Beschluss vom 02.12.2021 -
BVerwG 1 B 38.21ECLI:DE:BVerwG:2021:021221B1B38.21.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.12.2021 - 1 B 38.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2021:021221B1B38.21.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 38.21

  • VG Bremen - 22.06.2020 - AZ: VG 4 K 1869/18
  • OVG Bremen - 21.04.2021 - AZ: OVG 2 LC 215/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. Dezember 2021
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Berlit und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp und Fenzl
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 21. April 2021 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (I.), der Divergenz (II.) und eines Verfahrensmangels (III.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 I. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

3 Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m.w.N.). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrunds erstrecken.

4 Nach diesen Grundsätzen bleibt die Grundsatzrüge ohne Erfolg.

5 1. Der von der Revision aufgeworfenen Frage,
"ob Ausländerbehörden i.S.d. § 71 Abs. 1 AufenthG ausschließlich Kommunalbehörden sind oder ob die Wahrnehmung der in § 71 Abs. 1 AufenthG gesetzlich geregelten Aufgaben auch den oberen Landesbehörden, den Landesministerien, zugewiesen werden darf und soweit das der Fall ist, ob die Begründung einer solchen Zuständigkeit über eine Rechtsverordnung erfolgen darf."
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie sich unter Heranziehung der einschlägigen Rechtsnormen und Rechtsgrundsätze zweifelsfrei beantworten lässt. Es liegt auf der Hand und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass § 71 Abs. 1 AufenthG keine Aussage darüber enthält, welche Behörden "Ausländerbehörden" sind. § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG weist die Zuständigkeit für aufenthalts- und passrechtliche Maßnahmen und Entscheidungen nach diesem Gesetz den Ausländerbehörden zu. Der Bundesgesetzgeber hat indes weder in § 71 AufenthG noch in einer sonstigen Vorschrift selbst bestimmt, welche Behörden als Ausländerbehörden anzusehen sind. Das Bundesrecht enthält mithin hinsichtlich der Vollziehung des Aufenthaltsgesetzes keine Vollregelung der sachlichen Zuständigkeit, sondern ist auf eine Ergänzung durch die jeweiligen Organisationsbestimmungen der Länder angewiesen (vgl. Gutmann, in: GK-AufenthG, § 71 Rn. 6 ff., Stand April 2021; Wittmann, in: BeckOK MigR, 9. Ed. 15.10.2021, § 71 AufenthG Rn. 3).

6 Werden Bundesgesetze von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt, ist es gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich Aufgabe der Länder, die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren zu regeln. Die Festlegung des Aufgabenkreises einer Behörde ist eine Regelung über die "Einrichtung" von Behörden in diesem Sinne (BVerfG, Urteil vom 17. Juli 2002 - 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01 - juris Rn. 48). Die Bestimmung, welche konkreten (Landes-)Behörden als Ausländerbehörde anzusehen sind, fällt deshalb gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG in die Regelungskompetenz der Länder. In welcher Rechtsform sie diese Bestimmungen treffen, ist zuvörderst eine Frage des (nicht revisiblen) Landesrechts. Das Bundesrecht enthält offensichtlich keinen Rechtsgrundsatz, wonach derartige Zuständigkeitsfestlegungen nicht durch Rechtsverordnung getroffen werden dürfen, sofern es dafür eine verfassungsgemäße Verordnungsermächtigung im Bundes- oder Landesrecht gibt (zur Bindung auch der Landesgesetzgebung an den in Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG enthaltenen Grundsatz vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1981 - 1 BvR 640/80 - BVerfGE 58, 257 <277>; BVerwG, Beschluss vom 5. Januar 2000 - 6 P 1.99 - BVerwGE 110, 253 <255 f.>).

7 Davon ausgehend ist die Revision auch nicht zur Klärung der von der Beschwerde in diesem Zusammenhang formulierten weiteren Fragen zuzulassen,
"ob die durch eine Rechtsverordnung geregelte Wahrnehmung von Aufgaben nach § 71 Abs. 1 AufenthG durch die Landesministerien zu einer Umgehung, bzw. Abschaffung des § 68 VwGO führt und dies mit der Intention des Bundesgesetzgebers vereinbar ist oder aber gegen Bundesrecht verstößt."
"ob die Verordnung (BremAufenthZVO) mit der bundesrechtlichen Vorschrift des § 68 VwGO vereinbar ist, ob die Verordnung Bundesrecht in verfassungskonformer Weise zum Nachteil der Betroffenen geändert hat und ob das Bundesrecht in § 71 Abs. 1 AufenthG dadurch geändert wurde, dass über eine landesrechtliche Verordnung ein Landesministerium dazu bestimmt worden ist, eine kommunale Ausländerbehörde i.S.d. § 71 Abs. 1 AufenthG zu sein und entsprechende Aufgaben wahrzunehmen."
"ob durch landesrechtliche Rechtsverordnungen oberste Landesbehörden dazu bestimmt werden können, Aufgaben unterer kommunaler Behörden wahrzunehmen und ob dies mit einerseits bundesrechtlichen Vorgaben, die die Aufgabenwahrnehmung nach § 71 Abs. 1 AufenthG bei den (unteren kommunalen) Ausländerbehörden verortet und den entsprechenden Rechtsbehelf in § 68 VwGO geregelt haben, andererseits unionsrechtlichen Vorgaben (vergl. dazu BVerwG Beschluss vom 15. April 2013 - 1 B 22.12 -) vereinbar ist."
"ob senatorische Behörden mit einer sog. Doppelstellung Aufgaben der unteren oder mittleren Kommunalbehörden wahrnehmen dürfen und Ausländerbehörden i.S.d. § 71 Abs. 1 AufenthG sein können."

8 Mit diesen Fragen und dem zugehörigen Vorbringen ist eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargelegt. Das folgt im Wesentlichen schon daraus, dass sie ganz überwiegend an die unzutreffende Annahme anknüpfen, der Bundesgesetzgeber habe in § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG eine Zuständigkeit der "unteren kommunalen Behörden" geregelt. Inwiefern § 68 VwGO einer Bestimmung von obersten Landesbehörden zu Ausländerbehörden i.S.d. § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG durch Rechtsverordnung des Landes entgegenstehen könnte, zeigt die Beschwerde nicht substantiiert auf. Sie legt insbesondere nicht dar, dass die Regelung über das Widerspruchsverfahren in § 68 VwGO dadurch abgeschafft, umgangen oder verletzt werden könnte. § 68 VwGO enthält in Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 VwGO selbst eine Bestimmung über die Entbehrlichkeit eines Vorverfahrens in Fällen, in denen der Verwaltungsakt von einer obersten Landesbehörde erlassen worden ist. Danach ist nicht nachvollziehbar, inwiefern Rechtsvorschriften, die für den Erlass bestimmter Verwaltungsakte die Zuständigkeit der obersten Landesbehörde - und sei es durch eine Selbsteintrittsbefugnis - begründen, § 68 VwGO "verletzen" könnten. Wie sich bereits aus den obigen Ausführungen ergibt, bewirken die in der Verordnung der Freien Hansestadt Bremen über die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden nach dem Aufenthaltsgesetz vom 28. November 2017 (AufhGZustV BR 2018) enthaltenen Zuständigkeitsbestimmungen - auch soweit sie den Senator für Inneres zu einer weiteren Ausländerbehörde bestimmen (§ 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 AufhGZustV BR 2018) - offensichtlich keine Änderung des § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, sondern ergänzen diesen. Die Beschwerde zeigt auch nicht auf, dass der Bundesgesetzgeber ausdrücklich geregelt hätte, "dass auf dem Gebiet des Ausländerrechts ein Vorverfahren stattfindet." Aus der von der Beschwerde herangezogenen Regelung des § 84 Abs. 2 AufenthG ergibt sich dies offenkundig ebensowenig wie aus § 71 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. § 84 Abs. 2 AufenthG regelt lediglich die Wirkung von Widerspruch und Klage im Falle von Ausweisungen und sonstigen Verwaltungsakten, die die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beenden. Damit ist keine Aussage darüber verbunden, dass gegen Ausweisungen in jedem Fall ein Widerspruch statthaft sein soll.

9 Die Behauptung, die Zuständigkeitsverordnung verstoße gegen das Gesetz zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 15. März 1960 (AGVwGO BR), indem es den Senator für Inneres zur Ausländerbehörde werden lasse und dadurch Art. 8 Abs. 4 AGVwGO BR "umgehe", vermag der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung zu verleihen. Sie betrifft ein irrevisibles Landesgesetz, das nach der - revisionsgerichtlicher Prüfung nicht unterliegenden - Auffassung des Berufungsgerichts an Art. 8 Abs. 2 Satz 1 AGVwGO BR anknüpft, welcher indes nur dann Anwendung finde, wenn eine senatorische Behörde als Kommunalbehörde tätig wird, was hier nicht der Fall sei (vgl. Berufungsurteil, UA S. 6 sowie OVG Bremen, Urteil vom 30. September 2020 - 2 LC 166/20 - InfAuslR 2021, 12 <15>).

10 Klärungsbedürftige unionsrechtliche Bedenken gegen die mit der vorliegenden Zuständigkeitsbestimmung verbundene Unstatthaftigkeit des Widerspruchsverfahrens legt die Beschwerde schließlich ebensowenig dar. Aus dem nicht weiter erläuterten Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 15. April 2013 - 1 B 22.12 - ergibt sich ein solcher Klärungsbedarf nicht.

11 2. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist auch nicht mit der Frage dargelegt,
"ob das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht aus der Richtlinie ARB 1/80 auch dann weiterhin besteht, wenn dem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis auf einer anderen Rechtsgrundlage nach dem nationalen Aufenthaltsgesetz erteilt worden ist."

12 Soweit mit der Frage ein materielles assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht gemeint ist, ist weder dargelegt noch ersichtlich, dass sich diese Frage im vorliegenden Verfahren entscheidungserheblich stellt. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass der Kläger die materiellen Voraussetzungen für ein (konstitutives) assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 im Zeitpunkt des Erlasses der Ausweisungsverfügung gerade nicht erfüllt hat (UA S. 7). Dies hat es damit begründet, dass der Kläger durch seine in der Vergangenheit ausgeübten Beschäftigungen bei der "Logistik-Service ..." bzw. bei der "... GmbH" jeweils allenfalls die erste Verfestigungsstufe nach Art. 6 Abs. 1 Spiegelstrich 1 ARB 1/80 erreicht hat, die damit verbundenen Aufenthaltsrechte aber jedenfalls durch die Aufgabe der Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber wieder entfallen seien. Daraus folgt zugleich, dass der Kläger auch bei Ablauf der ihm (gleichwohl) erteilten assoziationsrechtlichen Aufenthaltserlaubnis am 11. März 2004 deren materiell-rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt hat. Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen.

13 Weshalb ein allein auf der erteilten, deklaratorisch wirkenden Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 AufenthG (a.F.) beruhendes (zeitweises) Aufenthaltsrecht nach Ablauf von deren Geltungszeitraum fortbestehen sollte, legt die Beschwerde nicht dar. Die in der Beschwerde wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen einem Ausländer grundsätzlich auch mehrere Aufenthaltstitel aufgrund unterschiedlicher Anspruchsgrundlagen erteilt werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. März 2013 - 1 C 12.12 - BVerwGE 146, 117 Rn. 19), gibt dafür nichts her. Die weiteren Überlegungen des Klägers beruhen auf unzutreffenden Grundannahmen. Das gilt namentlich für seine Auffassung, das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht habe rein deklaratorischen Charakter und könne deshalb neben dem Aufenthaltsrecht aus anderen Vorschriften bestehen, auch ohne dass es bescheinigt werde. Die Behauptung, das assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht sei als solches deklaratorisch, ist durch nichts belegt. Deklaratorisch ist vielmehr nach allgemeiner Rechtsauffassung lediglich die das Aufenthaltsrecht bescheinigende Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 2 AufenthG/§ 4 Abs. 5 AufenthG (a.F.) (vgl. etwa Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4 Rn. 60). Das bedeutet, dass das (konstitutive) assoziationsrechtliche Aufenthaltsrecht bei Vorliegen seiner Voraussetzungen auch dann besteht, wenn eine (deklaratorische) Bescheinigung im Sinne von § 4 Abs. 2 AufenthG nicht erteilt ist. Soweit die Erteilung einer solchen Bescheinigung bzw. Aufenthaltserlaubnis bei Nichtvorliegen ihrer Voraussetzungen - wie hier - nach Auffassung des Berufungsgerichts "(quasi) konstitutive" Bedeutung hat (UA S. 8; siehe auch Samel, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4 Rn. 61 f.; OVG Hamburg, Beschluss vom 13. Juni 2019 - 4 Bs 110/19 - InfAuslR 2019, 321 <322>), legt der Kläger schon keine Anhaltspunkte dafür dar, dass eine solche auch nach Ablauf der Geltungsdauer der Aufenthaltserlaubnis fortwirken könnte.

14 3. Die Revision ist nicht unter dem Gesichtspunkt einer (im Rahmen der "Divergenzrüge") möglicherweise sinngemäß geltend gemachten grundsätzlichen Klärungsbedürftigkeit der Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV zuzulassen. Auch insoweit ist eine entscheidungserhebliche und grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage nicht dargelegt.

15 a) Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe den Rechtssätzen des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in dessen Urteil vom 8. Mai 2018 - C-82/16 [ECLI:​EU:​C:​2018:​308] - zum Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses i.S.d. Art. 20 AEUV "widersprochen, bzw." habe diese "nicht angewendet". Das diesbezügliche Vorbringen erschöpft sich im Wesentlichen in dem Vorwurf, das Berufungsgericht habe bestimmte vom EuGH genannte Prüfkriterien nicht oder nicht hinreichend angewendet bzw. in seine Würdigung einbezogen. Die Beschwerde zeigt hingegen weder einen prinzipiellen Auffassungsunterschied des Oberverwaltungsgerichts und des EuGH hinsichtlich der Voraussetzungen für ein Abhängigkeitsverhältnis auf, der eine grundsätzliche Bedeutung oder eine materielle Divergenz indizieren könnte, noch legt sie sonst dar, inwieweit die vom EuGH entwickelten Rechtsgrundsätze zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht sui generis nach Art. 20 AEUV weiterer Klärung bedürfen.

16 b) Die weitere Rüge, das Berufungsgericht verstoße gegen Rechtssätze des EuGH und gegen Verfassungsrecht, wenn es ausführe, dass selbst bei Zugrundelegung eines abgeleiteten Aufenthaltsrechts aus Art. 20 AEUV eine Aufenthaltsbeendigung wegen der vom "Antragsteller" ausgehenden schwerwiegenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht entgegenstehe, kann schon mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen. Der Kläger knüpft insoweit augenscheinlich an den im Eilverfahren ergangenen Beschluss vom 26. November 2020 - 2 B 216/20 - (juris Rn. 26 ff.) an. Hierbei übersieht er, dass das hier angefochtene Urteil anders als jener auf ein solches "zweites Standbein" nicht mehr gestützt ist (und darin auch keine Rede von einem "bandenmäßigen" Handel mit Betäubungsmitteln ist).

17 II. Auch die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) bleibt ohne Erfolg.

18 Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- oder des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen die dortige Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

19 Eine - hier allein gerügte - Abweichung von Entscheidungen des EuGH kann nicht mit der Divergenzrüge geltend gemacht werden, weil der EuGH nicht zu den in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO angeführten Gerichten gehört. Angesichts der eindeutigen Aufzählung ist für eine analoge Anwendung der Vorschrift kein Raum (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 23. Januar 2001 - 6 B 35.00 - juris Rn. 10 und vom 26. Januar 2010 - 9 B 40.09 - Buchholz 401.68 Vergnügungssteuer Nr. 48 Rn. 2). Die entsprechenden Einwände des Klägers könnten allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zur Zulassung der Revision führen, genügen aber aus den genannten Gründen auch insoweit nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

20 III. Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

21 Ohne Erfolg rügt die Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht habe einen in der Berufungsverhandlung gestellten Beweisantrag des Klägers rechtsfehlerhaft abgelehnt und dadurch die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verletzt.

