Verfahrensinformation

Die Klägerin, eine schleswig-holsteinische Gemeinde, wendet sich gegen den Planfeststellungsbeschluss des zuständigen Landesministeriums für den Neubau einer 380 kV-Freileitung, die auch über ihr Gemeindegebiet führen soll. Sie rügt u.a., dass von der geplanten Leitung Gesundheitsgefahren für ihre Bürger ausgingen. Um das Risiko von Leukämieerkrankungen auszuräumen, seien - nicht eingehaltene - Abstände von 499 m zur Wohnbebauung erforderlich.


Urteil vom 04.04.2019 -
BVerwG 4 A 6.18ECLI:DE:BVerwG:2019:040419U4A6.18.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 04.04.2019 - 4 A 6.18 - [ECLI:DE:BVerwG:2019:040419U4A6.18.0]

Urteil

BVerwG 4 A 6.18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 4. April 2019
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker und Prof. Dr. Külpmann
für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Gründe

I

1 Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Planfeststellungsbeschlusses für den Neubau einer Energiefreileitung.

2 Auf Antrag der Beigeladenen stellte der Beklagte mit Beschluss vom 29. März 2018 den Plan für den Neubau der 380 kV-Freileitung Audorf-Flensburg Nr. 324 zwischen den Umspannwerken Audorf und Flensburg-Handewitt fest. Das Vorhaben, das eine im Jahr 1971 errichtete 220 kV-Leitung ersetzen soll, ist Bestandteil der neu zu bauenden Höchstspannungsleitung Kassø (DK) - Hamburg-Nord - Dollern, Nennspannung 380 kV, die in die Liste der Vorhaben (Anlage zum EnLAG) aufgenommen worden ist, für die ein vordringlicher Bedarf besteht.

3 Die Klägerin ist eine amtsangehörige Gemeinde im Kreis Rendsburg-Eckernförde, deren Gemeindegebiet im Bereich der Masten 36 bis 46 durch die planfestgestellte Leitung überspannt werden soll. Nach dem Grunderwerbsverzeichnis sollen Grundstücke, die in ihrem Eigentum stehen, dauerhaft für Schutzstreifen in Anspruch genommen werden.

4 Die Klägerin hat gegen den Planfeststellungsbeschluss, den sie für formell und materiell rechtswidrig hält, fristgerecht Klage erhoben.

5 Sie beantragt,
den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 29. März 2018 für den Neubau der 380 kV-Freileitung Audorf-Flensburg Nr. 324 aufzuheben.

6 Der Beklagte und die Beigeladene beantragen jeweils,
die Klage abzuweisen.

7 Sie verteidigen den angefochtenen Planfeststellungsbeschluss.

II

8 Für das Verfahren ist das Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich zuständig nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 3 und Nr. 1 der Anlage des Gesetzes zum Ausbau von Energieleitungen (Energieleitungsausbaugesetz - EnLAG) vom 21. August 2009 (BGBl. I S. 2870).

9 Die Klage ist unbegründet. Der Planfeststellungsbeschluss leidet an keinem Fehler, der zu seiner Aufhebung oder - als Minus - zur Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit führt.

10 1. Der Planfeststellungsbeschluss ist formell rechtmäßig. Die von der Klägerin gerügten Verstöße gegen Vorschriften des Gesetzes über die Prüfung der Umweltverträglichkeit (UVPG) liegen nicht vor. Maßgeblich ist die bis zum 28. Juli 2017 geltende Fassung des Gesetzes - UVPG a.F. (§ 74 Abs. 2 UVPG in der ab 29. Juli 2017 geltenden Fassung).

11 a) Der Planfeststellungsbeschluss verstößt nicht gegen § 9 Abs. 1a Nr. 2 UVPG a.F.

12 Nach § 9 Abs. 1a Nr. 2 UVPG a.F. hat die zuständige Behörde die Öffentlichkeit u.a. über die UVP-Pflichtigkeit des Vorhabens nach § 3a UVPG a.F. zu unterrichten. Gemäß § 3a Satz 1 UVPG a.F. musste die zuständige Behörde unverzüglich feststellen, ob nach den §§ 3b bis 3f UVPG a.F. für das Vorhaben eine Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung besteht. Den sich aus den Vorschriften ergebenden Verpflichtungen ist der Beklagte nachgekommen. Die Bekanntmachung vom 10. März 2015 enthält den ausdrücklichen Hinweis, dass für das beantragte Vorhaben gemäß § 3b Abs. 1 i.V.m. Anlage 1 UVPG <a.F.> die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich ist.

13 b) Die Bekanntmachung der Auslegung der Planunterlagen vom 10. März 2015 und die Bekanntmachung der Auslegung der Unterlagen für das Planänderungsverfahren vom 21. März 2016 genügen den Anforderungen des § 9 Abs. 1a Nr. 5 UVPG a.F.

14 Nach § 9 Abs. 1a Nr. 5 UVP a.F. hat die zuständige Behörde die Öffentlichkeit darüber zu unterrichten, welche Unterlagen nach § 6 UVPG a.F. zur Einsicht ausgelegt werden. Unterlagen nach § 6 UVPG a.F. sind die entscheidungserheblichen Unterlagen über die Umweltauswirkungen des Vorhabens. Mit dem Hinweis auf die vorliegenden entscheidungserheblichen Unterlagen in der Auslegungsbekanntmachung wird das Ziel verfolgt, die betroffene Öffentlichkeit über alle wesentlichen vom Vorhabenträger vorgelegten umweltrelevanten Planunterlagen zu informieren und ihr dadurch einen Überblick zu verschaffen, welche Umweltbelange durch den Vorhabenträger einer Prüfung unterzogen wurden und mit welchen Detailinformationen sie im Rahmen der Auslegung rechnen kann (BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 22).

15 Der Bekanntmachungstext vom 10. März 2015 zählt als entscheidungserhebliche Unterlagen über die Umweltauswirkungen den landespflegerischen Begleitplan (LBP), die Umweltverträglichkeitsstudie (UVS), den faunistischen Fachbeitrag, Prüfungen zur Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen von Natura 2000-Gebieten (§ 34 BNatSchG) und die artenschutzrechtliche Prüfung (§ 44 BNatSchG) auf. Damit ist eine aussagekräftige Aufzählung über die im Zeitpunkt der Auslegung der vom Vorhabenträger vorgelegten und sich mit den Umweltauswirkungen des Vorhabens beschäftigenden entscheidungserheblichen Unterlagen erreicht, die dem § 9 Abs. 1a Nr. 5 UVPG a.F. gerecht wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 2016 - 9 A 9.15 - BVerwGE 155, 91 Rn. 21). Eine vollständige Auflistung aller vom Vorhabenträger vorgelegten Unterlagen war nicht erforderlich (BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 22). Deshalb begegnet es auch keinen Bedenken, dass die Bekanntmachung vom 21. März 2016 "u.a." den landschaftspflegerischen Begleitplan (LBP), den artenschutzrechtlichen Fachbeitrag sowie die Natura 2000-Vorprüfung-Verträglichkeitsprüfung als die geänderten entscheidungserheblichen Unterlagen benennt, die zu den naturschutzfachlichen Sachverhalten ausgelegt werden.

16 Zu Unrecht rügt die Klägerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Senats zu § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB (BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2013 - 4 CN 3.12 - BVerwGE 147, 206 Rn. 23), dass der Beklagte die in den vorhandenen Stellungnahmen und Unterlagen behandelten Umweltthemen blockweise hätte zusammenfassen und diese schlagwortartig charakterisieren müssen; denn § 3 Abs. 2 Satz 2 BauGB ist nach Wortlaut und Struktur mit § 9 Abs. 1a Nr. 5 UVPG a.F. nicht vergleichbar (BVerwG, Urteil vom 28. April 2016 - 9 A 9.15 - BVerwGE 155, 91 Rn. 20).

17 2. Der Planfeststellungsbeschluss ist auch materiell rechtmäßig. Jedenfalls verletzt er die Klägerin nicht in ihren Rechten.

18 a) Die Planrechtfertigung für das planfestgestellte Vorhaben ist gegeben.

