Beschluss vom 10.03.2009 -
BVerwG 2 WDB 3.08ECLI:DE:BVerwG:2009:100309B2WDB3.08.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 10.03.2009 - 2 WDB 3.08 - [ECLI:DE:BVerwG:2009:100309B2WDB3.08.0]

Beschluss

BVerwG 2 WDB 3.08

  • Truppendienstgericht Nord 2. Kammer - 18.09.2008 - AZ: TDG N 2 GL 17/08

In der Disziplinarsache hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts durch
den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Golze,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Müller und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Deiseroth
am 10. März 2009 beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Soldaten gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 2. Kammer des Truppendienstgerichts N. vom 18. September 2008 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Soldaten auferlegt.

Gründe

I

1 Der Soldat wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Vorsitzenden der 2. Kammer des Truppendienstgerichts N.

2 Der 52 Jahre alte Berufssoldat wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1999 zum Hauptmann ernannt und mit Wirkung vom 1. Juli 2007 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 12 eingewiesen. Seit dem 1. April 2008 gehört er zum Kraftfahrausbildungszentrum in U. Zuvor war er seit dem 3. April 2006 als Kompaniechef der Kraftfahrausbildungskompanie Fahrsimulator Kette in F. eingesetzt.

3 Wegen des Verdachts eines Dienstvergehens werden seit Februar 2008 von der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Wehrbereichskommandos ... disziplinare Vorermittlungen gegen den Soldaten geführt, die bisher nicht abgeschlossen wurden. Dem Soldaten wird vorgeworfen, in seiner Funktion als Leiter der Kraftfahrausbildungskompanie Fahrsimulator Kette in F. im Zeitraum vom 13. November 2006 bis zum 3. September 2007 an insgesamt 77 Diensttagen ohne Genehmigung dem Dienst ferngeblieben und an weiteren 21 Diensttagen im bezeichneten Zeitraum ungenehmigt erst ab 13.00 Uhr oder später zum Dienst erschienen zu sein sowie in mindestens 29 Fällen Dienstkraftfahrzeuge zu privaten Zwecken genutzt zu haben. Der Soldat bestreitet die Vorwürfe. In einer Stellungnahme des Verteidigers des Soldaten vom 4. Juli 2008 wird detailliert dargelegt, dass der Soldat an allen Tagen, an denen er ungenehmigt dem Dienst ferngeblieben sein soll, entweder Dienst geleistet oder genehmigten Urlaub in Anspruch genommen habe.

4 Mit Schriftsatz vom 17. September 2008 beantragte die Wehrdisziplinaranwaltschaft beim Vorsitzenden der 2. Kammer des Truppendienstgerichts N. eine Durchsuchung der Diensträume des Soldaten im Kraftfahrausbildungszentrum U. und die Beschlagnahme der Urlaubskartei des Soldaten, seiner Aufzeichnungen über Termine außerhalb seiner früheren Dienststelle in F. in den Jahren 2006 und 2007 sowie von Schriftstücken seiner früheren Dienststelle in F., die im Zusammenhang mit Dienstreisen des Soldaten in den Jahren 2006 und 2007 stehen, anzuordnen. Zur Begründung wird in dem Antrag ausgeführt, der Schriftsatz des Verteidigers beziehe sich auf Eintragungen in einem Kalender. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft gehe davon aus, dass sich dieser Kalender im Besitz des Soldaten in seinen Diensträumen in U. befinde. Ohne den Kalender sei eine Überprüfung der Einlassungen des Soldaten unmöglich, da sonstige Unterlagen, aus denen sich das Bewegungsbild des Soldaten nachzeichnen lasse, kaum noch vorhanden seien. Die Ermittlungen hätten ergeben, dass die Unterlagen seiner früheren Dienststelle nach deren Auflösung zum Logistikregiment ... in B. gelangt seien. Auf Anforderung aller relevanten Unterlagen habe das Logistikregiment ... aber lediglich Unterlagen übersenden können, die für das Verfahren nur in geringem Maße erheblich seien. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft gehe davon aus, dass sich neben dem Kalender weitere, für das Verfahren erhebliche Schriftstücke seiner früheren Dienststelle in F. im Besitz des Soldaten befänden, die im Zusammenhang mit Dienstreisen des Soldaten in den Jahren 2006 und 2007 stünden. Hinsichtlich des Urlaubs hätten die bisherigen Vorermittlungen ergeben, dass der Soldat Ende September 2007 einen verschlossenen Umschlag mit seiner Personalakte und seiner Urlaubskarte erhalten habe. Erst auf Nachfrage habe er Ende Februar/Anfang März 2008 die Personalakte an seinen Vorgesetzten ohne einen Umschlag übergeben. Von der Urlaubskarte fehle seither jede Spur. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft gehe davon aus, dass sich die Urlaubskartei noch im Besitz des Soldaten befinde. Sie sei zur Überprüfung der Einlassungen des Soldaten von wesentlicher Bedeutung.