22 1. In der mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht hat der Kläger die Einholung eines kinderpsychologischen bzw. kinderpsychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt,
"dass die Abschiebung des Klägers
1. schwerwiegende gesundheitliche Folgen für dessen Tochter haben würde
2. die Bindung zwischen dem Kläger und seiner Tochter auch dann unwiederbringlich zerstören [würde] und sich auch dann nicht wieder als tragfähige Bindung aufbauen ließe, wenn der Kläger drei oder sechs Jahre nach einer Ausreise oder Abschiebung, wenn die Tochter also fünf oder sechs Jahre alt [...] wäre, wieder zu ihr in die Bundesrepublik zurückkehren könnte und dass sich dies sogar noch verstärken würde, wenn die Tochter den Kläger in den Jahren seiner Abwesenheit sporadisch in der Türkei besuchen würde."

23 Das Berufungsgericht hat diesen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung (§ 86 Abs. 2 VwGO) der Sache nach als unsubstantiierten Ausforschungsbeweisantrag abgelehnt, weil die zum Beweis gestellten Tatsachen durch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte gestützt seien. Für schwerwiegende gesundheitliche Folgen, die über die gewöhnlichen Auswirkungen einer vorübergehenden Trennung eines Kleinkindes von dem mit ihm in familiärer Gemeinschaft lebenden Vater hinausgingen, gebe es keine konkreten Anhaltspunkte. Dasselbe gelte für die Beweistatsache, ob eine Zerstörung der Vater-Kind-Beziehung unwiederbringlich wäre. Im angefochtenen Urteil ist ergänzend ausgeführt, dass es an tatsächlichen Anhaltspunkten dafür fehle, dass die gesundheitlichen Folgen über die gewöhnlichen Auswirkungen einer vorübergehenden Trennung eines Kleinkindes von dem mit ihm in familiärer Lebensgemeinschaft lebenden Vater hinausgingen und dass dieser Rahmen auch nicht dadurch überschritten werde, dass die Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung angegeben habe, ihre Tochter wache jetzt häufig nachts auf und schreie, dass sie Angst habe, was wohl bedeute, dass sie die Angst der Eltern vor einer Abschiebung des Klägers spüre.

24 2. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass das Berufungsgericht diesen Beweisantrag verfahrensfehlerhaft abgelehnt hätte. Die Ablehnung eines förmlichen (unbedingt gestellten) Beweisantrags ist nur dann verfahrensfehlerhaft, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. August 2017 - 9 B 4.17 - juris Rn. 6). Dies ist hier nicht der Fall.

25 Das Berufungsgericht hat den Antrag, wie nach § 86 Abs. 2 VwGO erforderlich, noch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich und begründet beschieden.

26 Auch die Begründung ist revisions(zulassungs)rechtlich nicht zu beanstanden. Ein Beweisantrag ist unter anderem dann unzulässig und kann abgelehnt werden, wenn es sich um einen Ausforschungs- oder Beweisermittlungsantrag handelt, wenn er also lediglich zum Ziel hat, Zugang zu einer bestimmten Informationsquelle zu erlangen, um auf diesem Wege Anhaltspunkte für neuen Sachvortrag zu gewinnen. Auch Beweisanträge, die so unbestimmt sind, dass im Grunde erst die Beweiserhebung selbst die entscheidungserheblichen Tatsachen und Behauptungen aufdecken kann, müssen regelmäßig dem Gericht eine weitere Sachaufklärung nicht nahelegen und können als unsubstantiiert abgelehnt werden. So liegt es, wenn für den Wahrheitsgehalt der Beweistatsachen nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, das heißt wenn sie mit anderen Worten ohne greifbare Anhaltspunkte willkürlich "aus der Luft gegriffen", "ins Blaue hinein", also "erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage" behauptet worden sind. Welche Anforderungen vom Tatsachengericht an die Substantiierung gestellt werden dürfen, bestimmt sich zum einen danach, ob die zu beweisende Tatsache in den eigenen Erkenntnisbereich des Beteiligten fällt, und zum anderen nach der konkreten prozessualen Situation (BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2014 - 10 B 34.14 - juris Rn. 9 m.w.N.).

27 Nach diesen Grundsätzen ist ein Verfahrensfehler nicht dargelegt. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass das Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage vom Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Gesundheitsgefährdung oder eine unwiederbringliche Zerstörung der Vater-Kind-Beziehung hätte ausgehen müssen. Der Hinweis auf das Vorbringen der Ehefrau in der mündlichen Verhandlung, das Kind habe inzwischen eine deutliche Bindung zum Vater, der seit geraumer Zeit erhebliche Aufgaben in Bezug auf die Betreuung und Versorgung der gemeinsamen Tochter wahrnehme, weist für sich genommen noch nicht auf die Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung des Kindes oder sonstige Beeinträchtigung des Kindeswohls infolge einer Abschiebung des Klägers. Dass die Ausweisung eines ein Kleinkind mitbetreuenden Elternteils und die bevorstehende Trennung von diesem, namentlich bei einer mehrjährigen physischen Abwesenheit, die Familiensituation insgesamt und damit auch die Eltern-Kind-Beziehung belastet, reicht hierfür ebenfalls nicht aus. Dasselbe gilt aber auch für das von der Ehefrau geschilderte nächtliche Aufwachen des Kindes und Äußern von diffusen Ängsten, die die Ehefrau als ein Verspüren der drohenden Abschiebung des Klägers deutet. Indem es dieses Vorbringen, das nach dem Vorbringen der Beschwerde nicht durch weitere tragfähige tatsächliche Anhaltspunkte für die geltend gemachte Gefahrenprognose gestützt oder durch ein insoweit aussagekräftiges ärztliches Attest o.Ä. untermauert worden ist, für nicht hinreichend substantiiert gehalten hat, hat sich das Oberverwaltungsgericht auch keine ihm nicht zukommende eigene Sachkunde angemaßt. Ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens setzt vielmehr seinerseits ein Mindestmaß an Substantiierung der unter Beweis gestellten Tatsachen voraus.

28 Soweit die Beschwerde dahin zu verstehen sein sollte, dass auch über die Ablehnung des Beweisantrags hinaus das Unterbleiben einer weiteren sachverständigen Aufklärung von "Tatsachen für ein Abhängigkeitsverhältnis" gerügt wird, fehlt es an deren konkreter Benennung; die Rüge ist vielmehr - nach Art eines Beweisermittlungsantrags - der Sache nach darauf gerichtet, dass der oder die Sachverständige solche Tatsachen erst ausfindig machen soll. Die Beschwerde legt insgesamt nicht dar, dass sich dem Oberverwaltungsgericht auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung, wonach es für ein (emotionales) Abhängigkeitsverhältnis zwischen einem Drittstaatsangehörigen und einem Unionsbürger, das dem ersteren ein einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehendes Aufenthaltsrecht nach Art. 20 AEUV verleihen könnte, einer affektiven Bindung bedarf, die über das übliche Maß hinausgeht, eine weitere Sachaufklärung durch einen Sachverständigen hätte aufdrängen müssen.

29 Art. 20 AEUV verbietet den Mitgliedstaaten im Übrigen nicht, die Darlegungslast hinsichtlich der Tatsachen, die belegen können, dass eine Aufenthaltsversagung gegenüber dem Drittstaatsangehörigen das Kind dazu zwänge, das Gebiet der Union als Ganzes zu verlassen, zunächst dem Drittstaatsangehörigen aufzuerlegen. Jedoch haben die zuständigen Behörden bzw. Gerichte auf der Grundlage der von dem Drittstaatsangehörigen beigebrachten Informationen die erforderlichen Ermittlungen anzustellen, um im Lichte aller Umstände des Einzelfalls beurteilen zu können, ob eine Entscheidung, mit der das Aufenthaltsrecht versagt wird, solche Folgen hätte (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Mai 2017 - C-133/15 [ECLI:​EU:​C:​2017:​354] - Rn. 78). Dem ist nicht zu entnehmen, dass die nationalen Instanzen zur Beurteilung der Frage, ob zwischen einem Drittstaatsangehörigen und seinem die Unionsbürgerschaft besitzenden Kind ein solches Abhängigkeitsverhältnis besteht, generell auch ein Sachverständigengutachten einholen müssten. Sie haben vielmehr lediglich die nach Lage des Einzelfalls "erforderlichen" Ermittlungen durchzuführen (vgl. bereits BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 2020 - 1 B 65.19 - Buchholz 310 § 86 VwGO Nr. 382 Rn. 26). Dem hat das Berufungsgericht hier (unter anderem durch die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Sachverhaltsaufklärung durch Anhörung des Klägers und der Kindesmutter) genügt.

30 IV. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).

31 V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.