die "besondere Auslandsverwendung" legal definiert wird - § 63c Abs. 1 SVG 2004 -, verhält sich ebenfalls nicht zur Frage der zeitlichen Rückerstreckung von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 auf Sachverhalte vor dem 1. Dezember 2002 (vgl. BT-Drs. 15/3416, S. 18). Nichts anderes ergibt sich aus den Materialien zum Einsatz-Weiterverwendungsgesetz 2007, das ausschließlich Regelungen zugunsten infolge besonderer Auslandsverwendungen "einsatzgeschädigter Soldaten" zum Gegenstand hat (vgl. BT-Drs. 16/6564 S. 15). Auch die weitere Rückerstreckung von Einsatzversorgungsleistungen für im Ausland verunfallte Soldaten auf die Zeit ab dem 1. November 1991 durch das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz 2015 hat ausschließlich "schwer gesundheitlich geschädigte Personen" in den Blick genommen, die trotz zum Teil erheblicher Gefährdungslagen zum Beispiel im Bosnien- und Kosovoeinsatz bis dahin nicht dieselbe versorgungsrechtliche Absicherung wie ab dem 1. Dezember 2002 im Einsatz Geschädigte besaßen (BT-Drs. 18/3697 S. 63). Schließlich beschränken sich auch die in diesem Zusammenhang jüngsten gesetzlichen Änderungen durch das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz 2019 - § 63c Abs. 1 SVG 2019 (BGBl. I S. 3054) - nach der Gesetzesbegründung allein auf die unfallrechtliche Einsatzversorgung; allgemeine Fragen der Ruhegehaltsberechnung haben sie nicht zum Gegenstand (vgl. BT-Drs. 19/9491 S. 139).

14 c) In gesetzessystematischer Hinsicht ist zu differenzieren: Nach der gesetzlichen Systematik des Soldatenversorgungsgesetzes ist zu beachten, dass § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eine allein ruhegehaltbezogene Rechtsfrage in Anknüpfung an die "besondere Auslandsverwendung" beantwortet. Dagegen beinhalten die in §§ 63c bis 63g SVG 2004 (BGBl. I S. 3592) sowie in § 103 Abs. 1 und 2 SVG getroffenen Vorschriften das besondere Recht der Einsatzversorgung mit Regelungen zur Dienstunfallfürsorge und der Wiedereingliederung. Der Ruhegehaltsanspruch, den § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 mit ausgestaltet, unterscheidet sich aber nach Funktion, Voraussetzungen und Rechtsfolge wesentlich vom Recht der Einsatzversorgung nach dem durch die Verweisung in Bezug genommenen § 63c SVG 2004.

15 Das in die Vorschriften der §§ 63c bis 63g SVG im Jahre 2004 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügte Einsatzversorgungsrecht umfasst grundsätzlich alle Leistungen der Dienstunfallfürsorge, allerdings angepasst an die Erfordernisse besonderer Auslandsverwendungen. Dazu zählen nach § 63c Abs. 3 SVG 2004 insbesondere der Schadensausgleich in besonderen Fällen (§ 63b), das Unfallruhegehalt (§ 63d) und die einmalige Entschädigung (§ 63e). Der Schutzzweck des Einsatzversorgungsrechts liegt in der verbesserten Absicherung von Soldaten gegenüber den Folgen einer anlässlich einer besonderen Auslandsverwendung erlittenen gesundheitlichen Schädigung.

16 Funktionell mit dem Einsatzversorgungsrecht verwandt ist das Recht der Einsatz-Weiterverwendung, das durch das Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen vom 12. Dezember 2007 zum 18. Dezember 2007 geschaffen worden ist (Einsatz-Weiterverwendungsgesetz - EinsatzWVG - BGBl. I S. 2861). Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz dient einer verbesserten Absicherung einsatzgeschädigter Soldaten dadurch, dass diesen insbesondere die Herstellung der Dienstfähigkeit für die Wiederaufnahme der bisherigen beruflichen Tätigkeit, für eine Weiterverwendung beim Bund oder für eine sonstige Eingliederung in das Arbeitsleben sowie die hierfür erforderliche berufliche Qualifizierung im Soldatenstatus ermöglicht werden. Es handelt sich mithin um ein besonderes Wiedereingliederungsrecht. Der Begriff der "Einsatzgeschädigten" (§ 1 EinsatzWVG) als zentrale persönliche Anspruchsvoraussetzung knüpft an einen Einsatzunfall i.S.v. § 63c Abs. 2 SVG 2004 an, der wiederum eine besondere Auslandsverwendung im Sinne von § 63c Abs. 1 SVG 2004 voraussetzt.

17 Materiell handelt es sich sowohl bei dem Recht der Einsatzversorgung als auch bei demjenigen der Einsatz-Weiterverwendung um Unfallfürsorgerecht und damit um Soldatenversorgungsrecht in einem weiteren Sinne. Maßgeblich ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Schadensereignisses, d.h. im Zeitpunkt des Einsatzunfalls. Beide Institute setzen einen Einsatzunfall voraus und unterscheiden sich damit schon in ihren tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen vom Ruhegehaltsanspruch, für den es maßgeblich auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Zurruhesetzung ankommt (Versorgungsfallprinzip). Die Verschiedenheit des Ruhegehaltsrechts einerseits und des Einsatzversorgungsrechts als besonderes Dienstunfallrecht andererseits legt es nicht nahe, die Rechtsvorschriften trotz unterschiedlichen zeitlichen Anknüpfungspunkts einheitlich auszulegen. Dies deutet eher darauf hin, dass die Verweisung in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 allein auf die Legaldefinition der besonderen Auslandsverwendung in § 63c Abs. 1 SVG 2004 gerichtet ist.

18 d) Aus den verschiedenen maßgeblichen Zeitpunkten - d.h. dem Zeitpunkt des Schadensereignisses oder dem Zeitpunkt der Zurruhesetzung - folgt nach Sinn und Zweck der Regelungen, dass der Gesetzgeber im Einsatzversorgungsrecht, um (überhaupt) eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs zu bewirken, dies ausdrücklich regeln muss, während aufgrund des im Ruhegehaltsrecht geltenden Versorgungsfallprinzips eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs gleichsam von selbst eintritt mit der Folge, dass eine Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs nur erforderlich ist, wenn dieser entsprechend dem Gestaltungsanliegen des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Datum in der Vergangenheit begrenzt werden soll. Dementsprechend ist aus der Gesetzesbegründung zur Übergangsregelung in § 103 Abs. 2 SVG 2015 (BGBl. I S. 796) zu ersehen, dass der Gesetzgeber sich bei der Schaffung der Vorschrift der allgemeinen Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Normanwendung bewusst war und er mit der Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf den 1. November 1991 - anders als mit § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - ein konkretes Gestaltungsanliegen verfolgt hat.

19 Für die Auslegung bedeutsam sind weiter Sinn und Zweck der in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 76e SGB VI 2011 andererseits enthaltenen unterschiedlichen Voraussetzungen. Während § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 die doppelte Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen für Berufssoldaten mit Pensionsanspruch regelt, verbessert § 76e SGB VI 2011 spiegelbildlich die rentenrechtliche Absicherung der Zivilbediensteten sowie der Helfer des Technischen Hilfswerks und der Soldaten ohne Pensionsanspruch, also von Soldaten auf Zeit und von Soldaten, die aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung eine Auslandsverwendung im Rahmen des Wehrdienstes leisten oder die im Rahmen ihrer Dienstleistungspflicht nach § 62 SG zu einer besonderen Auslandsverwendung herangezogen werden (insbesondere Reservisten).

20 Nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 werden für Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 SVG 2004 ab dem 13. Dezember 2011 Zuschläge an Entgeltpunkten zu den in diesem Monat erworbenen Pflichtbeiträgen gewährt, wenn während dieser Zeiten Pflichtbeitragszeiten vorliegen und nach dem 30. November 2002 insgesamt mindestens 180 Tage an Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung vorliegen, die jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Wie insbesondere an der identisch formulierten tatbestandlichen Anknüpfung an § 63c Abs. 1 SVG 2004 und den gleichen sachlichen Anforderungen an die Dauer der Einsatzzeiten zu erkennen ist, handelt es sich bei § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 um die funktionale Entsprechung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetz benennt die zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 analoge Funktion der Vorschrift, die Belastungen durch besondere Auslandsverwendungen verstärkt anzuerkennen (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 21), und behandelt die beiden Vorschriften aufgrund dessen in einem inhaltlichen Zusammenhang (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 1).

21 Die verbesserte rentenrechtliche Absicherung in Form von Zuschlägen an Entgeltpunkten nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gilt indes aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung - und dem Wortlaut nach damit wiederum abweichend von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - nur für Zeiten der besonderen Auslandsverwendung, für die bereits Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ab Dezember 2002 erworben wurden. Die Pflichtbeitragszeit muss aus der besonderen Verwendung im Ausland herrühren; sie bleibt dem ehemaligen Soldaten erhalten, wenn er nachversichert wird (vgl. Brall, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 76e Rn. 9; Gürtner, in: Kasseler Kommentar, SGB VI, Stand März 2021, § 76e Rn. 3). Denn nach § 185 Abs. 2 i.V.m. § 186a Abs. 1 und § 188 Abs. 1 SGB VI gelten auch Nachversicherungsbeiträge als rechtzeitig gezahlte Pflichtbeiträge. Außerdem unterscheiden sich beide Modelle darin, dass die doppelte Berücksichtigung der besonderen Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 durch den Ruhegehaltshöchstsatz von 71,75 v.H. gedeckelt ist, während die Zuschläge für die Entgeltpunkte nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gemeinsam mit den Entgeltpunkten für die versicherte Beschäftigung die Entgeltpunkte überschreiten dürfen, die sich aus Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze ergeben.

22 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nach der gesetzlichen Regelungstechnik in der Rechtsfolge um eine Vorschrift handelt, die die Entscheidung über eine doppelte ruhegehaltfähige Berücksichtigung der Zeiten besonderer Auslandsverwendung - grundsätzlich - ins pflichtgemäße Ermessen der Versorgungsbehörde legt ("können"). Dagegen handelt es sich bei der Entscheidung der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 über die Zuschläge an Entgeltpunkten infolge Zeiten besonderer Auslandsverwendung um eine in der Rechtsfolge gesetzlich gebundene Entscheidung ("werden").

23 e) Es ist Sache des Gesetzgebers, eine im Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 Niederschlag findende Stichtagsregelung für das Einsetzen der Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu bestimmen. Daran fehlt es bisher. Im Wortlaut der Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 ist dies gelungen. Im gewaltengeteilten Staat des Grundgesetzes ist es nicht Aufgabe der Gerichte, einer von Verwaltungsbehörden für zutreffend gehaltenen Gesetzesanwendung, die sich nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen dem Gesetz, insbesondere dem Gesetzeswortlaut, nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen lässt, Geltung zu verschaffen. Derartige Regelungsdefizite muss der Gesetzgeber selbst beheben (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 C 11.20 - Buchholz 239.2 LBeamtVersorgR Nr. 5 Rn. 40).

24 2. Die Beklagte hat aber das ihr in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG eingeräumte Ermessen mit dem Bescheid vom 5. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30. April 2018 noch nicht fehlerfrei ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO).

25 Zwar wird in dem Widerspruchsbescheid ausgeführt, das Ermessen der Versorgungsbehörde sei zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung im Rahmen der Doppelanrechnung durch die Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung vom 8. März 2012 (PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 -), vom 23. August 2012 (PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -) und vom 16. August 2013 (PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -) dahingehend gebunden worden, dass nach dem 30. November 2002 erbrachte Zeiten besonderer Auslandsverwendung stets mit dem Doppelten der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit zu berücksichtigen seien. Insoweit enthalten die genannten Erlasse zwar die Verwaltungspraxis leitende Ermessungserwägungen; diese beziehen sich jedoch nur auf Auslandsverwendungen nach dem darin bezeichneten Stichtag, nicht aber auf die hier streitigen Verwendungen, die vor diesem Stichtag liegen.

26 Eine fehlerfreie Ermessensausübung steht damit noch aus. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens wird die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen insbesondere einstellen müssen, dass nach ihrer behördeninternen Erlasslage für von Soldaten nach dem 30. November 2002 absolvierte Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen sind. Abgestufte Regelungen sind danach ausgeschlossen (Ziff. 4 der Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung vom 23. August 2012 zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->). Die Beklagte hat das ihr gesetzlich eingeräumte Einzelfallermessen damit durch Verwaltungsvorschrift dahingehend generalisiert, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in der Rechtsfolge bei Zeiten besonderer Auslandsverwendungen stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. Nach dieser - allerdings abänderbaren - Ermessenspraxis hat sie sich auch bei der Bewertung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 zu richten.

27 Die Beklagte hat folglich das ihr in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eingeräumte Ermessen nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt (vgl. § 40 VwVfG und § 114 Satz 1 VwGO) und ist daher zu verpflichten, über den Antrag des Klägers eine neue, fehlerfreie Ermessensentscheidung unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu treffen.

28 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteil vom 09.09.2021 -
BVerwG 2 C 16.20ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C16.20.0

Urteil

BVerwG 2 C 16.20

  • VG Hamburg - 07.09.2018 - AZ: VG 20 K 2928/18
  • OVG Hamburg - 23.04.2020 - AZ: OVG 5 Bf 381/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung
und Dollinger sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg vom 23. April 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass über den Antrag des Klägers auf Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu entscheiden ist.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein Soldat im Ruhestand, beansprucht die Neufestsetzung seines Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendung.

2 Der 1955 geborene Kläger stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 31. März 2018 als Berufssoldat, zuletzt im Rang eines Oberfeldarztes, im Dienst der Beklagten. Im Zeitraum zwischen April 1996 und November 1999 absolvierte er zwei mindestens 30-tägige Auslandsverwendungen im Rahmen von IFOR- und KFOR-Einsätzen in Bosnien und Herzegowina und im Kosovo mit einer Gesamteinsatzzeit von 195 Tagen.

3 Mit Bescheid vom 3. April 2018 setzte die Generalzolldirektion die Versorgungsbezüge des Klägers auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 68,16 v.H. fest. Mit gesondertem Bescheid vom 5. April 2018 lehnte die Beklagte es ab, vor dem 1. Dezember 2002 geleistete Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung als doppelt ruhegehaltfähig anzurechnen. Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies sie zurück.

4 Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, die Versorgungsbezüge des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu festzusetzen. Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung könnten bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert hätten. Die Auslandseinsätze des Klägers erfüllten diese Voraussetzungen. Sie seien bei der Festsetzung der Altersbezüge des Klägers zu berücksichtigen, obwohl sie vor dem 1. Dezember 2002 gelegen hätten.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger habe Anspruch auf Berücksichtigung der von ihm im Zeitraum vor Dezember 2002 absolvierten Zeiten von besonderen Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten. Einer Doppelanrechnung der streitgegenständlichen Auslandseinsatzzeiten stehe nicht entgegen, dass sie sämtlich vor dem Inkrafttreten der einschlägigen soldatenversorgungsgesetzlichen Regelung über besondere Auslandsverwendungen am 1. Dezember 2002 lägen. Zudem habe die Beklagte das ihr bei der Doppelberechnung eingeräumte Rechtsfolgeermessen noch nicht fehlerfrei ausgeübt. Die von ihr bei der Ermessensausübung zugrunde gelegten Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung seien dazu nicht geeignet, weil sie die Berücksichtigung von vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten besonderen Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten generell ausschlössen.

6 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. April 2020 und des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 7. September 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision der Beklagten.

II

9 Die zulässige Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass über den Antrag des - nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen - Klägers auf Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit nicht nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, sondern nach der des Bundesverwaltungsgerichts zu entscheiden ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Beklagte hat das ihr im Rahmen dieser Entscheidung zustehende Ermessen bislang nicht fehlerfrei ausgeübt.

10 1. Der streitgegenständliche Anspruch folgt aus der am 13. Dezember 2011 in Kraft getretenen Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz) vom 5. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2458 - SVG 2011). Die Vorschrift bestimmt, dass die Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Der erstmals durch Art. 2 Nr. 10 Einsatzversorgungsgesetz vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3592) rückwirkend zum 1. Dezember 2002 in Kraft getretene § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG (SVG 2004) definiert eine besondere Auslandsverwendung als eine Verwendung aufgrund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen, für die ein Beschluss der Bundesregierung vorliegt.

11 a) Der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, dass besondere Auslandsverwendungen i.S.v. § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 für Soldaten, die nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getreten sind, auch für Zeiträume vor dem 1. Dezember 2002 berücksichtigt werden können. Denn die Regelung enthält - anders als die zeitgleich durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz (Art. 6 Ziff. 3) für gesetzlich Rentenversicherte geschaffene Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 - keine zeitliche Einschränkung dahingehend, dass bei der Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten nur besondere Auslandsverwendungen ab dem 1. Dezember 2002 Berücksichtigung finden. Die von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in Bezug genommene Regelung des § 63c Abs. 1 SVG 2004 ihrerseits beschränkt sich auf eine Definition des Tatbestands der besonderen Auslandsverwendung. Eine ausdrückliche zeitliche Einschränkung der Definition etwa dahingehend, dass besondere Auslandsverwendungen nur solche ab einem bestimmten Zeitpunkt sind, enthält auch diese Vorschrift nicht. Aus dem Wortlaut der Norm lassen sich also keine Anknüpfungspunkte für die von der Beklagten nach Maßgabe ihrer behördeninternen Verwaltungsvorschriften (Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->, vom 23. August 2012 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -> und vom 16. August 2013 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 ->) vorgenommene Auslegung entnehmen, dass eine Doppelanrechnung von im Auslandseinsatz absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen erst ab dem 1. Dezember 2002 möglich ist. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Beklagten geäußerte Ansicht, man habe es als "Erlasshalter" für ausreichend gehalten, das - seitens des Bundesministeriums - "Gewollte" im Erlasswege, nämlich in den vorbezeichneten Anwendungshinweisen, zu regeln, ist insoweit unbehelflich.

12 b) Die Entstehungsgeschichte von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 63c Abs. 1 SVG 2004 andererseits ist für die Beantwortung der Frage nach der zeitlichen Reichweite der ruhegehaltrechtlich doppelt berücksichtigungsfähigen Zeiten besonderer Auslandsverwendungen unergiebig. Zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 enthält sich die Begründung des Gesetzesentwurfs jeder Stellungnahme zur Frage, ob die doppelte Anrechnung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen auch auf solche Auslandseinsätze zu erstrecken ist, die Soldaten vor dem 1. Dezember 2002 absolviert haben (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 15). Auch aus der Vorgeschichte des Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetzes 2011 - dem Einsatzversorgungsgesetz 2004 - ergibt sich nichts für oder gegen eine doppelte Ruhegehaltsanrechnung für Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 24). Die Einzelbegründung des Gesetzgebers zu der Vorschrift, in der die "besondere Auslandsverwendung" legal definiert wird - § 63c Abs. 1 SVG 2004 -, verhält sich ebenfalls nicht zur Frage der zeitlichen Rückerstreckung von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 auf Sachverhalte vor dem 1. Dezember 2002 (vgl. BT-Drs. 15/3416, S. 18). Nichts anderes ergibt sich aus den Materialien zum Einsatz-Weiterverwendungsgesetz 2007, das ausschließlich Regelungen zugunsten besonderer Auslandsverwendungen "einsatzgeschädigter Soldaten" zum Gegenstand hat (vgl. BT-Drs. 16/6564 S. 15). Auch die weitere Rückerstreckung von Einsatzversorgungsleistungen für im Ausland verunfallte Soldaten auf die Zeit ab dem 1. November 1991 durch das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz 2015 hat ausschließlich "schwer gesundheitlich geschädigte Personen" in den Blick genommen, die trotz zum Teil erheblicher Gefährdungslagen zum Beispiel im Bosnien- und Kosovoeinsatz bis dahin nicht dieselbe versorgungsrechtliche Absicherung wie ab dem 1. Dezember 2002 im Einsatz Geschädigte besaßen (BT-Drs. 18/3697 S. 63). Schließlich beschränken sich auch die in diesem Zusammenhang jüngsten gesetzlichen Änderungen durch das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz 2019 - § 63c Abs. 1 SVG 2019 (BGBl. I S. 1147 <3054>) - nach der Gesetzesbegründung allein auf die unfallrechtliche Einsatzversorgung; allgemeine Fragen der Ruhegehaltsberechnung haben sie nicht zum Gegenstand (vgl. BT-Drs. 19/9491 S. 139).

13 c) In gesetzessystematischer Hinsicht ist zu differenzieren: Nach der gesetzlichen Systematik des Soldatenversorgungsgesetzes ist zu beachten, dass § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eine allein ruhegehaltbezogene Rechtsfrage in Anknüpfung an die "besondere Auslandsverwendung" beantwortet. Dagegen beinhalten die in §§ 63c bis 63g SVG 2004 (BGBl. I S. 3592) sowie in § 103 Abs. 1 und 2 SVG getroffenen Vorschriften das besondere Recht der Einsatzversorgung mit Regelungen zur Dienstunfallfürsorge und der Wiedereingliederung. Der Ruhegehaltsanspruch, den § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 mit ausgestaltet, unterscheidet sich aber nach Funktion, Voraussetzungen und Rechtsfolge wesentlich vom Recht der Einsatzversorgung nach dem durch die Verweisung in Bezug genommenen § 63c SVG 2004.

14 Das in die Vorschriften der §§ 63c bis 63g SVG im Jahre 2004 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügte Einsatzversorgungsrecht umfasst grundsätzlich alle Leistungen der Dienstunfallfürsorge, allerdings angepasst an die Erfordernisse besonderer Auslandsverwendungen. Dazu zählen nach § 63c Abs. 3 SVG 2004 insbesondere der Schadensausgleich in besonderen Fällen (§ 63b), das Unfallruhegehalt (§ 63d) und die einmalige Entschädigung (§ 63e). Der Schutzzweck des Einsatzversorgungsrechts liegt in der verbesserten Absicherung von Soldaten gegenüber den Folgen einer anlässlich einer besonderen Auslandsverwendung erlittenen gesundheitlichen Schädigung.

15 Funktionell mit dem Einsatzversorgungsrecht verwandt ist das Recht der Einsatz-Weiterverwendung, das durch das Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen vom 12. Dezember 2007 zum 18. Dezember 2007 geschaffen worden ist (Einsatz-Weiterverwendungsgesetz - EinsatzWVG - BGBl. I S. 2861). Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz dient einer verbesserten Absicherung einsatzgeschädigter Soldaten dadurch, dass diesen insbesondere die Herstellung der Dienstfähigkeit für die Wiederaufnahme der bisherigen beruflichen Tätigkeit, für eine Weiterverwendung beim Bund oder für eine sonstige Eingliederung in das Arbeitsleben sowie die hierfür erforderliche berufliche Qualifizierung im Soldatenstatus ermöglicht werden. Es handelt sich mithin um ein besonderes Wiedereingliederungsrecht. Der Begriff der "Einsatzgeschädigten" (§ 1 EinsatzWVG) als zentrale persönliche Anspruchsvoraussetzung knüpft an einen Einsatzunfall i.S.v. § 63c Abs. 2 SVG 2004 an, der wiederum eine besondere Auslandsverwendung i.S.v. § 63c Abs. 1 SVG 2004 voraussetzt.

16 Materiell handelt es sich sowohl bei dem Recht der Einsatzversorgung als auch bei demjenigen der Einsatz-Weiterverwendung um Unfallfürsorgerecht und damit um Soldatenversorgungsrecht in einem weiteren Sinne. Maßgeblich ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Schadensereignisses, d.h. im Zeitpunkt des Einsatzunfalls. Beide Institute setzen einen Einsatzunfall voraus und unterscheiden sich damit schon in ihren tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen vom Ruhegehaltsanspruch, für den es maßgeblich auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Zurruhesetzung ankommt (Versorgungsfallprinzip). Die Verschiedenheit des Ruhegehaltsrechts einerseits und des Einsatzversorgungsrechts als besonderes Dienstunfallrecht andererseits legt es nicht nahe, die Rechtsvorschriften trotz unterschiedlichen zeitlichen Anknüpfungspunkts einheitlich auszulegen. Dies deutet eher darauf hin, dass die Verweisung in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 allein auf die Legaldefinition der besonderen Auslandsverwendung in § 63c Abs. 1 SVG 2004 gerichtet ist.

17 d) Aus den verschiedenen maßgeblichen Zeitpunkten - d.h. dem Zeitpunkt des Schadensereignisses oder dem Zeitpunkt der Zurruhesetzung - folgt nach Sinn und Zweck der Regelungen, dass der Gesetzgeber im Einsatzversorgungsrecht, um (überhaupt) eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs zu bewirken, dies ausdrücklich regeln muss, während aufgrund des im Ruhegehaltsrecht geltenden Versorgungsfallprinzips eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs gleichsam von selbst eintritt mit der Folge, dass eine Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs nur erforderlich ist, wenn dieser entsprechend dem Gestaltungsanliegen des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Datum in der Vergangenheit begrenzt werden soll. Dementsprechend ist aus der Gesetzesbegründung zur Übergangsregelung in § 103 Abs. 2 SVG 2015 (BGBl. I S. 796) zu ersehen, dass der Gesetzgeber sich bei der Schaffung der Vorschrift der allgemeinen Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Normanwendung bewusst war und er mit der Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf den 1. November 1991 - anders als mit § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - ein konkretes Gestaltungsanliegen verfolgt hat.

18 Für die Auslegung bedeutsam sind weiter Sinn und Zweck der in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 76e SGB VI 2011 andererseits enthaltenen unterschiedlichen Voraussetzungen. Während § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 die doppelte Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen für Berufssoldaten mit Pensionsanspruch regelt, verbessert § 76e SGB VI 2011 spiegelbildlich die rentenrechtliche Absicherung der Zivilbediensteten sowie der Helfer des Technischen Hilfswerks und der Soldaten ohne Pensionsanspruch, also von Soldaten auf Zeit und von Soldaten, die aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung eine Auslandsverwendung im Rahmen des Wehrdienstes leisten oder die im Rahmen ihrer Dienstleistungspflicht nach § 62 SG zu einer besonderen Auslandsverwendung herangezogen werden (insbesondere Reservisten).

19 Nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 werden für Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 SVG 2004 ab dem 13. Dezember 2011 Zuschläge an Entgeltpunkten zu den in diesem Monat erworbenen Pflichtbeiträgen gewährt, wenn während dieser Zeiten Pflichtbeitragszeiten vorliegen und nach dem 30. November 2002 insgesamt mindestens 180 Tage an Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung vorliegen, die jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Wie insbesondere an der identisch formulierten tatbestandlichen Anknüpfung an § 63c Abs. 1 SVG 2004 und den gleichen sachlichen Anforderungen an die Dauer der Einsatzzeiten zu erkennen ist, handelt es sich bei § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 um die funktionale Entsprechung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetz benennt die zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 analoge Funktion der Vorschrift, die Belastungen durch besondere Auslandsverwendungen verstärkt anzuerkennen (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 21), und behandelt die beiden Vorschriften aufgrund dessen in einem inhaltlichen Zusammenhang (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 1).

20 Die verbesserte rentenrechtliche Absicherung in Form von Zuschlägen an Entgeltpunkten nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gilt indes aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung - und dem Wortlaut nach damit wiederum abweichend von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - nur für Zeiten der besonderen Auslandsverwendung, für die bereits Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ab Dezember 2002 erworben wurden. Die Pflichtbeitragszeit muss aus der besonderen Verwendung im Ausland herrühren; sie bleibt dem ehemaligen Soldaten erhalten, wenn er nachversichert wird (vgl. Brall, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 76e Rn. 9; Gürtner, in: Kasseler Kommentar, SGB VI, Stand März 2018, § 76e Rn. 3). Denn nach § 185 Abs. 2 i.V.m. § 186a Abs. 1 und § 188 Abs. 1 SGB VI gelten auch Nachversicherungsbeiträge als rechtzeitig gezahlte Pflichtbeiträge. Außerdem unterscheiden sich beide Modelle darin, dass die doppelte Berücksichtigung der besonderen Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 durch den Ruhegehaltshöchstsatz von 71,75 v.H. gedeckelt ist, während die Zuschläge für die Entgeltpunkte nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gemeinsam mit den Entgeltpunkten für die versicherte Beschäftigung die Entgeltpunkte überschreiten dürfen, die sich aus Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze ergeben.

21 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nach der gesetzlichen Regelungstechnik in der Rechtsfolge um eine Vorschrift handelt, die die Entscheidung über eine doppelte ruhegehaltfähige Berücksichtigung der Zeiten besonderer Auslandsverwendung - grundsätzlich - ins pflichtgemäße Ermessen der Versorgungsbehörde legt ("können"). Dagegen handelt es sich bei der Entscheidung der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 über die Zuschläge an Entgeltpunkten infolge Zeiten besonderer Auslandsverwendung um eine in der Rechtsfolge gesetzlich gebundene Entscheidung ("werden").

22 e) Es ist Sache des Gesetzgebers, eine im Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 Niederschlag findende Stichtagsregelung für das Einsetzen der Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu bestimmen. Daran fehlt es bisher. Im Wortlaut der Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 ist dies gelungen. Im gewaltengeteilten Staat des Grundgesetzes ist es nicht Aufgabe der Gerichte, einer von Verwaltungsbehörden für zutreffend gehaltenen Gesetzesanwendung, die sich nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen dem Gesetz, insbesondere dem Gesetzeswortlaut, nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen lässt, Geltung zu verschaffen. Derartige Regelungsdefizite muss der Gesetzgeber selbst beheben (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 C 11.20 - Buchholz 239.2 LBeamtVersorgR Nr. 5 Rn. 40).

23 2. Die Beklagte hat aber das ihr durch § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG eingeräumte Ermessen mit dem Bescheid vom 5. April 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids 9. Mai 2018 noch nicht fehlerfrei ausgeübt (§ 114 Satz 1 VwGO).

24 Zwar hat die Beklagte ausgeführt, das Ermessen der Versorgungsbehörde sei zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung im Rahmen der Doppelanrechnung durch die Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung vom 8. März 2012 (PSZ III 3 - Az. 20-01-01/45 -), vom 23. August 2012 (PSZ III 3 - Az. 20-02-08/07) und vom 16. August 2013 (PSZ III 3 - Az. 20-02-08/07 -) dahingehend gebunden worden, dass nach dem 30. November 2002 erbrachte Zeiten besonderer Auslandsverwendung stets mit dem Doppelten der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit zu berücksichtigen seien. Insoweit enthalten die genannten Erlasse zwar die Verwaltungspraxis leitende Ermessungserwägungen; diese beziehen sich jedoch nur auf Auslandsverwendungen nach dem darin bezeichneten Stichtag, nicht aber auf die hier streitigen Verwendungen, die vor diesem Stichtag liegen.

25 Eine fehlerfreie Ermessensausübung steht damit noch aus. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens wird die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen insbesondere einstellen müssen, dass nach ihrer behördeninternen Erlasslage für von Soldaten nach dem 30. November 2002 absolvierte Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen sind. Abgestufte Regelungen sind danach ausgeschlossen (Ziff. 4 der Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung vom 23. August 2012 zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->). Die Beklagte hat das ihr gesetzlich eingeräumte Einzelfallermessen damit durch Verwaltungsvorschrift dahingehend generalisiert, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in der Rechtsfolge bei Zeiten besonderer Auslandsverwendungen stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. Nach dieser - allerdings abänderbaren - Ermessenspraxis hat sie sich auch bei der Bewertung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 zu richten.

26 Die Beklagte hat folglich das ihr in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eingeräumte Ermessen nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt (vgl. § 40 VwVfG und § 114 Satz 1 VwGO) und ist daher zu verpflichten, über den Antrag des Klägers eine neue, fehlerfreie Ermessensentscheidung unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu treffen.

27 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteil vom 09.09.2021 -
BVerwG 2 C 34.20ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C34.20.0

Urteil

BVerwG 2 C 34.20

  • VG Schleswig - 12.09.2017 - AZ: VG 12 A 100/17
  • OVG Schleswig - 10.09.2020 - AZ: OVG 2 LB 8/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung
und Dollinger sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass über den Antrag des Klägers auf Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu entscheiden ist.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein Soldat im Ruhestand, beansprucht die Neufestsetzung seines Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung.

2 Der 1960 geborene Kläger stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand mit Ablauf des 29. Februar 2016 als Berufssoldat, zuletzt im Rang eines Hauptmanns, im Dienst der Beklagten. In den Jahren 2001 und 2006 absolvierte er jeweils einen KFOR-Auslandseinsatz im Kosovo.

3 Mit Bescheid vom 1. März 2016 setzte die Generalzolldirektion die Versorgungsbezüge des Klägers auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 69,65 v.H. fest; hierbei wurden nur nach dem 1. Dezember 2002 geleistete Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung doppelt angerechnet, die insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert hatten. Den darauf am 12. Februar 2017 bei ihr eingegangenen Antrag des Klägers, sein Ruhegehalt unter doppelter Berücksichtigung auch der vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen neu festzusetzen, lehnte die Generalzolldirektion mit Bescheid vom 13. April 2017 in der Sache ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers wies sie zurück.

