Beschluss vom 01.10.2019 -
BVerwG 6 AV 14.19ECLI:DE:BVerwG:2019:011019B6AV14.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.10.2019 - 6 AV 14.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:011019B6AV14.19.0]

Beschluss

BVerwG 6 AV 14.19

  • VG Minden - 06.09.2019 - AZ: VG 10 K 5187/16

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Oktober 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Tegethoff und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Steiner
beschlossen:

Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Paderborn bestimmt.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die Speicherung ihrer Privatanschrift durch das Jobcenter Kreis Paderborn.

2 Die Klägerin, eine Berufsbetreuerin, erhob Klage beim Verwaltungsgericht Minden mit den Anträgen, den Beklagten zu verpflichten, die zu ihrer Person gespeicherten privaten Daten, insbesondere die Privatadresse, aus sämtlichen Systemen des Beklagten zu löschen sowie festzustellen, dass Aufnahme, Speicherung und Verwendung ihrer Privatadresse rechtswidrig waren. Dem lag zugrunde, dass der Beklagte die Festsetzung eines gegenüber der Klägerin verhängten Verwarnungsgeldes an die Privatanschrift der Klägerin und nicht an deren Büro adressiert hatte. Der Beklagte teilte dem Verwaltungsgericht mit, dass die Daten im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens erhoben worden seien.

3 Mit Beschluss vom 6. Mai 2019 unterbreitete das Verwaltungsgericht den Beteiligten einen Vergleichsvorschlag und gab ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu einer Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Paderborn.

4 Nachdem nur der Beklagte dem Vergleichsvorschlag zugestimmt hatte, erklärte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 31. Mai 2019 den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Amtsgericht Paderborn. Für die geltend gemachten Ansprüche gelte die Sonderzuweisung des § 62 Abs. 1 Satz 1 OWiG, der Maßnahmen einer Verwaltungsbehörde auch nach Abschluss eines Bußgeldverfahrens erfasse, wenn sie in engem Zusammenhang dazu stünden.

5 Mit Beschluss vom 10. Juli 2019 lehnte das Amtsgericht Paderborn die Übernahme des Verfahrens ab. Es betreffe eine von einem deutschen Rechtsanwalt erhobene Verpflichtungs- und Feststellungsklage und es sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Rechtsanwalt in der Lage sei, zwischen einer Klage vor dem Verwaltungsgericht und einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG zu unterscheiden. Die Klageschrift sei einer Umdeutung nicht zugänglich und es fehle an dem für ein Verfahren nach § 62 OWiG zwingend notwendigen Antrag. Zudem sei die Speicherung von Daten keine Maßnahme mit selbständiger Bedeutung. Schließlich könne das Amtsgericht die begehrte Löschung von Daten im Verfahren nach § 62 OWiG nicht aussprechen.

6 Das Verwaltungsgericht hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 6. September 2019 dem Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II

7 1. Das vom Verwaltungsgericht Minden angerufene Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Amtsgericht Paderborn und dem Verwaltungsgericht Minden zuständig. Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2016:​100316B6AV1.16.0] - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 3 und vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 [ECLI:​DE:​BVerwG:​2019:​100419B6AV11.19.0] - NJW 2019, 2112; BGH, Beschluss vom 26. Juli 2001 - X ARZ 69/01 - NJW 2001, 3631 <3632>). Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Mai 2013 - X ARZ 167/13 - MDR 2013, 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Eine solche Situation ist vorliegend gegeben. Sowohl das Amtsgericht Paderborn als auch das Verwaltungsgericht Minden erachten sich nicht für zuständig.

8 2. Für die Entscheidung über die von der Klägerin im Wege objektiver Klagehäufung geltend gemachten Leistungs- und Feststellungsansprüche ist das Amtsgericht Paderborn durch die gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Verweisung des Rechtsstreits im Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 31. Mai 2019 zuständig geworden.

9 Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Keiner der Beteiligten hat den Beschluss vom 31. Mai 2019 mit der Beschwerde angefochten, so dass er unanfechtbar geworden ist. Die Bindungswirkung nach § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war (BVerwG, Beschluss vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4) oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990) getroffen hat.

10 Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, den Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 - 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzliche Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden, etwa wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 1970 - 2 BvR 48/70 - BVerfGE 29, 45 <48 f.>, vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - BVerfGE 58, 1 <45> und vom 26. August 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hiervon kann nur dann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 10. März 2016 - 6 AV 1.16 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 36 Rn. 4 und vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - NJW 2019, 2112 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 8. Juli 2003 - X ARZ 138/03 - NJW 2003, 2990 <2991>, vom 9. Dezember 2010 - Xa ARZ 283/10 - MDR 2011, 253 und vom 18. Mai 2011 - X ARZ 95/11 - NJW-RR 2011, 1497; BFH, Beschluss vom 20. Dezember 2004 - VI S 7/03 - BFHE 209, 1 <3 f.>). Das ist hier nicht der Fall.

11 Den von der Klägerin unbeschränkt geltend gemachten Löschungsanspruch ("... aus sämtlichen Systemen des Beklagten ...") und ihre Feststellungsbegehren hat das Verwaltungsgericht auf die Mitteilung des Beklagten, die Privatanschrift der Klägerin sei im Bußgeldverfahren erhoben worden, auf diesen Teilbereich verengt. Mit Blick auf den so gefassten Streitgegenstand hat es die Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 62 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 1 OWiG angenommen. Ob sich das als rechtlich zutreffend erweist, da eine Verweisung des Rechtsstreits nach § 17a Abs. 2 Satz 1 GVG nur dann in Betracht kommt, wenn der beschrittene Rechtsweg schlechthin, d.h. für den Klageanspruch mit allen in Betracht kommenden Klagegründen, unzulässig ist (BVerwG, Beschluss vom 15. Dezember 1992 - 5 B 144.91 - Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 5), kann hier dahinstehen. Denn die Verweisung erweist sich auch unter Berücksichtigung der im Beschluss des Amtsgerichts Paderborn vom 10. Juli 2019 angeführten Gründe nicht als nicht mehr verständlich, offensichtlich unhaltbar oder gar objektiv willkürlich. Deshalb verbleibt es bei der in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordneten Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses.