Beschluss vom 02.04.2007 -
BVerwG 4 B 7.07ECLI:DE:BVerwG:2007:020407B4B7.07.0

Beschluss

BVerwG 4 B 7.07

  • VGH Baden-Württemberg - 14.11.2006 - AZ: VGH 5 S 330/06

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. April 2007
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rojahn und Gatz
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 14. November 2006 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 224 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beigeladene beimisst.

3 1.1 Die Beschwerde wirft eine Reihe von Fragen zum Erfordernis des im Zusammenhang bebauten Ortsteiles i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf. Sie möchte rechtsgrundsätzlich geklärt wissen, ob eine Ansammlung von Gebäuden, die nur durch die Privilegierung des landwirtschaftlichen und gärtnerischen Betriebs als Außenbereichsvorhaben gerechtfertigt sind, einen Ortsteil im Sinne dieser Vorschrift bilden kann. Sie wirft ferner sinngemäß die Fragen auf, ob ein organischer Bebauungszusammenhang angenommen werden könne, „wenn bei einer Bebauung mit nur wenigen Objekten Freiflächen vorhanden sind, welche die bebauten Flächen an Größe weit übertreffen“, und nach welchen Grundsätzen sich beurteilt, ob „Baulücken“ vorliegen, „wenn zwischen den bebauten Grundstücken größere freie noch landwirtschaftlich genutzte Flächen liegen, die zudem mit Gewächshäusern ausgestattet sind“. Diese Fragen lassen, soweit sie überhaupt einer verallgemeinerungsfähigen, fallübergreifenden Klärung zugänglich sind, keinen revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf erkennen.

4 Die Frage, welche Anforderungen an das Vorliegen eines Bebauungszusammenhangs i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu stellen sind, ist im Grundsatz in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt. Danach ist ausschlaggebend, ob und inwieweit eine tatsächlich aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört (zusammenfassend Urteil vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C 2.66 - BVerwGE 31, 20 <21 f.>). Ortsteil i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (Urteil vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C 31.66 - BVerwGE 31, 22 <26 f.>). Für die Frage, ob ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil vorliegt, kommt es auf die tatsächlich vorhandene Bebauung an. Die Gründe für ihre Genehmigung sind unerheblich. Auch Gebäude, die nach § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB im Außenbereich privilegiert sind, können zur Entwicklung eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils beitragen. Es kommt weder auf die Zweckbestimmung noch auf die Entstehungsgeschichte der vorhandenen Bebauung an (Urteil vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C 31.66 - a.a.O. S. 27).

5 Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich noch als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern auf Grund einer umfassenden Bewertung des im Einzelfall vorliegenden konkreten Sachverhalts zu entscheiden (Urteil vom 6. November 1968 - BVerwG 4 C 2.66 - a.a.O. S. 21; Beschluss vom 15. September 2005 - BVerwG 4 BN 37.05 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 205 m.w.N.). Zur Bebauung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB gehören in der Regel nur bauliche Anlagen, die geeignet sind, dem Gebiet ein bestimmtes städtebauliches Gepräge zu verleihen. Hierzu zählen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen (Beschluss vom 2. März 2000 - BVerwG 4 B 15.00 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 198 m.w.N.). Dazu können auch landwirtschaftlichen oder erwerbsgärtnerischen Zwecken dienende Betriebsgebäude gehören. Welche Bedeutung Straßen und Wegen für die Abgrenzung von Innen- und Außenbereich zukommt, ergibt sich ebenfalls nur aus einer Bewertung der tatsächlichen Gegebenheiten (Beschluss vom 10. März 1994 - BVerwG 4 B 50.94 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 165 m.w.N.). Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass diese Maßstäbe, die auch der Verwaltungsgerichtshof zugrunde gelegt hat, der Konkretisierung oder Fortentwicklung bedürfen.