4 Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, über den Ruhegehaltssatz des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Zwar habe der Kläger keinen Rechtsanspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gehabt. Die Beklagte habe vorliegend aber durch den Bescheid vom 13. April 2017 erneut in der Sache entschieden und dabei zu Unrecht von dem Kläger vor dem 1. Dezember 2002 absolvierte Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nicht als doppelt ruhegehaltfähig berücksichtigt.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verpflichtet wird, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über den Antrag des Klägers auf doppelte Berücksichtigung der Zeiten seiner besonderen Auslandsverwendung vom 8. Mai 2001 bis zum 10. November 2001 im Kosovo als ruhegehaltfähige Dienstzeit erneut zu entscheiden. Der bestandskräftige Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 1. März 2016 stehe dem Anspruch des Klägers auf Neubescheidung nicht entgegen, weil die Beklagte das Verfahren wiederaufgegriffen und erneut in der Sache entschieden habe. Der Kläger habe rückwirkend zum 1. März 2016 grundsätzlich Anspruch auf Berücksichtigung der von ihm im Zeitraum vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit. Bei der Ausübung ihres Ermessens habe die Beklagte im Hinblick auf ihre gegenwärtige Verwaltungspraxis zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber zwischen Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung vor und nach dem 1. Dezember 2002 nicht unterscheide.

6 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 2020 und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 12. September 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision der Beklagten.

II

9 Die zulässige Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass sich die Neubescheidung des Antrags des - nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen - Klägers darauf, dass auch seine vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Auslandseinsätze als Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, nicht nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, sondern nach der des Bundesverwaltungsgerichts richtet (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO).

10 Die Beklagte hat auf den Antrag des Klägers vom 17. Februar 2017 durch ihren Bescheid vom 13. April 2017 das Verfahren nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG wiederaufgegriffen und in der Sache - wie im Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 1. März 2016 - erneut entschieden (sog. Zweitbescheid), dass seine vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nicht als doppelt ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können (1.). Die Beklagte hat das ihr nach demnach durchgeführtem Wiederaufgreifen des Verfahrens eröffnete Ermessen allerdings nicht fehlerfrei ausgeübt; deshalb hat sie über den Antrag des Klägers auf Neufestsetzung seiner Versorgungsbezüge nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts erneut zu entscheiden (2.).

11 1. Der streitgegenständliche Anspruch folgt aus der am 13. Dezember 2011 in Kraft getretenen Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz) vom 5. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2458 - SVG 2011), dass die Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Der erstmals durch Art. 2 Nr. 10 Einsatzversorgungsgesetz vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3592) rückwirkend zum 1. Dezember 2002 in Kraft getretene § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG (SVG 2004) definiert eine besondere Auslandsverwendung als eine Verwendung aufgrund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen, für die ein Beschluss der Bundesregierung vorliegt.

12 a) Der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, dass besondere Auslandsverwendungen i.S.v. § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 für Soldaten, die nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getreten sind, auch für Zeiträume vor dem 1. Dezember 2002 berücksichtigt werden können. Denn die Regelung enthält - anders als die zeitgleich durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz (Art. 6 Ziff. 3) für gesetzlich Rentenversicherte geschaffene Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 - keine zeitliche Einschränkung dahingehend, dass bei der Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten nur besondere Auslandsverwendungen ab dem 1. Dezember 2002 Berücksichtigung finden. Die von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in Bezug genommene Regelung des § 63c Abs. 1 SVG 2004 ihrerseits beschränkt sich auf eine Definition des Tatbestands der besonderen Auslandsverwendung. Eine ausdrückliche zeitliche Einschränkung der Definition etwa dahingehend, dass besondere Auslandsverwendungen nur solche ab einem bestimmten Zeitpunkt sind, enthält auch diese Vorschrift nicht. Aus dem Wortlaut der Norm lassen sich also keine Anknüpfungspunkte für die von der Beklagten nach Maßgabe ihrer behördeninternen Verwaltungsvorschriften (Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->, vom 23. August 2012 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -> und vom 16. August 2013 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 ->) vorgenommene Auslegung entnehmen, dass eine Doppelanrechnung von im Auslandseinsatz absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen erst ab dem 1. Dezember 2002 möglich ist. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Beklagtenseite geäußerte Ansicht, man habe es als "Erlasshalter" für ausreichend gehalten, das - seitens des Bundesministeriums - "Gewollte" im Erlasswege, nämlich in den vorbezeichneten Anwendungshinweisen, zu regeln, ist insoweit unbehelflich.

13 b) Die Entstehungsgeschichte von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 63c Abs. 1 SVG 2004 andererseits ist für die Beantwortung der Frage nach der zeitlichen Reichweite der ruhegehaltrechtlich doppelt berücksichtigungsfähigen Zeiten besonderer Auslandsverwendungen unergiebig. Zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 enthält sich die Begründung des Gesetzesentwurfs jeder Stellungnahme zur Frage, ob die doppelte Anrechnung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen auch auf solche Auslandseinsätze zu erstrecken ist, die Soldaten vor dem 1. Dezember 2002 absolviert haben (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 15). Auch aus der Vorgeschichte des Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetzes 2011 - dem Einsatzversorgungsgesetz 2004 - ergibt sich nichts für oder gegen eine doppelte Ruhegehaltsanrechnung für Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 24). Die Einzelbegründung des Gesetzgebers zu der Vorschrift, in der die "besondere Auslandsverwendung" legal definiert wird - § 63c Abs. 1 SVG 2004 -, verhält sich ebenfalls nicht zur Frage der zeitlichen Rückerstreckung von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 auf Sachverhalte vor dem 1. Dezember 2002 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 18). Nichts anderes ergibt sich aus den Materialien zum Einsatz-Weiterverwendungsgesetz 2007, das ausschließlich Regelungen zugunsten besonderer Auslandsverwendungen "einsatzgeschädigter Soldaten" zum Gegenstand hat (vgl. BT-Drs. 16/6564 S. 15). Auch die weitere Rückerstreckung von Einsatzversorgungsleistungen für im Ausland verunfallte Soldaten auf die Zeit ab dem 1. November 1991 durch das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz 2015 hat ausschließlich "schwer gesundheitlich geschädigte Personen" in den Blick genommen, die trotz zum Teil erheblicher Gefährdungslagen zum Beispiel im Bosnien- und Kosovoeinsatz bis dahin nicht dieselbe versorgungsrechtliche Absicherung wie ab dem 1. Dezember 2002 im Einsatz Geschädigte besaßen (BT-Drs. 18/3697 S. 63). Schließlich beschränken sich auch die in diesem Zusammenhang jüngsten gesetzlichen Änderungen durch das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz 2019 - § 63c Abs. 1 SVG 2019 (BGBl. I S. 1147 <3054>) - nach der Gesetzesbegründung allein auf die unfallrechtliche Einsatzversorgung; allgemeine Fragen der Ruhegehaltsberechnung haben sie nicht zum Gegenstand (vgl. BT-Drs. 19/9491 S. 139).

14 c) In gesetzessystematischer Hinsicht ist zu differenzieren: Nach der gesetzlichen Systematik des Soldatenversorgungsgesetzes ist zu beachten, dass § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eine allein ruhegehaltbezogene Rechtsfrage in Anknüpfung an die "besondere Auslandsverwendung" beantwortet. Dagegen beinhalten die in §§ 63c bis 63g SVG 2004 (BGBl. I S. 3592) sowie in § 103 Abs. 1 und Abs. 2 SVG getroffenen Vorschriften das besondere Recht der Einsatzversorgung mit Regelungen zur Dienstunfallfürsorge und der Wiedereingliederung. Der Ruhegehaltsanspruch, den § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 mit ausgestaltet, unterscheidet sich aber nach Funktion, Voraussetzungen und Rechtsfolge wesentlich vom Recht der Einsatzversorgung nach dem durch die Verweisung in Bezug genommenen § 63c SVG 2004.

15 Das in die Vorschriften der §§ 63c bis 63g SVG im Jahre 2004 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügte Einsatzversorgungsrecht umfasst grundsätzlich alle Leistungen der Dienstunfallfürsorge, allerdings angepasst an die Erfordernisse besonderer Auslandsverwendungen. Dazu zählen nach § 63c Abs. 3 SVG 2004 insbesondere der Schadensausgleich in besonderen Fällen (§ 63b), das Unfallruhegehalt (§ 63d) und die einmalige Entschädigung (§ 63e). Der Schutzzweck des Einsatzversorgungsrechts liegt in der verbesserten Absicherung von Soldaten gegenüber den Folgen einer anlässlich einer besonderen Auslandsverwendung erlittenen gesundheitlichen Schädigung.

16 Funktionell mit dem Einsatzversorgungsrecht verwandt ist das Recht der Einsatz-Weiterverwendung, das durch das Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen vom 12. Dezember 2007 zum 18. Dezember 2007 geschaffen worden ist (Einsatz-Weiterverwendungsgesetz - EinsatzWVG - BGBl. I S. 2861). Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz dient einer verbesserten Absicherung einsatzgeschädigter Soldaten dadurch, dass diesen insbesondere die Herstellung der Dienstfähigkeit für die Wiederaufnahme der bisherigen beruflichen Tätigkeit, für eine Weiterverwendung beim Bund oder für eine sonstige Eingliederung in das Arbeitsleben sowie die hierfür erforderliche berufliche Qualifizierung im Soldatenstatus ermöglicht werden. Es handelt sich mithin um ein besonderes Wiedereingliederungsrecht. Der Begriff der "Einsatzgeschädigten" (§ 1 EinsatzWVG) als zentrale persönliche Anspruchsvoraussetzung knüpft an einen Einsatzunfall i.S.v. § 63c Abs. 2 SVG 2004 an, der wiederum eine besondere Auslandsverwendung im Sinne von § 63c Abs. 1 SVG 2004 voraussetzt.

17 Materiell handelt es sich sowohl bei dem Recht der Einsatzversorgung als auch bei demjenigen der Einsatz-Weiterverwendung um Unfallfürsorgerecht und damit um Soldatenversorgungsrecht in einem weiteren Sinne. Maßgeblich ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Schadensereignisses, d.h. im Zeitpunkt des Einsatzunfalls. Beide Institute setzen einen Einsatzunfall voraus und unterscheiden sich damit schon in ihren tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen vom Ruhegehaltsanspruch, für den es maßgeblich auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Zurruhesetzung ankommt (Versorgungsfallprinzip). Die Verschiedenheit des Ruhegehaltsrechts einerseits und des Einsatzversorgungsrechts als besonderes Dienstunfallrecht andererseits legt es nicht nahe, die Rechtsvorschriften trotz unterschiedlichen zeitlichen Anknüpfungspunkts einheitlich auszulegen. Dies deutet eher darauf hin, dass die Verweisung in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 allein auf die Legaldefinition der besonderen Auslandsverwendung in § 63c Abs. 1 SVG 2004 gerichtet ist.

18 d) Aus den verschiedenen maßgeblichen Zeitpunkten - d.h. dem Zeitpunkt des Schadensereignisses oder dem Zeitpunkt der Zurruhesetzung - folgt nach Sinn und Zweck der Regelungen, dass der Gesetzgeber im Einsatzversorgungsrecht, um (überhaupt) eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs zu bewirken, dies ausdrücklich regeln muss, während aufgrund des im Ruhegehaltsrecht geltenden Versorgungsfallprinzips eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs gleichsam von selbst eintritt mit der Folge, dass eine Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs nur erforderlich ist, wenn dieser entsprechend dem Gestaltungsanliegen des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Datum in der Vergangenheit begrenzt werden soll. Dementsprechend ist aus der Gesetzesbegründung zur Übergangsregelung in § 103 Abs. 2 SVG 2015 (BGBl. I S. 796) zu ersehen, dass der Gesetzgeber sich bei der Schaffung der Vorschrift der allgemeinen Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Normanwendung bewusst war und er mit der Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf den 1. November 1991 - anders als mit § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - ein konkretes Gestaltungsanliegen verfolgt hat.

