Beschluss vom 06.05.2014 -
BVerwG 2 B 68.13ECLI:DE:BVerwG:2014:060514B2B68.13.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 06.05.2014 - 2 B 68.13 - [ECLI:DE:BVerwG:2014:060514B2B68.13.0]
Beschluss
BVerwG 2 B 68.13
- VG Schleswig - 04.07.2012 - AZ: VG 11 A 172/10
- OVG Schleswig - 03.05.2013 - AZ: OVG 2 LB 50/12
In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. Mai 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und Dollinger
beschlossen:
- Das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 3. Mai 2013 wird aufgehoben.
- Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
- Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Gründe
1 Die Beschwerde des Klägers hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist.
2 1. Der 1954 geborene Kläger steht als Amtsrat (Besoldungsgruppe A 12) im gehobenen eichtechnischen Dienst der Beklagten. Seinen Antrag, ihm Altersteilzeit gemäß § 63 LBG n.F. zu gewähren, lehnte die Beklagte ab. Der Verwaltungsrat habe beschlossen, von einer Anwendung der Altersteilzeit - außer im Falle von Schwerbehinderten - abzusehen, da bei der Beklagten kein Personalüberhang bestehe. Würden alle potenziell antragsberechtigten Beamten von der Möglichkeit einer Altersteilzeit Gebrauch machen, sei dies für die verbleibenden Mitarbeiter nicht verkraftbar.
3 Widerspruch und Klageverfahren sind erfolglos geblieben. Im Berufungsurteil ist zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe ihren Beschluss zur Einschränkung der Altersteilzeit unabhängig vom Vorliegen „zwingender dienstlicher Belange“ treffen dürfen. Ob es sich beim Antrag des Klägers um eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme gehandelt habe, könne offenbleiben, weil auch bei einer Beteiligung des Personalrats keine andere Entscheidung hätte getroffen werden können.
4 2. Die mit der Beschwerde geltend gemachte Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. April 2004 (- BVerwG 2 C 22.03 - ZBR 2005, 88) liegt nicht vor, weil die Entscheidungen nicht zu derselben Rechtsvorschrift ergangen sind (vgl. zu diesem Erfordernis etwa Beschlüsse vom 4. Februar 1999 - BVerwG 6 B 131.98 - Buchholz 251.8 § 94 RhPPersVG Nr. 1 = NVwZ-RR 1999, 374 und vom 17. April 2013 - BVerwG 2 B 109.11 - juris Rn. 3). Überdies ist § 88a des Landesbeamtengesetzes Schleswig-Holstein in der dem benannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde liegenden Fassung vom 19. November 2001 (GVOBl SH S. 184) zwischenzeitlich außer Kraft getreten (vgl. zum Erfordernis einer noch gültigen Rechtsnorm etwa Beschluss vom 11. Dezember 1981 - BVerwG 7 B 22.81 - Buchholz 451.171 AtG Nr. 10 = NVwZ 1982, 433).
5 Mit der Beschwerde ist auch keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Bundesverwaltungsgericht hat zur Vorgängervorschrift des § 88a Abs. 3 LBG a.F. bereits entschieden, dass auch die oberste Dienstbehörde bei ihrer Entscheidung, Verwaltungsbereiche von der Altersteilzeit auszunehmen, an die tatbestandlichen Anforderungen der gesetzlich vorgesehenen Ausnahmemöglichkeiten gebunden ist (Urteile vom 29. April 2004 - BVerwG 2 C 21.03 - BVerwGE 120, 382 sowie - BVerwG 2 C 22.03 - ZBR 2005, 88). Die der obersten Dienstbehörde zugesprochene Entscheidungsbefugnis stellt danach nur deklaratorisch klar, dass sich das Ermessen auch auf einzelne Verwaltungsbereiche oder Beamtengruppen erstreckt (vgl. zum Gesetzesvorbehalt der Altersteilzeitregelungen auch Urteil vom 25. Oktober 2007 - BVerwG 2 C 16.06 - Buchholz 237.3 § 71b BrLBG Nr. 1 = NVwZ-RR 2008, 177 Rn. 21 sowie zum Bedeutungsgehalt des unbestimmten Rechtsbegriffs zwingender dienstlicher Belange Urteil vom 30. März 2006 - BVerwG 2 C 23.05 - Buchholz 236.2 § 76c DRiG Nr. 1 = NVwZ-RR 2008, 45 Rn. 17).