19 Der Gesetzgeber hat den Neubau der Höchstspannungsleitung Kassø (DK) - Hamburg-Nord - Dollern, Nennspannung 380 kV, unter der laufenden Nummer 1 in den Bedarfsplan (Anlage zum EnLAG) aufgenommen. Die Leitung und damit auch das umstrittene Vorhaben als ihr Teilabschnitt entsprechen deshalb gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 EnLAG den Zielsetzungen des § 1 des Energiewirtschaftsgesetzes (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 39). Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 EnLAG stehen die energiewirtschaftliche Notwendigkeit des Vorhabens und sein vordringlicher Bedarf fest. Die Feststellung ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 3 EnLAG für die Planfeststellung verbindlich. Die Bindungswirkung erstreckt sich auch auf das gerichtliche Verfahren (BVerwG, Beschluss vom 26. September 2013 - 4 VR 1.13 - juris Rn. 29; Urteile vom 6. April 2017 - 4 A 1.16 - NVwZ 2018, 336 Rn. 19 und vom 14. Juni 2017 - 4 A 11.16 - BVerwGE 159, 121 Rn. 24).

20 Die Evidenzkontrolle, auf die die fachgerichtliche Prüfung beschränkt ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. Juni 1998 - 1 BvR 650/97 u.a. - NVwZ 1998, 1060), ergibt nicht, dass der Gesetzgeber mit der Bedarfsfeststellung die Grenzen seines weiten Gestaltungs- und Prognosespielraums (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 52) überschritten hätte. Einer Aussetzung des Verfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG und einer Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit des Bedarfsplans des Energieleitungsausbaugesetzes bedarf es daher nicht.

21 Die Planrechtfertigung ergibt sich aus der grenzüberschreitenden Bedeutung des Vorhabens. Der Gesetzgeber hat darauf abgestellt (BT-Drs. 16/10491 S. 11), dass die Verbindungsleitung Kassø - Hamburg in der Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse steht (Anhang III Nr. 2.22 zur Entscheidung Nr. 1364/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 zur Festlegung von Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze - TEN-E-Leitlinien), deren Fertigstellung erleichtert und beschleunigt werden soll.

22 Die Entscheidung Nr. 1364/2006/EG ist durch Art. 23 der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 zwar zum 1. Januar 2014 aufgehoben worden. In der Sache hat sich aber nichts geändert. Die Verbindungsleitung zwischen Kassø und Audorf gehört neben den inländischen Verbindungsleitungen zwischen Audorf und Hamburg/Nord sowie Hamburg/Nord und Dollern zum Cluster Dänemark-Deutschland, Verbindungsleitungen zwischen Kassø und Dollern (Anhang VII B. 1 Nr. 1.4 der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur in Bezug auf die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse <ABl. L 115 S. 39> in der Fassung der Delegierten Verordnung (EU) Nr. 1391/2013 der Kommission vom 14. Oktober 2013 <ABl. L 349 S. 28>). Das Cluster ist ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse und dem vorrangigen Korridor ‚Offshore-Netz in den nördlichen Meeren‘ zugeordnet. Vorhaben von gemeinsamem Interesse bezeichnet nach Art. 2 Nr. 4 der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 ein Vorhaben, das für die Realisierung der in Anhang I aufgeführten vorrangigen Energieinfrastrukturkorridore, zu denen das Offshore-Netz der nördlichen Meere zählt, erforderlich ist und das Bestandteil der Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse ist.

23 Nach Anhang VII A. 1. der Verordnung (EU) Nr. 1391/2013 werden Cluster zusammenhängender Projekte gebildet, um alle Projekte zu erfassen, die erforderlich sind, um einen Engpass grenzübergreifend zu beheben, und die zu Synergien führen, wenn sie gemeinsam umgesetzt werden. In diesem Fall müssen alle Projekte durchgeführt werden, wenn ein unionsweiter Nutzen realisiert werden soll. Nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 begründet die Annahme der Unionsliste für Entscheidungen im Rahmen der Genehmigungsverfahren die Erforderlichkeit dieser Vorhaben in energiepolitischer Hinsicht, unbeschadet des genauen Standorts, der Trassenführung oder der Technologie.