6 Im Übrigen verkennt die Beschwerde, dass der maßgebliche Bebauungszusammenhang nach Ansicht des Berufungsgerichts aus den Häusern S.straße Nr. 46, 46 a, 44 und 40, dem Anwesen Nr. 38 - 38 a, dem Wohnhaus Nr. 28, den ihm gegenüberliegenden drei Wohnhäusern sowie den gegenüber dem Wohnhaus des Klägers stehenden zwei aneinandergebauten Betriebsgebäuden gebildet wird. Auf die vorhandenen Gewächshäuser in der Umgebung der zur Bebauung vorgesehenen Grundstücke hat die Vorinstanz bei ihrer Bewertung der baulichen Gegebenheiten nicht entscheidungstragend abgestellt. Die nach Osten führende Front von Gewächshäusern südlich der S.straße ordnet sie nicht dem Bebauungszusammenhang zu (UA S. 14). Wie das weitere Vorbringen der Beschwerde zur Begründung der erhobenen Grundsatzrügen zeigt, richten sich die Angriffe der Beigeladenen in der Sache gegen die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung. Eine derart einzelfallbezogene Entscheidungskritik ist jedoch nicht geeignet, die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darzulegen.

7 1.2 Der Vorwurf der Beschwerde, das angegriffene Urteil weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 30. April 1969 - BVerwG 4 C 38.67 - (BRS 22 Nr. 76) ab, erfüllt die Darlegungsvoraussetzungen einer Divergenzrüge i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht und ist daher unzulässig (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Im Übrigen enthält das vorgenannte Urteil keinen entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz, von dem das Berufungsgericht in seinem Urteil abgewichen sein könnte.

8 1.3 Die von der Beschwerde weiter aufgeworfene Frage, „ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen das Gericht die Baugenehmigungsbehörde zur Erteilung eines anderen Bauvorbescheids verpflichten darf als denjenigen, den der Kläger beantragt hat“, unterstellt einen Sachverhalt, den das Berufungsgericht nicht festgestellt hat. Nach den Gründen des angefochtenen Urteils macht der Kläger einen Anspruch auf Erteilung eines Bauvorbescheids zu der Frage geltend, ob das beabsichtigte Vorhaben nach Maßgabe der im Bauantrag eingereichten Bauvorlagen in bauplanungsrechtlicher Hinsicht, insbesondere an der bezeichneten Stelle und in dem bezeichneten Umfang, errichtet werden darf. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorbringen des Klägers im Berufungsrechtszug dahin gewertet, dass er diesen Anspruch weiter verfolgt.

9 2. Die Verfahrensrügen bleiben ebenfalls erfolglos.

10 2.1 Die Beschwerde greift die Auffassung des Berufungsgerichts, das für den Bau des östlichen Doppelhauses vorgesehene Grundstück liege innerhalb eines Bebauungszusammenhangs, mit zahlreichen Aufklärungsrügen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) an, sieht zugleich einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) und macht geltend, das Berufungsurteil stelle insoweit eine unzulässige Überraschungsentscheidung dar (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO). Ferner vermisst sie eine Begründung dafür, dass zwischen den Häusern Nr. 38/38 a und 28 ein Bebauungszusammenhang bestehe.

11 Die Aufklärungsrügen sind unzulässig. Sie genügen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde legt nicht substantiiert dar, welche Aufklärungsmaßnahmen das Berufungsgericht nach der von ihm durchgeführten Einnahme des Augenscheins noch hätte ergreifen sollen. Weiterhin hätte dargelegt werden müssen, dass bereits im berufungsgerichtlichen Verfahren, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, entweder auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht weitere Ermittlungen auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung hätten aufdrängen müssen. Das Berufungsgericht geht im rechtlichen Ansatz davon aus, dass über das Bestehen einer Baulücke nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben zu entscheiden sei, sondern auf der Grundlage einer umfassenden Wertung und Bewertung der konkreten Gegebenheiten. Es hatte deshalb von seinem Rechtsstandpunkt aus keinen Anlass, die von der Beschwerde vermisste mathematisch-präzise Bestandsaufnahme hinsichtlich der Abstände der vorhandenen Bebauung nördlich und südlich der S.straße vorzunehmen. Ebenso wenig kam es nach Auffassung der Vorinstanz auf den von der Beschwerde betonten Umstand an, zwischen dem Wohnhaus des Klägers und dem Anwesen Nr. 38 - 38 a befänden sich auf beiden Seiten der S.straße „riesige Gewächshäuser“.

12 Das Berufungsurteil stellt hinsichtlich der Annahme, das vorgesehene Baugrundstück liege innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils, auch kein unzulässiges Überraschungsurteil dar. Zur Klärung der baulichen Gegebenheiten hat das Berufungsgericht eine Augenscheinseinnahme an Ort und Stelle durchgeführt. Die Frage nach dem maßgeblichen Bebauungszusammenhang bildete den rechtlichen Schwerpunkt der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme. Das Berufungsgericht war nicht gehalten, den Beteiligten die seiner Auffassung nach entscheidenden Gesichtspunkte für die Annahme eines Bebauungszusammenhangs vor Erlass des Urteils mitzuteilen.

13 Anhaltspunkte dafür, dass das Berufungsgericht die Grundsätze der richterlichen Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) verletzt haben könnte, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Die Beschwerde greift die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung und Rechtsanwendung an, indem sie der Beweiswürdigung des Berufungsgerichts eine eigene, davon abweichende Beweiswürdigung entgegensetzt. Damit kann ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht dargetan werden. Der von der Beschwerde erhobene Vorwurf mangelnder Begründung des Bebauungszusammenhangs erschöpft sich ebenfalls in einer inhaltlichen Urteilskritik, mit der eine Verfahrensrüge nicht begründet werden kann.

14 2.2 Erfolglos bleiben müssen auch die Verfahrensrügen zur Annahme des Berufungsgerichts, die in dem maßgeblichen Bebauungszusammenhang stehenden Gebäude bildeten einen Ortsteil i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Auch insoweit liegen die gerügten Aufklärungsmängel (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO) nicht vor. Fehl geht auch der Vorwurf, das Berufungsurteil enthalte insoweit eine unzulässige Überraschungsentscheidung. Das Berufungsgericht gelangt auf Grund seiner Beweisaufnahme zu dem Ergebnis, die Bebauung in dem hier maßgeblichen Abschnitt der S.straße sei Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur; die Gebäude bildeten nicht mehr eine unerwünschte Splittersiedlung, sondern wirkten eher wie eine städtebaulich gewollte, auslaufende Ortsrandbebauung entlang einer Gemeindeverbindungsstraße. Dieses Beweisergebnis beruht auf einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (UA S. 16 bis 18). Die erhobenen Aufklärungsrügen erschöpfen sich wiederum in einer inhaltlichen Kritik der vorinstanzlichen Sachverhaltswürdigung. Verfahrensfehler sind damit nicht dargetan. Für eine unzulässige Überraschungsentscheidung fehlt auch insoweit jeglicher Anhaltspunkt. Der Hinweis des Berufungsgerichts (S. 17), das Gewicht der Bebauung in dem hier maßgeblichen Abschnitt der S.straße unterscheide sich deutlich von für sich durchaus gewichtigen Siedlungsansätzen und Splittersiedlungen außerhalb der drei Ortskerne von Niederzell, Mittelzell oder Oberzell, ist nicht entscheidungstragend, sondern dient lediglich der Bestätigung des aus der Augenscheinseinnahme gewonnenen Eindrucks.

15 2.3 Entgegen der Beschwerde beruht die Ansicht des Berufungsgerichts, das östliche Doppelhaus füge sich gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die nähere Umgebung ein, nicht auf einem Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 138 Nr. 6 VwGO. Das Berufungsgericht ist auf der Grundlage seiner vorangegangenen Ausführungen zum Vorliegen eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils davon ausgegangen, dass das östliche Doppelhaus sich in die nähere Umgebung einfügt. Das gilt nach Auffassung der Vorinstanz für das Maß der baulichen Nutzung ebenso wie für die überbaubare Grundstücksfläche. Als maßstabsbildend hat es die Bebauung zwischen den Häusern Nr. 46 und Nr. 38/38 a angesehen. Anhaltspunkte dafür, dass das östliche Doppelhaus innerhalb dieses Rahmens bodenrechtlich beachtliche Spannungen auslösen oder vorhandene Spannungen erhöhen könnte, hat das Berufungsgericht nicht gesehen. Ein Verstoß gegen die Grundsätze der richterlichen Überzeugungsbildung kann darin nicht gesehen werden. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB verlangt, dass sich das Bauvorhaben in die nähere Umgebung einfügt. Das gesamte Landschaftsbild der Insel Reichenau musste das Berufungsgericht bei Anwendung dieser Vorschrift nicht in den Blick nehmen.

16 3. Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsurteil könne auch deshalb keinen Bestand haben, weil dem Kläger das Rechtsschutzinteresse an der vom Berufungsgericht ausgesprochenen Verpflichtung fehle, beschränkt sie sich auf Rechtsausführungen, die ihren vom Berufungsurteil abweichenden Rechtsstandpunkt stützen sollen. Grundsatz-, Divergenz- oder Verfahrensrügen (vgl. § 132 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 VwGO) erhebt die Beschwerde insoweit nicht.

17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.