Beschluss vom 08.01.2013 -
BVerwG 4 B 23.12ECLI:DE:BVerwG:2013:080113B4B23.12.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 08.01.2013 - 4 B 23.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2013:080113B4B23.12.0]
Beschluss
BVerwG 4 B 23.12
- VG Köln - 16.06.2010 - AZ: VG 8 K 5148/06
- OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 09.03.2012 - AZ: OVG 2 A 1626/10
In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Januar 2013
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz und Dr. Decker
beschlossen:
- Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. März 2012 wird zurückgewiesen.
- Die Kläger - als Gesamtschuldner - tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 Euro festgesetzt.
Gründe
1 Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
2 1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
3
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob die (bisherige) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Zurechnung von Verkehrsgeräuschen zu einer Anlage auch nach der Neufassung der TA Lärm im Jahre 1998 anzuwenden oder mit deren Inkrafttreten obsolet geworden ist,
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Sie ist nicht klärungsbedürftig.
4 Die Beschwerde möchte mit der Frage geklärt wissen, „ob zur Beurteilung des von einer Anlage ausgehenden Verkehrslärms auf die rein formalen Vorgaben der TA Lärm 1998, also auf die Differenzierung zwischen Betriebsgrundstück und öffentlichem Verkehrsraum abzustellen ist, oder ob - ergänzend - nach wie vor die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (etwa Urteil vom 27. August 1998 - BVerwG 4 C 5.98 - Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 190) entwickelten Grundsätze gelten, dass einem Vorhaben auch derjenige Zu- und Abgangsverkehr zuzurechnen ist, der sich noch innerhalb eines räumlich überschaubaren Bereichs der Anlage bewegt“. Die Frage lässt sich im Sinne des Berufungsgerichts beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
5 Im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. z.B. Urteil vom 29. August 2007 - BVerwG 4 C 2.07 - BVerwGE 129, 209 Rn. 12 m.w.N.) hat das Berufungsgericht der TA Lärm, soweit sie den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkung im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG konkretisiert, eine auch im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zuerkannt. Die Konkretisierung der gesetzlichen Maßstäbe ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt. Ausgehend hiervon ist das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass eine Zurechnung des durch sog. Kavalierstarts verursachten Lärms auf öffentlichen Verkehrsflächen nach der Systematik der Nr. 7.4 der TA Lärm 1998 ausscheidet. Nach deren Absatz 1 sind nur Fahrzeuggeräusche auf dem Betriebsgrundstück sowie bei der Ein- und Ausfahrt, die in Zusammenhang mit dem Betrieb der Anlage stehen, der zu beurteilenden Anlage zuzurechnen, während Absatz 2 für Geräusche des An- und Abfahrtsverkehrs auf öffentlichen Verkehrsflächen in einem Abstand von bis zu 500 m von dem Betriebsgrundstück unter weiteren Voraussetzungen eine Verpflichtung zur Lärmminderung „durch Maßnahmen organisatorischer Art“ vorsieht (UA S. 24). Mit dieser Regelung, die in der TA Lärm 1968 keine Entsprechung hatte, hat die Bundesregierung die Rechtsprechung zur Berücksichtigung betriebsbezogener Fahrzeuggeräusche konkretisiert (vgl. z.B. Hansmann, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Bd. IV, Stand April 2012, 3.1 TA Lärm Nr. 7 Rn. 50; Feldhaus/Tegeder, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand August 2012, B 3.6 Nr. 7 TA Lärm Rn. 35; vgl. auch Beschluss vom 12. März 2008 - BVerwG 4 B 9.08 - BRS 73 Nr. 169 m.w.N.). Zugerechnet werden Verkehrsgeräusche des An- und Abfahrtverkehrs auf öffentlichen Verkehrsflächen nach der Sonderregelung in Nr. 7.4 Abs. 2 der TA Lärm indes nur mehr in eingeschränkter Form (vgl. Feldhaus/Tegeder, a.a.O. Rn. 43; Hansmann, in: a.a.O. Rn. 55 ff.). Damit wurde für die Berücksichtigung von Verkehrslärm eine klare, nicht auf Ergänzung angelegte Regelung geschaffen, die die Gerichte bindet und eine in der Rechtsprechung vor Erlass der TA Lärm 1998 vorgenommene weitergehende Zurechnung ausschließt.
