Beschluss vom 05.04.2017 -
BVerwG 8 B 54.16ECLI:DE:BVerwG:2017:050417B8B54.16.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.04.2017 - 8 B 54.16 - [ECLI:DE:BVerwG:2017:050417B8B54.16.0]

Beschluss

BVerwG 8 B 54.16

  • VG Greifswald - 12.02.2015 - AZ: VG 2 A 1171/13

In der Verwaltungsstreitsache hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 5. April 2017
durch den Vizepräsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Dr. Christ und
die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. Held-Daab und Hoock
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge der Klägerin gegen den Beschluss vom 11. Juli 2016 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rügeverfahrens.

Gründe

1 Die gemäß § 152a Abs. 2 Satz 1 und 3 VwGO fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach formloser Bekanntgabe des angegriffenen Beschlusses erhobene Anhörungsrüge ist unbegründet. Der Beschluss vom 11. Juli 2016 verletzt nicht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör.

2 Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO gewährleisten, dass das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen wird (BVerfG, Beschluss vom 3. Juni 1987 - 1 BvR 313/85 - BVerfGE 75, 369 <381 f.>). Das Gericht wird dadurch jedoch nicht verpflichtet, sämtliche von den Beteiligten im Lauf des Verfahrens vorgetragenen Tatsachen und Rechtsansichten ausdrücklich zu erörtern (BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 2014 - 2 BvR 2639/09 - NVwZ 2015, 52 = juris Rn. 47). Grundsätzlich ist daher davon auszugehen, dass der gesamte nach der Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungsrelevante Beteiligtenvortrag aufgenommen und berücksichtigt wurde. Nur wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass aus der Sicht des Gerichts entscheidungserhebliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen wurde, liegt ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO vor. Davon ist auszugehen, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des Vorbringens eines Beteiligten zu einer Frage, die nach seiner eigenen Einschätzung für den Prozessausgang von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht eingeht (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <145 f.>; BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 23 m.w.N.). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

3 Die Klägerin macht geltend, der Senat habe wesentliches Beschwerdevorbringen zur Verfahrensfehlerhaftigkeit der Indizienbeweisführung des Verwaltungsgerichts bezüglich des Abzielens der Enteignung auf die Person A. und dessen Einordnung als "Kriegsverbrecher" im betreffenden Enteignungsverfahren übergangen. Für nicht oder nicht zureichend berücksichtigt hält die Klägerin insbesondere ihren Vortrag, die Einstufung als "Kriegsverbrecher" müsse von der enteignenden Stelle, und zwar von derjenigen Gemeindekommission vorgenommen worden sein, die nach Auffassung der Klägerin für die Enteignung des verfahrensgegenständlichen Gutes G. allein oder jedenfalls maßgeblich zuständig war, sodass die handschriftliche Bezeichnung A. als "Kriegsverbrecher" im Bestandsverzeichnis des im Gebiet einer anderen Gemeinde desselben Landkreises belegenen Gutes R. keine entsprechende Einordnung durch die für das Gut G. zuständige Gemeindekommission belegen könne.

