Beschluss vom 09.09.2025 -
BVerwG 2 WDB 7.25ECLI:DE:BVerwG:2025:090925B2WDB7.25.0

Aufhebung der Einstellung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens

Leitsatz:

Wird ein Soldat Bundestagsabgeordneter und ruhen deswegen seine Rechte und Pflichten aus dem Soldatenverhältnis weitgehend, führt dies zu keiner Änderung der disziplinarrechtlichen Zuständigkeiten.

  • Rechtsquellen
    GG Art. 46 Abs. 2, Art. 137 Abs. 1
    WDO § 17 Abs. 1, § 73 Abs. 2, § 97 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 3 Satz 1, § 108 Abs. 4, § 143 Abs. 1 Satz 3, § 144 Abs. 3 Satz 3
    WDO a. F. § 94 Abs. 3
    SG § 25 Abs. 2
    AbgG § 6 Abs. 1 Satz 2, § 8 Abs. 1 und 2

  • TDG Nord 1. Kammer - 17.06.2025 - AZ: N 1 VL 8/25

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.09.2025 - 2 WDB 7.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:090925B2WDB7.25.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 7.25

  • TDG Nord 1. Kammer - 17.06.2025 - AZ: N 1 VL 8/25

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister und die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke am 9. September 2025 beschlossen:

  1. Auf die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft wird der Beschluss des Vorsitzenden der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 17. Juni 2025 aufgehoben.
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen trägt der Bund.

Gründe

I

1 1. Die Beschwerde richtet sich gegen die Einstellung eines Disziplinarverfahrens.

2 Gegen den Soldaten, der seit dem 1. Dezember 2016 dem der ...division unterstehenden ...bataillon ... angehört, dessen Dienstzeit als Soldat auf Zeit regulär am 30. September ... endet und der seit der 20. Legislaturperiode durchgehend Mitglied des Deutschen Bundestages ist, war unter dem 23. Juli 2024 vom Kommandeur 1. ...division das gerichtliche Disziplinarverfahren eingeleitet worden. Unter dem 3. März 2025 wurde er angeschuldigt, die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht anzuerkennen und für deren Erhaltung nicht einzutreten.

3 Der Deutsche Bundestag hatte unter dem 16. Mai 2024 die Immunität des Soldaten für die Dauer der 20. Legislaturperiode aufgehoben.

4 2. Die Verfahrenseinstellung begründete der Vorsitzende der 1. Kammer des Truppendienstgerichts Nord in seinem Beschluss vom 17.  Juni 2025 mit einem Verfahrenshindernis.

5 a) Denn das gerichtliche Disziplinarverfahren sei von einer unzuständigen Behörde eingeleitet worden.

6 Die Zuständigkeit für die Einleitung gerichtlicher Disziplinarverfahren gegen Unteroffiziere mit Portepee zum Zeitpunkt der Einleitung am 23. Juli 2024 ergebe sich aus § 94 Abs. 1 Nr. 2 und 3, Abs. 3 WDO a. F. Hiernach werde das gerichtliche Disziplinarverfahren von dem Kommandeur der Division als Einleitungsbehörde eingeleitet, der der Soldat im Zeitpunkt der Einleitung unterstehe. Damit sei die truppendienstliche Unterstellung gemeint. Diese lege sowohl das persönliche als auch das institutionelle Unterstellungsverhältnis und die Zugehörigkeit zu einem (bestimmten) Truppenteil fest. Aus ihr leite sich auch die disziplinare Unterstellung ab.

7 Aus der bisherigen Unterstellung sei der Soldat jedoch gemäß § 8 Abs. 1 und 2, § 5 AbgG durch seine Mitgliedschaft im 20. Deutschen Bundestag seit dem 26. Oktober 2021 herausgelöst worden. Denn seitdem würden die Rechte und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines in den Deutschen Bundestag gewählten Soldaten auf Zeit für die Dauer der Mitgliedschaft ruhen. § 5 AbgG trage damit dem sich aus Art. 137 Abs. 1 GG ergebenden Grundsatz der Unvereinbarkeit des Abgeordnetenmandats mit einem Dienstverhältnis als Soldat Rechnung. Das Ruhen der Rechte und Pflichten führe dazu, dass Soldaten, wenn sie zu Mitgliedern des Deutschen Bundestages gewählt würden, trotz Fortbestehen ihres Dienstverhältnisses aus ihrer truppendienstlichen Unterstellung herausgelöst würden. Da die truppendienstliche Unterstellung auch das institutionelle Unterstellungsverhältnis und die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Truppenteil festlege, ergebe sich aus ihr auch die Zugehörigkeit zur Exekutive. Da der Grundsatz der Inkompatibilität eine Zugehörigkeit sowohl zur Exekutive als auch zur Legislative ausschließe, ermögliche nur eine Herauslösung aus der truppendienstlichen Unterstellung die Sicherstellung des Art. 137 Abs. 1 GG. Folglich sei der Soldat seit seiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag ab dem 26. Oktober 2021 aus seiner bisherigen (truppendienstlichen) Zugehörigkeit zu den Streitkräften und damit insbesondere aus seiner disziplinaren Unterstellung zum ...bataillon ... herausgelöst worden. Die aus personalwirtschaftlichen Gründen erfolgten Umsetzungen auf dienstpostenähnliche Konstrukte änderten daran nichts.

8 Da der Soldat seit dem 26. Oktober 2021 nicht mehr in einem truppendienstlichen Unterstellungsverhältnis zum Kommandeur ...division gestanden habe, habe das gerichtliche Disziplinarverfahren auch nicht mehr durch diesen als truppendienstlichen Vorgesetzten (gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 WDO a. F.) am 23. Juli 2024 wirksam eingeleitet werden können.

9 Zuständig wäre für den Soldaten somit nach § 94 Abs. 1 Nr. 3 WDO. a. F. der Bundesminister der Verteidigung gewesen, der ausweislich der Ermittlungsunterlagen das Verfahren jedoch nicht eingeleitet habe.

10 b) Die Entscheidung könne ohne die Mitwirkung ehrenamtlicher Richter erfolgen, denn dies stehe nach § 110 Abs. 4 WDO im Ermessen des Vorsitzenden. Zwar könne es eingeschränkt sein, wenn die Entscheidung eine bislang höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfe. Davon sei jedoch nicht auszugehen, weil neben dem angenommenen Verfahrenshindernis - der Einleitung durch eine unzuständige Behörde - auch wegen der Immunität des Soldaten als Abgeordneter ein weiteres Verfahrenshindernis bestehe. Denn die vom Deutschen Bundestag erteilte Genehmigung zur Durchführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens wirke nur bis zum Ablauf der 20. Wahlperiode am 25. März 2025 und es sei eine nicht unerhebliche Zeitdauer für ein erneutes Verfahren zur Aufhebung der Immunität für die (aktuelle) 21. Wahlperiode zu erwarten. Denn bereits das Genehmigungsverfahren in der 20. Wahlperiode habe über ein Jahr gedauert. Hinzu trete die Ungewissheit, ob die Immunität des Soldaten erneut aufgehoben werde. Dies und die bereits verstrichene Verfahrensdauer rechtfertigten unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebotes daher, "trotz der im Raum stehenden Rechtsfragen die Einstellung außerhalb der Hauptverhandlung".

11 3. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft begründet ihre Beschwerde zum einen damit, dass der Vorsitzende ermessensfehlerhaft angenommen habe, das Verfahren ohne ehrenamtliche Beisitzer einstellen zu dürfen. Die streitgegenständliche Rechtsfrage sei noch nicht höchstrichterlich entschieden, womit das dem Vorsitzenden eingeräumte Ermessen reduziert gewesen sei. Rechtsirrig sei auch dessen Rechtsansicht, mit der Immunität des Soldaten bestehe ein weiteres Verfahrenshindernis, welches zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führe. Zwar könne das Verfahren nur weitergeführt werden, wenn die Immunität des Soldaten erneut aufgehoben werde. Das neue Immunitäts-Aufhebungsverfahren werde sich aber zeitlich überschaubar gestalten. Soweit vom Vorsitzenden angenommen werde, dies stehe wegen des langen Genehmigungsverfahrens in der 20. Wahlperiode nicht zu erwarten, werde verkannt, dass dieser Zeitraum seinerzeit auch interne Abläufe umfasst habe. Die tatsächliche Dauer des Genehmigungsverfahrens, von der Antragstellung bis zur Aufhebung der Immunität, habe zudem unter vier Wochen gelegen. Da das Truppendienstgericht einen Antrag auf Aufhebung der Immunität nicht vorher mit anderen Stellen abstimmen müsse, sei anzunehmen, dass es aufgrund eines neuen Antrages zu keiner unangemessenen Verfahrensverzögerung komme.

12 Ferner liege kein schwerer Verfahrensmangel vor. Der Kommandeur der ...division sei zuständige Einleitungsbehörde gewesen, weil der Soldat ihm unterstellt gewesen sei. Anders als vom Vorsitzenden angenommen, sei dieser durch seine Mitgliedschaft im 20. Deutschen Bundestag ab 26. Oktober 2021 nicht aus dem truppendienstlichen Unterstellungsverhältnis herausgelöst worden. Um dem Grundsatz der Inkompatibilität Rechnung zu tragen, bedürfe es keiner Herauslösung aus der truppendienstlichen Unterstellung, denn dem werde mit dem Ruhen der Rechte und Pflichten des Soldaten Rechnung getragen. Eine vollständige Herauslösung aus jeglicher truppendienstlichen Unterstellung werde von § 8 Abs. 2 AbgG nicht angeordnet. Sie wäre zudem systemwidrig, da ein Abgeordneter nach § 6 AbgG einen Anspruch auf Wiederverwendung habe. Demnach sei eine truppendienstliche Anknüpfung dem Grunde nach weiterhin berechtigt. Die Frage, wo diese Anknüpfung verortet werde, liege in der Entscheidungsbefugnis des Dienstherrn. Da der Soldat bis zum Beginn seiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag dem Kommandeur der ...division unterstellt gewesen sei, bestehe das Dienstverhältnis vielmehr nach den Vorgaben der § 25 Abs. 2 SG i. V. m. § 5 Abs. 1, § 8 Abs. 1 AbgG weiter. Zwar räume § 5 Abs. 1 Satz 3 AbgG einem Abgeordneten das Recht ein, seine Dienstbezeichnung mit dem Zusatz "außer Dienst" zu führen. Dabei handele es sich jedoch um eine gesetzlich zugelassene Ausnahme während der Mandatsausübung. Es sei somit folgerichtig, dass der Soldat dort personalwirtschaftlich weiter geführt werde. Folge man der Argumentation des Vorsitzenden hätte dies zur Konsequenz, dass auch der Bundesminister der Verteidigung nicht mehr truppendienstlicher Vorgesetzter des Soldaten sein könne und dadurch weder selbst zuständige Einleitungsbehörde sein noch eine zuständige Einleitungsbehörde bestimmen könne.

13 4. Sowohl der Verteidiger des Soldaten als auch die Bundeswehrdisziplinaranwaltschaft haben sich zum Verfahren geäußert.

II

14 Die zulässige Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist begründet.

15 1. Bereits die Einstellung des Verfahrens durch den Vorsitzenden ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter war ermessensfehlerhaft.

16 a) Zwar liegt es nach § 110 Abs. 4 WDO grundsätzlich im Ermessen des Vorsitzenden, außerhalb der Hauptverhandlung ein Verfahren ohne ehrenamtliche Beisitzer durch Beschluss einzustellen. Wirft jedoch etwa die Prüfung der Frage, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfragen auf, ist darüber wegen der Grundsatzbedeutung in einer Hauptverhandlung durch die gesamte Kammer zu entscheiden (BVerwG, Beschlüsse vom 29. Januar 2019 - 2 WDB 1.18 - NVwZ-RR 2019, 604 Rn. 14 und vom 6. Februar 2025 - 2 WDB 3.24 - NVwZ 2025, 936 Rn. 13) ebenso, wenn abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung entschieden werden soll (BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 2 WDB 2.18 - BVerwGE 162, 325 Rn. 15). Dies gilt auch, wenn Rechtsfragen dominieren. Denn die Wehrdisziplinarordnung vermittelt keine Anhaltspunkte dafür, dass bei deren Beantwortung der im Übrigen nach § 73 Abs. 2 WDO zwingend vorgeschriebenen Mitwirkung ehrenamtlicher Richter eine geringere Bedeutung zukäme. Soweit der Vorsitzende diesem Gesichtspunkt bei seiner Ermessensentscheidung eine andere Gewichtung beigemessen hat, begründet bereits dies einen Ermessensfehler.

17 b) Zwar ist höchstrichterlich bereits geklärt, dass die Einleitung eines disziplinargerichtlichen Verfahrens durch eine unzuständige (Einleitungs-)Behörde ein Verfahrenshindernis begründet (BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2025 - 2 WDB 12.24 - NVwZ 2025, 1534 Rn. 11 m. w. N.). Die Rechtsfrage, ob das nach § 8 Abs. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 1 AbgG angeordnete Ruhen von Rechten und Pflichten aus dem Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit bewirkt, dass dieser aus dem in § 94 Abs. 3 WDO a. F. vorausgesetzten Unterstellungsverhältnis herausgelöst wird, ist es indes noch nicht. Schon deshalb hätte es einer Entscheidung unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter bedurft.

18 2. Das angenommene Verfahrenshindernis liegt nicht vor. Weder ist das Disziplinarverfahren durch die unzuständige Einleitungsbehörde eingeleitet worden (a)), noch berechtigt die erneute Immunität des derzeit nicht im aktiven Dienst stehenden Soldaten zur Einstellung des Disziplinarverfahrens (b)).

19 a) Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 und 2 AbgG ruhen die Rechte und Pflichten eines in den Deutschen Bundestag gewählten Soldaten auf Zeit mit Ausnahme der Pflichten zur Amtsverschwiegenheit und des Verbots der Annahme von Geschenken für die Dauer der Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag, längstens für die Dauer der Verpflichtungszeit. Für die Annahme des Truppendienstgerichts, dass durch diese gesetzliche Anordnung des Ruhens des Soldatenverhältnisses das truppendienstliche Unterstellungsverhältnis aufgehoben wird und dass der betroffene Soldat nicht mehr seinem bisherigen Truppenteil angehört, gibt das Gesetz keinen Anhaltspunkt. Vielmehr legt die Formulierung in § 5 Abs. 1 Satz 1 AbgG vom weitgehenden Ruhen der soldatischen Rechte und Pflichten die Annahme nahe, dass das soldatenrechtliche Dienstverhältnis ansonsten unverändert fortbesteht. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die vorher z. B. als Soldaten auf Zeit im Öffentlichen Dienst tätig waren, nach dem Ende ihrer parlamentarischen Tätigkeit die Rückkehr in ihr bisheriges Dienstverhältnis zu ermöglichen (vgl. BT-Drs. 7/5903 S. 2). Auch wenn die Gesetzesbegründung davon ausgeht, dass mit der Annahme des Bundestagsmandats die bisherige Stelle des Betroffenen neu besetzt werden kann (BT-Drs. 7/5903 S. 10) und § 6 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 8 Abs. 1 AbgG im Falle der Rückkehr nur einen Rechtsanspruch auf ein vergleichbares Amt (im konkreten Sinne), d. h. bei Soldaten auf einen vergleichbaren Dienstposten gewährt, ist eine darüber hinausgehende Veränderung des ruhenden Soldatenverhältnisses nicht gesetzlich vorgezeichnet.