5 Mit dem hier angefochtenen Beschluss vom 18. September 2008 ordnete der Vorsitzende der 2. Kammer des Truppendienstgerichts N. „gemäß § 91
Abs. 1 WDO i.V.m. §§ 102, 105, 94, 98 StPO“
1. die Durchsuchung des Soldaten
- seines Spindes einschließlich des Wertfaches;
- seiner privaten Kleidung und Behältnisse (Taschen, Koffer etc.) sowie der darin befindlichen Sachen;
- seines Privat-Kraftfahrzeuges;
- seiner Diensträume;
2. die Beschlagnahme der bei der Durchsuchung gefundenen privaten Sachen des Soldaten, soweit sie als Beweismittel (Urlaubskarteikarte mit Urlaubsscheinen, Kalender, Aufzeichnungen über Abwesenheiten von der Dienststelle in den Jahren 2006 und 2007, Nachweise über Dienstreisen in Jahren 2006 und 2007) zu dienen geeignet seien,

6 an. Vor Beginn der Durchsuchung seien dem Soldaten die dafür maßgeblichen Gründe mündlich zu eröffnen, soweit der Ermittlungszweck nicht gefährdet werde. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sei der Soldat vor der Durchführung der angeordneten Maßnahme zu befragen, ob er die gesuchten Unterlagen freiwillig herausgebe.

7 Zur Begründung heißt es in dem Beschluss, der Soldat sei des Dienstvergehens der unerlaubten und eigenmächtigen Abwesenheit von der Dienststelle in F. zwischen November 2006 und September 2007 an mehr als 70 Arbeitstagen verdächtig (Dienstvergehen gemäß § 23 Abs. 1 SG i.V.m. §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 SG). Die Durchsuchung des Soldaten und die Beschlagnahme der dabei gefundenen Privatsachen seien zur Aufklärung des Dienstvergehens notwendig. Es sei zu vermuten, dass bei dem Soldaten die abhanden gekommene Urlaubskartei und Aufzeichnungen über Dienstreisen bzw. Urlaubszeiten zu finden seien, da er in dem Schriftsatz seines Verteidigers vom 4. Juli 2008 sehr detaillierte Angaben zu Abwesenheiten habe machen können. Zur Überprüfung der Angaben sei die Einsichtnahme in die Unterlagen notwendig. Ohne die Beschlagnahme der Unterlagen bestehe die Gefahr einer möglichen vorherigen Veränderung der Dokumente.

8 Die Durchsuchung wurde am 22. September 2008 von dem Wehrdisziplinaranwalt mit Unterstützung einer Streife des Feldjägerdienstkommandos Münster in Abwesenheit des Soldaten, der sich zu diesem Zeitpunkt im Erholungsurlaub befand, vorgenommen. Als Zeugen waren ein Major und ein Oberleutnant anwesend. Bei der Durchsuchung der Unterkunft des Soldaten wurde im Spind eine schwarze Aktentasche gefunden, aus der folgende Gegenstände entnommen und beschlagnahmt wurden:
- G-Akte des Soldaten
- Briefumschlag mit der Aufschrift „Krankenakte“
- blauer Aktenordner
- Mappen mit diversen Schreiben
- eine Diskette mit Beurteilungen.

9 Im Dienstzimmer des Soldaten wurden einem dort aufgefundenen schwarzen Aktenkoffer folgende Gegenstände entnommen und beschlagnahmt:
- Nachweisliste über durchgeführte Prüfungen
- diverse Anschreiben (ZMK)
- diverse Schreiben.

10 Mit Schriftsatz vom 27. Oktober 2008, beim Truppendienstgericht N. eingegangen am selben Tage, legte der Verteidiger des Soldaten gegen den Beschluss vom 18. September 2008, dem Soldaten eröffnet am 25. September 2008, Beschwerde ein und führte zur Begründung aus, der Beschluss verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Im Tenor und in der Begründung des Beschlusses werde das Dienstvergehen des Soldaten ohne Not nicht ausreichend konkretisiert. Obwohl dem Soldaten nur vorgeworfen werde, an konkreten 77 Arbeitstagen der Dienststelle unentschuldigt ferngeblieben zu sein, werde im Tenor des Beschlusses die Beschlagnahme von Unterlagen „in den Jahren 2006 und 2007“ angeordnet. Durch die ungenaue Angabe werde es den Ermittlungsbehörden ermöglicht, auch hinsichtlich weiterer, nicht von den Ermittlungen erfasster Tage Beweise zur Ausforschung zu erheben. Stattdessen hätten die 77 Tage, die sich aus den Ermittlungsakten ergeben, einzeln aufgeführt werden müssen. Dies gelte auch dann, wenn man zur Auslegung des Beschlusstenors die Begründung mit heranziehe, in der von unerlaubter und eigenmächtiger Abwesenheit „zwischen November 2006 und September 2007“ die Rede sei. Diese Angabe ermögliche den Ermittlungsbehörden, auch hinsichtlich weiterer, nicht von den Ermittlungen erfasster Tage Beweise zur Ausforschung zu erheben. Auch bei einschränkender Auslegung des Beschlusses ermögliche dieser, hinsichtlich von 154 Arbeitstagen, das seien rechnerisch zwei Drittel des genannten Zeitraums, Ausforschungen zu betreiben. Dies sei offensichtlich unverhältnismäßig und damit rechtswidrig.

11 Der Beschluss sei auch deswegen aufzuheben, weil er dem Soldaten unterstelle, er habe die abhanden gekommene Urlaubskartei an sich genommen. Diese Unterstellung sei durch nichts gerechtfertigt.

12 Nicht nachvollziehbar sei darüber hinaus die im angefochtenen Beschluss enthaltene Unterstellung, ohne die Beschlagnahme der Unterlagen bestehe die Gefahr einer möglichen vorherigen Veränderung der Dokumente. Logisch wäre allein die Annahme, dass der Soldat - sollte er tatsächlich Veränderungen an den vorbezeichneten Dokumenten vorgenommen haben - dies vor Einreichen der Einlassung vom 4. Juli 2008 getan hätte. Die Gefahr einer Veränderung der Dokumente nach dem 4. Juli 2008 sei demgegenüber nicht gegeben. Die Argumentation einer solchen Gefahr verstoße folglich gegen die Denkgesetze und rechtfertige ebenfalls nicht die Anordnung der Beschlagnahme der in Rede stehenden Dokumente.

13 Der Vorsitzende der 2. Kammer des Truppendienstgerichts N. hat der Beschwerde mit Verfügung vom 30. Oktober 2008 nicht abgeholfen und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

14 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Akten, insbesondere die Akte des Truppendienstgerichts N. (...), der Ermittlungsakte der Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des Wehrbereichskommandos ... (...), die Personalgrundakte des Soldaten (Teile A bis D) und die Personalnebenakte des Kraftfahrausbildungszentrums MKL U. (...) Bezug genommen, die dem Senat bei der Entscheidung vorlagen.

II

15 Der Senat entscheidet gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 WDO in der Besetzung von drei Richtern.

16 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.

17 1. Die Beschwerde ist zulässig.