24 Die Regelungen des Unionsrechts zeigen, dass auf europäischer Ebene ein besonderer Bedarf für die Schaffung einer Nord-Süd-Verbindung zwischen Dänemark und Deutschland gesehen wird, die zu einem funktionierenden Energiebinnenmarkt und zur Versorgungssicherheit in der europäischen Union beitragen sollen. Aus dem Erläuterungsbericht der Beigeladenen ergibt sich, dass die vorhandene 220 kV-Leitung nicht in der Lage ist, den Anforderungen gerecht zu werden, deretwegen die Verbindungsleitung Kassø/Audorf in die Unionsliste aufgenommen worden ist. Das wird von der Klägerin nicht in Abrede gestellt. Sie bestreitet die Planrechtfertigung ausschließlich mit Argumenten, die sich auf die Situation der Energieerzeugung in Schleswig-Holstein beziehen. Das geht indes an dem unionsrechtlichen Fundament der Planrechtfertigung vorbei.

25 b) Der Planfeststellungsbeschluss verstößt nicht gegen zwingendes Recht.

26 Die planfestgestellte Leitung unterfällt als sonstige ortsfeste Einrichtung nach § 3 Abs. 5 Nr. 1 BImSchG dem Bundes-Immissionsschutzgesetz, bedarf aber nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i.V.m. § 1 Abs. 1 der 4. BImSchV keiner immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Einschlägig für die Betreiberpflichten ist § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG, wonach nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu betreiben sind, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind.

27 Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV sind Niederfrequenzanlagen, die nach dem 22. August 2013 errichtet werden, zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen so zu errichten und zu betreiben, dass sie bei höchster betrieblicher Anlagenauslastung in ihrem Einwirkungsbereich an Orten, die nicht nur zum vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind, die im Anhang 1a der 26. BImSchV genannten Grenzwerte nicht überschreiten, wobei Niederfrequenzanlagen mit einer Frequenz von 50 Hertz die Hälfte des in Anhang 1a genannten Grenzwertes der magnetischen Flussdichte nicht überschreiten dürfen. Damit betragen die maßgeblichen Grenzwerte für die planfestgestellte Leitung für die elektrische Feldstärke 5 kV/m und für die magnetische Flussdichte 100 µT. Diese Werte werden deutlich unterboten. An dem am höchsten belasteten Immissionsort 26, einem Wohnhaus zwischen den Masten 41 und 42, liegen sie im vollen Normlastbetrieb bei 0,5 kV/m und 3,9 µT.

28 aa) Die Klägerin hält die Grenzwerte für nicht ausreichend, um eine Gefährdung ihrer Bürger sicher auszuschließen. Es bestehe der starke Verdacht, dass niederfrequente Magnetfelder ab etwa 0,2 µT zu einem erhöhten Leukämierisiko bei Kindern führten. Der Senat hat in der Vergangenheit den Standpunkt eingenommen, dass die normierten Grenzwerte von Rechts wegen nicht zu beanstanden sind (BVerwG, Urteile vom 21. Januar 2016 - 4 A 5.14 - BVerwGE 154, 73 Rn. 88 m.w.N., vom 14. Juni 2017 - 4 A 11.16 - BVerwGE 159, 121 Rn. 28 und vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 263 Rn. 43). Daran hält er fest. Die bei Inkrafttreten des § 3 in der Fassung zum 14. August 2013 bereits vorliegende Studie der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 2007 zur möglichen karzinogenen Wirkung niederfrequenter Magnetfelder sowie der unsubstanziierte Verweis der Klägerin auf "Studien" und "zahlreiche wissenschaftliche Hinweise" bieten keine tragfähigen Anhaltspunkte für die Annahme, der Verordnungsgeber könnte bei der Festlegung der Immissionsgrenzwerte der 26. BImSchV seinen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum überschritten haben.

29 bb) Die Klägerin steht außerdem auf dem Standpunkt, dass aus Gründen der Vorsorge ein Schutzabstand von 600 m zwischen einer 380 kV-Höchstspannungsleitung und einer vorhandenen oder möglichen Bebauung eingehalten werden müsse. Dieser Abstand minimiere die Belastung auf 0,01 µT. Die Klägerin beruft sich für ihre Forderung auf § 4 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV, wonach bei Errichtung und wesentlicher Änderung von Niederfrequenzanlagen sowie Gleichstromanlagen die Möglichkeiten auszuschöpfen sind, die von der jeweiligen Anlage ausgehenden elektrischen, magnetischen und elektromagnetischen Felder nach dem Stand der Technik unter Berücksichtigung von Gegebenheiten im Einwirkungsbereich zu minimieren.

