Beschluss vom 09.10.2023 -
BVerwG 1 WNB 10.22ECLI:DE:BVerwG:2023:091023B1WNB10.22.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 09.10.2023 - 1 WNB 10.22 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:091023B1WNB10.22.0]

Beschluss

BVerwG 1 WNB 10.22

  • TDG Süd 2. Kammer - 21.04.2022 - AZ: S 2 BLa 6/19 und S 2 RL 4/22

In dem Wehrbeschwerdeverfahren hat der 1. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Langer und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Eppelt
am 9. Oktober 2023 beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluss des Truppendienstgerichts Süd vom 21. April 2022 wird zurückgewiesen.
  2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die behauptete grundsätzliche Bedeutung der Beschwerdesache (§ 22a Abs. 2 Nr. 1 WBO) sowie die gerügten Verfahrensmängel (§ 22a Abs. 2 Nr. 3 WBO) einer Verletzung der gerichtlichen Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 18 Abs. 2 Satz 1 WBO) und zur Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sind nicht prozessordnungsgemäß dargelegt bzw. liegen nicht vor.

2 1. Die vom Beschwerdeführer formulierten Rechtsfragen,
"ob die ZDv A-1340/50 mit höherrangigem Recht vereinbar ist",
"ab welchem Zeitanteil bei einer anlassbezogenen teilweisen Freistellung Auswahlentscheidungen nicht mehr allein auf dienstliche Beurteilungen für den Funktionsdienst gestützt werden können, weil der verbleibende Funktionsdienst dafür keine ausreichende Tatsachenbasis bietet",
"dass diese Schwelle entsprechend der Handhabung für Soldatenvertreter in der Personalvertretung auch für Funktionsträger nach dem SBG bei 75 % anzunehmen ist",
"dass bei der Ermittlung dieser Anteile Zeiten, die weder Funktionsdienst in Beobachtung des Vorgesetzten noch ehrenamtliche Tätigkeit (z. B. Urlaub, Krankheit, Lehrgänge außerhalb der Bundeswehr), ausblenden und 'neutral' zu stellen sind, und dass diese Zeiten nicht dem Funktionsdienst rechnerisch zugeschlagen werden können, weil und soweit hierauf keine Beurteilungserkenntnisse anfallen (können)",
"in welcher Form dann, wenn ein Soldat - wie der Antragsteller - vor der Übernahme des Ehrenamts durchweg mit Höchstnoten und Entwicklungsperspektive bewertet war und die sich zeitlich mit Übernahme des Ehrenamts ändert, dieser Leistungsabfall in einer dienstlichen Begründung nachvollziehbar zu begründen ist",
"wie dem Benachteiligungsverbot bei ehrenamtlicher Tätigkeit als Vertrauensperson oder Personalratsmitglied Rechnung zu tragen ist, wenn ein Soldat nicht vollständig vom Dienst freigestellt ist, sondern anlassbezogen weit überwiegend"
und
"ob die Selbstbindung des BMVg zur Behandlung teilweise freigestellter Soldaten mit einem Freistellungsanteil von drei Vierteln oder mehr verbindlich und beschwerdefähig ist"
rechtfertigen die Durchführung eines Rechtsbeschwerdeverfahrens nicht.

3 Zur ersten Frage fehlt es bereits an der Darlegung ihrer Kausalität. Denn der Antragsteller nimmt zum Fehlen einer verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Grundlage der ZDv A-1340/50 auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Juli 2021 - 2 C 2.21 - (BVerwGE 173, 81 Rn. 33) Bezug. Nach dieser Entscheidung ist allerdings das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die Regelung des Beurteilungswesens für eine Übergangszeit hinzunehmen und führt nicht für sich genommen bereits zu einer Aufhebung der hierauf gestützten Beurteilungen (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021 ‌- 2 C 2.21 - BVerwGE 173, 81 Rn. 24, 40). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Senats (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2023 - 1 WB 41.21 - juris Rn. 23 m. w. N.). Danach würde durch die mangelnde Berücksichtigung aktueller Beurteilungen ein verfassungswidrigerer Zustand eintreten als durch die Verwertung der auf einer unzureichenden Rechtsgrundlage erstellten Beurteilungen. Dies ist auch für Beurteilungen auf der Grundlage der bis 31. Juli 2021 geltenden Beurteilungsbestimmungen der Bundeswehr in der Rechtsprechung mittlerweile geklärt (BVerwG, Beschluss vom 29. August 2023 - 1 WB 60.22 - Rn. 35, 44 ff., 49, 53) und bedarf deshalb nicht der Durchführung des Rechtsbeschwerdeverfahrens.

4 Hinsichtlich der weiter formulierten Fragen ist die Entscheidungserheblichkeit ebenfalls weder dargelegt noch liegt sie vor. Sie würden sich in einem Rechtsbeschwerdeverfahren auf der Grundlage der nicht mit durchgreifenden Rügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz nämlich nicht stellen. Nach diesen Feststellungen war der Antragsteller für seine Tätigkeit nach dem Bundespersonalvertretungsgesetz und dem Soldatenbeteiligungsgesetz weder vollständig noch teilweise freigestellt (S. 2 und 9 BA). Soweit sich einzelne dieser Fragen auf die vom Truppendienstgericht erörterte analoge Anwendung eines BMI-Erlasses auf nicht freigestellte Soldaten beziehen sollten, fehlt es für die Darlegung der Entscheidungserheblichkeit an einer Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Truppendienstgerichts, nach denen die Zeiten der Wahrnehmung des Ehrenamts kein für die analoge Anwendung ausreichendes Ausmaß erreichen (S. 11 BA).