6 Für die Feststellung, dass diese Rechtslage auch unter Geltung des § 63 des Landesbeamtengesetzes vom 26. März 2009 (GVOBl SH S. 93) gilt, bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Vorschrift ist weitgehend inhaltsgleich aus § 88a Abs. 3 LBG a.F. übernommen und regelt dieselbe Fragestellung. Auch das Oberverwaltungsgericht selbst ist von einer Parallelität der Alt- und Neufassung ausgegangen und hat zur Auslegung des § 63 LBG maßgeblich auf die Entstehungsgeschichte der Vorgängervorschrift aus § 88a Abs. 3 LBG a.F. verwiesen.
7 3. Die Beschwerde hat allerdings unter dem Gesichtspunkt eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg, soweit sie rügt, der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts könne nicht nachvollziehbar entnommen werden, warum es trotz der angenommenen Kontinuität von § 88a Abs. 3 LBG a.F. und § 63 LBG n.F. von einem freien Ermessen der obersten Dienstbehörde bei ihrer Entscheidung über die Einschränkung des Anwendungsbereichs der Altersteilzeit ausgegangen ist. Damit macht sie der Sache nach einen Verstoß gegen die aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO folgende Begründungspflicht geltend.
8 Dabei ist unerheblich, dass in der Beschwerde der Zulassungsgrund des Verfahrensmangels nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht ausdrücklich benannt worden ist. Da der Kläger den Verfahrensmangel der Sache nach hinreichend substantiiert dargelegt hat, ist dessen fehlende Einordnung unter den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO unschädlich (Beschlüsse vom 4. September 2008 - BVerwG 2 B 61.07 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 4 Rn. 4, vom 20. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 86.11 - juris Rn. 1 und vom 15. Februar 2012 - BVerwG 2 B 137.11 - juris Rn. 8; vgl. zur Berücksichtigung der Vorgaben aus Art. 19 Abs. 4 GG im Zulassungsrecht auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Juni 2005 - 1 BvR 2615/04 - BVerfGK 5, 369).
9 Nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO, der gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch für das Berufungsgericht gilt, sind in dem Urteil die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht muss sich daher nicht mit jedem Vorbringen der Beteiligten ausdrücklich befassen. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt aber grundsätzlich die Verpflichtung, auf den wesentlichen Kern des Vorgebrachten einzugehen (stRspr; vgl. zuletzt etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 14. August 2013 - 1 BvR 3157/11 - FamRZ 2013, 1953 Rn. 14 m.w.N.). Die Entscheidungsgründe müssen daher zu den für das Verfahren wesentlichen Fragen - unter Berücksichtigung des darauf bezogenen Vortrags der Beteiligten - nachvollziehbare Erwägungen zur tatsächlichen und rechtlichen Würdigung enthalten (Beschlüsse vom 18. Oktober 2006 - BVerwG 9 B 6.06 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 66 Rn. 24 und vom 20. Oktober 2011 - BVerwG 2 B 86.11 - juris Rn. 3 m.w.N.).
10 Diesen Anforderungen entspricht das Berufungsurteil bereits deshalb nicht, weil es den gesamten Vortrag des Klägers zu den verfassungsrechtlichen Bedenken einer voraussetzungslosen Ermächtigung der Exekutive und dem hieraus folgenden Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung übergangen hat. Auf dieses Vorbringen, das für den Kläger offenkundig von zentraler Bedeutung war, gehen die Entscheidungsgründe mit keinem Wort ein. Anlass hierzu hätte überdies deshalb bestanden, weil das Oberverwaltungsgericht selbst hinsichtlich der weitgehend identisch abgefassten Vorgängervorschrift des § 88a Abs. 3 LBG a.F. erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken ausgesprochen hatte (Urteil vom 16. Mai 2003 - 3 LB 107/02 - NordÖR 2003, 316). Weder dieses Urteil selbst noch die darin angestellten rechtlichen Erwägungen werden in den Gründen der angegriffenen Entscheidung erwähnt. Es ist daher von einer Nichtberücksichtigung dieser Gesichtspunkte auszugehen (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <146>).
11 Auf diesem Verstoß gegen die Begründungspflicht aus § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann die angegriffene Entscheidung auch beruhen, weil zwingende dienstliche Belange, die der Gewährung der beantragten Altersteilzeit entgegenstehen könnten, nicht festgestellt worden sind.
12 Dies führt zur Zurückverweisung der Sache gemäß § 133 Abs. 6 VwGO.