Beschluss vom 12.02.2004 -
BVerwG 6 B 70.03ECLI:DE:BVerwG:2004:120204B6B70.03.0

Beschluss

BVerwG 6 B 70.03

  • VGH Baden-Württemberg - 26.06.2003 - AZ: VGH 14 S 2775/02

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Februar 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. B a r d e n h e w e r und die Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. H a h n und Dr. G r a u l i c h
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 26. Juni 2003 wird zurückgewiesen.
  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der das Berufungsurteil abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen verleihen der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
aa) Mit ihrer ersten Frage möchte die Klägerin geklärt wissen, wie das in § 1 Abs. 1 Satz 2 des Heimgesetzes (HeimG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 5. November 2001 (BGBl I S. 2970) mit Änderung durch Gesetz vom 23. Juli 2002 (BGBl I S. 2850) enthaltene, Heime im Sinne dieses Gesetzes mit bestimmende Merkmal der Zweckbestimmung zu verstehen ist, namentlich, ob hier die "Selbsteinschätzung" des Betreibers (Trägers) berücksichtigt werden muss. Die Klägerin zeigt jedoch nicht auf, warum diese Frage grundsätzlich bedeutsam sein soll und deshalb in einem Revisionsverfahren geklärt werden muss. Sie führt lediglich aus, dass eine höchstrichterliche Rechtsprechung nicht vorliegt. Ein solcher Umstand allein führt noch nicht zur Annahme der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Rechtsfragen, die sich nach dem Wortlaut des Gesetzes bereits eindeutig beantworten lassen, haben keine rechtsgrundsätzliche, die Zulassung eines Revisionsverfahrens rechtfertigende Bedeutung. So liegt es hier.
Schon aus dem Wortlaut der Vorschrift folgt, dass es auf den Zweck ankommt, dem die Einrichtung dient, nicht auf den Zweck, den der Träger ausgesprochen oder unausgesprochen mit der Einrichtung verfolgt, wenn dieser nicht in den objektiven Gegebenheiten, namentlich der sächlichen und personellen Ausstattung der Einrichtung sowie den erbrachten Leistungen gegenüber den Bewohnern, zum Ausdruck kommt. Das wird bestätigt durch die Regelung des § 1 Abs. 2 HeimG, die ebenfalls objektive Kriterien verwendet, um den Anwendungsbereich des Gesetzes abzugrenzen. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs, die er mangels Vorliegens von Heimverträgen nach den von ihm im Einzelnen gewürdigten Umständen getroffen hat, verfolgt die Einrichtung, welche die Klägerin betreibt, die Zwecke, die in § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG benannt sind.
bb) Die Klägerin möchte ferner den Begriff der Betreuung in § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG einer Klärung in einem Revisionsverfahren zugeführt sehen, insbesondere, ob die von der Klägerin während der Nachtstunden gegenüber den Bewohnern erbrachten "altruistischen Tätigkeiten" (Hilfe beim Gang zur Toilette, Unterstützung beim Essen) als Betreuung zu verstehen seien. Die Klägerin greift mit dieser Frage die einschlägigen Feststellungen des Berufungsgerichts nur selektiv auf und kommt dadurch zu einer Frage, die sich dem Berufungsgericht so nicht gestellt hat und daher auch nicht zur Zulassung der Grundsatzrevision führen kann.
Der Verwaltungsgerichtshof ist davon ausgegangen, dass Betreuung Pflege einschließt, aber deutlich darüber hinausgeht. Durch Betreuung werde dem auf Grund von Alter, Behinderung oder Krankheit in seiner körperlichen und/oder geistigen Leistungsfähigkeit eingeschränkten Personenkreis allgemein unterstützend zur Seite gestanden und geholfen, die durch die genannten Lebensumstände bedingten Erschwernisse bei der Bewältigung des Alltags zu überwinden. Diese Ausführungen entsprechen der Gesetzesbegründung (BTDrucks 14/5399 S. 18) und sind revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden, sie werden von der Klägerin als solche auch nicht in Frage gestellt.
Im Rahmen der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse führt das Berufungsgericht aus, dass die Bewohner zwar externe Pflegedienste in Anspruch nehmen, womit indessen der Pflege- und allgemeine Betreuungsbedarf nicht vollständig abgedeckt sei. Bei Personen, bei denen zwar nicht ununterbrochen, sondern lediglich zu bestimmten Zeiten, dies jedoch kontinuierlich über den ganzen Tag ("rund um die Uhr"), ein konkreter Pflegebedarf bestehe, sei gerade auch während der Nachtstunden ein Ansprechpartner nötig. Diese Aufgabe, die bei häuslicher Pflege im familiären Umfeld in aller Regel einem Familienmitglied obliege, übernehme die Klägerin. So mache sie nachts ihre Rundgänge, um sich des Wohlergehens der pflegebedürftigen Bewohner zu vergewissern. Diese seien nicht etwa deswegen entbehrlich, weil der Pflegedienst auch zur Nachtzeit bei Bedarf zum Einschreiten verpflichtet sei. Schon die Feststellung einer solchen Notwendigkeit erfordere eine sachkundige Einschätzung. Die Klägerin helfe den Bewohnern des Weiteren bei Bedarf beim Gang auf die Toilette und unterstütze sie beim Essen. Auch sei bei bettlägerigen Personen eine durchgängige intensive Betreuung geboten, die allein ein Pflegedienst mit seinem engen Zeitbudget nicht leisten könne. Die Klägerin trage diesen Erfordernissen Rechnung. Unter diesen Umständen beschränkt sich die Betätigung der Klägerin nicht auf die von ihr in der Beschwerdebegründung hervorgehobene Hilfe beim Gang auf die Toilette und Betreuung beim Essen, so dass sich die von ihr aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen kann. Außerdem zielt die Frage auf die besonderen Umstände des vorliegenden Verfahrens, so dass eine fallübergreifende Problematik nicht erkennbar ist.
cc) Die weitere Frage, ob für die Erfüllung des Begriffes des Aufnehmens im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 HeimG ein formalisierter Aufnahmeakt entbehrlich ist, kann ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens bejaht werden, weil ihre Beantwortung offensichtlich ist. Das Erfordernis der Einhaltung bestimmter Formerfordernisse (§ 5 HeimG) ist an den Inhalt des abzuschließenden Vertrages geknüpft, der Inhalt wird hingegen nicht durch die Form bestimmt. Hinge die Beurteilung eines Vertrages als Heimvertrag davon ab, dass die Form des § 5 HeimG gewahrt wird, wäre es stets allein durch den Abschluss mündlicher Vereinbarungen möglich, die Anwendung des Heimgesetzes zu verhindern. Damit hinge die Erreichung der mit dem Gesetz verfolgten Schutzzwecke zu Gunsten der Bewohner von dem Belieben des Heimbetreibers ab.
dd) Die Klägerin möchte ferner geklärt wissen, ob für die Anwendbarkeit des Heimgesetzes die steuerliche Behandlung des Betriebes ohne jegliche Bedeutung ist. Sie vertritt die Auffassung, dass Entscheidungen der Steuerbehörden über eine Steuerbefreiung die heimrechtliche Beurteilung binden müssten. Auch die Beantwortung dieser Frage erfordert nicht die Durchführung eines Revisionsverfahrens. Abgesehen davon, dass das Berufungsgericht keine steuerrechtliche Beurteilung der von der Klägerin betriebenen Einrichtung festgestellt hat, die Bezug zur Annahme eines Heimes haben könnte, ergibt sich aus der auch spezifisch gewerbeordnungsrechtlichen Zielsetzung des Heimgesetzes (vgl. § 24 HeimG), das für gewerbsmäßig betriebene Heime gewerberechtliches Spezialrecht darstellt (vgl. dazu bereits BTDrucks 7/180 S. 13 zu § 17 des Regierungsentwurfs zum Heimgesetz), dass die Anwendung seiner Bestimmungen nicht von einer Entscheidung in anderen Regelungsbereichen abhängen darf. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits zum allgemeinen Gewerberecht entschieden, dass die gewerberechtliche Beurteilung eines Betriebes nicht von etwa abweichenden Grundsätzen in anderen Rechtsbereichen abhängt (Urteil vom 26. Januar 1993 - BVerwG 1 C 25.91 - Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 5 = GewArch 1993, 196). Damit setzt sich die Beschwerde nicht auseinander und macht daher nicht deutlich, dass insoweit weiterer Klärungsbedarf bestehen könnte.
ee) Die Frage, ob die Beklagte berechtigt ist, dem Heimträger bereits vor einer Kündigung der Verträge mit den Bewohnern die Verpflichtungen nach § 8 Abs. 7 HeimG (Nachweis einer angemessenen anderweitigen Unterkunft und Betreuung, Übernahme von Umzugskosten) aufzugeben, kann unter den Umständen des Falles ebenfalls ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens bejahend beantwortet werden. Mit Bestandskraft oder sofortiger Vollziehbarkeit einer Untersagungsverfügung nach § 19 HeimG muss der Träger den Betrieb des Heimes einstellen. Die Einstellung erfordert, dass die Verträge mit den Heimbewohnern beendet werden. Dafür sieht § 8 Abs. 3 Nr. 1 HeimG die Kündigung vor, unter den Voraussetzungen des § 8 Abs. 10 HeimG erfolgt stattdessen die Erklärung, dass das Heimverhältnis gelöst ist. In beiden Fällen greifen die Verpflichtungen nach § 8 Abs. 7 Sätze 1 und 2 HeimG ein. Eine Vereinbarung, die zum Nachteil der Bewohner davon abweicht, ist gemäß § 9 HeimG unwirksam. Der Klägerin steht es also nicht frei, zum Nachteil der Heimbewohner eine anderweitige Beendigung des Heimverhältnisses zu bewirken. Die Konkretisierung der gesetzlichen Regelungen durch Verwaltungsakt ist jedenfalls dann nicht zu beanstanden, wenn der Träger das Vorliegen eines Heimes und damit seiner Verpflichtungen aus dem Heimgesetz leugnet, wie es hier der Fall ist, und der Betrieb des Heimes untersagt wird. In der Ermächtigung zur Untersagung des Betriebs liegt in derartigen Fällen zugleich die Ermächtigung zur Anordnung der damit verbundenen Folgemaßnahmen. Das folgt aus Sinn und Zweck der Befugnis zur Untersagung, die bei ihrer Erforderlichkeit letztlich vor allem dem Schutz der gegenwärtigen Heimbewohner dient, der die Einhaltung der Folgeverpflichtungen, die ebenfalls deren Schutz dient, einschließt.
b) Die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegen nicht vor.
aa) Das Berufungsgericht hat es nicht verfahrensfehlerhaft unterlassen, die Bewohner der Einrichtung der Klägerin beizuladen. Ein Fall notwendiger Beiladung (§ 65 Abs. 2 VwGO) ist nicht gegeben. An dem Rechtsverhältnis der Klägerin und der Beklagten in Bezug auf die der Klägerin gegenüber erlassenen heimrechtlichen Verfügung sind die Bewohner nicht beteiligt. Durch die Entscheidung über den Antrag der Klägerin wird nicht unmittelbar in Rechte der Bewohner eingegriffen. Es handelt sich nicht um die Anfechtung eines Verwaltungsaktes mit unmittelbarer Drittwirkung. Derartiges legt auch die Beschwerde nicht dar. Das Absehen von einer einfachen Beiladung stellt keinen Verfahrensfehler dar, auf dem das Berufungsurteil beruhen kann (Beschluss vom 7. Februar 1995 - BVerwG 1 B 14.95 - Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 117).
bb) Die Darlegung des Verfahrensmangels ungenügender Sachaufklärung (§ 86 Abs. 1 VwGO) erfordert die substantiierte Erklärung, hinsichtlich welcher tatsächlicher Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265). Die Klägerin legt weder dar, welche tatsächlichen Umstände durch Anhörung der Bewohner des Hauses oder die Einnahme des Augenscheins hätten ermittelt werden müssen, noch welches Ergebnis die Ermittlungen voraussichtlich gehabt hätten. Außerdem legt sie nicht dar, warum sich dem Verwaltungsgerichtshof trotz des Fehlens der Anregung entsprechender Ermittlungen in der mündlichen Verhandlung deren Notwendigkeit hätte aufdrängen müssen.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 14, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.