19 Für die Auslegung bedeutsam sind weiter Sinn und Zweck der in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 76e SGB VI 2011 andererseits enthaltenen unterschiedlichen Voraussetzungen. Während § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 die doppelte Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen für Berufssoldaten mit Pensionsanspruch regelt, verbessert § 76e SGB VI 2011 spiegelbildlich die rentenrechtliche Absicherung der Zivilbediensteten sowie der Helfer des Technischen Hilfswerks und der Soldaten ohne Pensionsanspruch, also von Soldaten auf Zeit und von Soldaten, die aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung eine Auslandsverwendung im Rahmen des Wehrdienstes leisten oder die im Rahmen ihrer Dienstleistungspflicht nach § 62 SG zu einer besonderen Auslandsverwendung herangezogen werden (insbesondere Reservisten).

20 Nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 werden für Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 SVG 2004 ab dem 13. Dezember 2011 Zuschläge an Entgeltpunkten zu den in diesem Monat erworbenen Pflichtbeiträgen gewährt, wenn während dieser Zeiten Pflichtbeitragszeiten vorliegen und nach dem 30. November 2002 insgesamt mindestens 180 Tage an Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung vorliegen, die jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Wie insbesondere an der identisch formulierten tatbestandlichen Anknüpfung an § 63c Abs. 1 SVG 2004 und den gleichen sachlichen Anforderungen an die Dauer der Einsatzzeiten zu erkennen ist, handelt es sich bei § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 um die funktionale Entsprechung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetz benennt die zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 analoge Funktion der Vorschrift, die Belastungen durch besondere Auslandsverwendungen verstärkt anzuerkennen (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 21), und behandelt die beiden Vorschriften aufgrund dessen in einem inhaltlichen Zusammenhang (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 1).

21 Die verbesserte rentenrechtliche Absicherung in Form von Zuschlägen an Entgeltpunkten nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gilt indes aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung - und dem Wortlaut nach damit wiederum abweichend von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - nur für Zeiten der besonderen Auslandsverwendung, für die bereits Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ab Dezember 2002 erworben wurden. Die Pflichtbeitragszeit muss aus der besonderen Verwendung im Ausland herrühren; sie bleibt dem ehemaligen Soldaten erhalten, wenn er nachversichert wird (vgl. Brall, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 76e Rn. 9; Gürtner, in: Kasseler Kommentar, SGB VI, Stand März 2018, § 76e Rn. 3). Denn nach § 185 Abs. 2 i.V.m. § 186a Abs. 1 und § 188 Abs. 1 SGB VI gelten auch Nachversicherungsbeiträge als rechtzeitig gezahlte Pflichtbeiträge. Außerdem unterscheiden sich beide Modelle darin, dass die doppelte Berücksichtigung der besonderen Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 durch den Ruhegehaltshöchstsatz von 71,75 v.H. gedeckelt ist, während die Zuschläge für die Entgeltpunkte nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gemeinsam mit den Entgeltpunkten für die versicherte Beschäftigung die Entgeltpunkte überschreiten dürfen, die sich aus Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze ergeben.

22 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nach der gesetzlichen Regelungstechnik in der Rechtsfolge um eine Vorschrift handelt, die die Entscheidung über eine doppelte ruhegehaltfähige Berücksichtigung der Zeiten besonderer Auslandsverwendung - grundsätzlich - ins pflichtgemäße Ermessen der Versorgungsbehörde legt ("können"). Dagegen handelt es sich bei der Entscheidung der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 über die Zuschläge an Entgeltpunkten infolge Zeiten besonderer Auslandsverwendung um eine in der Rechtsfolge gesetzlich gebundene Entscheidung ("werden").

23 e) Es ist Sache des Gesetzgebers, eine im Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 Niederschlag findende Stichtagsregelung für das Einsetzen der Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu bestimmen. Daran fehlt es bisher. Im Wortlaut der Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 ist dies gelungen. Im gewaltengeteilten Staat des Grundgesetzes ist es nicht Aufgabe der Gerichte, einer von Verwaltungsbehörden für zutreffend gehaltenen Gesetzesanwendung, die sich nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen dem Gesetz, insbesondere dem Gesetzeswortlaut, nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen lässt, Geltung zu verschaffen. Derartige Regelungsdefizite muss der Gesetzgeber selbst beheben (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 C 11.20 - Buchholz 239.2 LBeamtVersorgR Nr. 5 Rn. 40).

24 2. Die Beklagte hat aber das ihr nach durchgeführtem Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 zustehende Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.

25 Die Beklagte führt zwar aus, das Ermessen der Versorgungsbehörde sei zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung im Rahmen der Doppelanrechnung durch die Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung vom 8. März 2012 (PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 -), vom 23. August 2012 (PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -) und vom 16. August 2013 (PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -) dahingehend gebunden worden, dass nach dem 30. November 2002 erbrachte Zeiten besonderer Auslandsverwendung stets mit dem Doppelten der ruhegehaltfähigen Dienstzeit zu berücksichtigen seien. Insoweit enthalten die genannten Erlasse zwar die Verwaltungspraxis leitende Ermessungserwägungen; diese beziehen sich jedoch nur auf Auslandsverwendungen nach dem darin bezeichneten Stichtag, nicht aber auf die hier streitigen Verwendungen, die vor diesem Stichtag liegen.

26 Eine fehlerfreie Ermessensausübung steht damit noch aus. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens wird die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen insbesondere einstellen müssen, dass nach ihrer behördeninternen Erlasslage für von Soldaten nach dem 30. November 2002 absolvierte Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen sind. Abgestufte Regelungen sind danach ausgeschlossen (Ziff. 4 der Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung vom 23. August 2012 zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->). Die Beklagte hat das ihr gesetzlich eingeräumte Einzelfallermessen damit durch Verwaltungsvorschrift dahingehend generalisiert, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in der Rechtsfolge bei Zeiten besonderer Auslandsverwendungen stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. Nach dieser - allerdings abänderbaren - Ermessenspraxis hat sie sich auch bei der Bewertung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 zu richten.

27 Die Beklagte hat folglich das ihr in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eingeräumte Ermessen nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt (vgl. § 40 VwVfG und § 114 Satz 1 VwGO) und ist daher zu verpflichten, über den Antrag des Klägers eine neue, fehlerfreie Ermessensentscheidung unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu treffen.

28 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteil vom 09.09.2021 -
BVerwG 2 C 35.20ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C35.20.0

Urteil

BVerwG 2 C 35.20

  • VG Schleswig - 17.01.2018 - AZ: VG 12 A 84/17
  • OVG Schleswig - 10.09.2020 - AZ: OVG 2 LB 11/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung
und Dollinger sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 2020 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass über den Antrag des Klägers auf Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu entscheiden ist.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein Soldat im Ruhestand, beansprucht die Neufestsetzung seines Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendung.

2 Der 1961 geborene Kläger stand bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand mit Wirkung zum 1. März 2017 als Berufssoldat, zuletzt im Rang eines Kapitänleutnants, im Dienst der Beklagten. Im Zeitraum zwischen Mai 1995 und April 1999 absolvierte er mehrere mindestens 30-tägige Auslandsverwendungen im ehemaligen Jugoslawien und im Kosovo mit einer Gesamteinsatzzeit von mehr als 180 Tagen.

3 Mit Bescheid vom 1. März 2017 setzte die Generalzolldirektion die Versorgungsbezüge des Klägers auf der Grundlage eines Ruhegehaltssatzes von 68,60 v.H. fest. Den darauffolgenden Antrag des Klägers, die von ihm vor dem 1. Dezember 2002 geleisteten Zeiten von Auslandsverwendungen als doppelt ruhegehaltfähig anzurechnen, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. März 2017 ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 18. Mai 2017 zurück.

4 Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet, die Versorgungsbezüge des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung könnten bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert hätten. Die Auslandseinsätze des Klägers erfüllten diese Voraussetzungen. Sie seien bei der Festsetzung der Altersbezüge des Klägers zu berücksichtigen, obwohl sie vor dem 1. Dezember 2002 gelegen hätten.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Der Kläger habe Anspruch auf Berücksichtigung der von ihm im Zeitraum vor Dezember 2002 absolvierten Zeiten von besonderen Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten. Einer Doppelanrechnung der streitgegenständlichen Auslandseinsatzzeiten stehe nicht entgegen, dass sie sämtlich vor dem Inkrafttreten der einschlägigen soldatenversorgungsgesetzlichen Regelung über besondere Auslandsverwendungen am 1. Dezember 2002 lägen. Zudem habe die Beklagte das ihr bei der Doppelberechnung eingeräumte Rechtsfolgeermessen noch nicht fehlerfrei ausgeübt. Die von ihr bei der Ermessensausübung zugrunde gelegten Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung seien dazu nicht geeignet, weil sie die Berücksichtigung von vor dem 1. Dezember 2002 absolvierten besonderen Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten generell ausschlössen.

6 Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. September 2020 und des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 17. Januar 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7 Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt die Revision der Beklagten.

II

9 Die zulässige Revision der Beklagten wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass über den Antrag des - nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen - Klägers auf Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit nicht nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, sondern nach der des Bundesverwaltungsgerichts zu entscheiden ist (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Beklagte hat das ihr im Rahmen dieser Entscheidung zustehende Ermessen bislang nicht fehlerfrei ausgeübt.

10 1. Der streitgegenständliche Anspruch folgt aus der am 13. Dezember 2011 in Kraft getretenen Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz) vom 5. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2458 - SVG 2011). Die Vorschrift bestimmt, dass die Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt werden können, wenn sie insgesamt mindestens 180 Tage und jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Der erstmals durch Art. 2 Nr. 10 Einsatzversorgungsgesetz vom 21. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3592) rückwirkend zum 1. Dezember 2002 in Kraft getretene § 63c Abs. 1 Satz 1 SVG (SVG 2004) definiert eine besondere Auslandsverwendung als eine Verwendung aufgrund eines Übereinkommens oder einer Vereinbarung mit einer über- oder zwischenstaatlichen Einrichtung oder mit einem auswärtigen Staat im Ausland oder außerhalb des deutschen Hoheitsgebietes auf Schiffen oder in Luftfahrzeugen, für die ein Beschluss der Bundesregierung vorliegt.

11 a) Der Wortlaut der Vorschrift legt es nahe, dass besondere Auslandsverwendungen i.S.v. § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 für Soldaten, die nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getreten sind, auch für Zeiträume vor dem 1. Dezember 2002 berücksichtigt werden können. Denn die Regelung enthält - anders als die zeitgleich durch das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz (Art. 6 Ziff. 3) für gesetzlich Rentenversicherte geschaffene Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 - keine zeitliche Einschränkung dahingehend, dass bei der Bestimmung der ruhegehaltfähigen Dienstzeiten nur besondere Auslandsverwendungen ab dem 1. Dezember 2002 Berücksichtigung finden. Die von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in Bezug genommene Regelung des § 63c Abs. 1 SVG 2004 ihrerseits beschränkt sich auf eine Definition des Tatbestands der besonderen Auslandsverwendung. Eine ausdrückliche zeitliche Einschränkung der Definition etwa dahingehend, dass besondere Auslandsverwendungen nur solche ab einem bestimmten Zeitpunkt sind, enthält auch diese Vorschrift nicht. Aus dem Wortlaut der Norm lassen sich also keine Anknüpfungspunkte für die von der Beklagten nach Maßgabe ihrer behördeninternen Verwaltungsvorschriften (Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->, vom 23. August 2012 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -> und vom 16. August 2013 <PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 ->) vorgenommene Auslegung entnehmen, dass eine Doppelanrechnung von im Auslandseinsatz absolvierten Zeiten besonderer Auslandsverwendungen erst ab dem 1. Dezember 2002 möglich ist. Die in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Beklagten geäußerte Ansicht, man habe es als "Erlasshalter" für ausreichend gehalten, das - seitens des Bundesministeriums - "Gewollte" im Erlasswege, nämlich in den vorbezeichneten Anwendungshinweisen, zu regeln, ist insoweit unbehelflich.

12 b) Die Entstehungsgeschichte von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 63c Abs. 1 SVG 2004 andererseits ist für die Beantwortung der Frage nach der zeitlichen Reichweite der ruhegehaltrechtlich doppelt berücksichtigungsfähigen Zeiten besonderer Auslandsverwendungen unergiebig. Zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 enthält sich die Begründung des Gesetzesentwurfs jeder Stellungnahme zur Frage, ob die doppelte Anrechnung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen auch auf solche Auslandseinsätze zu erstrecken ist, die Soldaten vor dem 1. Dezember 2002 absolviert haben (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 15). Auch aus der Vorgeschichte des Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetzes 2011 - dem Einsatzversorgungsgesetz 2004 - ergibt sich nichts für oder gegen eine doppelte Ruhegehaltsanrechnung für Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 24). Die Einzelbegründung des Gesetzgebers zu der Vorschrift, in der die "besondere Auslandsverwendung" legal definiert wird - § 63c Abs. 1 SVG 2004 -, verhält sich ebenfalls nicht zur Frage der zeitlichen Rückerstreckung von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 auf Sachverhalte vor dem 1. Dezember 2002 (vgl. BT-Drs. 15/3416 S. 18). Nichts anderes ergibt sich aus den Materialien zum Einsatz-Weiterverwendungsgesetz 2007, das ausschließlich Regelungen zugunsten besonderer Auslandsverwendungen "einsatzgeschädigter Soldaten" zum Gegenstand hat (vgl. BT-Drs. 16/6564 S. 15). Auch die weitere Rückerstreckung von Einsatzversorgungsleistungen für im Ausland verunfallte Soldaten auf die Zeit ab dem 1. November 1991 durch das Bundeswehr-Attraktivitätssteigerungsgesetz 2015 hat ausschließlich "schwer gesundheitlich geschädigte Personen" in den Blick genommen, die trotz zum Teil erheblicher Gefährdungslagen zum Beispiel im Bosnien- und Kosovoeinsatz bis dahin nicht dieselbe versorgungsrechtliche Absicherung wie ab dem 1. Dezember 2002 im Einsatz Geschädigte besaßen (BT-Drs. 18/3697 S. 63). Schließlich beschränken sich auch die in diesem Zusammenhang jüngsten gesetzlichen Änderungen durch das Bundeswehr-Einsatzbereitschaftsstärkungsgesetz 2019 - § 63c Abs. 1 SVG 2019 (BGBl. I S. 1147 <3054>) - nach der Gesetzesbegründung allein auf die unfallrechtliche Einsatzversorgung; allgemeine Fragen der Ruhegehaltsberechnung haben sie nicht zum Gegenstand (vgl. BT-Drs. 19/9491 S. 139).

13 c) In gesetzessystematischer Hinsicht ist zu differenzieren: Nach der gesetzlichen Systematik des Soldatenversorgungsgesetzes ist zu beachten, dass § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eine allein ruhegehaltbezogene Rechtsfrage in Anknüpfung an die "besondere Auslandsverwendung" beantwortet. Dagegen beinhalten die in §§ 63c bis 63g SVG 2004 (BGBl. I S. 3592) sowie in § 103 Abs. 1 und 2 SVG getroffenen Vorschriften das besondere Recht der Einsatzversorgung mit Regelungen zur Dienstunfallfürsorge und der Wiedereingliederung. Der Ruhegehaltsanspruch, den § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 mit ausgestaltet, unterscheidet sich aber nach Funktion, Voraussetzungen und Rechtsfolge wesentlich vom Recht der Einsatzversorgung nach dem durch die Verweisung in Bezug genommenen § 63c SVG 2004.

14 Das in die Vorschriften der §§ 63c bis 63g SVG im Jahre 2004 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügte Einsatzversorgungsrecht umfasst grundsätzlich alle Leistungen der Dienstunfallfürsorge, allerdings angepasst an die Erfordernisse besonderer Auslandsverwendungen. Dazu zählen nach § 63c Abs. 3 SVG 2004 insbesondere der Schadensausgleich in besonderen Fällen (§ 63b), das Unfallruhegehalt (§ 63d) und die einmalige Entschädigung (§ 63e). Der Schutzzweck des Einsatzversorgungsrechts liegt in der verbesserten Absicherung von Soldaten gegenüber den Folgen einer anlässlich einer besonderen Auslandsverwendung erlittenen gesundheitlichen Schädigung.

15 Funktionell mit dem Einsatzversorgungsrecht verwandt ist das Recht der Einsatz-Weiterverwendung, das durch das Gesetz zur Regelung der Weiterverwendung nach Einsatzunfällen vom 12. Dezember 2007 zum 18. Dezember 2007 geschaffen worden ist (Einsatz-Weiterverwendungsgesetz - EinsatzWVG - BGBl. I S. 2861). Das Einsatz-Weiterverwendungsgesetz dient einer verbesserten Absicherung einsatzgeschädigter Soldaten dadurch, dass diesen insbesondere die Herstellung der Dienstfähigkeit für die Wiederaufnahme der bisherigen beruflichen Tätigkeit, für eine Weiterverwendung beim Bund oder für eine sonstige Eingliederung in das Arbeitsleben sowie die hierfür erforderliche berufliche Qualifizierung im Soldatenstatus ermöglicht werden. Es handelt sich mithin um ein besonderes Wiedereingliederungsrecht. Der Begriff der "Einsatzgeschädigten" (§ 1 EinsatzWVG) als zentrale persönliche Anspruchsvoraussetzung knüpft an einen Einsatzunfall i.S.v. § 63c Abs. 2 SVG 2004 an, der wiederum eine besondere Auslandsverwendung im Sinne von § 63c Abs. 1 SVG 2004 voraussetzt.

16 Materiell handelt es sich sowohl bei dem Recht der Einsatzversorgung als auch bei demjenigen der Einsatz-Weiterverwendung um Unfallfürsorgerecht und damit um Soldatenversorgungsrecht in einem weiteren Sinne. Maßgeblich ist die Rechtslage im Zeitpunkt des Schadensereignisses, d.h. im Zeitpunkt des Einsatzunfalls. Beide Institute setzen einen Einsatzunfall voraus und unterscheiden sich damit schon in ihren tatbestandlichen Anspruchsvoraussetzungen vom Ruhegehaltsanspruch, für den es maßgeblich auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Zurruhesetzung ankommt (Versorgungsfallprinzip). Die Verschiedenheit des Ruhegehaltsrechts einerseits und des Einsatzversorgungsrechts als besonderes Dienstunfallrecht andererseits legt es nicht nahe, die Rechtsvorschriften trotz unterschiedlichen zeitlichen Anknüpfungspunkts einheitlich auszulegen. Dies deutet eher darauf hin, dass die Verweisung in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 allein auf die Legaldefinition der besonderen Auslandsverwendung in § 63c Abs. 1 SVG 2004 gerichtet ist.

17 d) Aus den verschiedenen maßgeblichen Zeitpunkten - d.h. dem Zeitpunkt des Schadensereignisses oder dem Zeitpunkt der Zurruhesetzung - folgt nach Sinn und Zweck der Regelungen, dass der Gesetzgeber im Einsatzversorgungsrecht, um (überhaupt) eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs zu bewirken, dies ausdrücklich regeln muss, während aufgrund des im Ruhegehaltsrecht geltenden Versorgungsfallprinzips eine Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs gleichsam von selbst eintritt mit der Folge, dass eine Bestimmung des zeitlichen Anwendungsbereichs nur erforderlich ist, wenn dieser entsprechend dem Gestaltungsanliegen des Gesetzgebers auf ein bestimmtes Datum in der Vergangenheit begrenzt werden soll. Dementsprechend ist aus der Gesetzesbegründung zur Übergangsregelung in § 103 Abs. 2 SVG 2015 (BGBl. I S. 796) zu ersehen, dass der Gesetzgeber sich bei der Schaffung der Vorschrift der allgemeinen Grundsätze zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Normanwendung bewusst war und er mit der Rückerstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf den 1. November 1991 - anders als mit § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - ein konkretes Gestaltungsanliegen verfolgt hat.

18 Für die Auslegung bedeutsam sind weiter Sinn und Zweck der in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 einerseits und § 76e SGB VI 2011 andererseits enthaltenen unterschiedlichen Voraussetzungen. Während § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 die doppelte Ruhegehaltfähigkeit von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen für Berufssoldaten mit Pensionsanspruch regelt, verbessert § 76e SGB VI 2011 spiegelbildlich die rentenrechtliche Absicherung der Zivilbediensteten sowie der Helfer des Technischen Hilfswerks und der Soldaten ohne Pensionsanspruch, also von Soldaten auf Zeit und von Soldaten, die aufgrund einer freiwilligen Verpflichtung eine Auslandsverwendung im Rahmen des Wehrdienstes leisten oder die im Rahmen ihrer Dienstleistungspflicht nach § 62 SG zu einer besonderen Auslandsverwendung herangezogen werden (insbesondere Reservisten).

19 Nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 werden für Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung nach § 63c Abs. 1 SVG 2004 ab dem 13. Dezember 2011 Zuschläge an Entgeltpunkten zu den in diesem Monat erworbenen Pflichtbeiträgen gewährt, wenn während dieser Zeiten Pflichtbeitragszeiten vorliegen und nach dem 30. November 2002 insgesamt mindestens 180 Tage an Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung vorliegen, die jeweils ununterbrochen mindestens 30 Tage gedauert haben. Wie insbesondere an der identisch formulierten tatbestandlichen Anknüpfung an § 63c Abs. 1 SVG 2004 und den gleichen sachlichen Anforderungen an die Dauer der Einsatzzeiten zu erkennen ist, handelt es sich bei § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 um die funktionale Entsprechung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung. Auch die Begründung des Gesetzesentwurfs zum Einsatz-Versorgungsverbesserungsgesetz benennt die zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 analoge Funktion der Vorschrift, die Belastungen durch besondere Auslandsverwendungen verstärkt anzuerkennen (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 21), und behandelt die beiden Vorschriften aufgrund dessen in einem inhaltlichen Zusammenhang (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 1).

