Beschluss vom 01.07.2021 -
BVerwG 2 B 71.20ECLI:DE:BVerwG:2021:010721B2B71.20.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.07.2021 - 2 B 71.20 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:010721B2B71.20.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 71.20

  • VG Düsseldorf - 25.03.2019 - AZ: VG 35 K 18758/17.O
  • OVG Münster - 01.07.2020 - AZ: OVG 3d A 1895/19.O

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Juli 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und Dollinger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Juli 2020 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die allein auf Verfahrensmängel gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist unbegründet.

2 1. Der 1970 geborene Beklagte trat 1989 in den mittleren Polizeivollzugsdienst des klagenden Landes ein. 1995 stieg er nach erfolgreich absolviertem Fachhochschulstudium in den gehobenen Polizeivollzugsdienst auf, 2007 wurde er zum Kriminalhauptkommissar befördert.

3 Im Oktober 2013 wurde der Beklagte durch einen 2014 rechtskräftig gewordenen Strafbefehl wegen des Besitzes von 459 Bilddateien mit kinderpornographischem Inhalt auf seinem privaten PC im Zeitraum vom 22. März 2013 bis zum 16. April 2013 zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Im sachgleichen Disziplinarverfahren veranlasste der Kläger die gutachterliche Auswertung der wiederhergestellten PC-Dateien des Beklagten durch einen Sachverständigen. Die im Anschluss daran mit dem Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht mit der Begründung abgewiesen, es lasse sich nicht mit der für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme erforderlichen Überzeugungsgewissheit feststellen, dass der Beklagte ein Dienstvergehen begangen habe. Da sowohl der Beklagte als auch seine Ehefrau den PC genutzt hätten, fehle es an der erforderlichen Gewissheit, dass die inkriminierten Bilddateien durch ihn auf die Festplatte des PC gelangt seien. Die Indizwirkung des rechtskräftigen Strafbefehls sei durch das substanziierte Bestreiten des Beklagten entkräftet.

4 Die dagegen vom Kläger erhobene Berufung hat das Oberverwaltungsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, es lasse sich nach weiterer Sachaufklärung auch durch gutachterlich tätig gewordene Sachverständige nicht mit der für die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme erforderlichen Überzeugungsgewissheit feststellen, dass der Beklagte ein Dienstvergehen begangen habe. Dem Beklagten könne schon nicht mit hinreichender Sicherheit die Speicherung der inkriminierten Dateien zugerechnet werden. Der Sachverständige habe bestätigt, dass sich auch bei einer Suche nach legalen Pornographie-Seiten in Form von sogenannten Pop-Up Fenstern öffnen können, die kinderpornographische Darstellungen enthielten. Denkbar sei auch, dass sich Bilder im Hintergrund öffneten, ohne unmittelbar sichtbar zu sein. Bezogen auf die Anzahl von über 400 einschlägigen Dateien sei eine zufällige Speicherung zwar ungewöhnlich, aber nicht auszuschließen. Im Rahmen der Beweiswürdigung sei zusätzlich zu berücksichtigen, dass in Bezug auf eine dem Beklagten nachweisbare Verursachung der Speicherung inkriminierter Bilddateien "nur" 350 mit Zeitstempeln versehene Dateien in Betracht kämen. Im Ergebnis sei nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass die Bilder im Rahmen einer legalen Internetnutzung in den Internet-Cache des PC gelangt seien. Selbst wenn die Zeitstempel der Dateien als belastbares Indiz für die reale Tatzeit und damit für den Nachweis der Täterschaft eines bestimmten Nutzers des PC in Betracht kämen, fehlte es zumindest in Bezug auf drei der in Rede stehenden fünf Tatzeiträume an einem ausreichenden Maß an Sicherheit, dass der Beklagte zu den fraglichen Zeitpunkten tatsächlich in seiner Wohnung gewesen sei und auf den PC habe zugreifen können, während bei einem weiteren Tatzeitraum neben dem Beklagten auch ohne Weiteres dessen Ehefrau als Täterin in Betracht komme.

5 Außerdem fehle es, wenn man eine objektive Sachherrschaft des Beklagten bezogen auf die Tatzeiträume annähme, an der vollen Gewissheit, dass er, wenn er von der Speicherung der Dateien im Cache Kenntnis hatte, auf diese auch vor der Löschung habe zugreifen können. Selbst wenn man annehme, dass der Beklagte bemerkt habe, dass sich Fenster mit inkriminierten Dateien von ihm unbeabsichtigt geöffnet hätten, fehle die erforderliche Gewissheit, dass er auf diese Dateien im Internet-Cache habe zugreifen können. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei nämlich nicht auszuschließen, dass der Beklagte unmittelbar, nachdem ihm die Dateien aufgefallen seien, das Internet verlassen habe und/oder der PC heruntergefahren worden sei. In diesem Fall wären die im Cache gespeicherten Dateien automatisch gelöscht worden. Eine solche sofortige Löschung des inkriminierten Inhalts des Internet-Cache begründe deutliche Zweifel an einem auf den Besitz an den betreffenden Vorschaudateien bezogenen Vorsatz des Beklagten.

