Beschluss vom 02.04.2025 -
BVerwG 9 B 72.24ECLI:DE:BVerwG:2025:020425B9B72.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.04.2025 - 9 B 72.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:020425B9B72.24.0]

Beschluss

BVerwG 9 B 72.24

  • VG Schwerin - 22.01.2020 - AZ: 7 A 2280/18 SN
  • OVG Greifswald - 27.01.2024 - AZ: 3 LB 408/20 OVG

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. April 2025
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Plog
beschlossen:

  1. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern über die Nichtzulassung der Revision gegen seinen Beschluss vom 27. Januar 2024 wird aufgehoben.
  2. Die Revision wird zugelassen.
  3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
  4. Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird vorläufig auf 417,11 € festgesetzt.

Gründe

1 Die Beschwerde ist zulässig (1.) und begründet (2.).

2 1. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 27. Januar 2024 ist zulässig, obwohl sie weder innerhalb eines Monats nach der am 31. Januar 2024 erfolgten Zustellung des Beschlusses an den Kläger von dessen Prozessbevollmächtigtem eingelegt noch innerhalb von zwei Monaten begründet worden ist, weshalb die Fristen nach § 133 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 VwGO versäumt worden sind. Dem Kläger ist insoweit nach § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

3 Der Kläger war ohne Verschulden verhindert, die Fristen für die Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten, weil über seinen innerhalb der Einlegungsfrist gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts erst nach Ablauf der Einlegungs- und der Begründungsfrist entschieden worden ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13. Dezember 2011 - 1 B 23.11 - juris Rn. 2 und vom 21. Juli 2020 - 9 B 19.19 - juris Rn. 2).

4 Der Kläger hat auch fristgerecht nach Wegfall des Hindernisses Wiedereinsetzung beantragt und die versäumten Rechtshandlungen nachgeholt. Das Hindernis für die Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde ist mit der Zustellung des Beschlusses vom 9. August 2024 - 9 PKH 1.24 -, mit dem der Senat dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm seinen Prozessbevollmächtigten beigeordnet hat, am 20. August 2024 entfallen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2020 - 9 B 19.19 - juris Rn. 3 m. w. N.). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat am 3. September 2024 und damit binnen zwei Wochen gemäß § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1, Satz 3 VwGO beim Oberverwaltungsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt und Wiedereinsetzung beantragt. Vor der Entscheidung über diesen Wiedereinsetzungsantrag hat er am Montag, den 21. Oktober 2024 und damit innerhalb von zwei Monaten seit Zustellung des Prozesskostenhilfebeschlusses die Beschwerde unter Beantragung von Wiedereinsetzung auch gegen die Versäumung der Begründungsfrist begründet. Auch dies ist als fristgerecht anzusehen. Dem steht nicht entgegen, dass nach § 60 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, Satz 3 VwGO für den Fall der Versäumung der Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde eine Frist von einem Monat für die Nachholung der Rechtshandlung vorgesehen ist. Denn für den Fall, dass - wie hier - das Hindernis für die Fristwahrung in der Mittellosigkeit aufgrund eines nicht verbeschiedenen Prozesskostenhilfeantrags liegt, muss nach Wegfall dieses Hindernisses die volle Rechtsmittelbegründungsfrist wieder eröffnet sein, um eine nicht gerechtfertigte Schlechterstellung von mittellosen Rechtsschutzsuchenden gegenüber bemittelten Beteiligten zu vermeiden und die verfassungsrechtlich gebotene Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 4 GG) zu gewährleisten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 2020 - 9 B 19.19 - juris Rn. 5 und <zu § 60 Abs. 2 a. F.> vom 17. April 2002 - 3 B 137.01 - NVwZ 2002, 992 m. w. N.; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 60 Rn. 38; Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2024, § 60 Rn. 65; vgl. aber auch BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2024 - 3 B 14.23 - juris Rn. 9 f., wonach gegen diese Auslegung Bedenken bestünden, aber jedenfalls von Amts wegen Wiedereinsetzung in die Wiedereinsetzungsfrist gewährt werden müsste). Damit stand dem Kläger eine zweimonatige Begründungsfrist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) seit Wegfall des Hindernisses zu, die vorliegend eingehalten worden ist.

5 2. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Revision ist gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Denn sie kann zur Klärung der Frage beitragen, ob eine Klage gegen die Erhebung eines Kostenvorschusses, von dem die (weitere) sachliche Bearbeitung eines Antrags abhängig gemacht wird, gemäß § 44a Satz 1 VwGO ausgeschlossen ist.

6 3. Die vorläufige Streitwertfestsetzung für das Revisionsverfahren beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 3, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG und entspricht der Wertfestsetzung des Oberverwaltungsgerichts im Beschluss vom 23. Januar 2020.

Rechtsbehelfsbelehrung


Das Beschwerdeverfahren wird als Revisionsverfahren unter dem Aktenzeichen BVerwG 9 C 3.25 fortgesetzt. Der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht.
Die Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzureichen.
Für die Beteiligten besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Begründung der Revision. Die Beteiligten müssen sich durch Bevollmächtigte im Sinne von § 67 Abs. 4 Satz 3 bis 6 VwGO, § 5 Nr. 6 Alt. 2 RDGEG vertreten lassen.