20 Die verbesserte rentenrechtliche Absicherung in Form von Zuschlägen an Entgeltpunkten nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gilt indes aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung - und dem Wortlaut nach damit wiederum abweichend von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 - nur für Zeiten der besonderen Auslandsverwendung, für die bereits Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ab Dezember 2002 erworben wurden. Die Pflichtbeitragszeit muss aus der besonderen Verwendung im Ausland herrühren; sie bleibt dem ehemaligen Soldaten erhalten, wenn er nachversichert wird (vgl. Brall, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 76e Rn. 9; Gürtner, in: Kasseler Kommentar, SGB VI, Stand März 2018, § 76e Rn. 3). Denn nach § 185 Abs. 2 i.V.m. § 186a Abs. 1 und § 188 Abs. 1 SGB VI gelten auch Nachversicherungsbeiträge als rechtzeitig gezahlte Pflichtbeiträge. Außerdem unterscheiden sich beide Modelle darin, dass die doppelte Berücksichtigung der besonderen Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 durch den Ruhegehaltshöchstsatz von 71,75 v.H. gedeckelt ist, während die Zuschläge für die Entgeltpunkte nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 gemeinsam mit den Entgeltpunkten für die versicherte Beschäftigung die Entgeltpunkte überschreiten dürfen, die sich aus Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze ergeben.

21 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es sich bei § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nach der gesetzlichen Regelungstechnik in der Rechtsfolge um eine Vorschrift handelt, die die Entscheidung über eine doppelte ruhegehaltfähige Berücksichtigung der Zeiten besonderer Auslandsverwendung - grundsätzlich - ins pflichtgemäße Ermessen der Versorgungsbehörde legt ("können"). Dagegen handelt es sich bei der Entscheidung der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 über die Zuschläge an Entgeltpunkten infolge Zeiten besonderer Auslandsverwendung um eine in der Rechtsfolge gesetzlich gebundene Entscheidung ("werden").

22 e) Es ist Sache des Gesetzgebers, eine im Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 Niederschlag findende Stichtagsregelung für das Einsetzen der Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu bestimmen. Daran fehlt es bisher. Im Wortlaut der Parallelregelung des § 76e Abs. 1 SGB VI 2011 ist dies gelungen. Im gewaltengeteilten Staat des Grundgesetzes ist es nicht Aufgabe der Gerichte, einer von Verwaltungsbehörden für zutreffend gehaltenen Gesetzesanwendung, die sich nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen dem Gesetz, insbesondere dem Gesetzeswortlaut, nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen lässt, Geltung zu verschaffen. Derartige Regelungsdefizite muss der Gesetzgeber selbst beheben (BVerwG, Urteil vom 13. Oktober 2020 - 2 C 11.20 - Buchholz 239.2 LBeamtVersorgR Nr. 5 Rn. 40).

23 2. Die Beklagte hat aber das ihr durch § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eingeräumte Ermessen bisher nicht ausgeübt.

24 Die Beklagte führt zwar aus, das Ermessen der Versorgungsbehörde sei zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung im Rahmen der Doppelanrechnung durch die Erlasse des Bundesministeriums der Verteidigung vom 8. März 2012 (PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 -), vom 23. August 2012 (PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -) und vom 16. August 2013 (PSZ III 3 - Az 20-02-08/07 -) dahingehend gebunden worden, dass nach dem 30. November 2002 erbrachte Zeiten besonderer Auslandsverwendung stets mit dem Doppelten der ruhegehaltfähigen Dienstzeit zu berücksichtigen seien. Insoweit enthalten die genannten Erlasse zwar die Verwaltungspraxis leitende Ermessungserwägungen; diese beziehen sich jedoch nur auf Auslandsverwendungen nach dem darin bezeichneten Stichtag, nicht aber auf die hier streitigen Verwendungen, die vor diesem Stichtag liegen.

25 Eine fehlerfreie Ermessensausübung steht damit noch aus. Bei der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens wird die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen insbesondere einstellen müssen, dass nach ihrer behördeninternen Erlasslage für von Soldaten nach dem 30. November 2002 absolvierte Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nach § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen sind. Abgestufte Regelungen sind danach ausgeschlossen (Ziff. 4 der Hinweise des Bundesministeriums der Verteidigung vom 23. August 2012 zum EinsatzVVerbG 2011 vom 8. März 2012 <PSZ III 3 - Az 20-01-01/45 ->). Die Beklagte hat das ihr gesetzlich eingeräumte Einzelfallermessen damit durch Verwaltungsvorschrift dahingehend generalisiert, bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 in der Rechtsfolge bei Zeiten besonderer Auslandsverwendungen stets das Doppelte dieser Zeit als ruhegehaltfähige Dienstzeit zu berücksichtigen. Nach dieser - allerdings abänderbaren - Ermessenspraxis hat sie sich auch bei der Bewertung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen vor dem 1. Dezember 2002 zu richten.

26 Die Beklagte hat folglich das ihr in § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 eingeräumte Ermessen nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt (vgl. § 40 VwVfG und § 114 Satz 1 VwGO) und ist daher zu verpflichten, über den Antrag des Klägers eine neue, fehlerfreie Ermessensentscheidung unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu treffen.

27 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Urteil vom 09.09.2021 -
BVerwG 2 C 4.20ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C4.20.0

Geltung des Versorgungsfallprinzips auch für Versorgungsansprüche von Soldaten

Leitsätze:

1. Der Grundsatz, dass für die Beurteilung versorgungsrechtlicher Ansprüche die Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand maßgeblich ist (Versorgungsfallprinzip), gilt gleichermaßen im Beamten- wie im Soldatenversorgungsrecht.

2. Die Regelung über die Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten (§ 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011) gilt nicht für vor dem Inkrafttreten der Norm in den Ruhestand getretene Soldaten. Dies begegnet - auch mit Blick auf die besonderen Altersgrenzen von Soldaten und unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung - weder verfassungs- noch unionsrechtlichen Bedenken.

  • Rechtsquellen
    SVG 2011 § 25 Abs. 2 Satz 3
    SVG 2009 § 15 Abs. 1 Satz 1, § 63c Abs. 1
    BeamtVG § 4 Abs. 2, § 13 Abs. 3 Satz 1
    AGG §§ 1, 3 Abs. 2, § 10 Satz 1 und 3 Nr. 4
    RL 2000/78/EG Art. 2 Abs. 2, Art. 4 Abs. 1
    VwVfG § 48 Abs. 1 Satz 1, § 51 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5

  • VG Leipzig - 16.08.2018 - AZ: VG 3 K 2358/17
    OVG Bautzen - 18.12.2019 - AZ: OVG 2 A 1193/18

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 09.09.2021 - 2 C 4.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C4.20.0]

Urteil

BVerwG 2 C 4.20

  • VG Leipzig - 16.08.2018 - AZ: VG 3 K 2358/17
  • OVG Bautzen - 18.12.2019 - AZ: OVG 2 A 1193/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 9. September 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden, Dr. Hartung
und Dollinger sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
für Recht erkannt:

  1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Gründe

I

1 Der Kläger, ein Soldat im Ruhestand, beantragt das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Neufestsetzung seines Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung seiner vor dem 1. Dezember 2002 liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen.

2 Der Kläger stand seit Oktober 1990 im Dienst der Beklagten, seit Januar 1993 als Berufssoldat, zuletzt als Stabsfeldwebel (Besoldungsgruppe A 9 BBesO). Er absolvierte Auslandseinsätze in der Zeit von Februar bis Mai 1996 (IFOR), von November 1998 bis März 1999 (SFOR), von November 2001 bis Mai 2002 (KFOR) und vom Juni bis September 2006 (EUFOR) mit insgesamt 477 Einsatztagen. Mit Ablauf des 31. März 2008 trat er mit Erreichen der besonderen gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand. Durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom 26. März 2008 setzte die Wehrbereichsverwaltung die Versorgungsbezüge des Klägers fest; eine besondere Berücksichtigung von Auslandszeiten erfolgte hierbei nicht.

3 Im Februar 2017 beantragte der Kläger die Neuberechnung seiner Versorgungsbezüge unter doppelter Berücksichtigung sämtlicher geleisteter Auslandseinsätze. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab; der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

4 Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide über das Ruhegehalt des Klägers mit Wirkung ab Februar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der Versorgungsfestsetzungsbescheid sei ursprünglich rechtmäßig gewesen, jedoch mit Inkrafttreten des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG am 13. Dezember 2011 rechtswidrig geworden, weil er die dort vorgesehene Berücksichtigung von Einsatzzeiten im Ausland nicht beinhalte.

5 Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des durch bestandskräftig gewordenen Bescheid abgeschlossenen Verfahrens der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge. Es spreche zwar viel dafür, dass insoweit auch Auslandseinsatzzeiten, die vor Inkrafttreten des § 63c SVG am 1. Dezember 2002 absolviert worden seien, zu berücksichtigen seien und damit die in der Vorschrift bezeichneten Einsatzvoraussetzungen - in der Zusammenschau der vier vom Kläger absolvierten Auslandseinsätze vor und nach diesem Datum auch hinsichtlich der erforderlichen Gesamtdauer - erfüllt wären. Darauf komme es indes nicht an, weil maßgeblich für die versorgungsrechtliche Beurteilung die Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in den Ruhestand mit Ablauf des 31. März 2008 sei (sog. Versorgungsfallprinzip). Nach diesem Grundsatz richte sich die Berechnung des Ruhegehalts auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit nach dem zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand geltenden Recht, soweit nicht Übergangsvorschriften etwas Anderes regelten.

6 Mit seiner Revision beantragt der Kläger,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Dezember 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Versorgungsbezüge des Klägers mit Wirkung ab Februar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und dabei die Einsatzzeiten des Klägers vom 2. Februar 1996 bis 6. Mai 1996, vom 12. November 1998 bis 11. März 1999, vom 26. November 2001 bis 26. Mai 2002 und vom 29. Juni 2006 bis 30. September 2006 als doppelt ruhegehaltfähig zu berücksichtigen und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 16. August 2018 zurückzuweisen.

7 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8 Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt den Antrag der Beklagten.

II

9 Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der entscheidungserhebliche Rechtssatz des Berufungsurteils, dass sich das Entstehen und die Berechnung des Ruhegehalts eines Soldaten nach dem zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand geltenden Rechts richtet, soweit nicht Übergangsvorschriften etwas Anderes regeln, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

10 1. Der Kläger hat nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des durch Bescheid vom 26. März 2008 bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge, weil sich die der Festsetzung dieser Versorgungsbezüge zugrundeliegende Rechtslage nicht nachträglich zu seinen Gunsten geändert hat. Die mehr als drei Jahre nach Bestandskraft des Versorgungsfestsetzungsbescheids aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz) vom 5. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2458 - SVG 2011) am 13. Dezember 2011 in Kraft getretene Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG ändert die Rechtslage nicht nachträglich zugunsten des Klägers.

