Verfahrensinformation
Faktisches Kerngebiet und Wohnnutzung
Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für die Nutzung eines Geschäftsgebäudes in der Innenstadt der Beklagten als Spielhalle mit einer Gesamtfläche von ca. 150 m2 und 12 Spielgeräten. Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage gab das Verwaltungsgericht statt. Das Vorhaben sei nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässig. Die maßgebliche nähere Umgebung entspreche keinem Baugebiet der Baunutzungsverordnung. Eine Einstufung als faktisches Kerngebiet scheide wegen der mehr als geringfügigen Wohnnutzung in der näheren Umgebung aus. Die Spielhalle füge sich aber ein, obwohl der vorhandene Rahmen überschritten werde. Städtebauliche Spannungen seien nicht zu erwarten. Eine negative Vorbildwirkung habe die Beklagte nicht konkret dargelegt.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und das Urteil im Ergebnis bestätigt. Allerdings sei das Vorhaben entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als Vergnügungsstätte zulässig. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Kerngebiet im Sinne von § 7 BauNVO. Die nicht unerhebliche, aber noch untergeordnete Nutzung einiger Gebäude zum Wohnen stehe der Annahme eines Kerngebiets nicht entgegen, wenngleich die Wohnnutzung im vorhandenen Umfang in einem Kerngebiet nur aufgrund von Festsetzungen nach § 7 Abs. 4 BauNVO zulässig wäre.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision.
Pressemitteilung Nr. 37/2025 vom 20.05.2025
Wohnnutzung und faktisches Kerngebiet
Bei einer mehr als unerheblichen Wohnnutzung in der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks scheidet die Annahme eines faktischen Kerngebiets aus. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.
Die Klägerin begehrt einen Bauvorbescheid für die Nutzung eines Geschäftsgebäudes in der Innenstadt der Beklagten als Spielhalle. Die Beklagte lehnte den Antrag ab, der Widerspruch blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht gab der Klage gestützt auf § 34 Abs. 1 BauGB statt. Die Berufung der Beklagten wies das Oberverwaltungsgericht zurück. Das Vorhaben sei nach § 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als Vergnügungsstätte zulässig. Die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Kerngebiet im Sinne von § 7 BauNVO. Die nicht unerhebliche, aber noch untergeordnete Wohnnutzung in der näheren Umgebung des Vorhabengrundstücks stehe dieser Einordnung nicht entgegen, obwohl sie im vorhandenen Umfang nur aufgrund von Festsetzungen in einem Bebauungsplan zulässig wäre.
Das Bundesverwaltungsgericht hat das Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, dass ein faktisches Kerngebiet auch bei einer nicht unerheblichen Wohnnutzung vorliegt, steht mit der Regelungssystematik der Baunutzungsverordnung und § 7 BauNVO nicht in Einklang. Die Verweisung in § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB auf die §§ 2 ff. BauNVO findet dort eine Grenze, wo die Baunutzungsverordnung eine planerische Entscheidung der Gemeinde vorsieht. Der Verordnungsgeber hat die Entscheidung darüber, ob die sonstige Wohnnutzung in einem Kerngebiet über Ausnahmen hinausgehen darf, der Gemeinde überlassen (§ 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 4 BauNVO). Dieser Planvorbehalt darf bei der Einordnung als faktisches Kerngebiet nicht übergangen werden. Mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen kann der Senat nicht abschließend entscheiden.
BVerwG 4 C 2.24 - Urteil vom 20. Mai 2025
Vorinstanzen:
VG Lüneburg, VG 2 A 404/18 - Urteil vom 03. Dezember 2020 -
OVG Lüneburg, OVG 1 LC 11/21 - Urteil vom 14. Dezember 2023 -
Beschluss vom 04.07.2024 -
BVerwG 4 B 6.24ECLI:DE:BVerwG:2024:040724B4B6.24.0
-
Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 04.07.2024 - 4 B 6.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:040724B4B6.24.0]
Beschluss
BVerwG 4 B 6.24
- VG Lüneburg - 03.12.2020 - AZ: 2 A 404/18
- OVG Lüneburg - 14.12.2023 - AZ: 1 LC 11/21
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 4. Juli 2024 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Decker und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm beschlossen:
- Auf die Beschwerde der Beklagten wird die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil vom 14. Dezember 2023 aufgehoben.
- Die Revision wird zugelassen.
- Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren vorläufig auf 75 000 € festgesetzt.
Gründe
1 Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Das Revisionsverfahren kann voraussichtlich zur Klärung der Frage beitragen, ob eine mehr als nur unerhebliche, aber noch untergeordnete Wohnnutzung der Annahme eines faktischen Kerngebiets (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m § 7 BauNVO) entgegensteht.
2
Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Rechtsbehelfsbelehrung
Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 4 C 2.24 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.
Urteil vom 20.05.2025 -
BVerwG 4 C 2.24ECLI:DE:BVerwG:2025:200525U4C2.24.0
Zulässigkeit einer Spielhalle im unbeplanten Innenbereich - zulässiger Wohnanteil im faktischen Kerngebiet
Leitsatz:
Ein faktisches Kerngebiet ist bei einer mehr als unerheblichen, d. h. über Ausnahmen hinausgehenden sonstigen Wohnnutzung ausgeschlossen.
-
Rechtsquellen
BauGB § 34 Abs. 2 BauNVO § 7 -
Instanzenzug
VG Lüneburg - 03.12.2020 - AZ: 2 A 404/18
OVG Lüneburg - 14.12.2023 - AZ: 1 LC 11/21
-
Zitiervorschlag
BVerwG, Urteil vom 20.05.2025 - 4 C 2.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:200525U4C2.24.0]
Urteil
BVerwG 4 C 2.24
- VG Lüneburg - 03.12.2020 - AZ: 2 A 404/18
- OVG Lüneburg - 14.12.2023 - AZ: 1 LC 11/21
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2025 durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Seidel und Dr. Koch sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Stamm für Recht erkannt:
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2023 aufgehoben.
- Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
- Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
I
1 Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheides über die planungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzung eines Gebäudes in der A.straße in L. als Spielhalle. Das Vorhabengrundstück liegt nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans.
2 Die etwa 145 m lange A.straße befindet sich in einem innerstädtischen, verkehrsberuhigten Bereich in der Nähe des M. Sie verbindet die - vom M. ausgehenden - Straßen S.straße/A. M. im Westen und G.straße im Osten. Die G.straße ist die Haupteinkaufsstraße. In den Straßen S.straße/A. M. werden die Erdgeschosse vorwiegend gastronomisch genutzt. Am M. befinden sich u. a. das Amts- und das Landgericht, das Rathaus sowie zwei großflächige Einzelhandelsbetriebe. In der A.straße überwiegen Gebäude mit Einzelhandelsgeschäften im Erdgeschoss und Wohnungen in den darüber liegenden Geschossen; daneben finden sich u. a. ein Boarding House, die Immobilienabteilung der Sparkasse, eine Einrichtung für kommunale Beratungsangebote sowie Zugänge zu einem Irish Pub und zu einem Programmkino.
3 Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin auf Erteilung des Bauvorbescheides im Jahr 2017 ab. Auch der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos. Das Verwaltungsgericht hat ihrer Klage stattgegeben und die Beklagte zur Erteilung des Bauvorbescheides verpflichtet. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen. Die Nutzung als Spielhalle sei nach § 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB i. V. m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als Vergnügungsstätte zulässig, da die Eigenart der näheren Umgebung einem Kerngebiet entspreche. Die nähere Umgebung des Vorhabens umfasse nicht nur die A.straße, sondern "mindestens auch noch" den nördlich gelegenen M. und die Nutzungen entlang der Verbindungsstraßen A. M./S.straße und G.straße. In diesem Bereich seien sämtliche in § 7 Abs. 1 BauNVO genannten Nutzungen (Handelsbetriebe, zentrale Einrichtungen der Wirtschaft, Verwaltung und Kultur) vorhanden. Die Einstufung als faktisches Kerngebiet sei auch mit der nicht unerheblichen, aber noch untergeordneten Wohnnutzung in der näheren Umgebung vereinbar. Kerngebiete dienten in beschränktem Umfang auch dem Wohnen; die Erleichterung und Sicherung der Wohnnutzung sei gerade erklärtes Ziel der Novelle der Baunutzungsverordnung im Jahr 1977 gewesen, auf die die heutige Fassung der Vorschrift im Wesentlichen zurückgehe. Die fehlende Erwähnung in § 7 Abs. 1 BauNVO sei nicht Ausdruck einer auf Minimierung der Wohnnutzung im Kerngebiet gerichteten Haltung des Verordnungsgebers, sondern eine Kompromisslösung, die lediglich die unbeschränkte Zulassung auf Kosten der vorrangigen Nutzungen verhindern wolle. Insoweit sei auch unschädlich, dass eine Wohnnutzung im Kerngebiet nach § 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 BauNVO nur ausnahmsweise oder nach Maßgabe eines Bebauungsplans zulässig sei. Die Baunutzungsverordnung richte sich in erster Linie an den Plangeber.
4 Gemäß Mitteilung der Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat hat der Rat der Beklagten am 30. Januar 2024 - nach Abschluss des Berufungsverfahrens - die Aufstellung eines Bebauungsplans und am 1. Februar 2024 eine Veränderungssperre für das streitgegenständliche Grundstück beschlossen.
5 Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend: Die Bestimmung der näheren Umgebung durch das Oberverwaltungsgericht sei unzureichend. Der Bereich südlich des Vorhabengrundstücks sei nicht ausreichend in den Blick genommen worden. Bei zutreffender Bestimmung der näheren Umgebung sei eine erhebliche Wohnnutzung vorhanden und ein faktisches Kerngebiet schon deshalb ausgeschlossen. Letzteres gelte aber auch dann, wenn man den vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Wohnanteil zugrunde lege, weil dieser über bloße Ausnahmen (§ 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO) hinausgehe. Die Zulassung einer Wohnnutzung in diesem Umfang sei vom Verordnungsgeber allein in den Verantwortungsbereich des Plangebers gelegt worden. Das Vorhaben sei an § 34 Abs. 1 BauGB zu messen und danach unzulässig.
6 Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil.
II
7 Die Revision ist zulässig und begründet. Das angegriffene Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es stellt sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Senat kann nicht selbst in der Sache entscheiden; das erfordert die Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
8 Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens beurteilt sich nach § 34 BauGB, weil das Grundstück Bestandteil eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils ist. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben dort zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Für den Fall, dass die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete entspricht, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, ordnet § 34 Abs. 2 BauGB an, dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach beurteilt, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet (allgemein oder ausnahmsweise) zulässig wäre (BVerwG, Urteil vom 16. September 2010 - 4 C 7.10 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 212 Rn. 15). Das Oberverwaltungsgericht hat bei der Festlegung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB Bundesrecht verletzt (1.). Ferner stehen seine Annahmen zur Wohnnutzung im faktischen Kerngebiet nicht mit Bundesrecht in Einklang (2.).
9 1. Die Abgrenzung der näheren Umgebung durch das Oberverwaltungsgericht ist mit bundesrechtlichen Maßgaben nicht vereinbar.
10 a) Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der die nähere Umgebung bildende Bereich so weit reicht, wie sich die Ausführung des zur Genehmigung gestellten Vorhabens auswirken kann und wie die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst (BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 2016 - 4 C 7.15 - BVerwGE 157, 1 Rn. 9 m. w. N.). Sind diese räumlichen Bereiche nicht deckungsgleich, ist der größere maßgeblich (vgl. BVerwG, Urteile vom 21. November 1980 - 4 C 30.78 - Buchholz 406.11 § 34 BBauG Nr. 79 S. 85 und vom 19. September 1986 - 4 C 15.84 - BVerwGE 75, 34 <41 f.>). Bei der Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB ist die nähere Umgebung der Umgriff, der hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB maßgeblich ist. Denn für die Beurteilung eines Bereichs als faktisches Baugebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB ist gleichfalls die nähere Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB maßgebend (BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 7 m. w. N.). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2019 - 4 B 27.19 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 Rn. 8 m. w. N.).
11 b) Die Anwendung dieser Maßstäbe im konkreten Fall ist indes mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren. Mit der Formulierung, neben der A.straße seien "mindestens auch noch" der nördlich gelegene M. und die Nutzungen entlang der Verbindungsstraßen A. M./S.straße und G.straße einzubeziehen, "jedenfalls" diese Nutzungen seien prägend für den Standort des Bauvorhabens (UA S. 6 f.), bleibt der konkrete Umgriff der näheren Umgebung, insbesondere südlich der A.straße, offen. Das Oberverwaltungsgericht ist auch nicht davon ausgegangen, dass es auf eine genaue Abgrenzung der näheren Umgebung im Süden nicht ankommt. Das Urteil enthält keine Feststellungen dazu, dass die Nutzungsstruktur nach jeder insoweit in Betracht kommenden Variante vergleichbar ist. Ohne abschließende Festlegung des maßgeblichen Bereichs der näheren Umgebung fehlt es aber an der notwendigen Grundlage für eine Prüfung der Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BauGB.
12 2. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, die Eigenart der näheren Umgebung entspreche einem Kerngebiet und das streitgegenständliche Vorhaben sei daher nach § 34 Abs. 2 Halbs. 1 i. V. m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO zulässig. Der Einordnung als faktisches Kerngebiet stehe nicht entgegen, dass im maßgeblichen Bereich - wie hier - eine nicht unerhebliche, aber noch untergeordnete Wohnnutzung vorhanden sei. Dies ist mit Bundesrecht nicht zu vereinbaren.
13 a) Maßgebliche Bedeutung für die Beurteilung, ob die nähere Umgebung einem Baugebiet entspricht, das in der Baunutzungsverordnung bezeichnet ist, kommt der allgemeinen Zweckbestimmung in den Absätzen 1 der Baugebietsvorschriften zu. Bei der Bestimmung der Eigenart der näheren Umgebung sind zudem die in den Baugebieten (allgemein) zulässigen Nutzungen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 2019 - 4 C 10.18 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 224 Rn. 20 ff.; Söfker/Hellriegel, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand November 2024, § 34 Rn. 79). Der Gebietscharakter wird schließlich durch das Vorkommen nur ausnahmsweise zulässiger Nutzungen noch nicht in Frage gestellt, solange beispielsweise die erkennbaren "Grundzüge der Planung" nicht berührt werden (vgl. § 31 Abs. 1 BauGB). Etwas Anderes gilt dann, wenn die vorhandenen Vorhaben sich nicht auf wirkliche Ausnahmefälle beschränken, sondern gerade als "Ausnahmen" eine eigene prägende Wirkung auf die Umgebung ausüben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2000 - 4 B 1.00 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 197 S. 14 f.).
14 Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur (§ 7 Abs. 1 BauNVO). Zulässig sind Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter (§ 7 Abs. 2 Nr. 6 BauNVO) und sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans (§ 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO). Ausnahmsweise zugelassen werden können nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen. § 7 Abs. 4 BauNVO erlaubt für Teile eines Kerngebiets unter bestimmten Voraussetzungen besondere Festsetzungen zur Wohnnutzung.
15 b) Ausgehend von dieser Regelungssystematik ist ein faktisches Kerngebiet bei einer - wie hier vom Oberverwaltungsgericht festgestellten - nicht unerheblichen, d. h. über Ausnahmen hinausgehenden sonstigen Wohnnutzung ausgeschlossen. § 34 Abs. 2 BauGB verweist auf der Rechtsfolgenseite "allein" auf die nach der Baunutzungsverordnung zulässigen Arten der baulichen Nutzung. Zu den bezeichneten Baugebieten im Sinne des Tatbestandes können daher nur diejenigen Baugebiete nach den §§ 2 ff. BauNVO gehören, für die die Baunutzungsverordnung die zulässige Art der baulichen Nutzung selbst regelt. Daran fehlt es, wenn die maßgebliche Vorschrift die Entscheidung, welche Anlagen allgemein zulässig, unzulässig oder ausnahmsweise zulassungsfähig sind, nicht selbst trifft, sondern sie vom Planungsträger verlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. September 2010 - 4 C 7.10 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 212 Rn. 16). Die Verweisung auf die §§ 2 ff. BauNVO findet mithin dort eine Grenze, wo die Baunutzungsverordnung eine planerische Entscheidung der Gemeinde vorsieht (so Dürr, in: Brügelmann, BauGB, Stand Januar 2025, § 34 Rn. 135; vgl. ferner BVerwG, Beschlüsse vom 12. Februar 1990 - 4 B 240.89 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 133 S. 37 f. und vom 11. Dezember 1992 - 4 B 209.92 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 154 S. 71). Davon ausgehend ist das Kerngebiet hinsichtlich der Wohnnutzung nur insoweit "bezeichnet" im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB, wie der Verordnungsgeber die Entscheidung über die in einem Kerngebiet allgemein oder ausnahmsweise zulässige Wohnnutzung selbst getroffen hat (§ 7 Abs. 2 Nr. 6, § 7 Abs. 3 BauNVO). Die darüber hinausgehende Wohnnutzung steht unter einem Planvorbehalt (§ 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 4 BauNVO). Dieser darf bei der Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB nicht übergangen werden.
16 Aus der Verordnungshistorie folgt nichts Anderes. Der Verordnungsgeber hat - trotz entsprechender Vorschläge (siehe Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau [Hrsg.], Arbeitsgruppe "Baunutzungsverordnung" beim Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Materialien zur Baunutzungsverordnung, 1988, S. 40) – die Wohnnutzung weder im Jahr 1977 noch im Zuge der späteren Novellierungen in die Zweckbestimmung des § 7 Abs. 1 BauNVO aufgenommen oder den Planvorbehalt in § 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 4 BauNVO gestrichen. Die Zulässigkeit der über Ausnahmen hinausgehenden Wohnnutzung im Kerngebiet bleibt daher an eine bewusste Entscheidung des Plangebers gebunden, die eine darauf bezogene Abwägung erfordert. Diese hat insbesondere das sich aus dem Nebeneinander von gewerblicher Nutzung und Wohnnutzung ergebende Konfliktpotential planerisch zu bewältigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 2013 - 4 C 8.12 - BVerwGE 147, 379 Rn. 17 m. w. N.). Eine solche planerische Konfliktbewältigung scheidet im faktischen Kerngebiet aus. Der Intention des Verordnungsgebers widerspräche es, bei der Beurteilung, ob nach § 34 Abs. 2 BauGB ein faktisches Kerngebiet vorliegt, die Vorschriften des § 7 Abs. 2 Nr. 7 oder Abs. 4 BauNVO heranzuziehen.
17 3. Das Urteil stellt sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Senat kann keine abschließende Entscheidung treffen. Es fehlen insbesondere die notwendigen tatsächlichen Feststellungen zur Beurteilung der Wirksamkeit der nach Abschluss des Berufungsverfahrens erlassenen Veränderungssperre. Diese Rechtsänderung ist für das Revisionsverfahren beachtlich, weil sie von der Vorinstanz, wenn sie jetzt entschiede, berücksichtigt werden müsste (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Dezember 2023 - 4 CN 6.22 - BVerwGE 181, 99 Rn. 53 m. w. N. und vom 24. April 2024 - 1 C 8.23 - BVerwGE 182, 174 Rn. 22). Eine Klage auf Verpflichtung zur Erteilung eines Vorbescheides ist nur begründet, wenn im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf dessen Erlass besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2009 - 4 C 16.07 - BVerwGE 133, 98 Rn. 11). Ungeachtet dessen wäre dem Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz weder eine abschließende Bestimmung der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB noch eine Beurteilung der Frage möglich (gewesen), ob sich das Vorhaben einfügt.