Beschluss vom 12.04.2006 -
BVerwG 7 B 30.06ECLI:DE:BVerwG:2006:120406B7B30.06.0

Beschluss

BVerwG 7 B 30.06

  • VGH Baden-Württemberg - 22.11.2005 - AZ: VGH 10 S 1208/04

In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. April 2006
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Herbert und Guttenberger
beschlossen:

  1. Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 22. November 2005 wird zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
  3. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 511 € festgesetzt.

Gründe

1 Der Kläger wendet sich gegen einen Leistungsbescheid, durch den er zu Kosten herangezogen wurde, die im Zusammenhang mit der Rückführung in den Libanon verbrachter Abfälle entstanden sind. Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben, weil der Kläger nicht i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG rückführungspflichtig sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klage abgewiesen; der Kläger sei als Zweckveranlasser in sonstiger Weise an der illegalen Abfallverbringung beteiligt gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.

2 Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, wie der in § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG verwendete Rechtsbegriff „in sonstiger Weise beteiligt“ auszulegen ist, wäre in dieser Allgemeinheit aus Anlass des vorliegenden Falles nicht zu beantworten. Für eine Entscheidung im Revisionsverfahren wäre allein erheblich, ob die vom Verwaltungsgerichtshof festgestellte und in den Gründen des angegriffenen Urteils eingehend begründete Mitverantwortlichkeit des Klägers für eine illegale Abfallverbringung den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG erfüllt. Die so beschränkte Frage ist anhand des Gesetzes nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen zu bejahen, ohne dass es hierfür der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.

3 Bei einer illegalen Abfallverbringung wiedereinfuhrpflichtig ist nach § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG derjenige, der die illegale Verbringung veranlasst, vermittelt oder durchgeführt hat oder in sonstiger Weise an ihr beteiligt war, sowie unter besonderen Voraussetzungen der Erzeuger. Der Kreis der hiernach Pflichtigen bestimmt sich dem Normzweck entsprechend nach ordnungsrechtlichen, nicht nach strafrechtlichen Grundsätzen. Das folgt, wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, aus dem Zweck der Wiedereinfuhrpflicht, die nach Art. 26 Abs. 2 EG-AbfVerbrV und nach dem Basler Übereinkommen der Beseitigung einer ordnungsrechtlichen Störung im Ausland dient. Mit der Regelung wurde eine bei der grenzüberschreitenden Abfallverbringung auftretende Lücke geschlossen, die darin bestand, dass das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht auf die Beseitigung ordnungsrechtlicher Störungen im Inland beschränkt war. Es ist deshalb nicht zweifelhaft, dass die Handlungsverantwortlichkeit i.S.d. Art. 26 Abs. 2 EG-AbfVerbrV in Übereinstimmung mit den Grundsätzen des innerstaatlichen Polizei- und Ordnungsrechts nach den Maßstäben der Verhaltenshaftung zu bestimmen ist (vgl. Szelinski/Schneider, Grenzüberschreitende Abfallverbringungen, 1995, S. 123 f.). Dieser ordnungsrechtliche Ansatz für die Bestimmung der Wiedereinfuhrpflichtigen wird durch die in dem angegriffenen Urteil im Einzelnen dargelegte Entstehungsgeschichte des § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG bestätigt (vgl. BTDrucks 12/6351 S. 16 zu § 4 Abs. 1 Satz 1 des Regierungsentwurfs und BTDrucks 12/7479 S. 3 f.).

4 Verursacher ist nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht derjenige, dessen Verhalten die Gefahr „unmittelbar“ herbeigeführt, also bei einer wertenden Zurechnung die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschritten hat. Personen, die entferntere, nur mittelbare Ursachen für den eingetretenen Erfolg gesetzt, also nur den Anlass für die unmittelbare Verursachung durch andere gegeben haben, sind in diesem Sinn keine Verursacher. Nach der gebotenen wertenden Betrachtungsweise kann allerdings auch ein als „Veranlasser“ auftretender Hintermann (mit)verantwortlich sein, wenn dessen Handlung zwar nicht die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschritten hat, aber mit der durch den Verursacher unmittelbar herbeigeführten Gefahr oder Störung eine natürliche Einheit bildet, die die Einbeziehung des Hintermanns in die Polizeipflicht rechtfertigt. Eine derartige natürliche Einheit besteht typischerweise beim „Zweckveranlasser“ als demjenigen, der die durch den Verursacher bewirkte Polizeiwidrigkeit gezielt ausgelöst hat (vgl. Drews/Wacke, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 310 ff.).

5 Der Gesetzgeber des Abfallverbringungsgesetzes hat, wie aus den Gesetzesmaterialien hervorgeht, den Kreis der Rückführungspflichtigen bewusst nicht auf die unmittelbaren Verursacher beschränkt, sondern „auf alle ausgedehnt ..., die in irgendeiner Form kausal für die unerlaubte Verbringung waren“ (BTDrucks 12/7479 S. 3 f.). Dagegen bestehen entgegen der Ansicht der Beschwerde keine verfassungsrechtlichen Bedenken, da Grund und Grenzen der polizeirechtlichen Verhaltensverantwortlichkeit anhand der jahrzehntelangen Rechtsprechungstradition hinreichend bestimmt sind. Wie im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens betont wurde, soll als Pflichtiger neben dem Abfallerzeuger und dem Exporteur insbesondere auch der Vermittler, der Zwischenhändler und der Beförderer oder ein in sonstiger Weise an der Verbringung Beteiligter in Anspruch genommen werden können (vgl. BTDrucks 12/6351 S. 23 zu Nr. 9; BTDrucks 12/7032 S. 27 zu § 5). Wer aus diesem Kreis potentiell Wiedereinfuhrpflichtiger im konkreten Fall in Anspruch genommen werden darf, weil er zu der illegalen Abfallverbringung mittelbar oder unmittelbar einen Kausalbeitrag geleistet hat, wird unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Maßgabe des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen sein. Dabei bedarf es aus Anlass des vorliegenden Falles keiner Klärung, ob und inwiefern sich die in § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG genannten Verhaltensmodalitäten der Veranlassung, Vermittlung, Durchführung oder Beteiligung in sonstiger Weise voneinander unterscheiden. Dass jedenfalls der Zweckveranlasser, als den der Verwaltungsgerichtshof den Kläger angesehen hat, dem Kreis der Wiedereinfuhrpflichtigen zuzurechnen ist, lässt sich bei einer Auslegung des Begriffs der sonstigen Beteiligung anhand der Maßstäbe des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts und damit im Einklang mit dem rechtsstaatlichen Gebot der hinreichenden Bestimmtheit belastender Vorschriften ohne weiteres feststellen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen der Zweckveranlasser als in sonstiger Weise an der illegalen Abfallverbringung Beteiligter zugleich auch Veranlasser i.S.d. § 6 Abs. 1 Satz 1 AbfVerbrG sein kann. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache würde auch dann zu verneinen sein, wenn die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, der Kläger sei zwar nicht Veranlasser, aber Zweckveranlasser einer illegalen Abfallverbringung, unzutreffend sein sollte; denn dann würde sich die angegriffene Entscheidung aus anderen Gründen deshalb als richtig darstellen, weil die Zweckveranlassung als Unterfall einer Veranlassung auszulegen wäre (§ 144 Abs. 4 VwGO analog).

6 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.