6 2. Die geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
7 Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht habe sich bei seiner Feststellung, dass eine an der Ausfahrt aus dem Betriebsgrundstück angebrachte Fahrbahnschwelle generell verkehrsberuhigend wirke und Autofahrer davon abhalte, bei der Ausfahrt übermäßig zu beschleunigen, mit der Begründung, dies entspreche allgemeiner Lebenserfahrung und bedürfe keiner Sachverständigenbegutachtung, eine Sachkunde zugeschrieben, die es nicht haben könne und auch nicht habe, und insoweit gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen. Ein Verfahrensmangel, auf dem das angegriffene Urteil beruht, ist damit nicht dargetan. Das gilt bereits deshalb, weil die Kläger ihren mit Schriftsatz vom 8. März 2012 angekündigten Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens in der mündlichen Verhandlung - ausweislich der Niederschrift vom 9. März 2012 - nicht gestellt haben; die Aufklärungsrüge kann nicht dazu dienen, Beweisanträge zu ersetzen, die ein Beteiligter in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (Beschluss vom 5. August 1997 - BVerwG 1 B 144.97 - NJW-RR 1998, 784). Warum sich dem Berufungsgericht die Beweisermittlung auch ohne ausdrücklich gestellten Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, legt die Beschwerde nicht dar. Sie räumt selbst ein, dass das Berufungsgericht den diesbezüglichen Sachvortrag der Kläger ohne entsprechende Begründung als „unfundiert und rein spekulativ“ bezeichnet habe, ohne dem mit substantiiertem Beschwerdevortrag entgegenzutreten. Der Vorwurf der vorweggenommenen Beweiswürdigung geht damit ins Leere.
8 Gleiches gilt, soweit sich die Beschwerde gegen die Feststellung des Berufungsgerichts wendet, die Drive-In-Spur sei so angelegt, dass das Betriebsgrundstück nur in einer engen Kurve verlassen werden könne, was Kavalierstarts eher entgegenwirke, als sie zu fördern. Auch insoweit ist nicht substantiiert vorgetragen, warum sich dem Berufungsgericht eine weitere Sachverhaltsermittlung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen.
9 Soweit die Beschwerde schließlich rügt, es sei nicht verständlich, inwieweit es das Berufungsgericht „ersichtlich auszuschließen“ vermocht habe, dass die Voraussetzungen einer Lärmminderungspflicht nach Nr. 7.4 Abs. 2 und 3 der TA Lärm erfüllt seien, ist ihre Verfahrensrüge bereits unschlüssig. Das Berufungsgericht hat im Hinblick auf das durch das streitige Vorhaben ausgelöste Verkehrsaufkommen - unbeschadet der Frage einer Vermischung mit dem übrigen Verkehr - greifbare Anhaltspunkte weder dafür gesehen, dass der Beurteilungspegel der Verkehrsgeräusche zur Nachtzeit durch den vorhabenbedingten An- und Abfahrtsverkehr um mindestens 3 dB(A) erhöht werde, noch dafür, dass zugleich die Grenzwerte der 16. BImSchV überschritten würden. Die Beschwerde meint, dass sich entsprechende Feststellungen ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens „schlechterdings“ nicht treffen ließen, und dass durch die von ihr für erforderlich gehaltene Beweisaufnahme die Unverträglichkeit der Anlage mit der benachbarten Wohnbebauung nach der 16. BImSchV festgestellt worden wäre. Angaben dazu, inwieweit die Berufungsentscheidung auch hinsichtlich des 3 dB(A)-Kriteriums auf dem behaupteten Verfahrensmangel beruhen kann, enthält der Beschwerdevortrag indessen nicht.
10 Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.