Beschluss vom 01.12.2023 -
BVerwG 9 B 15.23ECLI:DE:BVerwG:2023:011223B9B15.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 01.12.2023 - 9 B 15.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:011223B9B15.23.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 15.23

  • VG München - 25.02.2021 - AZ: M 10 K 18.3440
  • VGH München - 14.03.2023 - AZ: 8 BV 21.1145

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Dezember 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler und Dr. Martini
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. März 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 451 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde, die sich allein auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO stützt, bleibt ohne Erfolg. Die Frage,
"Führt eine im Kontext des gebührenrechtlichen Normsetzungsverfahrens zu Grunde gelegte Praxis, Gebührensätze und gestufte Gebührentatbestände im Rahmen von Gebührensatzungen festzulegen, ohne dass die zu Grunde gelegten Berechnungsgrundlagen und die angewandte Differenzierungssystematik nachvollziehbar dargelegt und die für die Bemessung von Gebührensätzen sowie für die Bestimmung von gestuften Gebührentatbeständen zu Grunde gelegte Tatsachengrundlage dokumentiert werden, zu einer unzulässigen Verkürzung der sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebenden Rechtsschutzgarantie?",
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.

2 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3 Sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Verwaltungsgerichtshof haben die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Gebührenbescheids - wenngleich mit unterschiedlichen Ergebnissen - an Art. 18 Abs. 2a Satz 5 BayStrWG, mithin einer nicht revisiblen Vorschrift des Landesrechts, gemessen. Danach sind für die Bemessung von Sondernutzungsgebühren Art und Ausmaß der Einwirkung auf die Straße und den Gemeingebrauch sowie das wirtschaftliche Interesse des Gebührenschuldners zu berücksichtigen. Gemäß § 4 Abs. 1 der Satzung der Beklagten über die Gebühren für Sondernutzungen auf öffentlichen Straßen in der Landeshauptstadt München (Sondernutzungsgebührensatzung) wird die Höhe der Gebühren durch die Verkehrsbedeutung der Straßen, Wege und Plätze, in denen die Sondernutzung ausgeübt wird, durch den wirtschaftlichen Wert für den Benutzer, durch den Umfang, in dem der Gemeingebrauch beeinträchtigt werden kann, und durch die Dauer der Sondernutzung bestimmt. Zur Bestimmung der Bedeutung der Straßen, Wege und Plätze unterteilt die Satzung diese in Anlage II in vier Straßengruppen. Geht es wie hier um Freischankflächen weist Anlage I diesen Straßengruppen jeweils unterschiedliche Gebührensätze pro Quadratmeter - 16 € für die Straßengruppe I, 25 € für die Straßengruppe II, 46 € für die Straßengruppe III und 77 € für die Straßengruppe S - zu.

4 Die Klägerin bezeichnet zu Unrecht die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig, ob aus Art. 19 Abs. 4 GG eine Verpflichtung des Satzungsgebers folgt, die Voraussetzungen einer Eingruppierung in die einzelnen Straßengruppen darzulegen und die Höhe der Gebühren zu begründen. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nur dann begründen, wenn die bundesrechtliche Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Inhalt und Reichweite der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG sind jedoch hinsichtlich der hier inmitten stehenden Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach eröffnet die Rechtsweggarantie dem Betroffenen den Weg zu einem staatlichen Gericht, das den Grundsätzen der Art. 92 und 97 GG genügen muss und steht dem Bürger auch bei Rechtsverletzungen, die im Zusammenhang mit dem Erlass untergesetzlicher Rechtsnormen wie Rechtsverordnungen und Satzungen stehen, uneingeschränkt der Rechtsweg offen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. Oktober 1978 - 2 BvR 1055/76 - BVerfGE 49, 329 <340> und vom 17. Januar 2006 - 1 BvR 541/02 - BVerfGE 115, 81 <92>; BVerwG, Urteil vom 3. November 1988 - 7 C 115.86 - BVerwGE 80, 355 <361>). Geklärt ist zudem, dass Art. 19 Abs. 4 GG nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit gewährleistet, die Gerichte anzurufen, sondern dem Rechtsschutzsuchenden Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle gibt, welche die vollständige Nachprüfung von Maßnahmen der öffentlichen Gewalt in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht einschließt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2021 ‌- 2 BvR 899/20 - juris Rn. 22; BVerwG, Urteil vom 2. März 2017 - 2 C 21.16 - ‌BVerwGE 157, 366 Rn. 16).

