Beschluss vom 05.02.2024 -
BVerwG 20 F 3.23ECLI:DE:BVerwG:2024:050224B20F3.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.02.2024 - 20 F 3.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:050224B20F3.23.0]

Beschluss

BVerwG 20 F 3.23

  • OVG Greifswald - 20.02.2023 - AZ: 13 P 376/18 OVG

In der Verwaltungsstreitsache hat der Fachsenat des Bundesverwaltungsgerichts
für Entscheidungen nach § 99 Abs. 2 VwGO
am 5. Februar 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des 13. Senats des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 20. Februar 2023 aufgehoben.
  2. Die Sperrerklärung des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern vom 16. Juni 2016 in der Fassung der Sperrerklärung vom 17. Oktober 2017 ist rechtswidrig.
  3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Beklagte.

Gründe

I

1 In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht Schwerin begehrt der Kläger (weitere) Auskunft über die bei der Verfassungsschutzbehörde des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu seiner Person gespeicherten Daten.

2 Im Hauptsacheverfahren forderte der Kammervorsitzende den Beklagten mit der Eingangsverfügung auf, sämtliche Verwaltungsvorgänge im Original vorzulegen. Daraufhin hat der Beklagte unter dem 16. Juni 2016 mit Schwärzungen versehene Ausdrucke eines Teils der elektronisch geführten Verwaltungsvorgänge vorgelegt, Klageabweisung beantragt und die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten unter Verweis auf § 99 Abs. 1 Satz 2 (a. F.) VwGO (nunmehr § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO) und Erläuterung der Verweigerungsgründe nach § 26 LVerfSchG M-V verweigert.

3 Die Berichterstatterin hat den Beklagten mit Verfügung vom 17. August 2017 erneut aufgefordert, die Verwaltungsvorgänge vollständig vorzulegen, und darauf hingewiesen, dass der Geheimhaltung unterliegende Teile geschwärzt werden könnten, dem Gericht aber der Inhalt in geeigneter Weise abstrakt zu erläutern sei. Nur so könne entschieden werden, ob es eines Zwischenverfahrens bedürfe. Die bislang vorgelegten Unterlagen genügten den Anforderungen des § 99 VwGO nicht.

4 Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2017 wurden daraufhin Teile des Verwaltungsvorganges erneut vorgelegt, die Vorlage weiterer Teile aber wiederum unter Bezugnahme auf § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO verweigert. Das Auskunftsrecht könne im Rahmen ordnungsgemäßer Ermessensausübung eingeschränkt oder abgelehnt werden, wenn durch die Auskunftserteilung eine Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden zu befürchten sei. Die Aktenvorlage bei Gericht dürfe die in § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alt. 2 und 3 LVerfSchG M-V bestimmten Grundsätze nicht unterlaufen. Dafür spreche auch § 26 Abs. 4 LVerfSchG M-V. Der vorgelegte Verwaltungsvorgang untergliedere sich in die Abschnitte 1. Offene Dokumente, 2. Interne Dokumente, 3. Dokumente aus Maßnahmen gemäß § 10 Abs. 1 LVerfSchG M-V und 4. Polizeiliche Mitteilungen im Rahmen des § 24 LVerfSchG M-V. Die internen Dokumente seien unter Berücksichtigung der ursprünglichen VS-Einstufung teilweise geschwärzt worden, wie sich aus dem Vorblatt und den dort aufgeschlüsselten Kategorien A bis D ergebe. In die Kategorie A fielen Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Signaturen, in die Kategorie B Verfügungen, in die Kategorie C namentliche Hinweise auf Sachbearbeiter, Durchwahlnummern und in die Kategorie D schutzwürdige Belange Dritter (Quellenbezeichnungen, Namen anderer Personen). Zu Dokumenten der Kategorie A sei anzumerken, dass eine relevante Beschneidung der Sachverhaltsaufklärung nicht ersichtlich sei, aber bereits die einmalige Offenlegung weitreichende Folgen für die künftige Arbeit der Sicherheitsbehörden hätte. Zur Dokumentenkategorie B ist ausgeführt, dass Arbeitsanweisungen oder Beschaffungsaufträge nicht offengelegt würden, weil der Verfassungsschutz seinen verfassungsmäßigen Auftrag dann nicht mehr erfüllen könne. Das Interesse des Klägers sei demgegenüber weniger schützenswert. Unter die Kategorie C fallende Hinweise seien zum Schutz betroffener Personen vor Repressalien geschwärzt. Zu Dokumenten der Kategorie D heißt es, beim Vorliegen schutzwürdiger Belange Dritter sei die Gewichtung zu deren Gunsten erfolgt, weil kein vorrangiges Aufklärungsinteresse oder ein schützenswertes Individualinteresse des Klägers an der entsprechenden Auskunft feststellbar sei. Zu den Dokumenten aus Maßnahmen nach § 10 Abs. 1 LVerfSchG M-V heißt es, vollständig entnommen würden Dokumente wegen der möglichen Gefährdung von Informationsquellen. Zudem bestehe über den gesetzlich definierten Auskunftsanspruch hinaus kein Anspruch des Klägers, über den Umweg der Akteneinsicht faktisch eine Übersicht darüber zu erhalten, welche nachrichtendienstlichen Einzelmaßnahmen sie beträfen. Polizeiliche Mitteilungen im Rahmen des § 24 LVerfSchG M-V seien als Verschlusssachen grundsätzlich nicht zur Weitergabe geeignet, da hierdurch entsprechend der Definition des Verschlussgrades dem Wohl des Landes Nachteile entstehen würden. Eine Ausnahme bilde nur der Verweis auf dem Kläger bereits bekannten Ermittlungen. Die Weitergabe würde im Übrigen dazu führen, dass die Polizei künftig derartige Dokumente dem Verfassungsschutz nicht mehr übermittele. Dem Kläger stehe offen, sich direkt an die Polizei zu wenden.

