Beschluss vom 04.10.2002 -
BVerwG 1 B 224.02ECLI:DE:BVerwG:2002:041002B1B224.02.0

Beschluss

BVerwG 1 B 224.02

  • Bayerischer VGH München - 10.04.2002 - AZ: VGH 9 B 00.31265

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Oktober 2002
durch die Vizepräsidentin des Bundesverwaltungsgerichts
E c k e r t z - H ö f e r und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht R i c h t e r und
Prof. Dr. D ö r i g
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. April 2002 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die auf Divergenz und Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 2, 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Aus dem Vorbringen der Beschwerde ergibt sich nicht, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft gehandelt hätte. Die Beschwerde rügt als verfahrensfehlerhaft, das Berufungsgericht habe ohne Anhörung der Klägerin in einer mündlichen Verhandlung entschieden und damit das Gebot des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt (Beschwerdebegründung S. 1 ff.). Sie legt allerdings nicht dar, inwiefern das in § 130 a VwGO ausdrücklich vorgesehene Verfahren einer Entscheidung des Berufungsgerichts ohne persönliche Anhörung der Klägerin hier fehlerhaft gewesen sein soll. Sie zieht dabei nicht in Zweifel, dass das Berufungsgericht die Klägerin zu dem beabsichtigten Verfahren nach § 130 a VwGO angehört hat. Ob das Berufungsgericht den ihm nach § 130 a VwGO eröffneten Weg der Entscheidung im Beschlussverfahren beschreitet, steht in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dieses ist nur auf sachfremde Erwägungen und grobe Fehleinschätzungen überprüfbar (stRspr, etwa Beschluss vom 10. April 1992 - BVerwG 9 B 142.91 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 5). Anhaltspunkte für derartige Ermessensfehler lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie macht zwar geltend, das Berufungsgericht habe eine Glaubwürdigkeitsbeurteilung vorgenommen, ohne sich einen persönlichen Eindruck von der Klägerin zu machen (Beschwerdebegründung S. 3 oben). Die von der Beschwerde zur Erläuterung dieser Rüge herangezogenen Urteilspassagen enthalten jedoch keine Glaubwürdigkeitsbeurteilung. Vielmehr nimmt das Berufungsgericht eine Würdigung des klägerischen Vortrags zur exilpolitischen Betätigung vor. Ob dies eine zutreffende Würdigung des Vortrags darstellt, kann dahinstehen. Denn der angefochtene Beschluss unterstellt in einer selbsttragenden Begründung als wahr, dass das exilpolitische Engagement der Klägerin andauert und den Behörden ihres Heimatstaates bekannt ist (BA S. 12). Auch auf der Grundlage dieser Wahrunterstellung hat das Berufungsgericht eine Gefährdung der Klägerin bei einer Rückkehr nach Äthiopien nicht für wahrscheinlich gehalten. Eine solche Gefährdung ist für das Gericht unter Würdigung der Auskunftslage nur hinreichend wahrscheinlich, wenn prominente Oppositionspolitiker aus dem Exil zurückkehren. Bei der Klägerin, die nach ihrem eigenen Vortrag keine hervorgehobene Stellung innerhalb der Exilorganisation einnehme, sei dies nicht der Fall. Weshalb das Berufungsgericht ausgehend von dieser Würdigung der Sach- und Rechtslage nicht ohne mündliche Verhandlung und persönliche Anhörung der Klägerin hätte entscheiden dürfen, zeigt die Beschwerde nicht auf.
Dass die Würdigung des klägerischen Vortrags zum eigenen exilpolitischen Engagement eine Überraschungsentscheidung darstellen soll (Beschwerdebegründung S. 2), wird nicht entsprechend den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO aufgezeigt. Die Beschwerde selbst legt hierzu dar, die Klägerin habe im Exil durch ihre Teilnahme an Veranstaltungen oppositioneller Gruppen auf das politische Leben in Äthiopien Einfluss nehmen wollen. Eine hervorgehobene Stellung innerhalb der Opposition oder ein besonderes gegen das Regime gerichtetes öffentlichkeitswirksames Engagement hat sie indes nicht aufgezeigt. Angesichts des Inhalts der Erkenntnismittelliste, insbesondere der Lageeinschätzung des Auswärtigen Amtes, musste die Klägerin mit einer Bewertung der Verfolgungsgefahr durch das Berufungsgericht rechnen, wie sie im vorliegenden Fall verfahrensfehlerfrei erfolgt ist. Im Übrigen verkennt die Beschwerde, dass das Berufungsgericht, anders etwa als in den Fällen des § 86 Abs. 2 VwGO, im Verfahren nach § 130 a VwGO nicht verpflichtet ist, die ihm obliegende abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab den Beteiligten mitzuteilen und mit ihnen zu erörtern (stRspr, vgl. Beschluss vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130 a VwGO Nr. 46 m.w.N.).
Ohne Erfolg rügt die Beschwerde auch einen Verstoß des Berufungsgerichts gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO), weil es die Konsequenzen einer Rückkehr der Klägerin nach Äthiopien nicht "durch Auskünfte" aufgeklärt habe, die über die in der Erkenntnismittelliste enthaltenen Quellen hinausgehen. Damit sei das Gericht seiner Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung bis an die Grenze der Zumutbarkeit nicht nachgekommen (Beschwerdebegründung S. 3). Eine den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Sachaufklärungsrüge verlangt die substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26 = NJW 1997, 3328). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht. Sie legt schon nicht dar, welche zusätzlichen in der Erkenntnismittelliste nicht enthaltenen Auskunftsquellen das Gericht hätte nutzen sollen und weshalb und inwieweit sich aus diesen Quellen bessere und weitergehende Erkenntnisse über die Rückkehrgefährdung der Klägerin hätten ergeben können. Hierzu hätte auch deshalb Veranlassung bestanden, weil sich die vom Berufungsgericht ausgewerteten Auskünfte sehr wohl auf die Verfolgungsgefahr für einfache Mitglieder von Oppositionsgruppierungen bezogen, die - wie die Klägerin - innerhalb dieser Organisation nicht in hervorgehobener Stellung tätig sind. Die Beschwerde hat nicht dargelegt, dass sich die Klägerin in einer in relevanter Weise abweichenden Gefährdungssituation befinde. Soweit sie sich auf die frühere Tätigkeit der Klägerin als Kassiererin in einem Offizierskasino Mengistus bezieht, hat das Berufungsgericht die Tatsache ihrer Nichtverhaftung im Wege der revisionsgerichtlich nicht überprüfbaren Beweiswürdigung dahin gewertet, dass sich daraus keine erhöhte Verfolgungsgefahr ergebe.
Das Berufungsgericht durfte zudem verfahrensfehlerfrei davon absehen, Auskünfte darüber einzuholen, dass sich unter einer Vielzahl von der Klägerin benannter "Verschwundener" auch EPRP-Führungskräfte und -Mitglieder befanden. Die Erheblichkeit des Beweisantrags wurde nicht dargelegt (vgl. Beschwerdebegründung S. 7 oben). Das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, aus dem Schicksal der "verschwundenen EPRP Führungskräfte und Mitglieder" ließen sich keine Rückschlüsse auf eine Verfolgungsgefährdung der Klägerin im Falle der Rückkehr nach Äthiopien ziehen. Der Begründung des Beweisantrages lasse sich schon nicht entnehmen, aus welchen Gründen die namentlich aufgeführten Personen "verschwunden" seien und ob bzw. in welchem Maße staatliches Verhalten ursächlich für das "Verschwinden" gewesen sei. Dem tritt die Beschwerde nicht entgegen.
Das Berufungsgericht durfte auch ohne Verfahrensverstoß davon absehen, den Ehemann der Klägerin zu deren "exilpolitischen Aktivitäten" als Zeugen zu vernehmen (vgl. Beschwerdevorbringen S. 6). Weder hat die Klägerin einen entsprechenden Beweisantrag in zweiter Instanz gestellt noch hatte sich das gerichtliche Ermessen zu einer Verpflichtung zur Beweiserhebung konkretisiert. Das Berufungsgericht hat das exilpolitische Engagement der Klägerin - soweit von ihr substantiiert dargelegt - als wahr unterstellt, ohne dass dies nach seiner Auffassung zur Bejahung einer Verfolgungsgefahr für sie führte. Es durfte daher verfahrensfehlerfrei davon ausgehen, dass sich aus den Bekundungen des Zeugen keine weiterreichenden Erkenntnisse ergeben würden. Im Übrigen legt auch das Beschwerdevorbringen nicht dar, dass der Zeuge eine hervorgehobene Position der Klägerin innerhalb der Exilopposition hätte bekunden können, sondern lediglich die von der Klägerin selbst "dargelegten Aktivitäten".
Die Beschwerde hält dem Berufungsgericht zu Unrecht eine widersprüchliche Tatsachenfeststellung vor (S. 6 f.). Denn der in der Beschwerdebegründung dargestellte Widerspruch zwischen der Wahrunterstellung einer Information des äthiopischen Sicherheitsdienstes über die exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin und den eigenen Zweifeln des Gerichts an der Glaubwürdigkeit einer fortdauernden Mitgliedschaft der Klägerin in der EPRP besteht nicht. Vielmehr stellt die auf der Wahrunterstellung basierende Argumentation des Gerichts eine eigene die Entscheidung tragende Begründung dar. Ein Widerspruch besteht auch nicht insofern, als der bereits erwähnte Beweisantrag abgelehnt wurde, wonach sich unter einer Vielzahl namentlich erwähnter "Verschwundener" auch EPRP-Führungskräfte und –Mitglieder befanden. Inhalt dieses (nicht erheblichen) Beweisantrages war es, die Verfolgungsgefahr in Äthiopien zu verdeutlichen, nicht aber die exilpolitischen Aktivitäten der Klägerin. Insofern besteht kein Widerspruch zur erfolgten Wahrunterstellung bezüglich des exilpolitischen Engagements.
Die weitere Rüge der Beschwerde (Beschwerdebegründung S. 3 f.), das angefochtene Urteil sei willkürlich und verletze das rechtliche Gehör der Klägerin (Art. 103 Abs. 1 GG), genügt auch nicht ansatzweise den gesetzlichen Anforderungen an die Darlegung der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Vielmehr werden Versatzstücke allgemein formulierter Verfahrensrügen aneinander gereiht, ohne konkret ihre Verletzung im vorliegenden Fall aufzuzeigen.
Die Beschwerde erhebt schließlich den Vorwurf, das Berufungsgericht habe die Gefahrenprognose für eine Rückkehr der Klägerin nach Äthiopien aufgrund einer unvollständigen Sachverhaltsfeststellung getroffen. Sie macht damit der Sache nach eine Aufklärungsrüge geltend. Der behauptete Verfahrensverstoß liegt indes nicht vor. Es stellt keine lückenhafte Sachverhaltsfeststellung dar, wenn das Berufungsurteil im vorliegenden Fall keine Aussage darüber trifft, ob nach Äthiopien zurückkehrende langjährige EPRP-Mitglieder und Asylbewerber an der staatlichen Lebensmittelversorgung oder anderen Fürsorgeleistungen teilhaben. Zu derartigen Feststellungen bestand aufgrund der von der Klägerin nicht angegriffenen Sachverhaltswürdigung, dass in Äthiopien ein soziales Sicherungssystem fehle, kein Anlass. Das Berufungsgericht hat Anhaltspunkte für eine extreme Gefahrenlage im Sinne von § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG für die Klägerin vielmehr im Hinblick auf ihre Möglichkeit zum Ergreifen einer Berufstätigkeit verneint. Soweit das Gericht darüber hinaus auf Unterstützungsmöglichkeiten durch die Familie der Klägerin verweist, stellt es dies nur als weitere Möglichkeit dar. Von Sachverhaltsfeststellungen oder Beweiserhebungen hierzu durfte das Gericht daher absehen. Soweit die Beschwerde darüber hinaus rügt, dieser Umstand hätte in die Gesamtwürdigung der Rückkehrgefährdung der Klägerin mit einfließen müssen, macht sie in Wahrheit einen materiellrechtlichen Fehler geltend, mit dem sie die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels nicht erreichen kann.
Ein behaupteter Verstoß des Berufungsgerichts gegen die Denkgesetze (Beschwerdebegründung S. 7 f.) ist nicht nachvollziehbar dargelegt. Es ist nicht erkennbar, worin ein gegen die Denkgesetze verstoßender Zirkelschluss liegen soll, wenn das Berufungsgericht unter Zugrundelegung der von ihm festgestellten fehlenden Verfolgungswahrscheinlichkeit auch die Gefahr einer Folterung oder einer menschenunwürdigen oder erniedrigenden Behandlung als fern liegend ansieht.
2. Die Beschwerde macht in mehrfacher Hinsicht Divergenzen des angefochtenen Beschlusses zu Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts geltend (Beschwerdebegründung S. 3, 4, 5 und 7). Dabei genügt sie jedoch in keinem Fall den an diesen Zulassungsgrund zu stellenden Darlegungsanforderungen (vgl. dazu Beschluss vom 19. August 1997 - BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26 = NJW 1997, 3328). In Wahrheit rügt sie jeweils die nach ihrer Auffassung unzutreffende, mit den in Bezug genommenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts angeblich nicht übereinstimmende Rechtsanwendung des Berufungsgerichts im konkreten Fall. Dass das Berufungsgericht einen von jenen Entscheidungen abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hätte, vermag sie dabei in keinem Fall aufzuzeigen.
Insgesamt wendet sich die Beschwerde im Übrigen in weitem Umfang in der Art einer Berufungsbegründung gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Berufungsgerichts. Eine Revisionszulassung kann sie damit nicht erreichen.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.