Beschluss vom 12.10.2010 -
BVerwG 7 B 22.10ECLI:DE:BVerwG:2010:121010B7B22.10.0
Beschluss
BVerwG 7 B 22.10
- OVG für das Land Nordrhein-Westfalen - 09.12.2009 - AZ: OVG 8 D 6/08.AK
In der Verwaltungsstreitsache hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Oktober 2010
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Sailer
und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Guttenberger und Brandt
beschlossen:
- Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 9. Dezember 2009 wird verworfen.
- Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Kläger wendet sich gegen den der Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid zur Errichtung und zum Betrieb des Kraftwerkblocks 5 (mit einer Feuerungswärmeleistung von 1 750 MWth) auf deren Betriebsgrundstück in H. Dieser wird von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 110 („nördlich der R.straße“) erfasst, der mit dem Planzeichen „Kraftwerk“ Flächen für Versorgungsanlagen ausweist. Die Entfernung zwischen dem Vorhaben und dem Grundstück des Klägers beträgt ca. 580 m.
2 Der Kläger erhob gegen die ausgelegten Pläne Einwendungen unter Verweisung auf die Schadstoff- und Lärmemissionen aus dem Betrieb der Anlage. Die Festsetzungen des Bebauungsplans würden nicht eingehalten. In unmittelbarer Nähe des Kraftwerks befinde sich eine Grundschule, deren Schüler besonderen Belastungen ausgesetzt seien.
3 Die gegen den Vorbescheid erhobene Klage hat das Oberverwaltungsgericht abgewiesen. Dieser verstoße nicht gegen dem Schutz des Klägers dienende Rechtsvorschriften. Von der geplanten Anlage gingen keine schädlichen Umweltauswirkungen auf das Grundstück des Klägers aus. Der streitgegenständliche Bescheid verstoße nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Der Bebauungsplan für den Kraftwerkstandort sei wirksam; erteilte Befreiungen verletzten keine Nachbarrechte. Ziele der Raumordnung und Landesplanung sowie Darstellungen des Flächennutzungsplans begründeten im Regelfall keine Rechte Dritter.
4 Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
II
5 Die Beschwerde erweist sich bereits als unzulässig, da sie sich in Art einer Berufungsbegründung in einer allgemeinen Kritik an der materiellen Richtigkeit des angegriffenen Urteils erschöpft (und insoweit insbesondere das Außerachtlassen der Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme rügt), ohne einen der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Zulassungsgründe aufzuzeigen. Damit wird die Beschwerde den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht, wonach die grundsätzliche Bedeutung dargelegt bzw. die Divergenz oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden muss (vgl. Beschluss vom 23. November 1995 - BVerwG 9 B 362.95 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 20).
6 1. Eine solche Darlegung setzt im Hinblick auf den Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr, vgl. schon Beschluss vom 2. Oktober 1961 - BVerwG 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 <91 f.>). Soweit die Beschwerde sich auf eine klärungsbedürftige Frage bezieht, nimmt sie Bezug auf die Umsetzung der Seveso-II-Richtlinie (96/82/EG, geändert durch Richtlinie 2003/105/EG) in nationales Recht und hieraus erwachsende behördliche Pflichten. Abgesehen davon, dass sich entgegen der Beschwerde die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitigen Vorhabens angesichts des bestehenden Bebauungsplans nicht nach § 34 BauGB richtet, hat das Oberverwaltungsgericht sich zur Frage der Vereinbarkeit des Vorhabens mit Art. 12 der Seveso-II-Richtlinie nicht verhalten und hierzu folglich auch keine Feststellungen getroffen. Eine hierauf abhebende Frage würde sich in einem Revisionsverfahren daher nicht stellen.
7 2. Eine die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO eröffnende Divergenz ist nur dann im Sinne des Gesetzes hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten, ebensolchen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 21. Juni 1995 - BVerwG 8 B 61.95 - juris Rn. 5 = Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 18 und vom 13. Juli 1999 - BVerwG 8 B 166.99 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9). Hieran fehlt es wiederum im Hinblick auf den von der Beschwerde benannten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2009 - BVerwG 4 C 5.09 - DVBl 2010, 380). Denn das Oberverwaltungsgericht hat sich mit der Thematik der Seveso-II-Richtlinie nicht einmal ansatzweise befasst (vgl. zu dieser Voraussetzung Beschluss vom 10. Februar 2000 - BVerwG 11 B 54.99 - juris Rn. 9 = Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 9). Des Weiteren ist der genannte Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union nicht divergenzfähig (vgl. Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 132 Rn. 85; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 132 Rn. 64).
8 3. Ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist schließlich nur dann hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (stRspr, vgl. Beschluss vom 10. November 1992 - BVerwG 3 B 52.92 - Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Die von der Beschwerde erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO), dass nämlich das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung nicht auf die im November 2009 von der Beigeladenen vorgelegte Zusatzdarstellung zu den gas- und staubförmigen Emissionen der neuen Anlage hätte stützen dürfen, sondern seinerseits den schriftlichen Anträgen des Klägers entsprechend Beweis hätte erheben müssen, bedürfte - um den genannten Anforderungen zu entsprechen - zusätzlicher Präzisierung. Insbesondere hätte dargelegt werden müssen, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht in der mündlichen Verhandlung ein entsprechender förmlicher Beweisantrag gestellt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne förmlichen Beweisantrag von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. Beschluss vom 6. März 1995 - BVerwG 6 B 81.94 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265). Hieran fehlt es aber, wenn ein Beweisantrag schriftsätzlich lediglich angekündigt, in der mündlichen Verhandlung dann aber nicht gestellt wird und das Gericht seinerseits die inhaltliche Richtigkeit der Zusatzdarstellung bei einer Fachbehörde hinterfragt hat.
9 Es begründet schließlich auch keinen Verfahrensmangel, wenn das Berufungsgericht eine europarechtliche Frage nicht dem Gerichtshof der Europäischen Union vorlegt (oder dessen Entscheidung zu einer bereits vorgelegten Frage abwartet) und es in seinem Urteil auch die Revision nicht zulässt (Beschluss vom 22. Dezember 2004 - BVerwG 10 B 21.04 - juris Rn. 34 = Buchholz 401.65 Nr. 8). Art. 267 Abs. 3 AEUV (vormals Art. 234 Abs. 3 EGV) verpflichtet das Berufungsgericht zur Anrufung des Gerichtshofs der Europäischen Union nur für den Fall, dass seine Entscheidung mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts nicht weiter angefochten werden kann. Vorliegend ist hiergegen aber die streitgegenständliche Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision statthaft. Die Annahme der Beschwerde, dass das Berufungsgericht den Kläger seinem gesetzlichen Richter entzogen hätte (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG), scheidet daher aus.
10 Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Beigeladene hat sich durch Antragstellung am Beschwerdeverfahren beteiligt und damit ein Kostenrisiko übernommen (§ 154 Abs. 3 VwGO). Der Billigkeit entspricht es daher, dem Kläger als unterlegener Partei auch insoweit die Kosten aufzuerlegen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Der Ansatz des Streitwertes folgt aus Nr. 19.2 i.V.m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs vom 7./8. Juli 2004.