5 Mit Verfügung vom 29. März 2018 wies der Berichterstatter die Beteiligten daraufhin, dass nach Auffassung der Kammer vor einem Antrag nach § 99 Abs. 2 VwGO kein Beweisbeschluss erforderlich sein dürfte. Die fraglichen Unterlagen seien zweifelsfrei rechtserheblich, weil die Entscheidung von der allein anhand des Akteninhaltes zu beantwortenden Frage abhänge, ob die Akten geheimhaltungsbedürftig seien.

6 Auf Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht das Verfahren zur Durchführung eines In-camera-Verfahrens an den Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern abgegeben.

7 Der Beklagte hat mit Schriftsätzen vom 29. Mai 2020 und vom 24. Januar 2023 ergänzende Ausführungen zur Sperrerklärung gemacht.

8 Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat den Antrag des Klägers mit Beschluss vom 20. Februar 2023 abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, zu der der Beklagte unter Verweis auf die Entscheidung im Parallelverfahren - 20 F 4.23 - von einer Stellungnahme absieht.

II

9 Die zulässige Beschwerde hat Erfolg. Die Sperrerklärung des Beklagten ist rechtswidrig, sodass der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts aufzuheben ist.

10 1. Die Zulässigkeit eines Antrags auf Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen ordnungsgemäß bejaht hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2021 - 20 F 13.20 - juris Rn. 7 m. w. N.). Dafür ist grundsätzlich ein der Sperrerklärung vorausgehender förmlicher Beweisbeschluss und dieser - wie vorliegend verwaltungsprozessual geboten - durch den Spruchkörper zu fassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - NVwZ 2023, 1435 Rn. 14). Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat zu Recht angenommen, dass die Mitteilung des Berichterstatters vom 29. März 2018 auf einen vorangegangenen Beschluss des Spruchkörpers schließen lässt. In einem solchen Fall kann ein Vorlageschreiben für die Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit jedenfalls dann ausreichen, wenn die Beiziehung der Behördenakte für die Entscheidung des Hauptsacheverfahrens - wie hier - unumgänglich ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - NVwZ 2023, 1435 Rn. 14 m. w. N.).

11 2. Jedenfalls entspricht die Sperrerklärung zum einen bereits nicht den an sie zu stellenden formellen Anforderungen (a); zum anderen fehlt es an einer zeitgerechten Ermessensausübung (b).

12 a) Gegenstand des vorliegenden Zwischenverfahrens ist die von der obersten Landesbehörde unter dem 16. Juni 2016 abgegebene Erklärung, die Vorlage der vollständigen Verwaltungsunterlagen zu verweigern (Seite 1 bis 2). Darin ist eine als Sperrerklärung zu wertende Aussage enthalten, die mit der Klageerwiderung zum Hauptsacheverfahren (Seite 2 bis 3) verbunden ist. Die vom Oberverwaltungsgericht als Sperrerklärung angesehene Erklärung des Beklagten vom 17. Oktober 2017 fußt auf ihr, was sich auch aus dessen Aussage im Schriftsatz vom 24. Januar 2023 ableitet, spätestens "im Rahmen der (ergänzten) Sperrerklärung vom 17. Oktober 2017" sei zu den Voraussetzungen des § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO vorgetragen worden. Selbst bei Einbeziehung der Ergänzung vom 17. Oktober 2017 wird die Sperrerklärung jedoch nicht den rechtlichen Darlegungs- und Begründungsanforderungen gerecht.