5 2. Die Verfahrensrügen greifen nicht durch.

6 a) Die ordnungsgemäße Darlegung einer Aufklärungsrüge setzt unter anderem die Angabe voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Truppendienstgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären und inwiefern die angegriffene Entscheidung auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10. Dezember 2003 ‌- 8 B 154.03 - NVwZ 2004, 627 <628> und vom 27. Juli 2011 - 2 WNB 3.11 - ‌Rn. 5). Weiter muss dargelegt werden, welche konkreten Beweismittel zur Klärung der für entscheidungserheblich gehaltenen Behauptungen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis die Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte und dass entsprechende Beweisanträge im gerichtlichen Verfahren gestellt wurden oder warum sich dem Gericht die weitere Aufklärung von Amts wegen hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14 f. m. w. N. und vom 27. Juli 2011 - 2 WNB 3.11 - Rn. 5).

7 Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs verpflichtet das zur Entscheidung berufene Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (vgl. z. B. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Dezember 2015 - 1 WNB 1.15 - NZWehrr 2016, 85 <85> und vom 9. Mai 2017 - 1 WNB 3.16 - NZWehrr 2017, 216 <216>, jeweils m. w. N.). Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass das Gericht dieser Pflicht Rechnung trägt. Es ist nicht gehalten, sich in den Gründen seiner Entscheidung mit jedem Vorbringen zu befassen; insbesondere begründet Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Verfahrensbeteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen. Aus Art. 103 Abs. 1 GG ergibt sich auch keine Pflicht eines Gerichts, der von der Partei vertretenen Rechtsauffassung zu folgen (BVerwG, Beschluss vom 2. Februar 2018 - 1 WNB 6.17 - juris Rn. 9).

8 b) Eine Verletzung dieser Grundsätze ist weder substantiiert dargelegt noch liegt sie vor.

9 Soweit der Antragsteller Aufklärungsmängel und die Verletzung rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit der Fußnote 7 zu Nr. 101 der AR A-1336/1 in der Fassung vom 26. August 2021 rügt, setzt sich die Beschwerde bereits nicht damit auseinander, dass nach den Feststellungen der Vorinstanz die Neufassung einer Stellungnahme zu einer neugefassten planmäßigen Beurteilung bezüglich eines nicht vom Dienst freigestellten Soldaten in Rede steht. Es ist weder dargelegt noch ersichtlich, wieso Regelungen für freigestellte Soldaten mit einem Freistellungsanteil von mehr als 75 % vorliegend Sachverhaltsaufklärungen veranlasst hätten. Der Antragsteller hat zudem nicht dargetan, welche Tatsachen das Truppendienstgericht hätte aufklären müssen, welche Beweismittel ihm hierfür zur Verfügung gestanden hätten und wieso sich der Vorinstanz dies auch ohne entsprechende Beweisanträge hätte aufdrängen müssen. Dies gilt auch soweit die Nichtzulassungsbeschwerde Aufklärungsmängel im Zusammenhang mit der vom Truppendienstgericht erörterten, "analogen" Anwendung eines BMI-Erlasses auf nicht freigestellte Soldaten rügen sollte.

10 Dass die Vorinstanz den schriftsätzlichen Rechtsausführungen des Antragstellers nicht folgt, verletzt seinen Anspruch auf rechtliches Gehör nicht. Sie musste auch keine Tatsachen aufklären, auf die es - von ihrem Rechtsstandpunkt aus betrachtet - nicht ankam. Ebenso wenig musste sich das Truppendienstgericht mit dem nach seiner Rechtsauffassung unerheblichen Sachvortrag des Antragstellers auseinandersetzen. Dies gilt insbesondere, soweit der Antragsteller rügt, dass das Truppendienstgericht ausgehend von seinem - aus Sicht des Antragstellers unzutreffenden - Rechtsstandpunkt Teile seines Vorbringens nicht geprüft habe.

11 Nichts Anderes gilt, soweit der Antragsteller rügt, dass wegen seiner ehrenamtlichen Tätigkeiten keine ausreichende Tatsachengrundlage für eine Beurteilung vorgelegen habe, er rechtswidrig in seinem Ehrenamt behindert, in seinem beruflichen Fortkommen geschädigt worden sei und dass ihm in der angegriffenen Beurteilung Abwesenheitszeiten aufgrund des Ehrenamts nachteilig angerechnet bzw. benachteiligend vorgehalten worden seien. Die Beschwerdebegründung führt selbst aus, dass das Truppendienstgericht den Sachverhalt zu diesen Punkten wegen seines - aus Sicht des Antragstellers fehlerhaften - rechtlichen Ausgangspunktes nicht weiter aufgeklärt habe. Damit sind weder die Voraussetzungen einer Aufklärungsrüge noch einer Gehörsverletzung dargelegt.

12 Eine Gehörsverletzung liegt aus demselben Grund auch nicht darin, dass die Vorinstanz das Vorbringen aus Sicht des Antragstellers falsch gewertet oder abweichend von seinem Vortrag - aus Sicht des Antragstellers - unzutreffende rechtliche Schlüsse gezogen hat.

13 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO.