Urteil vom 01.04.2003 -
BVerwG 2 WD 48.02ECLI:DE:BVerwG:2003:010403U2WD48.02.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 01.04.2003 - 2 WD 48.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2003:010403U2WD48.02.0]

Urteil

BVerwG 2 WD 48.02

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 1. April 2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Pietzner,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Widmaier,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
sowie
Oberst Gülzow,
Stabsfeldwebel Affelt
als ehrenamtliche Richter,
Leitender Regierungsdirektor Sandbaumhüter
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...
als Verteidiger,
Justizobersekretärin von Förster
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:

  1. 1. Auf die Berufung des Soldaten wird das Urteil der ... Kammer des Truppendienstgerichts ... vom 6. Juni 2002 im Ausspruch über die Disziplinarmaßnahme, in der Kostenentscheidung und in der Entscheidung über die Aufhebung der Disziplinarverfügung vom 28. Juni 2001 aufgehoben.
  2. Das Verfahren wird eingestellt.
  3. 2. Die Kosten des Verfahrens und die dem Soldaten darin erwachsenen Auslagen werden dem Bund auferlegt.

Gründe

I

Der nunmehr 30-jährige Soldat erwarb im Juli 1989 den Realschulabschluss und durchlief danach das Berufsgrundbildungsjahr an den Berufsbildenden Schulen M. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, die er im Juni 1992 erfolgreich abschloss. Bis zu seinem Eintritt in die Bundeswehr war er als Baugehilfe tätig.

Mit Bescheid des Kreiswehrersatzamtes M. vom 24. November 1992 wurde der Soldat zur Ableistung seines Grundwehrdienstes zum 4. Januar 1993 einberufen. Aufgrund seiner Bewerbung wurde er mit Wirkung vom 1. Januar 1994 in das Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit berufen und seine Dienstzeit entsprechend der von ihm abgegebenen Verpflichtungserklärungen zunächst auf vier Jahre, zuletzt auf zwölf Jahre und neun Monate festgesetzt. Sie wird voraussichtlich mit Ablauf des 30. September 2005 enden.

Nach erfolgreicher Teilnahme an den Lehrgängen Personalhauptverwalter Luftwaffe und Stabsdienstfeldwebel Luftwaffe sowie dem Feldwebellehrgang wurde er am 21. April 1997 zum Feldwebel und mit Wirkung vom 1. Januar 1999 zum Oberfeldwebel ernannt.

Unter vorangehender Kommandierung ab dem 30. August 2000 wurde er mit Wirkung vom 1. Oktober 2000 als Innendienstbearbeiter B in den Stab Fliegerisches Ausbildungszentrum der Luftwaffe in A. (... ..., USA) mit einer vorgesehenen Verwendungsdauer bis 30. September 2003 versetzt.

Mit Verfügung vom 13. März 2001 wurde er unter vorausgehender Kommandierung mit Wirkung ab 1. August 2001 an die .../Fachschule der Luftwaffe in M. zum Zwecke der Ausbildung als Offizier des militärfachlichen Dienstes versetzt. Diese Versetzungsverfügung wurde aufgrund des Vorfalls, der Gegen-stand des vorliegenden Verfahrens ist, durch die Stammdienststelle der Luftwaffe am 13. Juli 2001 aufgehoben. Unter vorangehender Kommandierung wurde er zum 1. August 2001 zur Stabsgruppe der Technischen Schule der Luftwaffe (TSLw) ... nach F. versetzt und dort im S 1-Bereich eingesetzt. Von der zum 1. Oktober 2001 vorgesehenen Zulassung zur Laufbahn der Offiziere des militärfachlichen Dienstes wurde Abstand genommen.

Nach seiner Beförderung zum Oberfeldwebel sind dem Soldaten Laufbahnbeurteilungen am 19. August 1999, 19. Oktober 1999, 26. Juli 2000 und 10. No-vember 2000 erteilt worden. In der Sonderbeurteilung vom 8. Dezember 2000 wird dem Soldaten ein vorbildliches Berufsverständnis attestiert. Daneben werden sein besonderes Engagement, sein Einsatzwille und seine Einsatzbereitschaft hervorgehoben. Seine Leistungen wurden einmal mit der Wertungsstufe „7” („Einsatzbereitschaft”), elfmal mit „6” und viermal mit „5” benotet. Seine Eignung und Befähigung wurde einmal mit „E” („Befähigung zur Einsatz- und Betriebsführung”) und dreimal mit „D” bewertet. Unter „Verantwortungsbewusstsein” wird über ihn ausgeführt:

„Oberfeldwebel ... ist ein ausgesprochen verantwortungsfreudiger Soldat. Er besticht durch seine herausragende Einsatzbereitschaft und seine weit überdurchschnittliche Motivation. Er war in der Nachschubstaffel stets bereit, sich über seinen Aufgabenbereich hinaus zu engagieren, setzte sich auch hier mit aller Arbeitskraft, mit Elan und Initiative ein.

Diese Eigenschaften machten ihn in der Nachschubstaffel zu einer treibenden Kraft, die den Weg des Unteroffizierkorps ganz entscheidend mitbestimmt und nachhaltig geprägt hat. Er stellte sich uneingeschränkt der ihm übertragenen Verantwortung, resultierend aus seiner Funktion als Staffelfeldwebel. Für die Folgen seines Verhaltens stand er auch in kritischen Momenten vorbehaltlos ein.”

Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen” heißt es u.a.:

„... Oberfeldwebel ... zeigt bezüglich seiner weit überdurchschnittlichen Leistungsbereitschaft ein vorbildliches Berufsverständnis. Vorbehaltlos stellt er sich den Anforderungen seines Berufs und der damit verbundenen Verantwortung.

Seinen sehr deutlich ausgeprägten Ehrgeiz, der ihn teilweise übermotiviert erscheinen lässt, wird er in naher Zukunft in ausschließlich positive Bahnen lenken.

Insgesamt verfügt Oberfeldwebel ... über hervorragende Anlagen und überdurchschnittliches Entwicklungs- und Wachstumspotential. Diese Eigenschaften werden ihn auch in der Zukunft zur Übernahme höherwertiger Führungsaufgaben befähigen.”

Der nächsthöhere Vorgesetzte bewertete seine Förderungswürdigkeit mit „E”.

In der Hauptverhandlung vor der Truppendienstkammer hat sein Disziplinarvorgesetzter, der Staffelchef Hauptmann B., am 6. Juni 2002 ausgeführt, der Soldat erbringe herausragende Leistungen und habe wieder eine hervorragende Beurteilung zu erwarten. Er sei im Unteroffizierkorps und über den Stab hinaus angesehen und geschätzt. Er habe einen festen Platz gefunden. Das gerichtliche Disziplinarverfahren habe keinen Einfluss auf seine Einsatzbereitschaft gehabt. Er bewerte seine Einsatzbereitschaft mit „7”. Der Soldat sei eindeutig im vorderen Drittel der Einheit, innerhalb dieses Drittels im oberen Drittel einzuordnen.

In der Sonderbeurteilung vom 11. März 2003 hat Hauptmann B. als Disziplinarvorgesetzter diese sehr positive Einschätzung der dienstlichen Leistungen des Soldaten bestätigt und diese dreimal („Einsatzbereitschaft”, „Belastbarkeit”, „Zusammenarbeit”) mit „7”, zehnmal mit „6” sowie dreimal mit „5” bewertet. Für die Eignung und Befähigung des Soldaten vergab er zweimal („Verantwortungsbewusstsein”, „Eignung zur Menschenführung/Teambefähi-gung”) die Wertung „E” sowie zweimal die Wertung „D”. Unter „Herausragende charakterliche Merkmale, Kameradschaft, berufliches Selbstverständnis, Bewährung im Einsatz und ergänzende Aussagen” heißt es:

