Beschluss vom 08.12.2022 -
BVerwG 2 B 19.22ECLI:DE:BVerwG:2022:081222B2B19.22.0

Zulässigkeit eines Eigenattests eines verbeamteten approbierten Humanmediziners als Nachweis krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit

Leitsatz:

Mit einer auf § 96 Abs. 1 Satz 2 BBG gestützten Anordnung, sei es abstrakt generell durch Verwaltungsvorschrift oder konkret individuell durch dienstlich-persönliche Weisung, konkretisiert der Dienstherr die Pflicht des Beamten, eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu belegen. Folgt der Beamte einer solchen wirksamen Anordnung - hier: Vorlage eines Attests eines anderen Arztes ab dem 4. Fehltag - nicht, kann er dem Dienstherrn Dienstunfähigkeit für den Zeitraum seines Fernbleibens vom Dienst nicht entgegenhalten; er bleibt dem Dienst unerlaubt fern.

  • Rechtsquellen
    BDG §§ 13, 69
    VwGO § 132 Abs. 2 Nr. 1, § 133 Abs. 3 Satz 3
    BBG § 96 Abs. 1 Satz 2

  • VG Osnabrück - 27.11.2020 - AZ: 10 A 2/20
    OVG Lüneburg - 08.02.2022 - AZ: 6 LD 1/21

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 08.12.2022 - 2 B 19.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2022:081222B2B19.22.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 19.22

  • VG Osnabrück - 27.11.2020 - AZ: 10 A 2/20
  • OVG Lüneburg - 08.02.2022 - AZ: 6 LD 1/21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 8. Dezember 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Februar 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.

2 1. Der 1967 geborene Beklagte steht als Medizinaloberrat (Besoldungsgruppe A 14 BBesO) im Dienst der Klägerin und war zuletzt in der Wehrbereichsverwaltung ... eingesetzt. Die Klägerin versetzte den Beklagten mit Bescheid vom September 2015 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand. Nachdem seine dagegen erhobene Klage Erfolg hatte, forderte die Klägerin den Beklagten auf, den Dienst wieder anzutreten. Der Beklagte erschien u. a. zu zwei Personalgesprächen im Dezember 2017 nicht und blieb im Jahr 2018 mehr als elf Monate dem Dienst fern. Mit Verfügung vom Januar 2018, die weder mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung noch mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen war, gab die Klägerin dem Beklagten auf, künftige Erkrankungen durch amts- oder vertrauensärztliche Atteste zu belegen. Dagegen erhob der Beklagte Widerspruch. Bis Mitte Oktober 2018 legte er von ihm selbst handschriftlich erstellte Schreiben mit der Überschrift "Ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen" vor. Danach reichte er keinerlei Bescheinigungen mehr bei der Klägerin ein. Dieser Sachverhalt war nach dem Abschlussbericht des Ermittlungsführers Ende August 2019 der noch verbliebene Gegenstand des im April 2016 eingeleiteten und im August 2018 ausgedehnten Disziplinarverfahrens. Auf die im April 2020 erhobene Disziplinarklage hat das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Dienst entfernt.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat das Disziplinarverfahren auf den Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst beschränkt und die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen, indem er nahezu das gesamte Jahr 2018 unerlaubt nicht zum Dienst erschienen sei. Die vorgelegten Selbstatteste seien nicht geeignet, den Nachweis der Dienstunfähigkeit infolge Krankheit zu führen. Mangels vollziehbarer Amtsarztauflage sei der Beklagte verpflichtet gewesen, ein privatärztliches Attest eines anderen Arztes vorzulegen. Nach den Vorgaben in Ziffer 513 der Zentralen Dienstvorschrift A-1410/8 "Anwendung des Bundesbeamtengesetzes" für den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) müssten Beamte ihre Dienstunfähigkeit bei einem Dienstversäumnis von mehr als drei Arbeitstagen durch eine ärztliche Bescheinigung eines neutralen, fachkundigen Dritten nachweisen. Bereits aus dem Wortlaut folge, dass die Vorschrift differenziere zwischen den ersten drei Tagen einer Erkrankung, in denen der Beamte selbst und ohne Nachweis erklären könne, dienstunfähig zu sein, und dem Zeitraum ab dem vierten Tag, ab dem ein Anderer - ein Arzt - die Dienstunfähigkeit attestieren müsse. Vom Dienstherrn bezweckt sei, einen glaubhaften Nachweis eines sachverständigen Dritten dafür zu erhalten, dass der Beamte aufgrund seines gesundheitlichen Zustands nicht in der Lage sei, seine Dienstpflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Außerdem werde damit dem Fürsorgegrundsatz Rechnung getragen, weil dem betroffenen Beamten bei einer mehr als drei Arbeitstage andauernden Erkrankung ärztliche Hilfe zuteil werde. Nichts Anderes gelte für die Beamtengruppe verbeamteter Ärzte, bei denen auch die grundsätzliche Gefahr bestehe, in eigenen Angelegenheiten nicht hinreichend objektiv zu sein. Der Beklagte habe seine Erkrankung nicht durch privatärztliche Atteste Dritter belegt. Das vorsätzliche unentschuldigte Fernbleiben vom Dienst sei ein schwerwiegendes Dienstvergehen, das regelmäßig zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis führe. Nach Gesamtwürdigung sämtlicher zu berücksichtigender Umstände lägen keine Gründe vor, die das Absehen von der Höchstmaßnahme rechtfertigten.

4 2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 69 BDG i. V. m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

5 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 20. Juni 2017 - 2 B 84.16 - juris Rn. 9).

6 a) Die Beschwerde sieht die Frage als rechtsgrundsätzlich an,
"ob sich ein approbierter Humanmediziner selbst arbeits- bzw. dienstunfähig schreiben kann".

7 Der Senat legt die pauschale Fragestellung vor dem Hintergrund des Gegenstandes des Verfahrens dahin aus, dass sie sich auf den Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst bezieht und auf die Klärung abzielt, ob ein verbeamteter approbierter Humanmediziner mit einem selbst erstellten Attest gegenüber seinem Dienstherrn den Nachweis einer vorübergehenden Dienstunfähigkeit führen und das Nichterscheinen zum Dienst entschuldigen kann. Diese Frage hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ihre Beantwortung ist nicht entscheidungserheblich. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass nach der dienstlichen Anordnung der Klägerin die Beamten im Geschäftsbereich des BMVg verpflichtet sind, die Dienstunfähigkeit infolge Erkrankung ab dem vierten Fehltag durch eine ärztliche Bescheinigung eines Arztes, im Fall verbeamteter Ärzte eines anderen Arztes, nachzuweisen. Die Ausführungen des Beklagten, die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts beruhe auf einem unzutreffenden Verständnis der maßgeblichen Zentralen Dienstvorschrift A-1410/8, begründen keinen rechtsgrundsätzlichen Klärungsbedarf, weil sie nicht die Auslegung revisiblen Rechts betreffen. Bei der Zentralen Dienstvorschrift der Klägerin handelt es sich um eine Verwaltungsvorschrift, nicht um eine Rechtsnorm im Sinne des § 137 Abs. 1 VwGO. Verwaltungsvorschriften sind Willenserklärungen der sie anordnenden Stelle (BVerwG, Urteile vom 2. Februar 1995 - 2 C 19.94 - Buchholz 237.6 § 75 NdsLBG Nr. 3 S. 2 f., vom 2. März 1995 - 2 C 17.94 - Buchholz 240 § 17 BBesG Nr. 7 S. 8 und vom 10. April 1997 - 2 C 38.95 - Buchholz 236.1 § 3 SG Nr. 16 S. 34). Ihre Auslegung unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung nur insoweit, als es um die Einhaltung allgemeiner Erfahrungssätze, von Denkgesetzen oder sonstigen allgemeinen Auslegungsgrundsätzen geht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 21. September 1993 - 2 B 109.93 - Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 181 S. 33 und vom 2. Februar 2010 - 2 B 86.09 - ZBR 2011, 33 <34>). Dass die Auslegung der maßgebenden Dienstvorschrift durch das Berufungsgericht an einem solchen Fehler leidet, lässt die Beschwerde nicht erkennen.

8 Im Hinblick auf die Feststellung des Berufungsgerichts, dass der vom Dienstherrn geforderte Nachweis durch die Vorlage eines ärztlichen Attests eines Dritten zu führen ist, kommt es auf die Frage der Beschwerde nicht an, ob auch ein Eigenattest eines verbeamteten Arztes ein taugliches Mittel sein kann, eine Dienstunfähigkeit zu belegen. Wie vom Berufungsgericht zutreffend angenommen, ist maßgebend für die Befreiung von der Dienstleistungspflicht die auf der Grundlage des § 96 Abs. 1 Satz 2 BBG getroffene Anordnung des Dienstherrn, welche Mittel er als geeignet und erforderlich ansieht, um die Dienstunfähigkeit glaubhaft zu machen. Denn nach der Rechtsprechung des Senats ermächtigt § 96 Abs. 1 Satz 2 BBG den Dienstherrn, die Bedingungen näher festzulegen, unter denen der Beamte von der Dienstleistungspflicht infolge einer Erkrankung entbunden ist. Mit einer auf § 96 Abs. 1 Satz 2 BBG gestützten Anordnung, sei es abstrakt generell durch Verwaltungsvorschrift - wie hier - oder konkret individuell durch dienstlich-persönliche Weisung, konkretisiert der Dienstherr die Pflicht des Beamten, eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit zu belegen. Folgt der Beamte einer solchen wirksamen Anordnung zur Vorlage eines bestimmten ärztlichen Attests nicht, kann er dem Dienstherrn Dienstunfähigkeit für den Zeitraum seines Fernbleibens vom Dienst nicht entgegenhalten; er bleibt dem Dienst unerlaubt fern (vgl. BVerwG, Urteile vom 12. November 2020 - 2 C 6.19 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 81 Rn. 28 und vom 15. Dezember 2021 - 2 C 9.21 - BVerwGE 174, 273 Rn. 29 f.; Beschluss vom 23. März 2006 - 2 A 12.04 - Buchholz 232 § 73 BBG Nr. 29 Rn. 5).

9 b) Auch die weitere von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
"ob der Dienstherr derart gleichstimmig und wiederholt von einer Dienstunfähigkeit sprechen und gleichzeitig ein solches Disziplinarverfahren anstrengen kann",
hat keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung. Sie würde sich im angestrebten Revisionsverfahren nicht stellen. Denn die Frage geht von einem Sachverhalt aus, der der Disziplinarklage nicht zugrunde liegt. Das behördliche Disziplinarverfahren ist zwar parallel zum Zurruhesetzungsverfahren wegen Dienstunfähigkeit mit dem Vorwurf eingeleitet worden, dass der Beklagte den Aufforderungen zu den amtsärztlichen Untersuchungen nicht nachgekommen sei. Dieser Disziplinarvorwurf ist aber von der Klägerin nicht mehr aufrechterhalten worden, nachdem das Verwaltungsgericht die Zurruhesetzungsverfügung mit der Begründung aufgehoben hat, dass die Untersuchungsaufforderungen rechtswidrig gewesen seien. Gegenstand der Disziplinarklage ist allein (noch) der mit der Ausdehnungsverfügung vom August 2018 erhobene Vorwurf des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst im Jahr 2018.

10 c) Die weiteren Ausführungen der Beschwerdebegründung (S. 4 f.) genügen nicht den Zulässigkeitsanforderungen an eine Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die Beschwerde formuliert schon keine konkrete Frage, der nach ihrer Auffassung grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine solche Frage ist dem Beschwerdevorbringen auch nicht der Sache nach zu entnehmen. Es beschränkt sich auf das Vorbringen, das Berufungsgericht habe bei der nach § 13 BDG zu treffenden Bemessungsentscheidung nicht zu Gunsten des Beklagten berücksichtigt, dass er unter erheblichen psychischen Erkrankungen leide, die durch eine chronische Unterforderung und systematische Benachteiligung im Dienst hervorgerufen worden seien. Diese lediglich in der Art eines zulassungsfreien oder bereits zugelassenen Rechtsmittels vorgebrachte Kritik an dem Berufungsurteil erfüllt nicht die Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.

11 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.