Beschluss vom 04.12.2020 -
BVerwG 4 VR 6.19ECLI:DE:BVerwG:2020:041220B4VR6.19.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 04.12.2020 - 4 VR 6.19 - [ECLI:DE:BVerwG:2020:041220B4VR6.19.0]

Beschluss

BVerwG 4 VR 6.19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 4. Dezember 2020
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Decker und Prof. Dr. Külpmann
beschlossen:

  1. Der Antrag wird abgelehnt.
  2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen trägt die Antragstellerin.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Antragstellerin, eine Gemeinde, begehrt Eilrechtsschutz gegen den Planfeststellungsbeschluss vom 30. August 2019 für die Errichtung und den Betrieb des östlichen Teils der 380-kV-Freileitung Neuenhagen - Wustermark - Hennigsdorf (380-kV-Nordring Berlin) vom Portal Umspannwerk (UW) Neuenhagen bis zum Mast 189 mit den Einschleifungen UW Malchow und UW Hennigsdorf. Zum Inhalt des Planfeststellungsbeschlusses und dem Aufstellungsverfahren verweist der Senat auf seinen Beschluss vom 27. Juli 2020 - 4 VR 7.19 - (ZNER 2020, 438).

II

2 Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist unbegründet. Das öffentliche Interesse und das private Interesse der Beigeladenen an der Vollziehung überwiegen das Interesse der Antragstellerin an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.

3 1. Der Senat hat in seinem, den Beteiligten bekannten Beschluss vom 27. Juli 2020 - 4 VR 7.19 - (ZNER 2020, 438) im Einzelnen dargelegt, warum das Interesse an der Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses das Interesse überwiegt, dass der Antragsteller jenes Verfahrens, einer anerkannten Umweltvereinigung, an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hat. Die vorgetragenen Gründe zeigten nicht auf, dass die Klage nach summarischer Prüfung voraussichtlich Erfolg haben werde, soweit sie auf die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses und hilfsweise die Feststellung seiner Rechtswidrigkeit und Nichtvollziehbarkeit gerichtet sei. Verbleibende Zweifel hätten nicht das notwendige Gewicht, um entgegen der gesetzlichen Entscheidung die aufschiebende Wirkung anzuordnen (a.a.O. Rn. 11).

4 Der Senat hat in dem genannten Beschluss die Erfolgsaussichten der Klage anhand von § 2 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UmwRG beurteilt (a.a.O. Rn. 12). Für die Klage der Antragstellerin gilt dieser Maßstab nicht, sondern grundsätzlich § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Als von der Fachplanung betroffene Gemeinde kann sie Verstöße gegen Vorschriften rügen, die ihrem Schutz dienen (stRspr, BVerwG, Urteile vom 17. Dezember 2013 - 4 A 1.13 - BVerwGE 148, 353 Rn. 23, vom 15. Dezember 2016 - 4 A 4.15 - BVerwGE 157, 73 Rn. 13 und vom 3. April 2019 - 4 A 1.18 - BVerwGE 165, 166 Rn. 12). Dieser Prüfungsumfang umfasst indes keine Rügen, die nicht bereits Gegenstand des Beschlusses vom 27. Juli 2020 (a.a.O.) waren. Dies macht auch die Antragstellerin nicht geltend. Der Senat verweist daher für die Prognose der Erfolgsaussichten im Grundsatz auf seinen Eilbeschluss vom 27. Juli 2020 (a.a.O.).

5 2. Nach Auffassung der Antragstellerin unterschätzt der Eilbeschluss die Bedeutung, die der Planfeststellungsbeschluss der visuellen Beeinträchtigung der Wohnbevölkerung beimisst und die erst in der "Vertiefenden Betrachtung der großräumigen Trassenalternativen im Bereich Birkenwerder" (im Folgenden: "Vertiefende Betrachtung") vom 17. Juni 2019 einer ausdrücklichen Prüfung unterzogen worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 - 4 VR 7.19 - ZNER 2020, 438 Rn. 26 ff.). Diese Kritik führt nicht zu einer abweichenden Bewertung der Erfolgsaussichten der Klage.