„Innerhalb kürzester Zeit nach Zuversetzung hat sich Oberfeldwebel ... voll und ganz in das S 1-Team integriert. Er ist menschlich und fachlich eine echte Bereicherung. Trotz seiner derzeitigen Situation hat er weder Schaffenskraft noch Arbeitsfreude verloren. Absolut beeindruckend und in dieser Form von mir noch nie beobachtet sind seine Eigenschaften im Umgang mit jungen Soldaten. Er versteht es in geradezu genialer Weise, sich auf Menschen einzustellen und sie für sich und für die Auftragsdurchführung zu gewinnen. Sein berufliches Selbstverständnis und seine ausgeprägte Kameradschaft sind beispielgebend.

Sein erfrischender Humor und seine natürliche Autorität, verbunden mit dem deutlich vorhandenen Fachwissen, sind eine absolute Bereicherung für jede Dienststelle. Oberfeldwebel ... ist eine Bereicherung für jedes Team.

Für seine herausragenden Leistungen im S 1-Stabsgebiet erhielt Oberfeldwebel ... am 17.12.2002 eine Leistungsprämie durch den Kommandeur TSLw ...”

Der nächsthöhere Vorgesetzte, Oberst L., stimmte der Beurteilung grundsätzlich mit der Begründung zu, sie werde der Persönlichkeitsstruktur sowie dem Eignungs-, Befähigungs- und Leistungsprofil des Soldaten weitestgehend gerecht. Er bewertete allerdings das Einzelmerkmal „Urteil- und Entscheidungsfindung” mit „5” (statt „6”) sowie das Einzelmerkmal „Geistige Befähigung” mit „C” (statt „D”). Den Verwendungshinweisen von Hauptmann B. (für Lehrverwendungen „geeignet”, für Fach- und Führungsverwendungen in der Truppe jeweils „gut geeignet”, für Stabs- und allgemeine Führungsverwendungen jeweils „besonders geeignet”) stimmte Oberst L. grundsätzlich zu; lediglich für allgemeine Führungsverwendungen sah er ihn abweichend als „gut geeignet” an. Die Förderungswürdigkeit bewertete er mit „E”.

Der Soldat ist berechtigt, das Abzeichen für Leistungen im Truppendienst in Gold zu tragen.

Der Auszug aus dem Disziplinarbuch weist eine ihm im Dezember 1995 durch den Staffelchef der Nachschubstaffel Jagdgeschwader ... „...” erteilte förmliche Anerkennung wegen vorbildlicher Pflichterfüllung sowie einen am 12. Februar 1999 ebenfalls durch den Staffelchef Nachschubstaffel Jagdgeschwader ... „...” gegen ihn verhängten strengen Verweis aus, weil er sich am 21. Januar 1999 im Anschluss an eine Unteroffizierfeier in Anwesenheit ihm unterstellter Unteroffiziere mit einem ehemaligen Staffelangehörigen im Ortsbereich W. geprügelt hatte.

Der Stabszugführer Stab Fliegerisches Ausbildungszentrum der Luftwaffe in H. AFB verhängte nach der am 26. Juni 2001 erfolgten Anhörung der Vertrauensperson am 28. Juni 2001 wegen des Sachverhalts, der auch Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, gegen den Soldaten eine Disziplinarbuße in Höhe von 2.500 DM, die wegen der dagegen vom Soldaten eingelegten Beschwerde noch nicht bestandskräftig ist.

Der letzte, vom 10. September 2002 datierende, Auszug aus dem Zentralregister enthält keine Eintragungen.

Der ledige Soldat erhält Dienstbezüge aus der Besoldungsgruppe A 7 mit Amtszulage in der 5. Stufe des Bundesbesoldungsgesetzes in Höhe von monatlich brutto 1.896,93 €, dies entspricht unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge einem Netto von 1.572,24 €. Tatsächlich zur Auszahlung gelangen unter Berücksichtigung einer Vorschusstilgung und Einbehaltung von Beiträgen für vermögenswirksame Leistungen 1.452,09 €.

II

III