Beschluss vom 05.05.2025 -
BVerwG 4 B 26.24ECLI:DE:BVerwG:2025:050525B4B26.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 05.05.2025 - 4 B 26.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:050525B4B26.24.0]

Beschluss

BVerwG 4 B 26.24

  • VG Köln - 01.09.2022 - AZ: 8 K 672/20
  • OVG Münster - 26.07.2024 - AZ: 10 A 2149/22


In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts


am 5. Mai 2025


durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Schipper,


die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel und


den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Koch


beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juli 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.

Gründe

1 Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.

2 1. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) liegt nicht vor.

3 Die Revision ist hiernach zuzulassen, wenn das Urteil von einer Entscheidung (u. a.) des Bundesverwaltungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht. Diese Abweichung setzt einen Widerspruch in einem abstrakten Rechtssatz voraus, also einen prinzipiellen Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes. In der Beschwerdebegründung muss nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO die Entscheidung bezeichnet werden, von der das Urteil abweicht. Der Beschwerde obliegt es, aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einen tragenden, abstrakten Rechtssatz zu einer revisiblen Rechtsvorschrift zu benennen und darzulegen, dass die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abweichenden abstrakten Rechtssatz zu derselben Rechtsvorschrift beruht. Der Vorwurf, die Vorinstanz habe einen abstrakten Rechtssatz des Divergenzgerichts fehlerhaft oder gar nicht angewandt, genügt dagegen nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2021 - 4 BN 10.21 - NVwZ 2021, 1702 Rn. 11).

4 Dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 1968 - 4 C 31.66 - ‌(BVerwGE 31, 22 <25 f.>) entnimmt die Beschwerde die Rechtssätze, dass - erstens - es aus Sicht der Rechtsfolge des § 34 BBauG (der Vorgängernorm zu § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB) keinen Unterschied machen kann, ob die Bebauung genehmigt worden ist oder aber in einer Weise geduldet wird, die keinen Zweifel daran lässt, dass sich die zuständige Behörde mit dem Vorhandensein der Bauten abgefunden hat, und dass - zweitens - bei der Bestimmung des Bebauungszusammenhangs i. S. d. § 34 BBauG tatsächlich vorhandene Baulichkeiten nur dann außer Betracht zu bleiben haben, wenn - wie namentlich durch den Erlass von Beseitigungsverfügungen - das Verhalten der zuständigen Behörden hinreichend klar ergibt, dass ihre Beseitigung absehbar ist. Das Oberverwaltungsgericht habe nur den ersten Rechtssatz angewendet. Maßgeblich sei aber allein der zweite.

5 Das würde selbst dann nicht auf eine Divergenz führen, wenn die - schon angesichts der Formulierung des "ersten" Rechtssatzes als amtlicher Leitsatz - fernliegende Auffassung der Beschwerde, der Senat habe in seinem Urteil vom 6. November 1968 - 4 C 31.66 - (BVerwGE 31, 22 <25 f.>) in einem Absatz zwei unterschiedlich strenge Maßstäbe formuliert, zuträfe. Denn die Nichtanwendung eines Rechtssatzes reicht für eine Divergenz nicht aus.

6 Ungeachtet dessen besteht die von der Beschwerde geltend gemachte Abweichung nicht. Das Oberverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 1968 - 4 C 31.66 - und der nachfolgenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteile vom 14. September 1992 - 4 C 15.90 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 152 S. 68, vom 17. Mai 2002 - 4 C 6.01 - Buchholz 406.11 § 154 BauGB Nr. 4 S. 15 und vom 23. November 2016 - 4 CN 2.16 - BVerwGE 156, 336 Rn. 26, vom 6. Juni 2019 - 4 C 10.18 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 224 Rn. 15 und vom 21. März 2023 - 4 A 9.21 - juris Rn. 41; Beschlüsse vom 23. November 1998 ‌- 4 B 29.98 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 192 Rn. 6, vom 11. Februar 2000 - 4 B 1.00 - BRS 63 Nr. 102, 492 und vom 26. Juni 2024 - 4 B 2.24 - ZfBR 2024, 545 Rn. 6) von dem Rechtssatz ausgegangen, dass für die Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit im unbeplanten Innenbereich die vorhandenen nicht genehmigten baulichen Nutzungen ungeachtet ihrer materiellen Zulässigkeit zu berücksichtigen sind, soweit sie in einer Weise von den zuständigen Behörden geduldet werden, die keinen Zweifel daran lässt, dass sie sich damit abgefunden haben (UA S. 22). Die von der Divergenzrüge in Bezug genommene Passage der Entscheidungsgründe des Urteils vom 6. November 1968 ‌- 4 C 31.66 - enthält - entgegen der Beschwerde - keinen abweichenden Maßstab. Wie sich aus dem Begründungszusammenhang ("Folgende Überlegung bestätigt dies:") ergibt, wird der vorangestellte Rechtssatz lediglich mit zusätzlichen, auf den Fall eines Bauantragstellers bezogenen Erwägungen begründet, ohne inhaltlich andere Voraussetzungen aufzustellen. Die Formulierung "Die Behörden können nicht - aus welchen Gründen auch immer - einerseits 'ein Auge zudrücken', sich dann aber andererseits und nahezu nach Belieben daran nicht festhalten lassen wollen" bringt nur zum Ausdruck, dass eine Behörde, die sich - was nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen ist - mit illegalen baulichen Nutzungen offensichtlich abgefunden hat und deshalb keine Anstalten unternimmt, dagegen vorzugehen, einen Bauantrag nicht allein unter Hinweis auf die formelle Illegalität der vorhandenen Bebauung ablehnen darf.

7 Der mit Schriftsatz vom 24. April 2025 nachgereichte Hinweis der Beschwerde auf eine Entscheidung des 7. Senats des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 5. Dezember 2024 (7 A 794/22) geht schon deshalb ins Leere, weil es allein darauf ankommt, ob die Vorinstanz einen divergierenden Rechtssatz aufgestellt hat.

8 2. Die Grundsatzrüge bleibt ebenfalls erfolglos.

9 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), also näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des revisiblen Rechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2024 - 4 BN 20.23 - juris Rn. 5). Das leistet die Beschwerde nicht.

10 Die Frage,
wann formell illegale, jedoch tatsächlich vorhandene und von der Behörde Jahrzehnte zur Kenntnis genommene bauliche Anlagen die nähere Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB prägen,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Sie geht schon am Inhalt des angefochtenen Urteils vorbei. Denn die Beschwerde unterstellt der Sache nach, dass der Beklagten die formelle Illegalität der baulichen Anlagen über Jahrzehnte bekannt gewesen und sie dennoch untätig geblieben sei. Ein solcher Sachverhalt lässt sich den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts aber nicht entnehmen. Es hat vielmehr angenommen, dass für eine dauerhafte aktive behördliche Duldung von tatsächlich vorhandenen, ungenehmigten Wohnnutzungen in dem Wochenendhausgebiet bis zur Neufestsetzung des Überschwemmungsgebietes im Jahr 2013 nichts ersichtlich sei (UA S. 24 ff.). Daran ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO mangels zulässiger und begründeter Verfahrensrügen gebunden.

11 Abgesehen davon ist die Frage, soweit sie auf ihren verallgemeinerungsfähigen Kern zurückgeführt wird, nicht klärungsbedürftig. In der vorstehend unter 1. aufgeführten ständigen Rechtsprechung des Senats, u. a. dem im nachgereichten Schriftsatz vom 24. April 2025 zitierten Beschluss vom 23. November 1998 ‌- 4 B 29.98 - (Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 192 S. 77 f.), ist geklärt, unter welchen Voraussetzungen formell illegale Bebauung bei der Beurteilung des Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB zu berücksichtigen ist. Die Beschwerde zeigt weder einen weitergehenden Klärungsbedarf auf noch legt sie dar, dass die Rechtsprechung des Senats einer Überprüfung im Revisionsverfahren bedarf. Ob kein Zweifel daran besteht, dass die zuständigen Behörden sich mit einer illegalen Bebauung abgefunden haben, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich rechtsgrundsätzlicher Klärung.

12 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.