20 Etwas Anderes folgt auch nicht aus Art. 137 Abs. 1 GG. Die Verfassungsnorm ermöglicht es dem Gesetzgeber, die Wählbarkeit von Beamten, Angestellten des öffentlichen Dienstes, Berufssoldaten, freiwilligen Soldaten auf Zeit und Richtern gesetzlich zu beschränken. Die Vorschrift dient allgemein der Sicherung der organisatorischen Gewaltenteilung gegen Gefahren, die durch das Zusammentreffen von beruflicher Stellung und Mandatswahrnehmung entstehen können. Es geht darum zu verhindern, dass durch "Personalunion" die Parlamentarier als Kontrolleure sich selbst kontrollieren. So soll der Gefahr von Entscheidungskonflikten und Verfilzungen entgegengewirkt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juni 1998 - 2 BvL 2/97 - BVerfGE 98, 145 <160>). Dabei räumt die Verfassung dem Gesetzgeber allerdings einen Gestaltungsspielraum ein. Er kann Inkompatibilitätsregelungen erlassen, die Angehörige des öffentlichen Dienstes nicht von vornherein von der Wahl ausschließen (vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juli 2020 - 2 WD 15.19 - BVerwGE 169, 66 Rn. 26), sondern ihnen erst nach der Wahl die Entscheidung abverlangen, ob sie dem Deutschen Bundestag und damit der Legislative angehören oder ihr Amt in der Exekutive behalten wollen. Vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umfasst sind auch Regelungen, die nach Annahme des Bundestagsmandats den ruhenden Fortbestand eines beamten- oder soldatenrechtlichen Dienstverhältnisses vorsehen. Bereits dadurch werden die Interessenkonflikte vermieden, die bei gleichzeitiger Wahrnehmung von Exekutivaufgaben und parlamentarischen Kontrollaufgaben drohen. Einen weitergehenden Zweck verfolgen weder das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG noch Art. 137 Abs. 1 GG, sodass es verfassungsrechtlich nicht geboten ist, das ruhende soldatenrechtliche Dienstverhältnis vollständig aufzuheben oder inhaltlich durch eine Änderung des truppendienstlichen Unterstellungsverhältnisses zu ändern.

21 Ebenso wenig lässt sich anderen gesetzlichen Vorschriften ein Erlöschen oder ein Wechsel des truppendienstlichen Unterstellungsverhältnisses entnehmen. Die Wehrdisziplinarordnung geht davon aus, dass es für alle, auch für frühere Soldatinnen und Soldaten, eine Einleitungsbehörde für Disziplinarverfahren geben muss (§ 97 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 WDO). Dies gilt damit auch für Soldaten außer Dienst, deren Rechte und Pflichten aufgrund einer parlamentarischen Tätigkeit zeitweise ruhen. Auch bei ihnen besteht weiterhin das Bedürfnis für eine zuständige Einleitungsbehörde, weil gemäß § 8 Abs. 1 und 2 i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 1 AbgG die Pflichten aus dem Soldatenverhältnis während der Mandatsinhaberschaft zwar grundsätzlich, nicht jedoch vollumfänglich ruhen. Denn die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit sowie das Verbot der Annahme von Belohnungen und Geschenken bestehen weiter. Da gegen diese während der Mandatsausübung fortbestehenden Pflichten weiterhin verstoßen werden kann, bedarf es einer zuständigen Einleitungsbehörde, der der Soldat noch untersteht. Ein weiteres Bedürfnis nach einer zuständigen Einleitungsbehörde besteht, wenn der Soldat disziplinarisch relevante Handlungen noch vor dem Mandatserwerb begangen hat ("mitgebrachte" Verfahren; vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 2 WDB 2.18 - BVerwGE 162, 325 Rn. 7). Dass die Einleitungsbehörde nach dem Mandatserwerb durch einen Soldaten wechseln müsste, ist weder dem Gesetz entnehmbar noch sachlich zwingend. Da einem Soldaten, dessen Dienstverhältnis aufgrund seines parlamentarischen Mandats ruht, für den Fall der Rückkehr haushaltsrechtlich ein adäquater regulärer Dienstposten oder ein Dienstposten zur besonderen Verwendung freigehalten werden muss, liegt es nahe, ihn für den Fall seiner Rückkehr in der bisherigen Einheit oder Dienststelle einzuplanen. Dies ist auch hier geschehen, so dass es bei der Zuständigkeit der bisher für ihn zuständigen Einleitungsbehörde bleibt. Beim Fortbestand der Zuständigkeit der bisherigen Einleitungsbehörde können im Falle eines Disziplinarverfahrens auch keine Manipulationsvorwürfe gegenüber der Exekutive erhoben werden. Dem entspricht, dass auch die Allgemeine Regelung A-2160/6 (Stand: September 2023) keine Zuständigkeitswechsel für Soldaten vorsieht, bei denen die Dienstpflichten lediglich (weitgehend) ruhen.

22 b) Auch die derzeitige Immunität des Soldaten bildet kein endgültiges Verfahrenshindernis.

23 aa) An der nach Art. 46 Abs. 2 GG erforderlichen Genehmigung des Deutschen Bundestages, den Soldaten disziplinarisch zu belangen, fehlt es zwar, so dass derzeit ein Verfahrenshindernis von Verfassungsrang besteht (BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 2 WDB 2.18 - BVerwGE 162, 325 Rn. 6 ff.; Schmitt/​Köhler, StPO, 68. Aufl. 2025, § 152a Rn. 2). Der Schutz des Art. 46 Abs. 2 GG greift nach seinem Wortlaut stets, wenn ein Abgeordneter wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen werden soll. Die Norm erfasst neben Verfahren nach der Strafprozessordnung auch gerichtliche Disziplinarverfahren in Anwendung der Wehrdisziplinarordnung. "Zur Verantwortung gezogen" wird bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht nur der Angeklagte im Strafverfahren, sondern auch der Angeschuldigte eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2018 - 2 WDB 2.18 - BVerwGE 162, 325 Rn. 8 ff.). Die Genehmigung des Deutschen Bundestages der 20. Legislaturperiode vom 16. Mai 2024 wirkt auch nicht fort, sondern ist mit dem Zusammentritt des Deutschen Bundestages der 21. Legislaturperiode erloschen, für den keine Bindung an Entscheidungen des früheren Deutschen Bundestages besteht.

24 bb) Das Fehlen der Genehmigung ist nach dem derzeitigen Verfahrensstand jedoch nur vorläufig, insbesondere begründet der Beschleunigungsgrundsatz nach § 17 Abs. 1 WDO kein endgültiges Verfahrenshindernis. Da der Soldat noch mit Genehmigung des alten Deutschen Bundestages wirksam angeschuldigt worden ist, ist es Aufgabe des für seinen Truppenteil - die ...division - zuständigen Truppendienstrichters, die nach Art. 46 Abs. 2 GG erforderliche Genehmigung für die Fortführung des Disziplinarverfahrens beim neuen Deutschen Bundestag einzuholen. Der Antrag ist auf dem Dienstweg über das Bundesministerium der Justiz an die Präsidentin des Deutschen Bundestages zu richten (zum Ganzen: § 107 GO-BT und Buchst. A Nr. 2 b Anlage 6 GO-BT "Grundsätze in Immunitätsangelegenheiten und in Fällen der Genehmigung gem. § 50 Abs. 3 StPO und § 382 Abs. 3 ZPO sowie bei Ermächtigungen gem. § 90b Abs. 2, § 194 Abs. 4 StGB").

25 Die Entscheidung über die Genehmigung zur Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens obliegt ausschließlich dem Deutschen Bundestag. Die prognostische Beurteilung, ob und wann er die Genehmigung erteilen wird, steht dem Truppendienstgericht folglich nicht zu. Dies gilt auch dann, wenn durch die Dauer des Verfahrens zur Erteilung der Genehmigung das gerichtliche Disziplinarverfahren überlang werden sollte. Denn erst wenn es dadurch eine extreme Überlänge erlangte, wäre es vom Truppendienstgericht als der staatlichen Sphäre zuzurechnender Umstand einzustellen, ansonsten gegebenenfalls im Rahmen der Maßnahmebemessung mildernd zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. März 2021 - 2 WD 11.20 - NVwZ-RR 2021, 807 Rn. 20).

26 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 1 Satz 3, § 144 Abs. 3 Satz 3 WDO. Es wäre unbillig, den früheren Soldaten mit den Kosten des Rechtsmittels zu belasten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Mai 2025 - 2 WDB 15.24 -‌ NVwZ 2025, 1535 Rn. 21 m. w. N.).