11 a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SVG in der Bekanntmachung der Neufassung vom 16. September 2009 (BGBl. I S. 3054 - SVG 2009) besteht nach Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand Anspruch auf Ruhegehalt. Das Ruhegehalt wird auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet (§ 16 SVG 2009). Entsprechende Regelungen enthalten die inhaltsgleichen Bestimmungen in § 4 Abs. 2 und 3 BeamtVG. Maßgeblich für die Beurteilung der versorgungsrechtlichen Ansprüche eines Soldaten und Beamten ist danach die Rechtslage im Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung (sog. Versorgungsfallprinzip). Dieser Grundsatz entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2017 - 2 BvL 10/11 u.a. - BVerfGE 145, 249 Rn. 8) ebenso wie der ständigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung im Versorgungsrecht der Soldaten und Beamten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. April 1996 - 2 B 86.95 - juris Rn. 8, Urteile vom 12. November 2009 - 2 C 29.08 - Buchholz 239.1 § 14a BeamtVG Nr. 5 Rn. 9 und vom 25. August 2011 - 2 C 22.10 - Buchholz 239.1 § 5 BeamtVG Nr. 20 Rn. 8, Beschluss vom 14. Juni 2012 - 2 B 13.12 - juris Rn. 9 und Urteil vom 7. Oktober 2020 - 2 C 1.19 - BVerwGE 169, 336 Rn. 24 ff.; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29. Juni 2012 - 4 B 2.10 - juris Rn. 21 f.; VGH Mannheim, Urteil vom 22. März 2017 - 4 S 791/16 - DGVZ 2018, 188 Rn. 13; VGH München, Beschluss vom 19. September 2017 - 3 ZB 15.26 32 - juris Rn. 9; OVG Schleswig, Urteil vom 10. März 2016 - 2 LB 17/15 - juris Rn. 26; OVG Koblenz, Urteil vom 9. Dezember 2014 - 2 A 10965/13 - juris Rn. 22). Daran hält der Senat fest.

12 Der Anwendung des Versorgungsfallprinzips steht insbesondere nicht entgegen, dass ein Versorgungsfestsetzungsbescheid - unabhängig davon, ob er nach § 49 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG oder der inhaltsgleichen Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 1 SVG 2009 ergangen ist - ein Dauerverwaltungsakt ist (BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2012 - 2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 Rn. 15 zu einem nach § 49 BeamtVG ergangenen Versorgungsfestsetzungsbescheid). Denn die Regel, dass Dauerverwaltungsakte nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage zu beurteilen sind, steht unter dem Vorbehalt abweichender gesetzlicher Bestimmungen (BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2012 - 8 B 62.11 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 39 Rn. 13). Eine solche abweichende Bestimmung enthält die mit § 4 Abs. 2 BeamtVG inhaltsgleiche Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 SVG 2009, die festlegt, dass grundsätzlich nach Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand Anspruch auf Ruhegehalt besteht. Damit erklärt das Gesetz die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu Beginn des Ruhestands für die Berechnung des Ruhegehaltsanspruchs nach § 16 SVG 2009 für maßgeblich (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom 18. Oktober 2018 - 1 L 112/18 - juris Rn. 5).

13 b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung über Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011.

14 aa) Dem Wortlaut von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 kann keine Regelung dahingehend entnommen werden, dass abweichend vom Versorgungsfallprinzip eine doppelte Berücksichtigung besonderer Auslandsverwendungen bei der Bemessung der Versorgungsbezüge auch dann erfolgen soll, wenn der Versorgungsfall bereits vor dem Inkrafttreten der Vorschrift - am 13. Dezember 2011 - eingetreten ist. Im Versorgungsrecht der Soldaten wie dem der Beamten finden sich zahlreiche Übergangsregelungen, die jeweils ausdrücklich als solche bezeichnet sind (vgl. etwa §§ 94 ff. SVG und §§ 69 ff. BeamtVG). Eine solche Regelung findet sich in Bezug auf den zeitlichen Geltungsbereich von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nicht. Sie ist auch nicht in der Bezugnahme auf die Legaldefinition der "besonderen Auslandsverwendung" in § 63c Abs. 1 SVG 2009 enthalten.

15 Im Übrigen gibt es im Beamtenversorgungsrecht eine Parallelvorschrift zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011, nämlich § 13 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG. Auch diese Vorschrift ist mit Wirkung vom 13. Dezember 2011 - damals als § 13 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG - in das Gesetz eingefügt worden. Wenn für Beamte, die vor diesem Stichtag in den Ruhestand versetzt wurden, diese Vorschrift wegen des Versorgungsfallprinzips nicht zur Anwendung kommt, dann muss dies wegen derselben Rechtslage in gleicher Weise auch für Soldaten gelten.

16 bb) Auch die gesetzliche Systematik rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Aus den Regelungen über die Höhe des Ruhegehalts nach § 26 Abs. 2 und 3 SVG 2009 ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber die sich aus dem Erreichen der besonderen Altersgrenzen für Soldaten ergebenden Nachteile im Verhältnis zur Versorgungsrechtslage von Beamten bei Erreichen der für sie geltenden allgemeinen Altersgrenze ausgleichen wollte. Denn auch das Beamtenrecht kennt besondere Altersgrenzen, im Bundesrecht etwa für Polizeivollzugsbeamte nach § 5 Abs. 1 und 2 BPolBG oder für Feuerwehrbeamte nach § 51 Abs. 3 BBG die Vollendung des 60. bis 62. Lebensjahres. Auch dem Landesbeamtenrecht sind besondere Altersgrenzen nicht fremd, etwa für Polizeivollzugsbeamte und Beamte des Vollzugsdienstes und des Werkdienstes im Justizvollzug und des Abschiebungshaftvollzugsdienstes (vgl. etwa § 114 Abs. 1 und 2, § 117 Abs. 1 LBG NRW, § 112 Abs. 1 HBG, § 36 Abs. 3 LBG BW, 62. Lebensjahr) sowie für Feuerwehrbeamte (vgl. bspw. § 116 Abs. 3 LBG NRW, § 113 HBG, § 36 Abs. 3a LBG BW, 60. Lebensjahr). Für diese Beamtengruppen kennt das Versorgungsrecht der Beamten dem Versorgungsrecht der Soldaten in § 26 SVG 2009 inhaltlich entsprechende Ausgleichsregelungen (vgl. im Bundesrecht § 48 BeamtVG und im Landesrecht etwa § 56a LBeamtVG NRW, § 21 HBeamtVG und § 76 LBeamtVG BW).

17 cc) Aus der Entstehungsgeschichte zum Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz, mit dem § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG im Dezember 2011 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügt wurde, lassen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Erstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf bereits im Ruhestand befindliche Soldaten entnehmen. Die Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 14) erweist sich insoweit als unergiebig, weil sie zur Frage der zeitlichen Geltung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG insgesamt keine Angaben enthält. Auch der Einzelbegründung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 15) lässt sich keine Aussage zum zeitlichen Anwendungsbereich, mithin auch keine Anordnung der Rückwirkung auf bereits im Ruhestand befindliche Soldaten entnehmen.

18 dd) Eine andere Auslegung legen schließlich auch Sinn und Zweck von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nicht nahe. Das gilt insbesondere für die von der Revision angeführten Gesichtspunkte der Altersdiskriminierung und der Verletzung des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG) im Hinblick auf die besonderen Altersgrenzen für Berufssoldaten nach § 45 Abs. 2 SG. Die unterschiedliche versorgungsrechtliche Behandlung von vor Inkrafttreten der Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 im Verhältnis zu den nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand getretenen Berufssoldaten ist sachlich gerechtfertigt. Denn sie knüpft nicht an das jeweilige Alter der Soldaten im Ruhestand an, sondern an den unterschiedlichen Zeitpunkt ihres Eintritts in den Ruhestand - vor oder nach dem 13. Dezember 2011. Das schließt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ebenso aus wie eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters nach §§ 1 und 3 Abs. 1 AGG und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16), ungeachtet der Frage, ob diese Richtlinie auf Soldaten anzuwenden ist (vgl. Art. 3 Abs. 4 RL 2000/78/EG, § 24 AGG, siehe dazu MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, § 24 AGG Rn. 6 f.).

19 Auch für eine mittelbare Diskriminierung der Soldaten nach §§ 1 und 3 Abs. 2 AGG und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 200o/78/EG - unterstellt diese Vorschriften seien auf Soldaten überhaupt anwendbar (dagegen BVerwG, Beschluss vom 27. August 2015 - 1 WB 25.15 - NZWehrr 2015, 255 <256>) - ist nichts ersichtlich. Die besonderen Altersgrenzen - hier für Berufssoldaten nach § 45 Abs. 2 SG - stellen zwar eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG dar. Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters indes zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält eine - nicht abschließende - Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen gerechtfertigt sein können. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen. In dem der Gesetzgeber den in Nr. 4 geregelten Tatbestand in die Rechtfertigungsgründe des § 10 Satz 3 AGG eingeordnet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass er die Festsetzung von besonderen Altersgrenzen für die Zurruhesetzung aufgrund besonderer körperlicher Belastungen der Dienstverrichtung als grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel i.S.v. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ansieht.

20 Das alles ist mit Unionsrecht vereinbar. Denn für die besondere Altersgrenze von Mitgliedern der Berufsfeuerwehr und Verkehrspiloten hat der EuGH (jeweils Große Kammer, Urteile vom 12. Januar 2010 - C-229/08, Wolf - NVwZ 2010, 244 Rn. 41 und vom 13. September 2011 - C-447/09, Prigge u.a. - NZA 2011, 1039 Rn. 67) entschieden, dass es im Fall der Verkehrspiloten wesentlich ist, dass sie insbesondere über besondere körperliche Fähigkeiten verfügen, da körperliche Schwächen in diesen Berufen beträchtliche Konsequenzen haben können und diese Fähigkeiten unbestreitbar auch mit zunehmendem Alter abnehmen. Daraus folgt, dass für die Ausübung dieser Berufe das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung i.S.v. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG angesehen werden kann und dass diese Fähigkeiten altersabhängig sind. Diese Rechtsprechung zu den besonderen körperlichen Fähigkeiten, derer Feuerwehrmänner und Verkehrspiloten bedürfen, lässt sich ohne Weiteres auf die an Berufssoldaten zu stellenden besonderen körperlichen Anforderungen übertragen.

21 Für die versorgungsrechtliche Anknüpfung an den Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand sprechen schließlich zwei weitere rechtliche Gesichtspunkte. Zum einen ist dies die Rechtsklarheit, die den betroffenen Soldaten und Beamten eine Prüfung ihres Versorgungsanspruchs erleichtert. Zum anderen vermittelt die Anknüpfung an den konkreten Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand sowohl den Soldaten und Beamten wie auch ihren Dienstherrn Rechtssicherheit.

22 2. Der Kläger hat des Weiteren keinen Anspruch auf die beanspruchte Neuregelung seiner Versorgung im Wege eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Die Beklagte ist, unabhängig von der Frage ihres Rechtsfolgeermessens, schon deshalb nicht zu einer Neuentscheidung über seine Versorgung verpflichtet, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht vorliegen. Der bestandskräftig gewordene Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 26. März 2008 ist nicht rechtswidrig (geworden). Er entspricht vielmehr - wie unter 1. dargelegt - der im Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in den Ruhestand geltenden Rechtslage. Der Bescheid hat danach die Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nicht bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt. Die hierfür erforderliche rechtliche Grundlage ist vielmehr mit § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nur für solche Soldaten geschaffen worden, die nach dessen Inkrafttreten am 13. Dezember 2011 in den Ruhestand eingetreten sind. Zwar kann diese differenzierte zeitliche Anwendung der Vorschrift des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 dazu führen, dass Zeiten besonderer Auslandsverwendungen von Soldaten, die - zugespitzt - im selben Auslandseinsatz im selben Zeitraum verwendet wurden, bei dem einem, vor dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand eingetretenen Soldaten nur einfach berücksichtigt werden, bei einem anderen, nach dem 13. Dezember 2011 in den Ruhestand eingetretenen Soldaten hingegen doppelt. Dies ist aber aus den oben unter 1 b) dd) genannten Gründen rechtlich nicht zu beanstanden.

23 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.