6 2. Die gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erhobenen Verfahrensrügen greifen nicht durch. Die Beschwerde hat keinen Verfahrensmangel im Sinne vom § 133 Abs. 3 VwGO dargelegt, auf dem das Berufungsurteil beruhen kann.

7 a) Der Kläger rügt zunächst, das Berufungsgericht sei verfahrensfehlerhaft davon ausgegangen, dass Gegenstand der Disziplinarklage lediglich der Vorwurf sei, der sich aus den Feststellungen des rechtskräftigen Strafbefehls ergebe. Vielmehr seien dem Beklagten mit der Disziplinarklage weitere Pflichtverletzungen vorgeworfen worden, so der Besitz von jugend- und tierpornographischen Schriften auf seinem PC und des Weiteren auf einer privaten externen Festplatte. In der Disziplinarklage werde dazu u.a. ausgeführt, die mit über 550 Dateien erhebliche Anzahl an kinder- und jugendpornographischen Darstellungen sei erschwerend zu berücksichtigen und auch der Besitz von tierpornographischen Dateien offenbare tiefgreifende Persönlichkeitsmängel.

8 Damit ist ein Verfahrensfehler nicht dargelegt. Zutreffend ist zwar, dass die Disziplinarklage dem Beklagten an zwei Stellen vorwirft, nicht nur die ihm mit rechtskräftigem Strafbefehl zu Last gelegten 459 kinderpornographischen Bilddateien, sondern zugleich auch jugend- und tierpornographische Bilddateien besessen zu haben (Klageschrift Bl. 18, 25) und darüber hinaus über eine private externe Festplatte verfügt zu haben, auf der solche Bilddateien hinterlegt gewesen seien (Klageschrift, Bl. 25). Nähere Angaben zu Herkunft, Anzahl und Inhalt der jugend- und tierpornographischen Dateien macht die Klageschrift aber nicht.

9 Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 LDG NW muss die Klageschrift indes die Tatsachen, in denen ein Dienstvergehen gesehen wird, und die anderen Tatsachen und Beweismittel, die für die Entscheidung bedeutsam sind, geordnet darstellen. Die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, müssen aus sich heraus verständlich geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben sowie die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden. Dadurch soll sichergestellt werden, dass sich der Beamte gegen die disziplinarischen Vorwürfe sachgerecht verteidigen kann. Auch tragen die gesetzlichen Anforderungen an die Klageschrift dem Umstand Rechnung, dass sie Umfang und Grenzen der gerichtlichen Disziplinarbefugnis festlegt. Denn gemäß § 53 Abs. 1 LDG NW dürfen nur Handlungen zum Gegenstand der Urteilsfindung gemacht werden, die dem Beamten in der Klage oder der Nachtragsklage als Dienstvergehen zur Last gelegt worden sind. Aus der Klageschrift muss bei verständiger Lektüre deshalb eindeutig hervorgehen, welche konkreten Handlungen dem Beamten als Dienstvergehen zur Last gelegt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2007 - 2 A 3.05 - Buchholz 235.1 § 52 BDG Nr. 4 Rn. 27 f. und Beschlüsse vom 20. Dezember 2011 - 2 B 59.11 - juris Rn. 5 m.w.N. und vom 17. Juli 2013 - 2 B 27.12 - juris Rn. 14; Weiß, in: GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Band 2, Stand 4/2021, M § 52 BDG Rn. 87, 96).

10 Diesem Substanziierungserfordernis dürfte die vorliegende Disziplinarklage hinsichtlich der nur pauschal angeschuldigten jugend- und tierpornographischen Bilddateien kaum genügt haben. Es fehlt hinsichtlich dieser Anschuldigung an der Mitteilung von Tatsachen, die das pauschal vorgeworfene außerdienstliche Dienstvergehen nach Ort, Zeit und Art des Verhaltens präzisieren. Dies kann im Ergebnis indes dahinstehen. Denn das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass der Vorwurf des Besitzes jugend- und tierpornographischer Bilddateien weder vom Anklageschriftsatz erfasst noch Gegenstand des behördlichen Disziplinarverfahrens gewesen sei und es auch zu keiner Ausdehnung des Disziplinarverfahrens auf diesen Vorwurf gekommen sei (UA S. 14). Gegenstand des disziplinaren Vorwurfs sei entsprechend dem Inhalt des rechtskräftig gewordenen Strafbefehls vielmehr allein der Besitz kinderpornographischer Bilddateien.

