Beschluss vom 05.04.2011 -
BVerwG 3 B 79.10ECLI:DE:BVerwG:2011:050411B3B79.10.0
Beschluss
BVerwG 3 B 79.10
- Niedersächsisches OVG - 30.06.2010 - AZ: OVG 13 LB 9/08
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. April 2011
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley und die
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert und Buchheister
beschlossen:
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. Juni 2010 wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
1 1. Die Klägerin produziert Fleischerzeugnisse aus Hähnchen- und Putenfleisch, die sie unter den Bezeichnungen „Hähnchen-Filetstreifen, gebraten", „Puten-Filetstreifen, gebraten" und „Putenbrust, Natur" vertreibt. Bei der industriellen Herstellung der Produkte wird das zuvor spritzgepökelte Filetfleisch teilweise zerrissen und zunächst mit einem Anteil an brätartig fein zerkleinerter Substanz in einen Kunstdarm abgefüllt und gekocht. Die erkaltete Masse wird anschließend in Streifen bzw. Scheiben gleicher Größe zerschnitten; die Streifen werden außerdem frittiert.
2 Die aus Anlass eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens erhobene Klage der Klägerin auf Feststellung, dass die gewählten Produktbezeichnungen nicht irreführend im Sinne des Lebensmittelrechts seien, hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Das Berufungsgericht hat unter anderem angenommen, dass ein Großteil der Verbraucher aufgrund der Bezeichnungen die unzutreffende Vorstellung habe, dass es sich um aus natürlich gewachsener Brustmuskulatur geschnittenes Geflügelfleisch handele. Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
3 2. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
4 a) Die Klägerin wirft zunächst die Frage auf, ob es entgegen § 11 Abs. 1 LFGB eine Irreführung bedeutet, wenn industriell hergestellte Fleischerzeugnisse, die unter dem von ihr in der Beschwerdeschrift dargelegten Herstellungsverfahren produziert werden, neben der Verkehrsbezeichnung mit keiner weiteren Kennzeichnung versehen sind, die auf die technologisch unvermeidbare Zerkleinerung und anschließende Zusammenfügung des Fleisches hinweisen. Damit ist keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Ob eine bestimmte Angabe irreführend ist, beurteilt sich, wie die Klägerin selbst ausführt, aus der Sicht eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers. Das Berufungsgericht hat seiner Prüfung diesen Maßstab zugrunde gelegt und sich in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 10. Dezember 1987 - BVerwG 3 C 18.87 - Buchholz 418.711 LMBG Nr. 24) bei der Ermittlung der Verbrauchervorstellungen unter anderem an den Leitsätzen des Deutschen Lebensmittelbuchs orientiert. Die darauf basierenden Feststellungen zur Verbrauchererwartung sind Teil der Tatsachenfeststellung und obliegen dem Tatsachengericht. Dessen Feststellungen binden nach § 137 Abs. 2 VwGO das Revisionsgericht, soweit sie nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angegriffen werden oder etwa allgemeinen Erfahrungssätzen widersprechen (vgl. nur Urteil vom 17. Januar 2008 - BVerwG 3 C 1.07 - Buchholz 418.21 ApBO Nr. 17 Rn. 22 m.w.N.). Verfahrensrügen hat die Klägerin nicht erhoben. Aus den Darlegungen der Beschwerde ergibt sich auch kein Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze oder eine sonst rechtsfehlerhafte Urteilsbildung, wobei zur Bejahung einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zudem noch eine fallübergreifende Relevanz hinzukommen müsste.
5 Das gilt zunächst in Ansehung des früheren Vortrag wiederholenden Arguments der Klägerin, die Verbraucher würden sich regelmäßig über die Größe der Fleischstücke und das Herstellungsverfahren keine Gedanken machen. Damit widerspricht sie lediglich der Tatsachenfeststellung des Berufungsgerichts, wonach ein Großteil der Verbraucher mit den Produktbezeichnungen eine bestimmte Erwartung verbinde, ohne eine fehlerhafte Urteilsbildung aufzuzeigen. Ähnliches gilt für den Einwand, dass den Verbrauchern bei objektiver Betrachtung klar sein müsse, dass bei der industriellen Produktion gleichartiger Stücke das Fleisch nicht im natürlichen Zusammenhang belassen werden könne, sondern in bestimmtem Umfang zunächst zerkleinert und dann zusammengefügt werden müsse. Das Berufungsgericht hat insoweit in tatsächlicher Hinsicht angenommen, dass der Durchschnittsverbraucher sich durchaus vorstelle, dass „Filetstreifen“ oder „Putenbrust, Natur“ von einem Stück Geflügelmuskulatur wie gewachsen geschnitten werden und nicht aus einer aus teilweise zerkleinertem Fleisch zusammengefügten und aufgekochten Masse. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
6 Soweit die Klägerin demgegenüber in verschiedenen Zusammenhängen betont, dass bei industriell hergestellten Fleischerzeugnissen, die in einheitlichen Größen und Formen angeboten werden, eine Zerkleinerung technologisch unvermeidbar sei, mag das zutreffen. Das schließt es aber nicht aus, dass der Verbraucher durch die Bezeichnung eines solchen Produkts als „Filetstreifen“ oder „Putenbrust, Natur“ in die Irre geführt wird, weil er mit diesen Begriffen andere Produkte verbindet und sich deshalb falsche Vorstellungen über die Herstellungsweise und das Endprodukt macht. Es ist im Grunde offensichtlich, dass mit den gewählten Bezeichnungen die Assoziation geweckt werden kann, die Produkte würden wie im traditionellen Fleischerhandwerk aus einem Stück wie gewachsen geschnitten und gerade nicht aus einem Kochpökelerzeugnis (vgl. zur Einordnung als Kochpökelware die von der Klägerin selbst vorgelegte Ausarbeitung von Prof. Dr. Stiebing vom 7. November 2005).
7 Der Hinweis der Klägerin, nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 LMKV müssten die Einzelheiten des Herstellungsprozesses nur soweit beschrieben werden, dass der Verbraucher die Art des Lebensmittels erkennen könne, führt nicht weiter. Die Klägerin ist in der Tat nicht verpflichtet, den Herstellungsprozess bei der Kennzeichnung im Einzelnen zu beschreiben; sie ist aber gehalten, Bezeichnungen zu vermeiden, die eine unzutreffende Verbrauchererwartung erwecken können. Das wäre nur dann unschädlich, wenn sich die mögliche Fehlvorstellung auf einen aus Verbrauchersicht unbedeutenden Umstand bezöge. So liegt es hier aber nicht. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass der durchschnittliche Verbraucher dem Umstand - im Sinne eines Qualitätsmerkmals - Bedeutung beimisst, ob die Streifen oder der Aufschnitt direkt aus einem Filetstück des Geflügels geschnitten werden oder aus einer aus teilweise zerkleinertem Fleisch zusammengefügten und aufgekochten Masse. Darin liegt kein Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze; es handelt sich vielmehr um eine naheliegende Annahme.
8 Die weiteren Erwägungen der Beschwerde sind ebenfalls nicht geeignet, eine grundsätzlich fehlerhafte Urteilsbildung des Berufungsgerichts aufzuzeigen. Dass ein dem Berufungsgericht nachgeordnetes Verwaltungsgericht zeitlich vor der hier angegriffenen Berufungsentscheidung für in vergleichbarer Weise industriell hergestellte Fleischzubereitungen die Bezeichnung „Hähnchenbrustfilet“ als nicht irreführend angesehen hat (VG Osnabrück, Urteil vom 23. August 2007 - VG 4 A 119/06 -), begründet noch keinen Verstoß des Berufungsgerichts gegen allgemeine Erfahrungssätze. Außerdem beruht jene Entscheidung tragend auf der Erwägung, dass ein Wandel der Verkehrsauffassung deshalb eingetreten sei, weil den Verbrauchern seit vielen Jahren derartige Produkte angeboten würden, ohne dass die Aufsichtsbehörden dagegen effektiv eingeschritten seien. Abgesehen davon, dass diese tatsächlichen Grundannahmen auf den vorliegenden Fall so nicht zutreffen, ist es auch in der Sache verfehlt, eine bestimmte Verbrauchererwartung daraus herzuleiten, dass die Behörden längere Zeit gegen bestimmte Produktbezeichnungen nicht vorgegangen sind; denn dieser Umstand besagt nichts darüber, ob sich die Verbraucher aufgrund der Produktbezeichnung (möglicherweise über einen längeren Zeitraum) fehlerhafte Vorstellungen über das Produkt machen. Dass ferner ein Testbericht der Stiftung Warentest über Kochschinken die Art der Herstellung dieser Produkte nicht beanstandet, sondern als „Marktrealität“ darstellt, berührt nicht die Frage, unter welcher Bezeichnung eine Kochpökelware, in diesem Fall aus Geflügelfleisch, verkehrsfähig ist.
