Beschluss vom 08.02.2023 -
BVerwG 1 B 2.23ECLI:DE:BVerwG:2023:080223B1B2.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.02.2023 - 1 B 2.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:080223B1B2.23.0]

Beschluss

BVerwG 1 B 2.23

  • VG Greifswald - 02.06.2021 - AZ: 2 A 1426/20 HGW
  • OVG Greifswald - 07.12.2022 - AZ: 4 LB 648/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Februar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Keller,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Fleuß und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wittkopp
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 7. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 1. Die auf die Zulassungsgründe der Divergenz und der grundsätzlichen Bedeutung gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

2 a) Die Revision ist nicht wegen Divergenz zuzulassen.

3 Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten Gerichte aufgestellten ebensolchen, die Entscheidung tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14).

4 Die Abweichung von einem Rechtssatz, der durch Rechtsänderung überholt ist und an dem das Bundesverwaltungsgericht in späteren Entscheidungen selbst nicht mehr festhält, rechtfertigt die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht (BVerwG, Beschlüsse vom 2. März 1976 - 7 B 22.76 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 72 S. 33, vom 20. November 1981 - 3 B 52.81 - Buchholz 427.3 § 12 LAG Nr. 164 S. 3 und vom 17. April 1991 - 5 B 55.91 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 300 <Leitsatz>). Das von der Beschwerde bezeichnete Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 -, dem zufolge die Entscheidung über die Befristung der Wirkungen der Ausweisung auch hinsichtlich der Dauer der Befristung gerichtlich voll überprüfbar ist, ist auf der Grundlage des § 11 Abs. 1 AufenthG in der Fassung des Gesetzes vom 22. November 2011 zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex (BGBl. I S. 2258) ergangen. Vor dem Hintergrund des seinerzeit offenen Wortlauts der Vorschrift hatte das Bundesverwaltungsgericht den Ausschluss des behördlichen Ermessens mit der unionsrechtlichen Prägung der Norm durch die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger - Rückführungsrichtlinie – (ABl. L 348 S. 98) und der Bedeutung der Befristung für die Verhältnismäßigkeit der Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK begründet (BVerwG, Urteil vom 14. Februar 2012 - 1 C 7.11 - BVerwGE 142, 29 Rn. 31 ff.). Diese Rechtsprechung veranlasste den Gesetzgeber, durch das Gesetz vom 27. Juli 2015 zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung (BGBl. I S. 1386) den bisher offenen Wortlaut der Vorschrift zu konkretisieren und damit klarzustellen, dass über die Dauer der Sperrfrist im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörden zu entscheiden ist (BT-Drs. 18/4097 S. 36). Auf der Grundlage der Neufassung des § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG hat das Bundesverwaltungsgericht an seiner vorbezeichneten Rechtsprechung nicht länger festgehalten (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 27.16 - BVerwGE 157, 356 Rn. 18 ff.).

5 b) Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache grundsätzliche Bedeutung nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). An diesen Grundsätzen gemessen kommt die Zulassung der Revision nicht in Betracht.

6 Der von der Beschwerdebegründung aufgeworfenen Rechtsfrage
"ob die Befristungsentscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge als Ermessensentscheidung im Sinne des § 40 VwVfG/§ 114 VwGO aufzufassen ist oder ob es sich um eine[n] durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit vollständig überprüfbare Entscheidung handelt",
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sich die Antwort auf diese Frage unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und die - vom Kläger bezweifelte - Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits geklärt ist.

7 Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, der die Entscheidung über die Länge der Geltungsdauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots in das pflichtgemäße Ermessen stellt, mit höher- und vorrangigem Recht zu vereinbaren ist, insbesondere Art. 11 Abs. 2 RL 2008/115/EG mit Ausnahme der grundsätzlich geltenden Fünfjahresfrist keine weiteren inhaltlichen Vorgaben bezüglich der Dauer der Frist zu entnehmen sind, es für die gebotene Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls nicht zwingend einer gebundenen Entscheidung bedarf und auch dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 13 RL 2008/115/EG nicht zu entnehmen ist, dass der Ausländerbehörde vom nationalen Gesetzgeber kein Ermessensspielraum eingeräumt werden darf (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2017 - 1 C 27.16 - BVerwGE 157, 356 Rn. 18 ff.).

8 Mit dieser Rechtsprechung setzt sich die Beschwerdebegründung weder ausdrücklich noch substantiiert auseinander. Sie zeigt insbesondere nicht auf, dass unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung weiterer Klärungsbedarf besteht.

9 2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.