11 Unabhängig davon, ob diese Annahme des Verwaltungsgerichts zutrifft, ist der Kläger mit der Rüge, das Berufungsgericht habe die Reichweite des dem Beklagten vorgeworfenen außerdienstlichen Dienstvergehens - den zusätzlich angeschuldigten Besitz jugend- und tierpornographischer Bilddateien - verfahrensfehlerhaft verkannt, jedenfalls ausgeschlossen, weil er diese Verfahrensrüge erstmals mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision erhoben hat. Im Berufungsverfahren hat der Kläger weder in der Berufungsbegründungsschrift noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht auf den ihm seit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils bekannten, aber nunmehr erstmals gerügten vermeintlichen Verfahrensmangel im Hinblick auf die Reichweite des dem Beklagten vorgehaltenen Dienstvergehens hingewiesen. Dadurch hat er sein Rügerecht verwirkt.

12 Der Rechtsgedanke der Verwirkung als Unterfall des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch im öffentlichen Recht einschließlich des öffentlichen Dienstrechts anwendbar. Dieser Einwand setzt neben dem Zeitablauf voraus, dass der Inhaber eines materiellen oder prozessualen Anspruchs oder Gestaltungsrechts innerhalb eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (BVerwG, Urteil vom 29. August 1996 - 2 C 23.95 - BVerwGE 102, 33 <36> m.w.N. und Beschlüsse vom 29. Oktober 2008 - 2 B 22.08 - juris Rn. 4 und vom 6. Juni 2014 - 2 B 75.13 - Buchholz 449 § 3 SG Nr. 73 Rn. 15). Danach kann ein Beamter oder Soldat sowohl sein materielles Recht auf Überprüfung und gegebenenfalls Änderung seiner dienstlichen Beurteilung als auch das prozessuale Klagerecht (BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1972 - 2 BvR 255/67 - BVerfGE 32, 305 <308 ff.>; BVerwG, Urteil vom 13. November 1975 - 2 C 16.72 - BVerwGE 49, 351 <358>) oder auch seinen Anspruch auf Zahlung einer jährlichen Sonderzuwendung verwirken (Urteil vom 13. November 2008 - 2 C 11.07 - Buchholz 449.4 § 30 Soldatenversorgungsgesetz Nr. 1 Rn. 21 ff.).

13 Auch dem Verwaltungsprozessrecht ist der Gedanke der Verwirkung nicht fremd. Betrifft der behauptete Verfahrensverstoß etwa eine Vorschrift, auf deren Befolgung die Partei verzichten kann (vgl. § 295 Abs. 2 ZPO), kann der Mangel nach dem auch im Verwaltungsprozess über § 173 VwGO geltenden Verschweigungsgedanken des § 295 Abs. 1 ZPO nicht mehr geltend gemacht werden, wenn die Partei bei der nächsten mündlichen Verhandlung den Mangel nicht gerügt hat, obgleich sie erschienen und ihr der Mangel bekannt war oder bekannt sein musste. Ein Verzichtswille ist für den Verlust des Rügerechts nicht erforderlich. (BVerwG, Beschluss vom 31. März 2008 - 9 B 55.07 - BeckRS 2008, 34380 Rn. 5; BFH, Beschluss vom 31. Januar 1989 - VII B 162/88 - NVwZ-RR 1990, 335 f.; Kraft, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 132 Rn. 53 m.w.N. und Buchheister, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand Juli 2020, § 132 Rn. 102 f. jeweils m.w.N. der Rspr).

14 Die Vorschrift des § 295 ZPO greift bei der Verletzung einer das Verfahren betreffenden Rechtsvorschrift, insbesondere der Verletzung einer verzichtbaren Formvorschrift bezüglich einer Prozesshandlung, ein. Sie ist verfassungsgemäß (BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. April 2010 - 1 BvR 3515/08 - BeckRS 2010, 49078 Rn. 44). Verfahrensvorschriften sind allerdings unverzichtbar, wenn sie für das Funktionieren des Rechtsschutzes unerlässliche Voraussetzung sind. Unerlässlich sind insbesondere diejenigen Vorschriften, die die verfassungsrechtlichen Anforderungen an ein gerichtliches Verfahren konkretisieren. Es handelt sich um die Unabhängigkeit des Richters (Art. 97 Abs. 1 GG), den Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), die Möglichkeit der Äußerung der Parteien vor Gericht (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie die Notwendigkeit einer gleichbleibenden, nach denselben Regeln funktionierenden Gestaltung des Verfahrens (auf dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3 GG und dem Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG beruhend). Sobald Verfahrensvorschriften sich auf solche verfassungsrechtlichen Anforderungen zurückführen lassen, sind sie nicht verzichtbar. Für die Verletzung einer solchen unverzichtbaren Verfahrensvorschrift ist vorliegend aber nichts ersichtlich und auch nichts vorgetragen.

