Beschluss vom 04.09.2024 -
BVerwG 3 B 22.23ECLI:DE:BVerwG:2024:040924B3B22.23.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 04.09.2024 - 3 B 22.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:040924B3B22.23.0]
Beschluss
BVerwG 3 B 22.23
- VG Greifswald - 12.08.2020 - AZ: 6 A 1074/18
- OVG Greifswald - 12.09.2023 - AZ: 1 LB 671/20
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. September 2024
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Sinner und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hellmann
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 12. September 2023 wird zurückgewiesen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Kläger begehrt die Aufhebung einer eine Einzäunung betreffenden forstrechtlichen Beseitigungsanordnung.
2 In den Jahren 2016/2017 errichteten der Kläger und seine Ehefrau eine Totholzhecke um ein etwa 3,5 ha großes, bis zur Boddenküste reichendes Areal um das Gutshaus, das sie gemeinsam bewohnen. Mit Bescheid vom 12. November 2017 ordnete die Beklagte an, die Einzäunung auf den im Eigentum des Klägers stehenden Flurstücken zu beseitigen. Ein gleichlautender Bescheid erging an die Ehefrau des Klägers wegen der Einzäunung auf den in ihrem Eigentum stehenden Flurstücken. Durch die Einzäunung der Waldfläche habe der Kläger das freie Betretungsrecht gemäß § 28 Abs. 1 LWaldG M-V eingeschränkt.
3 Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
4 Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten mit Urteil vom 12. September 2023 teilweise für wirkungslos erklärt. Im Übrigen hat es das Urteil teilweise geändert und den Bescheid der Beklagten vom 12. November 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2018 hinsichtlich eines kleineren Teilstücks der Einzäunung aufgehoben. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen.
5 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützten Beschwerde.
II
6 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von ihr aufgeworfenen Fragen rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.). Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor (2.).
7 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Ein Klärungsbedarf besteht u. a. nicht, wenn die Rechtsfrage mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Normauslegung auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. September 2023 - 3 B 44.22 - GewArch 2024, 66 Rn. 40 m. w. N.).
8
Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen
"Beinhaltet das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG ein Bestimmungsrecht des Inhabers einer Wohnung dahingehend, was in räumlicher Hinsicht zum geschützten Wohnbereich gehört?",
"Kann der Wohnungsinhaber durch Einfriedung mit Wirkung für Behörden festlegen, wieweit sein geschützter Privatraum reicht?" und
"Welche Bedeutung kommt dem denkmalrechtlichen Schutz einer historischen Wohnstätte für den Schutz der Wohnung nach Art. 13 Abs. 1 GG zu? Prägt die denkmalwertbegründende Funktion den Wohnungsbegriff derart, dass sich der Wohnungsschutz auf sämtliche Bereiche erstreckt, die denkmalrechtlich die Wohnanlage konstituieren?"
bedürfen, soweit entscheidungserheblich, nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren.
9 Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, der Begriff des Wohnbereichs in § 2 Abs. 3 Spiegelstrich 2 Alt. 3 des Waldgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Landeswaldgesetz - LWaldG M-V) in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 870), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 22. Mai 2021 (GVOBl. M-V S. 790, 794), wonach zum Wohnbereich gehörende Parkanlagen nicht als Wald gelten, setze voraus, dass die Parkanlage einer konkreten Wohnnutzung zugeordnet werden könne. Das Landeswaldgesetz eröffne der Öffentlichkeit eine allgemeine Befugnis, Wald zum Zwecke der Erholung zu betreten, die in den schutzwürdigen Belangen des Eigentümers und dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG ihre Grenzen finde. Der Landesgesetzgeber habe in der Gesetzesbegründung auf die entsprechende Vorschrift des Bundes verwiesen (LT-Drs. 1/2321 S. 41). In der Begründung zu § 2 Abs. 3 BWaldG, wonach die Länder u. a. zum Wohnbereich gehörende Parkanlagen vom Waldbegriff ausnehmen können, werde zum Begriff des Wohnbereichs ausgeführt, dieser schließe nur den unmittelbar und erkennbar zur einzelnen Wohnstätte gehörenden Umgriff ein. Die Zugehörigkeit zum Wohnbereich im Sinne des § 2 Abs. 3 Spiegelstrich 2 Alt. 3 LWaldG M-V erfordere damit einen unmittelbaren und erkennbaren Bezug zu einer einzelnen Wohnstätte (UA S. 24 f.). Diese Voraussetzung sei mit Ausnahme des im Urteilstenor bezeichneten Teilstücks der Einzäunung nicht erfüllt. Die Flächen innerhalb der Einzäunung wiesen nach dem Ergebnis der Inaugenscheinnahme keine Anzeichen einer dem Wohnbereich zuzuordnenden Nutzung und keinen Bezug zur Wohnstätte auf (UA S. 26 f.).
10 Ausgehend von diesen - mangels einer durchgreifenden Verfahrensrüge (dazu unter 2.) gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden - tatsächlichen Feststellungen sind die aufgeworfenen Fragen zu verneinen; die Durchführung eines Revisionsverfahrens ist hierfür nicht erforderlich. Flächen unter freiem Himmel, die aufgrund ihrer Entfernung vom Wohnhaus des Eigentümers und nach den örtlichen Gegebenheiten keinen Bezug mehr zum Wohnhaus haben, kann der Eigentümer der Flächen und Bewohner des Hauses nicht - auch nicht durch Einfriedung - zu einer durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützten Wohnung bestimmen. Inwieweit ein denkmalrechtlicher Schutz des Wohnhauses und seiner Umgebung geeignet sein sollte, daran etwas zu ändern, ist weder dargelegt noch ersichtlich.
11 2. Die Revision ist auch nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
12 Der Kläger rügt einen Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht habe im Rahmen seiner Ausführungen zu § 2 Abs. 3 Spiegelstrich 2 Alt. 3 LWaldG M-V (UA S. 25 ff.) tatsächliche Feststellungen getroffen, die in offensichtlichem Widerspruch zum Akteninhalt stünden. Zudem habe das Gericht willkürlich einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt.
13 Die Sachverhalts- und Beweiswürdigung einer Tatsacheninstanz ist der Beurteilung des Revisionsgerichts nur insoweit unterstellt, als es um Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geht. Rügefähig ist damit nicht das Ergebnis der tatrichterlichen Würdigung, sondern nur ein Verfahrensvorgang auf dem Weg dorthin. Derartige Mängel liegen vor, wenn die angegriffene Entscheidung der Vorinstanz von einem falschen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, also etwa entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder auf einer aktenwidrigen Tatsachengrundlage basiert. Das Ergebnis der gerichtlichen Würdigung ist vom Revisionsgericht im Rahmen einer Verfahrensrüge nur daraufhin zu überprüfen, ob es gegen allgemeine Sachverhalts- und Beweiswürdigungsgrundsätze, insbesondere gesetzliche Beweisregeln, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder objektiv willkürlich ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Dezember 2020 - 3 B 34.19 - juris Rn. 21 und vom 24. August 2022 - 3 B 36.21 - ZLR 2022, 790 Rn. 13, jeweils m. w. N.). Einen solchen Mangel legt der Kläger nicht dar.
14 a) Die Rüge einer aktenwidrigen Sachverhaltsfeststellung setzt die schlüssig vorgetragene Behauptung voraus, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt bestehe ein Widerspruch. Dieser Widerspruch muss offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts nicht bedarf (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. März 2019 - 5 BN 1.18 - juris Rn. 16 m. w. N.). Diese Voraussetzungen erfüllt das Beschwerdevorbringen nicht. Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, bereits wenige Meter westlich des Tores könne keine Sichtbeziehung zum Gutshaus mehr hergestellt werden. Soweit er zur Darlegung der Aktenwidrigkeit dieser Feststellung darauf verweist, auf dem Foto 11 38 37 sei das Dach des Gutshauses erkennbar, geht dies fehl. Aus dem Foto, auf dem lediglich noch der obere Bereich des Daches des Gutshauses zu erkennen ist, wird deutlich, dass bei einem Zurücktreten um wenige Schritte - und damit wenige Meter westlich des Tores - das Gebäude vollständig aus dem Blick des Betrachters verschwunden sein wird. Der Verweis auf Bild 11 36 14 zeigt bereits deshalb keine offensichtliche Aktenwidrigkeit der gerügten Feststellung auf, weil dieses Foto nach den von der Beschwerde nicht in Zweifel gezogenen Ausführungen des Oberverwaltungsgerichts an anderer Stelle, nämlich am südwestlichsten Punkt der Einzäunung, entstanden ist. Soweit die Beschwerde dahingehend verstanden wird, dass der Kläger sich auch gegen die Feststellung wehrt, an dieser Stelle sei das Gutshaus nicht sichtbar, zeigt sie bereits deshalb keine offensichtliche Aktenwidrigkeit auf, weil das behauptete "Hervorblitzen" des Gutshauses weder auf dem Abdruck in der Revisionsbegründung noch auf dem in der Gerichtsakte (Bl. 629) enthaltenen Original des Fotos hinreichend deutlich erkennbar ist; im Übrigen würde ein etwaiges "Hervorblitzen" zur Feststellung, das Gutshaus sei nicht sichtbar, auch nicht in Widerspruch stehen.
15 b) Der Kläger macht zudem geltend, das Berufungsgericht habe gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen, weil es seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt habe, sondern von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen und seine Beweiswürdigung namentlich hinsichtlich der Inaugenscheinnahme am 12. September 2023 von Willkür geprägt sei. Hierzu listet die Beschwerdebegründung 17 "Gesichtspunkte" auf (S. 24 ff.), die das Urteil nicht berücksichtigt habe.
16 Das Gericht verstößt gegen das Gebot des § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO, seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen, wenn es von einem unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, insbesondere Umstände übergeht, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. November 2017 - 3 B 33.16 - ZOV 2017, 213 Rn. 9). Die Beschwerde zeigt nicht auf, aus welchen Gründen sich das Oberverwaltungsgericht mit den einzelnen vorgetragenen Gesichtspunkten hätte auseinandersetzen müssen, sondern beschränkt sich auf die allgemeine Feststellung, dass das Berufungsgericht, hätte es seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet, die Zugehörigkeit des gesamten umzäunten Bereichs zur "Wohnanlage" des Klägers nicht hätte verneinen dürfen. Das Beschwerdevorbringen erschöpft sich somit darin, die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts durch eine dem Kläger günstigere Einschätzung zu ersetzen.
17 Für eine willkürliche Sachverhaltswürdigung durch das Oberverwaltungsgericht enthält das angegriffene Urteil keine Anhaltspunkte.
18 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG.