Beschluss vom 08.04.2024 -
BVerwG 6 AV 1.24ECLI:DE:BVerwG:2024:080424B6AV1.24.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.04.2024 - 6 AV 1.24 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:080424B6AV1.24.0]

Beschluss

BVerwG 6 AV 1.24

  • VG Potsdam - 13.02.2024 - AZ: 9 K 2818/23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. April 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft
sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Steiner und Dr. Gamp
beschlossen:

Als zuständiges Gericht wird das Verwaltungsgericht Potsdam bestimmt.

Gründe

I

1 Der Kläger, der am 14. April 2022 bei der Einreise in die Bundesrepublik Deutschland am Flughafen Frankfurt am Main polizeilich kontrolliert worden war, begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm Auskunft u. a. über die Kategorie der von der Bundespolizei zu seiner Person erhobenen Daten und deren Verarbeitung zu erteilen.

2 Die Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt am Main gab dem Kläger auf sein Ersuchen hin am 27. Mai 2022 Auskunft zu ihrer Zuständigkeit und zum Umfang der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs auf dem Flughafen sowie zu den Rechtsgrundlagen der Datenerhebung und Datenspeicherung. Im Übrigen lehnte sie die Auskunftserteilung ab. Mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2023 hat das Bundespolizeipräsidium dem Antrag auf Akteneinsicht teilweise stattgegeben und dem Kläger eingeschränkt Auskunft zu den bei der Bundespolizei gespeicherten Daten gegeben.

3 Bereits im Juli 2022 hatte der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main erhoben mit dem Ziel, die Beklagte zu verpflichten, die für die Durchführung der Personenkontrolle maßgeblichen Gründe zu benennen und Auskunft u. a. über die Verarbeitung der den Kläger betreffenden Daten zu erteilen. Nach Übertragung der Sache auf den Einzelrichter hat das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung den auf Auskunftserteilung gerichteten Teil der Klage abgetrennt, sich mit Beschluss vom 7. November 2023 insoweit für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Potsdam verwiesen. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, das Auskunftsverlangen sei losgelöst von dem Geschehen am 14. April 2022 zu beurteilen, das Gegenstand des noch beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main anhängigen Rechtsstreits sei. Die datenschutzrechtliche Auskunftserteilung als allgemeines Begehren und zentral wahrzunehmende Aufgabe falle mit Blick auf § 57 Abs. 1 und § 58 Abs. 1 des Bundespolizeigesetzes (BPolG) i. V. m. der Verordnung über die Zuständigkeit der Bundespolizeibehörden (BPolZV) kraft Natur der Sache in die Kompetenz des Bundespolizeipräsidiums als Oberbehörde. Nach § 52 Nr. 3 Satz 1 i. V. m. Satz 5, Nr. 5 VwGO sei deshalb das Verwaltungsgericht Potsdam örtlich zuständig, weil das Bundespolizeipräsidium seinen Sitz in Potsdam habe.

4 Das Verwaltungsgericht Potsdam hat sich nach Anhörung der Beteiligten mit Beschluss vom 13. Februar 2024 für örtlich unzuständig erklärt und das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts angerufen. Denn die Verweisung sei willkürlich und äußere keine Bindungswirkung. Der Kläger habe seinen Antrag an die Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt am Main gerichtet, die kein Dienstsitz des Bundespolizeipräsidiums, sondern eine selbständige (Unter-)Behörde der Bundespolizei sei. Die Bundespolizeidirektion habe den Antrag auch beschieden; das Bundespolizeipräsidium sei - im Übrigen erst nach Klageerhebung - nur als Widerspruchsbehörde tätig geworden. Der geltend gemachte datenschutzrechtliche Auskunftsanspruch richte sich gemäß § 57 Abs. 1 BDSG gegen den datenschutzrechtlich Verantwortlichen; das sei die Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt am Main. Bei der Auskunftserteilung handele es sich auch nicht um eine durch das Bundespolizeipräsidium zentral wahrzunehmende Aufgabe nach § 1 Abs. 3 BPolZV.

5 Der Kläger verteidigt die Erwägungen des Verwaltungsgerichts Potsdam.

6 Das Bundespolizeipräsidium hat auf Anfrage ausgeführt, gemäß der Grundsatzverfügung vom 25. März 2008 würden alle Auskunftsersuchen nach § 57 BDSG (§ 19 BDSG alt) vom Bereich der behördlichen Datenschutzbeauftragten des Bundespolizeipräsidiums in Potsdam bearbeitet. Lediglich Auskunftsersuchen gemäß Art. 15 DSGVO würden dezentral von der Stelle geprüft, bei der personenbezogene Daten vorlägen.

II

7 1. Das Bundesverwaltungsgericht ist für die Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Verwaltungsgericht Potsdam und dem Verwaltungsgericht Frankfurt am Main gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO zuständig. Nach dieser Vorschrift wird, wenn verschiedene Verwaltungsgerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben, das zuständige Gericht von dem nächsthöheren Gericht bestimmt. Das ist im vorliegenden Fall eines negativen Kompetenzkonflikts zwischen den Verwaltungsgerichten Frankfurt am Main und Potsdam das beiden beteiligten Gerichten übergeordnete Bundesverwaltungsgericht.

8 2. Für die Entscheidung über den von dem Kläger gegenüber der Beklagten geltend gemachten Auskunftsanspruch ist das Verwaltungsgericht Potsdam jedenfalls durch die gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindende Verweisung des Rechtsstreits im Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 7. November 2023 zuständig geworden.

9 Gemäß § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bindend. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main ist gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbar. Die in § 83 Satz 1 VwGO i. V. m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn die gegebene eigene örtliche Zuständigkeit verkannt worden ist (BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2020 - 6 AV 3.20 - NVwZ-RR 2020, 854 Rn. 14).

10 Die gesetzliche Bindungswirkung eines gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses kann allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden, etwa wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 30. Juni 1970 - 2 BvR 48/70 - BVerfGE 29, 45 <48 f.> und vom 23. Juni 1981 - 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 - BVerfGE 58, 1 <45> und Kammerbeschluss vom 26. August 1991 - 2 BvR 121/90 - NJW 1992, 359 <361>). Hiervon kann aber nur dann ausgegangen werden, wenn der gerichtliche Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist (BVerwG, Beschlüsse vom 8. November 1994 - 9 AV 1.94 -‌ Buchholz 300 § 17a GVG Nr. 13 S. 6, vom 10. April 2019 - 6 AV 11.19 - ‌NJW 2019, 2112 Rn. 10 m. w. N. und vom 9. Juni 2020 - 6 AV 3.20 - ‌NVwZ-RR 2020, 854 Rn. 15). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben erscheint der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 7. November 2023 zwar nicht prozessrechtskonform (2.1), aber ein derartig extremer Rechtsverstoß, der angesichts der hohen Hürden für die Annahme richterlicher Willkür nur ausnahmsweise in Betracht kommt, ist dem Gericht nicht vorzuwerfen (2.2).

11 2.1 Die gerichtliche Zuständigkeit für den im Wege der Verpflichtungsklage geltend zu machenden Auskunftsanspruch bestimmt sich nach § 52 Nr. 2 Satz 1 und 2 VwGO. Demzufolge gilt nach Satz 2 der Vorschrift auch für die gegen eine Bundesbehörde gerichtete Verpflichtungsklage auf datenschutzrechtliche Auskunftserteilung nach § 57 BDSG die Regelung des Satzes 1, wonach bei Anfechtungsklagen gegen den Verwaltungsakt einer Bundesbehörde das Verwaltungsgericht örtlich zuständig ist, in dessen Bezirk die Bundesbehörde, die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung ihren Sitz hat.

12 Aus § 57 Abs. 2 BPolG lässt sich nur entnehmen, dass die Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt am Main dem als Oberbehörde fungierenden Bundespolizeipräsidium in Potsdam untergeordnet ist, das gemäß § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Zuständigkeit der Bundespolizeibehörden - BPolZV - vom 22. Februar 2008 (BGBl. I S. 250, zuletzt geändert durch Verordnung vom 19. Juni 2020, BGBl. I S. 1328) die Rechts- und Fachaufsicht wahrnimmt (Ruthig, in: Schenke/​Graulich/​Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, § 57 BPolG Rn. 10; Rachor/​Roggan, in: Lisken/​Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 7. Aufl. 2021, C Rn. 68). Weder das Bundespolizeigesetz noch die genannte Verordnung über die Zuständigkeit der Bundespolizeibehörden enthalten spezifische Regelungen, welcher Behörde die Aufgabe der Bearbeitung und Entscheidung von Auskunftsersuchen nach § 57 BDSG zugewiesen ist.

13 Mangels spezieller Zuständigkeitsvorschriften verbleibt es bei der in § 57 Abs. 1 BDSG getroffenen Kompetenzregelung, die mit der Nennung des materiellrechtlich Verpflichteten einhergeht. Demzufolge hat der Verantwortliche über die Auskunftserteilung zu entscheiden. Das ist nach § 46 Nr. 7 BDSG die natürliche oder juristische Person, Behörde, Einrichtung oder andere Stelle, die allein oder gemeinsam mit anderen über die Zwecke und Mittel der Verarbeitung von personenbezogenen Daten entscheidet. Diese Regelung setzt Art. 3 Nr. 8 Halbs. 1 der hier sachlich anwendbaren Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (ABl. L 119 S. 89) um. Für deren in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie genannten sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit misst sich die Datenschutzgrundverordnung gemäß Art. 2 Abs. 2 lit. d) DSGVO keine Geltung bei.

14 Der Kläger hat sich mit seinem Auskunftsantrag an die Bundespolizeidirektion Flughafen Frankfurt am Main als Bundesbehörde und damit an einen potentiell Verantwortlichen i. S. d. § 57 Abs. 1 BDSG gewandt. Damit war das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main aufgrund des Behördensitzes örtlich zuständig.

15 2.2 Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main in seinem Beschluss vom 7. November 2023 erweisen sich jedoch keinesfalls als willkürlich, sondern de lege ferenda durchaus als bedenkenswert. Damit verbleibt es bei der in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordneten Bindungswirkung der Verweisung an das Verwaltungsgericht Potsdam.