Beschluss vom 06.03.2024 -
BVerwG 7 B 21.23ECLI:DE:BVerwG:2024:060324B7B21.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 06.03.2024 - 7 B 21.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:060324B7B21.23.0]

Beschluss

BVerwG 7 B 21.23

  • OVG Berlin-Brandenburg - 11.05.2023 - AZ: 3a A 34/23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. März 2024
durch den Präsidenten des Bundesverwaltungsgerichts Prof. Dr. Korbmacher, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Löffelbein und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Bähr
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Mai 2023 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

I

1 Die Klägerin wendet sich gegen Nebenbestimmungen einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur wesentlichen Änderung von Windenergieanlagen.

2 Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.

II

3 Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Klägerin zugemessene grundsätzliche Bedeutung.

4 Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 27. Oktober 2023 - 7 B 10.23 - juris Rn. 7). Daran fehlt es hier.

5 Die von der Klägerin als rechtsgrundsätzlich bezeichneten Fragen,
"Können die Regelungen der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift 'Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm' (TA Lärm) durch Regeln eines Ländererlasses, hier im konkreten des WKA-Geräuschimmissionserlasses des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft Brandenburg vom 16.01.2019 (teilweise) ersetzt werden?"
und
"Können die Regelungen der normkonkretisierenden Verwaltungsvorschrift 'Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm' (TA Lärm) durch unterschiedliche, voneinander abweichende Regeln auf Länderebene (teilweise) ersetzt werden?"
sind nicht entscheidungserheblich.

6 Die Frage der Ersetzung - oder (teilweisen) Nichtanwendung - von Regelungen der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) vom 26. August 1998 (GMBl S. 503) hat sich für das Oberverwaltungsgericht aus zwei - jeweils selbständig tragenden - Gründen nicht gestellt.

7 Zum einen hat es darauf abgestellt, dass in Betracht zu ziehende Bestimmungen des Anhangs der TA Lärm, die auf ein Berechnungsverfahren nach der DIN ISO 9613-2 verweisen, schon tatbestandlich nicht anzuwenden seien, weil dieses Berechnungsverfahren nur Schallquellen bis zu einer mittleren Höhe von 30 m zwischen Quelle und Empfänger erfasse und mithin bei Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von mehr als 160 m nicht zu realistischen Prognosen führe (UA S. 7). Hiermit setzt sich die Beschwerde schon im Ansatz nicht auseinander.

8 Zum anderen ist das Oberverwaltungsgericht unabhängig davon auf der Grundlage tatrichterlicher Würdigung von Erkenntnisfortschritten in Wissenschaft und Technik zum Ergebnis gelangt, dass die gegebenenfalls einschlägigen Bestimmungen des Anhangs der TA Lärm ihre rechtliche Außenwirkung verloren haben (UA S. 7 f.). Diese Annahme, mit der sich die Beschwerde ebenfalls nicht inhaltlich auseinandersetzt, fußt in rechtlicher Hinsicht auf der Judikatur des Bundesverwaltungsgerichts, wonach gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik die Regelungen der TA Lärm als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift obsolet werden lassen können, wenn sie den ihnen zugrundeliegenden Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen den Boden entziehen (BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 - 7 C 21.00 - BVerwGE 114, 342 <346>; vgl. auch Urteil vom 10. Juli 2012 - 7 A 11.11 - BVerwGE 143, 249 Rn. 27 und Beschluss vom 30. Dezember 2022 - 7 B 15.22 - ZNER 2023, 38 Rn. 7). In einem solchen Fall entsprechen die Regelungen nicht mehr den Vorgaben des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und können, ohne dass es darauf ankäme, inwieweit wissenschaftliche Erkenntnisse zu brauchbaren Alternativen für eine Normanwendung oder gar Normkonkretisierung geführt haben, keine normkonkretisierende Funktion mehr entfalten (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 1996 - 7 B 164.95 - Buchholz 406.251 § 22 UVPG Nr. 4 S. 5 und vom 30. Dezember 2022 - 7 B 15.22 - ZNER 2023, 38 Rn. 7). Auf der Grundlage der Annahme fehlender Außenwirkung der in Betracht zu ziehenden Bestimmungen der TA Lärm stellt sich die Frage nach deren Ersetzung oder (teilweisen) Nichtanwendung nicht.

9 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.