15 Um sich das Rügerecht zu erhalten, muss der vom Verfahrensverstoß betroffene Beteiligte eindeutig zum Ausdruck bringen, er werde sich mit dem Verstoß nicht abfinden, etwa indem er einen Antrag auf Vertagung oder weitere mündliche Verhandlung stellt; das Vorbehalten aller "Rechte" oder "Schritte" reicht nicht. Der Beteiligte muss vielmehr die ihm nach der Prozessordnung zu Gebote stehenden Möglichkeiten nutzen, um den Verfahrensmangel in der Instanz zu beseitigen (BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1976 - 6 C 21.76 - NJW 1977, 313 <314> und Beschluss vom 30. September 1988 - 9 CB 47.88 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 84 S. 26; BFH, Beschluss vom 31. Januar 1989 - VII B 162/88 - NVwZ-RR 1990, 335 f.). Der Verlust des Rügerechts führt dazu, dass der Verfahrensmangel im weiteren Verlauf des Verfahrens, auch in den Rechtsmittelinstanzen, nicht mehr geltend gemacht werden kann.

16 Daran gemessen, hätte der Kläger die erstmals in der Beschwerde über die Nichtzulassung der Revision erhobene Rüge, das Berufungsgericht habe verkannt, dass dem Beklagten mit der Disziplinarklage nicht nur der Besitz von kinderpornographischen Bilddateien, sondern darüber hinaus auch der Besitz von jugend- und tierpornographischen Bilddateien zur Last gelegt worden sei, bereits in der Berufungsbegründung, spätestens aber in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 24. Juni 2020 erheben müssen. Denn Kenntnis davon, dass das Verwaltungsgericht den Vorwurf, jugend- und tierpornographische Bilddateien besessen zu haben weder als von der Disziplinarklage nicht erfasst noch als später daraufhin ausgedehnt angesehen hat, hat der Kläger - wie bereits ausgeführt - spätestens ab Zustellung des erstinstanzlichen Urteils haben müssen (VG-Urteil, UA S. 14). Nach der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 24. Juni 2020 ergaben sich für den Kläger auch aus der mündlichen Verhandlung keine Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht dies anders beurteilt.

17 Eine Verfahrensrüge nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO aber stellt generell kein Mittel dar, um die einem Verfahrensbeteiligten zurechenbaren Versäumnisse in der Tatsacheninstanz im Verfahren über die Zulassung der Revision zu kompensieren. Deshalb muss von der Beschwerde gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Korrektur des dem Beteiligten seit langem bekannten, von ihm aber erstmals im Zulassungsverfahren nach § 132 Abs. 2 VwGO gerügten Verfahrensfehlers, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht das Vorliegen eines solchen Verfahrensfehlers auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (vgl. dazu die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Aufklärungsrüge: BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 <217 f.>; Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14, vom 19. Februar 2018 - 2 B 51.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 6, vom 15. Januar 2020 - 2 B 40.19 - Rn. 18 und vom 25. Februar 2021 - 2 B 69.20 - NVwZ-RR 2021, 540 Rn. 27). Daran fehlt es - wie bereits dargestellt - vorliegend.

18 b) Auch die weitere Verfahrensrüge des Klägers, das Berufungsgericht habe § 59 Abs. 4 LDG NW i.V.m. § 275 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 StPO verletzt, weil das vollständig abgesetzte Urteil nicht innerhalb der danach gesetzlich bestimmten Absetzungsfrist von spätestens fünf Wochen nach der Verkündung zu den Akten gelangt sei, greift nicht durch. Es fehlt der Beschwerde bereits an dem nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zur Begründung des Verfahrensmangels erforderlichen Tatsachenvortrag dazu, dass das von allen Berufsrichtern unterschriebene und vollständige abgesetzte Urteil nicht innerhalb der Frist des § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO zu den Akten gelangt ist.

19 Im Übrigen ist die Beschwerde aber auch in der Sache unbegründet. Nach § 59 Abs. 4 LDG NW gilt für die Absetzung von Disziplinarurteilen § 275 Abs. 1 StPO entsprechend. § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO bestimmt, dass das vollständig mit Gründen versehene Strafurteil - vorausgesetzt die Hauptverhandlung hat nicht länger als drei Tage gedauert - spätestens fünf Wochen nach der Verkündung zu den Akten zu bringen ist. Das am 1. Juli 2020 verkündete Urteil (OVG-Akten, Bl. 345 f.) ist laut Aktenvermerk des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle am 5. August 2020 vollständig abgesetzt und damit rechtzeitig innerhalb der gesetzlich bestimmten Frist von fünf Wochen nach der Verkündung auf der Geschäftsstelle eingegangen (OVG-Akten, Bl. 347).

20 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NW i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Werts des Streitgegenstands bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.