4 Mit dieser Argumentation setzt der angegriffene Beschluss vom 11. Juli 2016 sich im Rahmen seiner nahezu dreiseitigen Ausführungen zur Verfahrensrüge gegen die Indizienbeweisführung der Vorinstanz (Rn. 14 bis 17 des Beschlusses) im Einzelnen auseinander. In Rn. 15 f. legt er dar, dass das Verwaltungsgericht den aus seiner Sicht maßgeblichen Vortrag der Klägerin umfassend wiedergegeben und lediglich rechtlich anders gewürdigt hat als diese, ohne dass die Aktenwidrigkeit einzelner Feststellungen oder die Denkfehlerhaftigkeit der darauf gestützten Schlussfolgerungen dargetan wäre. Dabei geht der Beschluss auf das Beschwerdevorbringen zur Zuständigkeit der jeweils mit der Enteignung befassten Gemeindekommission ein. Er würdigt auch die daraus und aus dem begrenzten Zweck von Inventaren hergeleiteten Einwände der Klägerin gegen die Beweiskraft der handschriftlichen Eintragung im Bestandsverzeichnis des Gutes R.. Entgegen der Darstellung der Klägerin geht er nicht - unter Missachtung des Beschwerdevorbringens - von einer Enteignung beider Güter durch ein- und dieselbe Gemeindekommission aus oder unterstellt dem Verwaltungsgericht eine solche Annahme. Vielmehr weist er darauf hin, dass das Verwaltungsgericht die klägerische Prämisse der Alleinzuständigkeit der jeweiligen Gemeindekommission nicht geteilt hat, sondern von einer Beteiligung mehrerer Stellen an der Enteignung ausging (vgl. Rn. 16 und den Hinweis auf den vom Verwaltungsgericht verwendeten Plural). Anschließend erläutert der Beschluss, dass diese und die weitere Annahme, die handschriftliche Eintragung im Enteignungsverfahren des Gutes R. könne auf einen Personenbezug - auch - der Enteignung des im selben Landkreis belegenen Gutes G. hindeuten, in Anbetracht der bodenreformrechtlichen Zuständigkeit der Kreiskommission für die Bestätigung der Aufteilungsbeschlüsse der Gemeindekommissionen nicht denkgesetzwidrig oder willkürlich sind. Dabei ist er davon ausgegangen, dass ein Verstoß gegen die Denkgesetze nur vorliegt, wenn eine Schlussfolgerung denklogisch ausgeschlossen ist, also aus Gründen der Logik schlechterdings nicht gezogen werden kann (Rn. 16, S. 11 f.; vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. März 2008 - 7 B 13.08 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 54 Rn. 8, vom 22. Mai 2008 - 9 B 34.07 - Buchholz 442.09 § 18 AEG Nr. 65 und vom 29. Juli 2010 - 8 B 106.09 - juris Rn. 31). Dass er eine solche denklogische Unmöglichkeit verneint und die verwaltungsgerichtliche Schlussfolgerung anders beurteilt hat als die Klägerin, begründet keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör.

5 Der Einwand der Klägerin, der angegriffene Beschluss missverstehe das von ihr angegriffene Urteil, rügt keinen Mangel der Berücksichtigung oder Würdigung des Beschwerdevorbringens und ist daher ungeeignet, eine Verletzung rechtlichen Gehörs darzutun. Gleiches gilt für den Vorwurf, der Beschluss stütze die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde auf Erwägungen zur bodenreformrechtlichen Zuständigkeit der Kreiskommission, die in den Akten nicht dokumentiert sei und auf die das angegriffene Urteil nicht abgestellt habe. Soweit damit - sinngemäß - eine unzulässige Überraschungsentscheidung gerügt werden soll, ist keine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör dargetan. Ein vorheriger Hinweis auf die bodenreformrechtlichen Zuständigkeitsregelungen war nach Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO nicht erforderlich, weil ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass dieser Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <409>). Das Beschwerdevorbringen stellte selbst maßgeblich auf die Zuständigkeit für das jeweilige Enteignungsverfahren ab. Der Beklagte hatte bereits im vorinstanzlichen Verfahren - unbestritten - auf die Belegenheit beider Güter im selben Landkreis und damit indirekt auf die Zuständigkeit derselben Kreisbodenkommission hingewiesen. Im Übrigen entsprach die Berücksichtigung der bodenreformrechtlichen Kompetenzregelungen bei der Prüfung der Verfahrensrüge dem Maßstab des Willkürverbots. Willkürfrei ist eine Schlussfolgerung nicht nur, wenn sie in jeder Hinsicht zutreffend begründet wurde, sondern auch dann, wenn sie sachlich und ohne Verstoß gegen die Denkgesetze begründbar ist.

6 Soweit die Klägerin eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung vermisst, übersieht sie, dass zum Kern des Vorbringens nur die wesentlichen, das Angriffs- oder Verteidigungsmittel tragenden Gründe gehören.

7 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.