6 Der Senat hat in seinem Beschluss vom 27. Juli 2020 offengelassen, ob die "Vertiefende Betrachtung" eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit erforderlich gemacht hätte (a.a.O. Rn. 26 f.), aber angenommen, dass ein - unterstellter - Verfahrensfehler nach § 4 Abs. 1a Satz 1 UmwRG zu beurteilen und danach unbeachtlich wäre, weil er die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hätte (a.a.O. Rn. 28). Warum diese Überlegungen zur Kausalität eines möglichen Verfahrensfehlers fehlerhaft sein sollten, zeigt die Antragstellerin nicht auf. Sie verweist im Kern darauf, dass der Planfeststellungsbeschluss die optisch bedrängende Wirkung für 30 Gebäude nicht erwähne. Diese Wirkung betrifft nach der "Vertiefenden Betrachtung" indes weit überwiegend Kleingärten (25) und ein Wochenendhaus, zwei der vier betroffenen Wohnhäuser sieht die Betrachtung als vorbelastet an (a.a.O. S. 23). Dass eine Öffentlichkeitsbeteiligung zu diesem Punkt die Planfeststellungsbehörde zur Wahl einer anderen Trasse bewogen hätte, scheint angesichts der Trassenabwägung im Übrigen bei summarischer Prüfung als ausgeschlossen.

7 3. Der Senat hat angenommen, weder Mast 102 (Höhe 80,80 m) entfalte für das etwa 65 m entferne Wohnhaus im D.weg ... erdrückende Wirkung noch der Mast 101 (Höhe 65,80 m) für das etwa 45 m entfernte Wohnhaus im W. Weg ... (Beschluss vom 27. Juli 2020 - 4 VR 7.19 - ZNER 2020, 438 Rn. 83 f.; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 - 4 A 5.17 - BVerwGE 161, 264 Rn. 88).

8 Die Antragstellerin wirft dem Senat Fehler bei der Würdigung des Einzelfalls vor. Dieser Kritik mag im Klageverfahren nachgegangen werden, eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung rechtfertigt sie nicht. Denn einer erdrückenden Wirkung könnte durch Auferlegung eines Anspruchs nach § 74 Abs. 2 Satz 3 VwVfG Rechnung getragen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. März 2018 ebd.). Auch die Interessenlage rechtfertigt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nicht. Selbst die Antragstellerin rechnet nicht damit, dass die von ihr als erdrückend angesehenen Masten 101 und 102 vor der Entscheidung des auf den 13. Juli 2021 terminierten Klageverfahrens errichtet werden.

9 4. Der Senat hat den Antragsgegner nicht befugt gesehen, von der Beigeladenen gegen deren Willen die Errichtung und den Betrieb eines Erdkabels zu verlangen (BVerwG, Beschluss vom 27. Juli 2020 - 4 VR 7.19 - ZNER 2020, 438 Rn. 101 ff.).

10 Die Antragstellerin meint, diese Rechtsauffassung lasse sich einer oberirdischen, parallel zu einer Lärmschutzwand verlaufenden Kabelführung in einem Kabelgang nicht entgegenhalten. Ihr Einwand zielt offenbar auf die im Gutachten von Jarass/Brakelmann ("Geplante 380-kV-Freileitung im Raum Birkenwerder: Möglichkeiten von Kabellösungen") vom 1. März 2018 angesprochene Variante einer Verlegung der Leitung in einem Infrastrukturkanal, der ganz oder teilweise oberirdisch errichtet werden könne (S. 26 Z. 21 ff.). Auch diese Variante sieht indes vor, nach der oberirdischen Errichtung Aushubmaterial anzuschütten, so einen kleineren Wall zu schaffen und nur bei notwendigen Unterquerungen - etwa kreuzenden Bahngleisen - mit Bohrungen vorzugehen. Es spricht Überwiegendes dafür, eine solche Gestaltung als Erdkabel im Sinn von § 2 Abs. 1 EnLAG anzusehen. Verbleibenden Zweifeln mag im Hauptsacheverfahren nachgegangen werden, ebenso der Frage, ob eine solche Kabelführung technisch ernsthaft in Betracht kommt.

11 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.