13 aa) Grundsätzlich muss eine Sperrerklärung eine differenzierende Zuordnung der Geheimhaltungsgründe zu den jeweiligen Aktenbestandteilen enthalten (BVerwG, Beschlüsse vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 12, 15 m. w. N., vom 25. Juni 2010 - 20 F 1.10 - NVwZ 2010, 1495 Rn. 11, vom 18. April 2012 - 20 F 7.11 - NVwZ 2012, 1488 Rn. 5, vom 13. Februar 2014 ‌- 20 F 11.13 - juris Rn. 11 und vom 21. Januar 2019 - 20 F 9.17 - juris Rn. 12 f.). Sie muss hinreichend deutlich erkennen lassen, auf welche Weigerungsgründe die oberste Aufsichtsbehörde sie stützt (BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2014 ‌- 20 F 11.13 - juris Rn. 11). Eine konkrete Zuordnung von Geheimhaltungsgründen durch die oberste Aufsichtsbehörde ist von zentraler Bedeutung, weil der Fachsenat ausschließlich prüft, ob die von ihr in der Sperrerklärung behaupteten Gründe tatsächlich vorliegen; erst durch die Darlegung der konkreten Gründe wird somit effektiver Rechtsschutz ermöglicht (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2010 - 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 12). Eine differenzierende Aufbereitung der Unterlagen - unter Angabe von Blattzahlen, gegebenenfalls auch der Bezifferung von Absätzen oder der Gliederungspunkte eines Dokuments - erweist sich nur ausnahmsweise dann als entbehrlich, wenn der Umfang der Unterlagen überschaubar ist und sich bei Durchsicht der Akte die Zuordnung der Geheimhaltungsgründe ohne Weiteres erschließt (BVerwG, Beschluss vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 8 m. w. N.).

14 bb) In der Sperrerklärung vom 16. Juni 2016 heißt es jedoch lediglich, die Vorlage der Verwaltungsvorgänge werde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO verweigert, weil die Erkenntnisse als Verschlusssache eingestuft seien und das Bekanntwerden der Akteninhalte dem Wohl des Landes deshalb Nachteile bereiten würde, weil dies geeignet sei, die künftige Arbeit des Verfassungsschutzes zu erschweren. Gleichzeitig könnte auf die Identität von Personen geschlossen und deren Leben oder Freiheit gefährdet werden. Es fehlt damit an einer differenzierenden Zuordnung der drei Geheimhaltungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO zu den einzelnen Aktenbestandteilen. Auf eine entsprechende Zuordnung ist auch nicht etwa deshalb zu verzichten, weil der Aktenumfang überschaubar wäre. Ausweislich der dem Verwaltungsgericht vorgelegten Verwaltungsvorgänge sind im zweiten Vorgang die Seiten 10 bis 50 sowie die Seiten 51 bis 79 entnommen (worden) "gemäß § 26 Abs. 2 LVerfSchG M-V", sodass neben den Schwärzungen - im ersten Vorgang auf den Seiten 1, 6 und 7 sowie im zweiten Vorgang auf den Seiten 4 bis 9 - bei insgesamt 70 fehlenden Seiten Zuordnungen zu den einzelnen Geheimhaltungsgründen fehlen.

15 cc) Etwas anderes folgt auch nicht aus der ergänzenden Sperrerklärung vom 17. Oktober 2017, weil sie sich ausschließlich zu den fachgesetzlichen Versagungsgründen nach § 26 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 LVerfSchG M-V verhält. Der Schriftsatz des Beklagten vom 2. März 2018 ist vom Beklagten selbst nicht als Ergänzung der Sperrerklärung betrachtet worden und verhält sich im Übrigen - soweit er § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO erwähnt - ausschließlich (unter 3.) zur Frage, inwieweit im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse gezogen werden könne.

16 dd) Dass der Beklagte nach Einleitung des Zwischenverfahrens mit Schriftsatz vom 24. Januar 2023 den Versuch unternommen hat, die Versagungsgründe konkret zuzuordnen, ändert daran ebenfalls nichts. Dabei kann offenbleiben, ob auch die Darlegungen dort die Gründe hinreichend konkret belegen; jedenfalls ist die Einbeziehung der dortigen Ausführungen in das fachgerichtliche Verfahren unzulässig. Denn ebenso wie die Ergänzung eines in der Sperrerklärung noch nicht angeführten Verweigerungsgrundes durch schriftsätzliche Erklärungen unzulässig ist (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2021 - 20 F 9.20 - juris Rn. 32), verbietet sich erst recht die erstmalige Zuordnung konkreter Verweigerungsgründe zu den Auslassungen oder Schwärzungen durch erläuternde Schriftsätze außerhalb der Sperrerklärung (BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2023 - 20 F 4.23 - NVwZ 2023, 1504 Rn. 22).