5 Bei der richterlichen Kontrolle von (untergesetzlichen) Normen kommt es, soweit keine anderweitigen Rechtsvorschriften bestehen, auf das Ergebnis des Rechtssetzungsverfahrens, d. h. auf die erlassene Vorschrift in ihrer regelnden Wirkung an, nicht aber auf die die Rechtsnorm tragenden Motive dessen, der an ihrem Erlass mitwirkt, oder auf den der Verordnung zugrundeliegenden Abwägungsvorgang (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. April 2006 - 6 C 19.05 - BVerwGE 125, 384 Rn. 16 und vom 22. November 2022 - 3 CN 2.21 - DVBl 2023, 730 Rn. 12). Eine willkürliche Handhabung durch die Behörden ist im Bereich des Gebühren- und Beitragsrechts durch eine dem jeweiligen Zusammenhang angemessene Regelungsdichte auszuschließen (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. März 2019 - 9 C 4.18 - BVerwGE 165, 138 Rn. 42). Dieser Forderung des Bestimmtheitsgebots hat die Beklagte vorliegend u. a. dadurch Rechnung getragen, dass sie die Bemessung des wirtschaftlichen Interesses des Sondernutzungsberechtigten anhand von vier Straßengruppen nach der Verkehrsbedeutung differenziert; die grundsätzliche Sachgerechtigkeit eines solchen Vorgehens ist höchstrichterlich geklärt (BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1988 - 4 C 14.88 - NVwZ 1989, 557 <558>).

6 Dass es bei der Normenkontrolle allein auf den Inhalt der maßgeblichen Vorschrift ankommt, schränkt deren Überprüfbarkeit nicht ein. Die Gerichte sind gehalten, umfassend zu prüfen, ob der Satzungsgeber die Grenzen seines Gestaltungsermessens gewahrt hat. Stehen etwa Differenzierungen oder die Höhe einer Gebührenfestsetzung in Streit, so hat das Gericht deren Rechtfertigung unabhängig davon zu kontrollieren, ob bereits im Normgebungsverfahren Gründe hierfür niedergelegt wurden. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Satzungsgeber Gründe hierfür (spätestens) im gerichtlichen Verfahren vorträgt. Rechtfertigen diese oder andere, vom Gericht von Amts wegen herangezogene Kriterien beispielsweise eine Ungleichbehandlung nicht, ist die entsprechende Satzungsbestimmung nichtig.

7 Dementsprechend hat das Berufungsgericht umfassend geprüft, ob die Sondernutzungsgebührensatzung mit dem Äquivalenzprinzip und dem Gebot der Belastungsgleichheit vereinbar ist. Danach geht die Einteilung der Straßen in verschiedene Gruppen bereits auf das Jahr 1964 zurück und umfasst die Gruppe III besonders bevorzugte und die Gruppe II mittlere Verkehrs- und Geschäftslagen sowie - seit 1985 - die Gruppe S den Innenstadtbereich. Kriterien für die Einstufung waren den Feststellungen des Gerichts zufolge u. a. die Frequentierung durch Fußgänger und Gastronomiebesucher, die Attraktivität der Straße bzw. des Viertels, der wirtschaftliche Wert sowie die ortsüblichen Mieten und Pachten. Für die Hochstufung des Bereichs, in dem der klägerische Betrieb lag, von der Straßenklasse II auf III war danach maßgeblich, dass dieser nahe an der Isar liegt, es relativ wenig Straßenverkehr gibt und sich dort mehrere Gaststätten mit großen Freischankflächen befinden, die immer sehr gut besucht sind. Zur Anhebung der Gebühren hat das Gericht festgestellt, dass durch liberalere Gestaltungs- und Öffnungsregelungen der wirtschaftliche Wert von Freischankflächen zugenommen hat und dass die Erhöhung zumindest teilweise durch den Wegfall der bislang jährlich erhobenen Bearbeitungs- und Verwaltungsgebühr ausgeglichen wird. In die Gebührenbemessung eingeflossen sind danach auch ein bundesweiter Vergleich der Sondernutzungsgebühren vergleichbarer Städte sowie die in entsprechender Lage marktübliche Höhe der Gewerbemieten und -pachten, dem zufolge in dem Gebiet, in dem die Klägerin ihr Gewerbe betrieb, die monatliche Belastung durch die Sondernutzungsgebühr weniger als zehn Prozent der durchschnittlichen Monatspacht - jeweils bezogen auf den Quadratmeter - beträgt. Die Beklagte hat danach damit kalkuliert, dass die jetzige Gebühr einer knappen Tageseinnahme entspricht. Der Gebührenanstieg für die Klägerin beruhte zudem nicht allein auf der generellen Anhebung der Gebühren, sondern insbesondere auch darauf, dass sich die Sondernutzungserlaubnis der Klägerin zuvor nur auf eine Freischankfläche von 24,06 m² anstelle der tatsächlich genutzten 78,06 m² bezog. Rechtsschutzlücken sind angesichts dieser das Revisionsgericht bindenden Feststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) weder erkennbar noch vom Kläger dargelegt.

8 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.