18 a) Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 WDO ist gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts und gegen richterliche Verfügungen die Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht gegeben, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Nach der systematischen Stellung der Vorschrift im Dritten Abschnitt des Gesetzes regelt sie das Rechtsmittel gegen Beschlüsse und richterliche Verfügungen im Rahmen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens (vgl. Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 114 Rn. 2). Dazu gehören auch die in § 92 WDO und damit ebenfalls im Dritten Abschnitt des Gesetzes geregelten Vorermittlungen der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Die Rechtsmittelvorschrift des § 114 WDO ist daher auch auf gerichtliche Entscheidungen im Rahmen eines Vorermittlungsverfahrens anzuwenden (vgl. auch Beschluss vom 19. April 2000 - BVerwG 2 WDB 2.00 - Buchholz 235.0 § 16 WDO Nr. 1 = NZWehrr 2000, 209). Soweit nach § 114 Abs. 1 Satz 2 WDO Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen, von der Statthaftigkeit der Beschwerde ausgenommen sind, betrifft dies ausdrücklich nicht Entscheidungen über eine Beschlagnahme oder Durchsuchung.

19 b) Die Beschwerde wurde form- und fristgerecht eingelegt. Nach § 114 Abs. 2 Satz 1 WDO ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Truppendienstgericht einzulegen. Der angefochtene Beschluss wurde dem Soldaten am 25. September 2008 bekannt gegeben. Die Frist endete daher am Montag, dem 27. Oktober 2008 (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 43 StPO). An diesem Tag ging die Beschwerde per Telefax beim Truppendienstgericht N. ein. Damit war zugleich die Schriftform (§ 114 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 112 Satz 1 WDO) gewahrt.

20 c) Für die Beschwerde besteht auch ein Rechtsschutzinteresse. Zulässigkeitsvoraussetzung für die Beschwerde nach § 114 Abs. 1 WDO ist, dass die angefochtene Entscheidung sich nicht erledigt hat, sondern noch Wirkung auf das weitere Verfahren entfalten kann (stRspr., vgl. die Nachweise bei Dau, a.a.O. Rn. 9). Dies ist hier der Fall. Die aufgrund der Durchsuchung beschlagnahmten Gegenstände können im weiteren Verlauf des gerichtlichen Disziplinarverfahrens gegen den Soldaten verwendet werden. Die Durchsuchung und Beschlagnahme haben sich daher nicht erledigt.

21 2. Die Beschwerde ist aber unbegründet. Der angefochtene Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Vorsitzenden der 2. Kammer des Truppendienstgerichts N. vom 18. September 2008 ist rechtmäßig.

22 a) Der Beschluss findet seine Rechtsgrundlage allerdings nicht in den Bestimmungen über die Strafprozessordnung i.V.m. § 91 Abs. 1 WDO, sondern in § 20 WDO. Die Regelung des § 20 WDO über die Durchsuchung und Beschlagnahme steht im Ersten Abschnitt (Allgemeine Bestimmungen) des Zweiten Teils (Ahndung von Dienstvergehen durch Disziplinarmaßnahmen) der Wehrdisziplinarordnung und gilt daher nach allgemeiner Systematik für alle Arten der in den folgenden Abschnitten des Zweiten Teils geregelten Disziplinarverfahren. Als spezielle Regelung über Durchsuchung und Beschlagnahme in der Wehrdisziplinarordnung geht die Vorschrift dem lediglich ergänzenden und damit subsidiären Verweis in § 91 Abs. 1 WDO auf die Vorschriften der Strafprozessordnung vor, zumal § 20 Abs. 5 WDO nur einzelne aufgezählte Vorschriften der Strafprozessordnung für entsprechend anwendbar erklärt. Dies schließt die Bezugnahme auf weitere Vorschriften der Strafprozessordnung über Durchsuchung und Beschlagnahme im Rahmen von Disziplinarverfahren aller Art nach der Wehrdisziplinarordnung aus (unklar insoweit Dau, a.a.O. § 20 Rn. 38). Weder dem Wortlaut noch der Systematik des § 20 Abs. 5 WDO lassen sich Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass diese Vorschrift nur auf Beschlagnahmen durch den Disziplinarvorgesetzten im Rahmen einfacher Disziplinarmaßnahmen, nicht aber auf Maßnahmen im Rahmen eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens Anwendung finden soll. Nichts anderes folgt aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, insbesondere aus der Begründung (BTDrucks 14/4660 S. 26 f. zu Nr. 20 a.E.) des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zu dem Zweiten Gesetz zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts und zur Änderung anderer Vorschriften, durch das § 20 WDO seine jetzige Fassung erhalten hat. Die dortigen Ausführungen zu Absatz 5 verdeutlichen nur, dass die Verweisung auf einzelne Vorschriften der Strafprozessordnung trotz des subsidiären Verweises in § 91 Abs. 1 WDO erforderlich ist, weil § 91 Abs. 1 WDO nur im Rahmen gerichtlicher Disziplinarverfahren, nicht aber für einfache Disziplinarmaßnahmen gilt. Dies ändert nichts daran, dass § 20 Abs. 5 WDO gegenüber § 91 Abs. 1 WDO eine Spezialregelung enthält, die die uneingeschränkte entsprechende Anwendung der Vorschriften der Strafprozessordnung über die Durchsuchung und Beschlagnahme verdrängt.