30 Aus dem Minimierungsgebot kann das Erfordernis eines Mindestabstands zwischen Höchstspannungsfreileitung und Bebauung nicht abgeleitet werden. Das Minimierungsgebot ist auf eine möglichst schonende Ausführung des Vorhabens am vorgesehenen Standort ausgerichtet (BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 11.17 - juris Rn. 51 ff.), z.B. durch Erhöhung des Bodenabstands der Leiterseile, Reduzierung der Seilabstände unter Beachtung der notwendigen Mindestisolierstrecke oder feldreduzierende Anordnung der einzelnen Phasen der Stromkreise. Ihm trägt der Planfeststellungsbeschluss Rechnung, indem er die Verpflichtungserklärung der Beigeladenen aufgenommen hat, im Bereich der Wohnbebauung und den Orten von mehr als vorübergehenden Aufenthalten die optimale Phasenlage einzuhalten.

31 cc) Selbst wenn die 26. BImSchV wegen zu hoher Grenzwerte als nichtig zu behandeln wäre oder der Planfeststellungsbeschluss gegen ihre Regelungen verstieße, müsste die Klage erfolglos bleiben; denn die Klägerin wäre nicht, wie von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorausgesetzt, in eigenen Rechten verletzt. Die Anforderungen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG und des § 3 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV dienen dem allgemeinen öffentlichen Interesse und dem Schutz Betroffener, aber nicht dem Schutz von Gemeinden als Träger kommunaler Selbstverwaltung (BVerwG, Urteile vom 18. Juli 2013 - 7 A 4.12 - BVerwGE 147, 184 Rn. 64 und vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - BVerwGE 157, 73 Rn. 17). Einen Eingriff in ihr Eigentum könnte die Klägerin zwar rügen, wenn Nutzer oder Bewohner ihrer Anlagen in rechtswidriger Weise Immissionen ausgesetzt würden (BVerwG, Beschluss vom 26. März 2007 - 7 B 73.06 - Buchholz 451.171 § 9b AtG Nr. 2 Rn. 10). Ihrem Vorbringen ist jedoch nicht zu entnehmen, dass das der Fall ist.

32 c) Der Planfeststellungsbeschluss verletzt die Klägerin nicht in ihrem Recht aus § 43 Abs. 4 EnWG auf fehlerfreie Abwägung ihrer Belange.

33 aa) Die Planfeststellungsbehörde hat bei ihrer Abwägungsentscheidung nicht die sich aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende Planungshoheit der Klägerin missachtet.

34 Eine Gemeinde wird durch eine überörtliche Fachplanung in ihrer Planungshoheit beeinträchtigt, wenn die Fachplanung eine konkrete gemeindliche Planung nachhaltig stört oder wegen ihrer Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht (BVerwG, Urteile vom 16. Dezember 1988 - 4 C 40.86 - BVerwGE 81, 95 <106> und vom 21. März 1996 - 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 <394>). Darüber hinaus muss die Planfeststellungsbehörde auch auf noch nicht verfestigte, aber konkrete Planungsabsichten einer Gemeinde abwägend dergestalt Rücksicht nehmen, dass durch die Fachplanung von der Gemeinde konkret in Betracht gezogene städtebauliche Planungsmöglichkeiten nicht unnötigerweise "verbaut" werden (BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 26.94 - a.a.O.). An diesen Voraussetzungen fehlt es.

35 Die planfestgestellte Leitung steht nicht im Konflikt mit dem im Bebauungsplan Nr. 8 ausgewiesenen eingeschränkten "Gewerbegebiet westlich der Kreisstraße (K 1), östlich des Bahndamms und südlich der vorhandenen Bebauung des Birkenweges" in der Fassung der 2. Änderung. Das Plangebiet wird durch die Leitung nicht überspannt. Dass die Leitung die Realisierung des Bebauungsplans trotzdem verhindern oder erschweren könnte, weil die Grenzwerte der 26. BImSchV überschritten würden, macht die Klägerin nicht geltend. Zu einer Verhinderung oder Beschränkung der Umsetzung des Plans könnte es allenfalls kommen, wenn die Forderung der Klägerin nach Einhaltung eines Grenzwerts von 0,2 µT oder gar 0,01 µT berechtigt wäre. Das ist nicht der Fall. Auch wegen des notwendigen Schutzabstands zur Leitung erfährt die Bebaubarkeit des Gewerbegebiets keine Einschränkungen. Der Schutzstreifen reicht nicht in das Baugebiet hinein.

36 Die Realisierung der Gebietsentwicklungsplanung für den Stadt-Umland-Bereich Rendsburg, die für den Bereich östlich der K 1, südlich des Künzleweges Entwicklungspotentiale für Wohnbauflächen/gemischte Bauflächen vorsieht, wird ebenfalls nicht vereitelt. Die planfestgestellte Höchstspannungsleitung ist nicht geeignet, die bauliche Entwicklung des Areals zu beeinflussen, weil sie zu ihm einen größeren Abstand einhält als die seit 30 Jahren bestehende 380 kV-Leitung Audorf-Jardelund.

37 Warum die Nutzbarkeit des vorhandenen Sportplatzes durch die Leitung beeinträchtigt werden könnte, legt die Klägerin nicht dar. Dafür ist auch nichts ersichtlich. § 3 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV ist nicht einschlägig, weil Sportplätze nicht zu den Orten zählen, die zum nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen bestimmt sind.

38 bb) Die Klägerin kann den Planfeststellungsbeschluss ferner nicht mit dem Argument einer fehlerhaften Alternativenprüfung zu Fall bringen.

39 Die Auswahl unter verschiedenen in Frage kommenden Trassenvarianten ist ungeachtet hierbei zu beachtender, rechtlich zwingender Vorgaben eine fachplanerische Abwägungsentscheidung (§ 43 Abs. 4 EnWG). Sie ist gerichtlicher Kontrolle nur begrenzt auf erhebliche Abwägungsmängel hin (§ 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG) zugänglich.

40 Da weder die in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbürgte Selbstverwaltungsgarantie und Planungshoheit noch das zivilrechtliche Eigentum an den Grundstücken, die durch das planfestgestellte Vorhaben in Anspruch genommen werden, der Klägerin einen Anspruch auf Vollüberprüfung des Planfeststellungsbeschlusses vermitteln (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 23 m.w.N.), kann die Klägerin eine Verletzung des Abwägungsgebots nur mit Erfolg geltend machen, wenn sie eine Zurücksetzung eines eigenen Belangs behauptet. Der Wahl der planfestgestellten Trasse kann sie die Vorzugswürdigkeit der von ihr favorisierten Alternativtrasse C_A7 deshalb nur entgegenhalten, wenn bei der Entscheidung für die planfestgestellte Trasse ihre Belange rechtswidrig zu kurz gekommen sind. Das ist nicht der Fall. Die Klägerin macht sich für die Trasse C_A7 stark, weil die planfestgestellte Trasse von bebauten Gebieten nicht den Abstand von 600 m einhält, der erforderlich sein soll, um die Unterschreitung eines Vorsorgewerts von 0,01 µT sicherzustellen. Zwar ist das Interesse an jeglicher Verschonung von elektromagnetischen Feldern ein abwägungserheblicher Belang (BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 7 VR 4.10 - NVwZ 2010, 1486 Rn. 35). Gesundheitsbelange der Bevölkerung oder der Allgemeinheit sind aber keine Belange der Klägerin. Denn ihr ist es verwehrt, sich zum Kontrolleur anderer staatlicher Behörden in Bezug auf die Wahrung des öffentlichen Rechts aufzuschwingen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 1996 - 4 C 26.94 - BVerwGE 100, 388 <391>). Die Klägerin kann daher diese Belange auch nicht gegen die vorgenommene Alternativenprüfung in Stellung bringen. Gehört werden könnte sie nur mit dem Einwand, dass die Alternativtrasse zu einer geringeren Inanspruchnahme ihres Eigentums für Schutzstreifen führte. Diesen Einwand hat sie indes nicht erhoben.

41 Überdies ist die Entscheidung für die planfestgestellte Trasse auch nicht zu beanstanden.

42 Nach ständiger Rechtsprechung handelt eine Planfeststellungsbehörde nicht schon dann abwägungsfehlerhaft, wenn eine von ihr verworfene Trassenführung ebenfalls mit guten Gründen vertretbar gewesen wäre (vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 25. Januar 1996 - 4 C 5.95 - BVerwGE 100, 238 <249 f.> und vom 20. Mai 1999 - 4 A 12.98 - NVwZ 2000, 555 <556>). Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, durch eigene Ermittlungen ersatzweise zu planen und sich hierbei gar von Erwägungen einer "besseren" Planung leiten zu lassen (BVerwG, Urteil vom 19. Mai 1998 - 4 A 9.97 - BVerwGE 107, 1 <10>). Die Grenzen der planerischen Gestaltungsfreiheit sind bei der Auswahl zwischen verschiedenen Trassenvarianten erst dann überschritten, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich unter Berücksichtigung aller abwägungserheblichen Belange eindeutig als die bessere, weil öffentliche und private Belange insgesamt schonendere darstellen würde, wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschlüsse vom 14. Mai 1996 - 7 NB 3.95 - BVerwGE 101, 166 <173 f.> und vom 2. Oktober 2002 - 9 VR 11.02 - juris Rn. 16), oder wenn der Planungsbehörde infolge einer fehlerhaften Ermittlung, Bewertung oder Gewichtung einzelner Belange ein rechtserheblicher Fehler unterlaufen ist (BVerwG, Urteile vom 22. Oktober 2015 - 7 C 15.13 - NVwZ 2016, 308 Rn. 55 und vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - BVerwGE 157, 73 Rn. 32). Gemessen hieran lässt die Alternativenprüfung des Beklagten Fehler nicht erkennen.

43 Die Klägerin hält die Variante C_A7 für vorzugswürdig, weil sie die bestehende, 30 Jahre alte 380 kV-Leitung Audorf - Jardelund im Falle einer notwendig werdenden Erneuerung auf die Trasse C_A7 nachziehen könnte. Dem halten Beklagter und Beigeladene entgegen, dass bei Abgängigkeit der Leitung Audorf - Jardelund in ca. 50 Jahren die Frage einer möglichen Verlegung Gegenstand einer planerischen Abwägung wäre, über deren Ergebnisse nur spekuliert werden könnte. Zudem verweisen sie darauf, dass die Variante C_A7 dem raumordnerischen Bestreben zuwiderliefe, Infrastruktureinrichtungen zu bündeln. Das ist nachvollziehbar. Das planfestgestellte Vorhaben verläuft in der Trasse der bestehenden 220 kV-Leitung und im Bereich der Klägerin parallel zur 380 kV-Leitung Audorf-Jardelund. Bei einer Entscheidung für die Variante C_A7 wäre jedenfalls für die nächsten 50 Jahre das bestehende Trassenband gelöst und würde die planfestgestellte Leitung in dem 3 bis 3,5 km langen Abschnitt zwischen der Bestandstrasse und der Bundesautobahn A 7 durch ein Gebiet geführt, das frei von Infrastruktureinrichtungen ist. Der Beigeladenen ist darin beizupflichten, dass es näher liegt, die neue Leitung im vorhandenen Trassenband mit den anderen Leitungen zu bündeln, als ein neues Netzmuster in Angriff zu nehmen, das auf eine Bündelung an der Bundesautobahn A 7 hinausliefe.

44 Im Falle der Realisierung der Variante C_A7 müsste ferner die vorhandene 380 kV-Höchstpannungsleitung gekreuzt werden. Das hält der Planfeststellungsbeschluss für nachteilig. Die Kreuzung mit der vorhandenen 380 kV-Leitung sei aus Gründen der Netzsicherheit kritisch zu sehen, da hierfür diese hochbelastete Leitung abzuschalten wäre. Zudem würden kostenaufwändige Provisorien erforderlich (PFB S. 326). Hiermit setzt sich die Klägerin nicht substantiiert auseinander.

45 Auch die übrigen Einwände der Klägerin sind nicht geeignet, die Entscheidung für die planfestgestellte Trasse in Frage zu stellen.

46 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.