Beschluss vom 09.01.2024 -
BVerwG 2 B 13.23ECLI:DE:BVerwG:2024:090124B2B13.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.01.2024 - 2 B 13.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2024:090124B2B13.23.0]

Beschluss

BVerwG 2 B 13.23

  • VG Hamburg - 05.04.2022 - AZ: 33 D 933/16
  • OVG Hamburg - 30.11.2022 - AZ: 11 Bf 155/22.F

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 9. Januar 2024
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden
und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 30. November 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 1. Die Beklagte wendet sich gegen ihre Entfernung aus dem Beamtenverhältnis.

2 Die im Jahr 1964 geborene Beklagte wurde 1982 in den Postdienst eingestellt, 1990 zur Postobersekretärin (Besoldungsgruppe A 7) befördert und nach Umstrukturierungen 1995 zur Postbank AG versetzt; sie war zuletzt in einer Filiale der Postbank tätig.

3 Mit Urteil vom 12. November 2013 verurteilte das Amtsgericht Hamburg-Altona die Beklagte wegen veruntreuender Unterschlagung in 9 Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hatte sie im Zeitraum zwischen März und Oktober 2012 im Kassensystem ihrer Filiale Scheinbuchungen über angeblich von Kunden veranlasste Rücknahmen von Produkten vorgelegt und sodann die im Normalfall an die Kunden auszuzahlenden Barbeträge in Höhe von insgesamt rund 1 600 € aus dem Kassenbestand entnommen und für sich behalten. Das Landgericht ermäßigte im von der Beklagten auf das Strafmaß beschränkten Berufungsverfahren die Anzahl der Tagessätze auf 90. Die Revision der Beklagten beim Oberlandesgericht blieb erfolglos.

4 Das Verwaltungsgericht hat auf die im Jahr 2016 erhobene Disziplinarklage die Beklagte aus dem Beamtenverhältnis entfernt. Das Oberverwaltungsgericht hat wie bereits zuvor das Verwaltungsgericht die amtsgerichtlichen Feststellungen als bindend zugrunde gelegt und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

5 2. Die gegen die Nichtzulassung der Revision gerichtete und auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensfehlers gestützte Beschwerde der Beklagten hat keinen Erfolg. Sie ist zum Teil unzulässig und im Übrigen unbegründet.

6 a) Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 69 BDG, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.

7 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4; vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9, vom 20. Juni 2017 - 2 B 84.16 - juris Rn. 9 und vom 26. April 2023 - 2 B 41.22 - juris Rn. 5). Die Prüfung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei auf die mit der Beschwerde dargelegten Rechtsfragen beschränkt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).

8 Die nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO setzt voraus, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Frage des revisiblen Rechts bezeichnet und aufzeigt, dass diese Frage sowohl im konkreten Fall entscheidungserheblich als auch allgemein klärungsbedürftig ist. Aus der Beschwerdebegründung muss sich ergeben, dass eine die Berufungsentscheidung tragende rechtliche Erwägung des Berufungsgerichts im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung der Nachprüfung in einem Revisionsverfahren bedarf (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 6. Januar 2012 - 2 B 113.11 - DÖD 2012, 104 und vom 6. Oktober 2016 - 2 B 80.15 - juris Rn. 6).

9 Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Sie formuliert schon keine Frage, die auf die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit untersucht werden könnte. Eine solche Frage ist dem Beschwerdevorbringen auch nicht der Sache nach zu entnehmen. Die Beschwerde rügt lediglich eine vermeintlich unrichtige Anwendung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere der Entscheidung des Senats vom 28. August 2018 - 2 B 5.18 - (Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 60), im konkreten Einzelfall. Derartige Mängel können ggf. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils begründen, die nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zur Zulassung einer Berufung führen. Die Zulassung der Revision dagegen hat der Gesetzgeber an engere Voraussetzungen gebunden, zu denen (bloße) Zweifel an der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung selbst nicht gehören (vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. März 2023 - 2 B 33.22 - juris Rn. 7 m. w. N.).

10 b) Die Revision ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 69 BDG, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.

11 Die Beschwerde rügt, dass das Berufungsgericht nicht berücksichtigt habe, dass die Strafgerichte den seriellen, gleichartigen Charakter der Straftaten und ihren "insgesamt noch recht engen zeitlichen Zusammenhang" bei der Strafzumessung zugunsten der Beklagten gewürdigt hätten; es habe damit die Bindungswirkung gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG insoweit nicht beachtet, so dass der Mangel einer falschen und unvollständigen Beweiswürdigung vorliege. Sie rügt mithin der Sache nach, dass das Berufungsgericht durch eine defizitäre Gesamtwürdigung den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verletzt habe. Diese Rüge greift nicht durch.

12 aa) Nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG sind die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Strafverfahren im Disziplinarverfahren, das denselben Sachverhalt zum Gegenstand hat, für das Verwaltungsgericht bindend. Diese Bindungswirkung soll verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden. Der Gesetzgeber hat sich dafür entschieden, die Aufklärung eines sowohl strafrechtlich als auch disziplinarrechtlich bedeutsamen Sachverhalts sowie die Sachverhalts- und Beweiswürdigung primär den Strafgerichten zu übertragen. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass tatsächliche Feststellungen, die ein Gericht auf der Grundlage eines Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen trifft, eine erhöhte Gewähr der Richtigkeit bieten. Daher haben die Verwaltungsgerichte die tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils ihrer Entscheidung ungeprüft zugrunde zu legen, soweit die Bindungswirkung reicht. Sie sind insoweit weder berechtigt noch verpflichtet, eigene Feststellungen zu treffen. Die Bindungswirkung entfällt nur, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 13; Beschluss vom 25. Februar 2016 - 2 B 1.15 - juris Rn. 7).

13 Die erhöhte Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses gilt für diejenigen tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils, die sich auf die Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Strafnorm beziehen. Die Feststellungen müssen entscheidungserheblich für die Beantwortung der Frage sein, ob der objektive und subjektive Straftatbestand erfüllt ist. Im Falle einer Verurteilung müssen sie diese tragen (BVerwG, Beschlüsse vom 1. März 2012 - 2 B 120.11 - juris Rn. 13 und vom 9. Oktober 2014 - 2 B 60.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 26 Rn. 11). Von der Bindungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG nicht erfasst werden nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hingegen Tatsachen, die lediglich für die Strafzumessung maßgeblich sind (BVerwG, Urteile vom 31. März 1998 - 1 D 59.97 - juris Rn. 20 und vom 20. April 2023 - 2 A 18.21 - ZBR 2023, 420 Rn. 30; Beschluss vom 27. Dezember 2016 - 2 B 126.15 - juris Rn. 15).

14 Dass die Bindungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG sich nicht auf Tatsachen erstreckt, die lediglich für die Strafzumessung maßgeblich sind, trägt auch dem Umstand Rechnung, dass Straf- und Disziplinarrecht unterschiedliche Zwecke verfolgen (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 37). Das Strafrecht ist vom Vergeltungsprinzip mit dem Ziel der individuellen Sühne durch ein Unwerturteil über gemeinschaftswidriges Verhalten und strafrechtliche Sanktionen geprägt. Demgegenüber ist es ausschließlich Zweck des Disziplinarverfahrens, das Vertrauen in die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit der Beamten und damit die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes sicherzustellen (BVerwG, Beschluss vom 28. August 2018 - 2 B 5.18 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 60 Rn. 18).

15 bb) Danach hat die Beschwerde einen Verfahrensfehler nicht dargetan. Die Bindungswirkung des amtsgerichtlichen Strafurteils nach § 57 Abs. 1 BDG erstreckte sich nicht auf die von der Beschwerde angeführten Feststellungen im Rahmen der Strafzumessung. Die Disziplinargerichte hatten vielmehr hiervon unabhängig die Entscheidung über die Maßnahmebemessung nach § 13 BDG zu treffen.

16 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis erhoben werden (Anlage zu § 78 BDG).