23 b) Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO liegen vor.

24 aa) Die Maßnahme sollte zur Aufklärung eines Dienstvergehens, nämlich des Verdachts der unerlaubten und eigenmächtigen Abwesenheit von der Dienststelle und der Benutzung von Dienstfahrzeugen zu privaten Zwecken dienen. Für diesen Verdacht lagen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte vor, weil der Soldat durch Zeugenaussagen belastet wurde. Die den Zeugenaussagen widersprechenden Einlassungen des Soldaten standen diesen Vorwürfen zwar entgegen, vermochten den Verdacht jedoch nicht auszuräumen. Zudem wurde der gegen den Soldaten bestehende Anfangsverdacht hinsichtlich der ungenehmigten Nutzung von Dienstfahrzeugen durch die Dienstliche Erklärung von Oberst i.G. Meixner vom 2. September 2008 bestätigt.

25 bb) Die Anordnung erging auf Antrag eines Disziplinarvorgesetzten. Disziplinarvorgesetzter (§ 1 Abs. 4 SG) ist auch die Einleitungsbehörde. Soweit diese nach § 92 Abs. 1 Satz 1 WDO den Wehrdisziplinaranwalt um die Vornahme von Vorermittlungen ersucht, für die nach § 92 Abs. 2 WDO die allgemeinen Ermittlungsgrundsätze des § 97 WDO entsprechend gelten, handelt der Wehrdisziplinaranwalt als Vertreter der Einleitungsbehörde (vgl. § 81 Abs. 2 Satz 1 WDO) und ist deswegen auch befugt, im Rahmen der Vorermittlungen die Anordnung einer Durchsuchung und Beschlagnahme beim Truppendienstgericht zu beantragen (a.A. Dau, WDO, 5. Aufl. 2009, § 20 Rn. 8). Im Übrigen ist den Gesetzesmaterialien (a.a.O.) kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass durch die Neufassung des jetzigen § 20 WDO den Wehrdisziplinaranwälten eine geringere Befugnis als nach der früheren Regelung des § 16 Abs. 1 WDO a.F. zustehen sollte, hinsichtlich derer es der allgemeinen Auffassung entsprach, dass die Wehrdisziplinaranwaltschaft zur Beantragung von Durchsuchungen und Beschlagnahmen befugt war (vgl. Beschluss vom 19. April 2000 a.a.O. und Dau, a.a.O.).

26 cc) Der angefochtene Beschluss ist auch nicht deswegen zu beanstanden, weil er u.a. die Durchsuchung des Spindes einschließlich des Wertfaches des Soldaten und damit die Durchsuchung seiner dienstlichen Unterkunft anordnete. Bei der dienstlichen Unterkunft handelt es sich nicht um eine Wohnung im Sinne des § 20 Abs. 1 WDO und zwar unabhängig davon, ob der jeweilige Soldat zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet ist, oder ob er dort freiwillig wohnt (so auch TDG Süd, Beschluss vom 10. Mai 2006 - S 10 GL 3/06 - NZWehrr 2006, 255 mit zustimmender Anmerkung Eiben, a.a.O. S. 257 f.).

27 (1) Der Begriff „Wohnung“ in § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO ist nicht notwendigerweise mit dem des Art. 13 Abs. 1 GG identisch (so aber TDG Süd, a.a.O.; Eiben, a.a.O.; Dau, a.a.O. Rn. 12), insbesondere folgt dies nicht aus der „Einheitlichkeit der Rechtsordnung“. Der (verfassungsrechtliche) Wohnungsbegriff des Art. 13 GG deckt sich nicht stets mit den Begriffen, wie sie in gesetzlichen Bestimmungen zu Unterkünften und Wohnraum verwendet werden (Ziekow/Guckelberger, in: Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Stand Dezember 2008, Art. 13 Rn. 36 m.w.N.). Der Gesetzgeber ist in seiner Begriffswahl insoweit nicht beschränkt. So ist etwa der Begriff des Wohnraums, der auch eine Wohnung sein kann, im Wohnraumförderungsgesetz erheblich enger als der Schutzbereich des Art. 13 GG (vgl. § 17 Abs. 1 WoFG).

28 (2) Vorliegend kann offenbleiben, ob Gemeinschaftsunterkünfte von Soldaten vom Begriff „Wohnung“ des Art. 13 Abs. 1 GG erfasst werden, was in Rechtsprechung und im Fachschrifttum umstritten ist (vgl. Hermes, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2004, Art. 13 Rn. 18; verneinend: BGH, Urteil vom 24. Juli 1998 - 3 StR 78/89 - NJW 1998, 3284 <3285>; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Stand Oktober 2008, Art. 13 Rn. 10; Hömig, GG, 8. Aufl. 2007, Art. 13 Rn. 5; bejahend: Berkemann, in: AK-GG, 3. Aufl. 2001, Art. 13 Rn. 45; Walz in: Walz/Eichen/Sohm, SG, 2006, § 18 Rn. 14, wohl auch Scherer/Alff/Poretschkin, SG, 8. Aufl. 2008, § 18 Rn. 3a, anders noch 7. Aufl. Rn. 3). Selbst wenn Gemeinschaftsunterkünfte von Soldaten als vom Schutzbereich des Art. 13 GG umfasst anzusehen sein sollten, entspräche die Regelung des § 20 WDO, wonach Durchsuchungen nur auf Anordnung eines Richters oder bei Gefahr im Verzuge vorgenommen werden dürfen, den grundgesetzlichen Anforderungen. Die frühere Regelung der Wehrdisziplinarordnung in § 16 WDO a.F., die keinerlei Beschränkung hinsichtlich von Wohnräumen enthielt, war daher mit Art. 13 GG vereinbar (BVerwG, Beschluss vom 19. April 2000 - 2 WDB 2.00 - Buchholz 235.0 § 16 WDO Nr. 1 = NZWehrr 2000, 333). Dass die Voraussetzungen für die Annahme einer Gefahr im Verzuge in § 20 Abs. 2 WDO mit denen des Art. 13 Abs. 2 GG übereinstimmen, hat der Senat bereits entschieden (Urteil vom 15. Oktober 2008 - BVerwG 2 WD 16.07 - <zur Veröffentlichung in BVerwGE und in Buchholz vorgesehen>).

29 (3) Entscheidungserheblich ist daher allein die Frage, ob die Einschränkung des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO, wonach Durchsuchungen und Beschlagnahmen „nur außerhalb von Wohnungen“ vorgenommen werden dürfen, auch die Durchsuchung von Räumen in Gemeinschaftsunterkünften ausschließt. Die ist nach Auffassung des Senats zu verneinen (ebenso TDG Süd, a.a.O.; Eiben, a.a.O.; Dau, a.a.O. § 20 Rn. 12). Dass Gemeinschaftsunterkünfte nicht generell aus dem Anwendungsbereich des § 20 WDO herausgenommen werden sollten, zeigt schon die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BTDrucks 14/4660 S. 26 zu Nr. 20). Dort heißt es, dass die Gemeinschaftsunterkunft, in der ein Soldat aufgrund rechtlicher Verpflichtung wohnt, keine Wohnung ist. Soweit nach der Entwurfsbegründung für Wohnräume von Soldaten, „die von ihrer Verpflichtung zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft befreit sind oder die freiwillig in einer Gemeinschaftsunterkunft oder in militärischen Liegenschaften wohnen“, etwas anderes gelten soll, vermag sich der Senat dieser Differenzierung jedenfalls hinsichtlich der Gemeinschaftsunterkünfte nicht anzuschließen. Sie hat im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag gefunden. Im Unterschied zu § 25 Abs. 2 Satz 2 WDO, der ausdrücklich auf die Verpflichtung zum Wohnen in der Gemeinschaftsunterkunft abstellt, lässt sich dem Normtext des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO eine Anknüpfung an dieses Merkmal gerade nicht entnehmen. Die in der Entwurfsbegründung vorgenommene Differenzierung zwischen freiwillig und aufgrund dienstlicher Anordnung in der Gemeinschaftsunterkunft wohnenden Soldaten ist auch nicht nachvollziehbar, zumal sie im Übrigen zu erheblichen praktischen Problemen führen kann (vgl. Walz, a.a.O.; TDG Süd, Beschluss vom 10. Mai 2006 a.a.O.; Eiben, a.a.O.). Ein spezifischer Regelungszweck, der die in der Entwurfsbegründung erwähnte Differenzierung erfordert oder zumindest nahelegt, ist nicht ersichtlich. Mit der Herausnahme der Wohnungen aus dem Anwendungsbereich des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO wollte der Gesetzgeber offenbar in Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. April 2000 (a.a.O.; vgl. Eiben, a.a.O.) Wohnungen außerhalb der militärischen Liegenschaften und Familienwohnungen, die innerhalb der militärischen Liegenschaften zur Verfügung gestellt werden, von der Durchsuchungsmöglichkeit durch den Disziplinarvorgesetzten ausnehmen, weil derartige Durchsuchungen regelmäßig auch Personen betreffen können, die nicht der Bundeswehr angehören. Insoweit sollte es bei den allgemeinen Bestimmungen der Strafprozessordnung und der danach gegebenen alleinigen Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden verbleiben. Soweit nur der Verdacht eines Dienstvergehens, nicht aber einer Straftat vorliegen sollte, erscheint die Durchsuchung solcher Privaträume unverhältnismäßig. Das ist jedoch bei Gemeinschaftsunterkünften innerhalb militärischer Liegenschaften nicht der Fall, und zwar unabhängig von dem Rechtsgrund für die Nutzung der Unterkunft.

30 c) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers waren die Bezeichnung der zu durchsuchenden Gegenstände und insbesondere die Beschlagnahmeanordnung hinreichend konkret und bedurften insbesondere keiner weitergehenden Beschränkung.

31 aa) Der Soldat steht im Verdacht, zwischen November 2006 und September 2007 an insgesamt 77 Tagen dem Dienst unerlaubt ferngeblieben zu sein. Die Beschlagnahmeanordnung ausschließlich auf Unterlagen zu beschränken, die sich auf diese 77 Tage beziehen, kam schon deswegen nicht in Betracht, weil u.a. die möglicherweise aufgefundenen Kalender für die Jahre 2006 und 2007 beschlagnahmt werden sollten, die nur insgesamt und nicht hinsichtlich einzelner Seiten beschlagnahmt werden konnten. Im Übrigen wäre es auch völlig unpraktikabel gewesen, während der Durchsuchung jedes Schriftstück vor der Beschlagnahme im Einzelnen darauf zu überprüfen, ob das Datum mit einem der in der Liste aufgeführten 77 Tage übereinstimmte. Die weitergehende Formulierung in der Beschlagnahmeanordnung diente daher nicht einer abstrakten Ausforschung, vielmehr trug sie dem aufgrund der Meldung und den vorliegenden Zeugenaussagen hinreichend konkreten Tatverdacht Rechnung. Im Übrigen hat die Beschwerde auch nach Durchführung der Beschlagnahme keine konkreten Gegenstände bezeichnet, die beschlagnahmt worden wären, ohne dass sie als Beweismittel in Betracht kämen. Soweit sich bei Auswertung der Unterlagen über die bisher verfolgten Dienstpflichtverletzungen des Soldaten hinaus weitere Anhaltspunkte für Dienstpflichtverletzungen ergeben sollten, würde dies nicht zur Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Beschlusses führen (vgl. zur Rechtmäßigkeit von „Zufallsfunden“ auch § 108 Abs. 1 StPO).

32 bb) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers bestand auf der Grundlage der bis dahin durchgeführten Untersuchungen auch ein hinreichender Verdacht, dass er im Besitz der bei seiner Dienststelle nicht auffindbaren Urlaubskarteikarte sein könnte. Nach den vorliegenden Zeugenaussagen ist dem Soldaten bei seiner früheren Dienststelle die Urlaubskarteikarte zusammen mit den Personalnebenakten in einem verschlossenen Umschlag übergeben worden. Dieser Umschlag ist entgegen der Einlassung des Soldaten nicht umgehend bei der neuen Dienststelle abgegeben worden, sondern erst einige Monate später auf ausdrückliche Aufforderung, wobei der Umschlag gefehlt habe und die Urlaubskarteikarte nicht bei den übrigen Unterlagen gewesen sei. Dass dies den Verdacht ausreichend begründen kann, der Soldat könnte die Karteikarte entnommen haben, um Unregelmäßigkeiten nicht mehr nachvollziehbar zu machen, liegt entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht völlig fern. Soweit mit der Beschwerde in diesem Zusammenhang auch Ausführungen bei einer Vernehmung des Soldaten im Auftrag des Wehrdisziplinaranwalts gerügt werden, hat dies mit der vorliegenden Beschwerde ersichtlich nichts zu tun.

33 cc) Die Annahme des Vorsitzenden des Truppendienstgerichts, ohne die Beschlagnahme der Unterlagen bestehe die Gefahr der vorherigen Veränderung der Unterlagen, widerspricht entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht den Denkgesetzen. Zwar mag es „geschickt“ sein, vor einer detaillierten Einlassung zu den Vorwürfen Unterlagen, aus denen sich die Unwahrheit der Einlassung ergeben könnte, zu verändern oder zu vernichten. Ein solches Verhalten entspricht aber keineswegs der Lebenserfahrung. Vielmehr werden sehr häufig bei Durchsuchungen noch Unterlagen entdeckt, aus denen sich strafbares Verhalten ergibt, obwohl es aus der Sicht des Straftäters angezeigt gewesen wäre, diese Unterlagen nicht aufzubewahren. Von dieser Möglichkeit durfte der Vorsitzende des Truppendienstgerichts daher auch im vorliegenden Fall ausgehen.

34 d) Wegen der Schwere des erhobenen Tatvorwurfs waren die angeordnete Durchsuchung und die Beschlagnahme von Beweismitteln auch nicht unverhältnismäßig. Denn der Soldat muss bei Erweislichkeit der Vorwürfe mit einer erheblichen Disziplinarmaßnahme rechnen. Im Übrigen hat das Truppendienstgericht ausdrücklich angeordnet, dass vor Durchführung der Durchsuchung und Beschlagnahme dem Soldaten Gelegenheit zu geben sei, die gesuchten Gegenstände freiwillig herauszugeben. Auch so hätte er die Durchsuchung vermeiden können. Dass es dazu schon deswegen nicht gekommen ist, weil die Durchsuchung während der Urlaubsabwesenheit des Soldaten durchgeführt wurde, betrifft nicht die Rechtmäßigkeit der gerichtlich angeordneten Durchsuchung und Beschlagnahme, sondern allenfalls deren konkrete Durchführung durch den ermittelnden Wehrdisziplinaranwalt. Diese ist aber nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens.

35 Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2 WDO.