17 b) Anders als vom Oberverwaltungsgericht angenommen, hat der Beklagte nicht bereits in der (ergänzten) Sperrerklärung eine Ermessensentscheidung getroffen.

18 aa) Die oberste Aufsichtsbehörde ist im Rahmen einer Prüfung nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO gefordert, in besonderer Weise die rechtsschutzverkürzende Wirkung der Verweigerung der Aktenvorlage für den Betroffenen zu beachten. Darin liegt die Besonderheit ihrer Ermessensausübung nach dieser Regelung. Dementsprechend steht ihr selbst in den Fällen ein Ermessen zu, in denen das Fachgesetz es der Fachbehörde nicht einräumt (BVerwG, Beschluss vom 7. April 2020 - 20 F 2.19 - NVwZ-RR 2020, 909 Rn. 31 m. w. N.). Eine darauf bezogene Ermessensentscheidung ist der - insoweit allein maßgeblichen - Sperrerklärung indes nicht entnehmbar, selbst wenn der klageerwidernde Teil des Schriftsatzes, in den sie eingebettet wurde, zu ihrer Auslegung mit herangezogen wird (BVerwG, Beschlüsse vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - NVwZ-RR 2023, 1435 Rn. 17 ff. und vom 19. Mai 2023 - 20 F 4.23 - NVwZ 2023, 1504 Rn. 24).

19 bb) Die Sperrerklärung verweist in ihren Ausführungen zur Klageerwiderung ausschließlich auf die Regelungen des Landesverfassungsschutzgesetzes. Dasselbe gilt für die ergänzenden Ausführungen in der ergänzenden Erklärung vom 17. Oktober 2017. Der Beklagte erwähnt zwar im Zusammenhang mit dem Dokumententyp D ein vorrangiges Aufklärungsinteresse oder ein schützenswertes Individualinteresse des Klägers oder im Zusammenhang mit dem Dokumententyp B ein (weniger) schützenswertes Interesse des Klägers an der Offenlegung; zugleich nimmt er jedoch bezogen auf den Dokumententyp A an, dass eine relevante Beschneidung der Sachverhaltsaufklärung nicht ersichtlich sei. Die rechtlichen Interessen des Klägers stellt er indes allein wegen der fachgesetzlichen Verweigerungsgründe zurück, ohne - wie von § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO gefordert - zu erwägen, die streitigen Informationen gleichwohl (teilweise) freizugeben.

20 Deutlich wird der Ermessensnichtgebrauch durch die - im Zusammenhang mit Maßnahmen nach § 10 Abs. 1 LVerfSchG M-V anzutreffende - Begründung, über den (fach-)gesetzlich definierten Auskunftsanspruch hinaus bestehe kein Anspruch des Klägers, über den Umweg der Einsicht in den Verwaltungsvorgang faktisch eine Übersicht darüber zu halten, von welchen nachrichtendienstlichen Einzelmaßnahmen er betroffen gewesen sei. Damit hat der Beklagte den Charakter des § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO als im Verhältnis zu den fachgesetzlich geregelten Auskunftsansprüchen prozessrechtliche Spezialnorm verkannt, die eine Informationsfreigabe auch jenseits fachgesetzlicher Verweigerungsgründe eröffnet (BVerwG, Beschlüsse vom 21. August 2012 - 20 F 5.12 - juris Rn. 6, vom 5. April 2023 - 20 F 17.22 - NVwZ 2023, 1435 Rn. 19 und vom 19. Mai 2023 ‌- 20 F 4.23 - NVwZ 2023, 1504 Rn. 26).

21 cc) Dass der Beklagte im Schriftsatz vom 29. Mai 2020 erklärt hat, nicht nur das fachgesetzlich, sondern auch das nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO bestehende Ermessen erkannt zu haben, ändert daran nichts. Das Gleiche gilt für seine darin nachträglich angestellten Ermessenserwägungen. Zwar ist eine Ergänzung von Ermessenserwägungen bei § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO wie sonst nach allgemeinem Verwaltungsverfahrensrecht möglich, wenn die neuen Gründe schon bei Erlass des Verwaltungsaktes vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2021 - 20 F 9.20 - juris Rn. 32 m. w. N.). Da der Beklagte in seiner (ergänzten) Sperrerklärung jedoch überhaupt keine Ermessenserwägungen nach § 99 Abs. 1 Satz 3 VwGO angestellt hat, fehlt es den Ausführungen im Schriftsatz vom 29. Mai 2020 an einem lediglich ergänzenden Charakter. Der vollständige Ermessensausfall führt zu einer nicht durch Nachschieben von Gründen heilbaren Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2023 - 20 F 4.23 - NVwZ 2023, 1504 Rn. 27 m. w. N.).

22 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.