9 Eine grundsätzliche Bedeutung lässt sich ferner nicht aus den Erwägungen der Klägerin zu der Kategorie der Formfleischerzeugnisse herleiten. Zusammengefasst geht ihre Argumentation insoweit dahin, dass ihre Produkte keine Formfleischerzeugnisse seien und es deshalb auch keiner entsprechenden Kennzeichnung, etwa als „zusammengefügt“ bedürfe. Dabei lässt sie indes unberücksichtigt, dass von ihr keine ergänzende Kennzeichnung als Formfleisch (vgl. Nr. 2.19 und 2.341 .6 der Leitsätze für Fleisch und Fleischerzeugnisse) verlangt worden ist, sondern eine Änderung der Produktbezeichnungen, die den unzutreffenden Eindruck erwecken können, die Produkte seien aus naturbelassenen Filetstücken geschnitten. Selbst wenn die Produkte nicht als Formfleisch gekennzeichnet werden müssten (obwohl sie im Wesentlichen dem in dem entsprechenden Leitsatz 2.19 beschriebenen Herstellungsverfahren unterzogen wurden), handelt es sich um Kochpökelware, die nicht unter der Premiumbezeichnung des naturbelassenen Ausgangsprodukts (Filet) verkehrsfähig ist. Es führt deshalb nicht weiter, dass das Oberlandesgericht Oldenburg in einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren die Behauptung, bestimmte „Geflügelnuggets“ seien unter Verwendung von Formfleisch hergestellt, untersagt hat. Das von der Klägerin außerdem angeführte Urteil des Senats vom 23. Januar 1992 - BVerwG 3 C 33.89 - (BVerwGE 89, 320) ist nicht einschlägig; es betraf die Bezeichnung „Diät-Wurst“ für ein Produkt, bei dem tierische gegen pflanzliche Fette ausgetauscht und in der Kennzeichnung auf diesen Austausch hingewiesen worden war.
10 b) Die Klägerin wirft außerdem die Frage auf, ob ein Rückgriff auf das Irreführungsverbot des § 11 Abs. 1 LFGB neben den verordnungsrechtlichen Vorschriften zur Kennzeichnung von fertigverpackten Lebensmitteln (LMKV) überhaupt in Betracht komme, um technologisch unvermeidbare Behandlungen zu kennzeichnen. Aus der Entstehungsgeschichte des § 4 Abs. 5 LMKV, der unter bestimmten Voraussetzungen (nur) eine Ergänzung der Verkehrsbezeichnung um die Angabe „aufgetaut“ verlangt, folgert sie, dass für andere physikalische Behandlungen bewusst keine Regelung getroffen worden und deshalb kein Hinweis erforderlich sei. Dieses Verständnis ist unzutreffend. Allgemein schließt die Beachtung besonderer Kennzeichnungspflichten nicht aus, dass ein Produkt durch seine Bezeichnung oder Aufmachung gleichwohl gegen das Irreführungsverbot des § 11 Abs. 1 LFGB verstoßen kann. Auch wenn eine bestimmte Behandlungsmethode nicht ausdrücklich gekennzeichnet werden muss, folgt daraus noch nicht die Zulässigkeit von Bezeichnungen, die geeignet sind, eine Fehlvorstellung des Verbrauchers in Bezug auf die Art des Produkts hervorzurufen. Dies gilt auch für den von der Klägerin angeführten § 4 Abs. 5 LMKV. Die Vorschrift verpflichtet zu einer Ergänzung der Verkehrsbezeichnung um die Angabe „aufgetaut“, wenn das Lebensmittel gefroren oder tiefgefroren war. Dass zunächst beabsichtigt war, auch bei anderen besonderen Anwendungen oder Behandlungsmethoden entsprechende Zusätze zu fordern (z.B. „pulverförmig“, „gefriergetrocknet“, „konzentriert“, „geräuchert“) und dieser weitergehende Vorschlag nicht realisiert worden ist, bedeutet lediglich, dass solche Zusätze für eine ordnungsgemäße Kennzeichnung nicht erforderlich sind. Schon in Bezug auf die bei der Verordnungsänderung zunächst in den Blick genommenen weiteren Behandlungsmethoden führt das aber noch nicht zur Zulässigkeit von Bezeichnungen, die geeignet sind, über diese Behandlungsmethoden hinwegzutäuschen, indem sie etwa suggerieren, das Produkt sei nicht gefriergetrocknet oder nicht konzentriert. Dies gilt erst recht für Behandlungsmethoden, die von vornherein außerhalb des Anwendungsbereichs des § 4 Abs. 5 LMKV liegen.
11 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.