Beschluss vom 12.11.2025 -
BVerwG 6 B 26.25ECLI:DE:BVerwG:2025:121125B6B26.25.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 12.11.2025 - 6 B 26.25 - [ECLI:DE:BVerwG:2025:121125B6B26.25.0]
Beschluss
BVerwG 6 B 26.25
- VG Bremen - 18.06.2024 - AZ: 4 K 446/23
- OVG Bremen - 01.07.2025 - AZ: 1 LC 253/24
In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 12. November 2025 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller und Hahn beschlossen:
- Das Verfahren wird eingestellt.
- Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 1. Juli 2025 und des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 18. Juni 2024 sind wirkungslos.
- Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
- Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen, wird abgelehnt.
- Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
1 Der Kläger hat die Berichtigung seines von der Beklagten gespeicherten Geburtsdatums vom 23. Juni 1993 auf den 23. Juni 2003, hilfsweise die Einschränkung der Datenverarbeitung begehrt. Seine Klage ist vor dem Verwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
2 Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 18. August 2025 gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde erhoben und beantragt, ihm für die zweite Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen. Das Oberverwaltungsgericht hat diesen auf die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe gerichteten Antrag mit Beschluss vom 29. August 2025 abgelehnt.
3 Der Kläger hat seine Nichtzulassungsbeschwerde mit Schriftsatz vom 16. September 2025 begründet und mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2025 einen am 26. August 2025 ausgestellten Pass der Republik Guinea vorgelegt, der als sein Geburtsdatum den 23. Juni 2003 ausweist. Die Beklagte hat in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 28. Oktober 2025 erklärt, sie werde die Hauptpersonalie des Klägers zukünftig entsprechend den Daten in dem vorgelegten Pass führen. Einer etwa von dem Kläger abgegebenen Erledigungserklärung schließe sie sich unter Verwahrung gegen die Kostenlast an. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2025 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt und wiederum die Bewilligung von Prozesskostenhilfe - sinngemäß unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten - begehrt.
II
4 1. Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren einzustellen (§ 141 Satz 1, § 125 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Die Urteile des Oberverwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichts sind für wirkungslos zu erklären (§ 92 Abs. 3 Satz 1, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO). Über die Verfahrenskosten ist nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zu entscheiden (§ 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO).
5 Billigem Ermessen entspricht es, dem Kläger die Verfahrenskosten aufzuerlegen, weil seine Nichtzulassungsbeschwerde hätte erfolglos bleiben müssen. Aus den Darlegungen in der Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO beschränkt ist, ergibt sich nicht, dass einer der geltend gemachten Revisionszulassungsgründe - ein Verfahrensmangel, auf dem die vorinstanzliche Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) (a.) bzw. die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) (b.) – vorliegt.
6 a. Mit einem Verfahrensmangel nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sieht der Kläger das Berufungsurteil, das die Frage der Berichtigung des Geburtsdatums des Klägers betrifft, deshalb behaftet, weil an diesem Urteil die Richterin am Oberverwaltungsgericht (Ri'inOVG) Dr. ... mitgewirkt hat. Diese Richterin war, bevor sie an das Oberverwaltungsgericht berufen wurde, Vorsitzende der ... Kammer des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen. Diese Kammer hatte mit Beschluss vom 30. April 2019 (Az. ...) den Eilantrag des Klägers abgelehnt, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die von der Beklagten verfügte Ablehnung anzuordnen, ihn gemäß § 42a SGB VIII als ausländischen Jugendlichen nach unbegleiteter Einreise vorläufig in Obhut zu nehmen. Dem lag eine von der Beklagten veranlasste Altersfeststellung nach § 42f SGB VIII in Gestalt einer qualifizierten Inaugenscheinnahme durch zwei Fachkräfte des Jugendamts der Beklagten zu Grunde, die den Kläger für volljährig gehalten hatten. Für den Kläger war als fiktives Geburtsdatum der 23. Juni 1993 festgelegt worden.
7 Der Kläger macht selbst nicht geltend, dass der absolute Revisionsgrund des § 138 Nr. 2 VwGO erfüllt sei, weil Ri'inOVG Dr. ... nach § 54 Abs. 2 VwGO oder nach § 54 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 41 Nr. 6 ZPO kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts ausgeschlossen gewesen sei. Ein solcher Ausschlussgrund lag offensichtlich nicht vor. Ri'inOVG Dr. ... hatte in Bezug auf das von dem Kläger gegenüber der Beklagten erfolglos erhobene Berichtigungsbegehren weder an dem vorausgegangenen Verwaltungsverfahren noch in einem früheren Rechtszug oder im schiedsrichterlichen Verfahren mitgewirkt.
8 Der Kläger beruft sich darauf, Ri'inOVG Dr. ... habe nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) betreffend die Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK wegen einer unzulässigen Vorbefassung der in einem Strafverfahren tätig gewordenen Richter (EGMR, Urteil vom 16. Februar 2021 - Nr. 1128/17, Meng/Deutschland - Rn. 47 ff.; vgl. ferner: EGMR, Urteil vom 17. Oktober 2023 - Nr. 37027/20, Alarich/Deutschland - Rn. 11) unter dem Gesichtspunkt einer aus der Mitwirkung an dem Eilbeschluss des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 30. April 2019 (Az. ...) herrührenden Befangenheit nicht an dem mit der Nichtzulassungsbeschwerde angegriffenen Berufungsurteil mitwirken dürfen. Der Kläger hebt hervor, er habe bereits in der Berufungsinstanz versucht, diesen Verfahrensmangel durch einen gegen die Mitwirkung von Ri'inOVG Dr. ... gerichteten Befangenheitsantrag zu beheben. Er verweist darauf, dass das Oberverwaltungsgericht diesen Antrag abgelehnt hat (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 1. Juli 2025, OVG GA Bl. 178 ff.).
9 Der Kläger lässt mit diesem Vortrag außer Acht, dass der EGMR die von dem Kläger in Bezug genommene Rechtsprechung für strafrechtliche Fallgestaltungen, nicht aber für zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK und damit auch nicht - soweit von Letzteren umfasst (vgl. dazu: Meyer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 3. Aufl. 2022, Art. 6 Rn. 14 ff.) – für öffentlich-rechtliche Rechtspositionen nach nationalem Recht entwickelt hat. Unabhängig hiervon unterliegt die Ablehnung eines Antrags wegen Besorgnis der Befangenheit gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 557 Abs. 2 ZPO und § 146 Abs. 2 VwGO nicht der revisionsgerichtlichen Nachprüfung, weil es sich um eine unanfechtbare Vorentscheidung handelt. Daher begründet eine solche Ablehnung nur dann einen Verfahrensmangel, wenn sie zu einer nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts nach § 138 Nr. 1 VwGO führt. Die Ablehnung muss dem Antragsteller den gesetzlichen Richter im Sinne des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entziehen. Dies ist nur der Fall, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Entscheidung auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 25. Januar 2016 - 2 B 34.14 - NVwZ-RR 2016, 428 Rn. 14 f. m. w. N. und im Übrigen: Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 138 Rn. 21; Korbmacher, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 6. Aufl. 2025, § 138 Rn. 101).
10 Der Kläger trägt in der Beschwerdebegründung nichts vor, was zur Ausfüllung dieses Maßstabs in Bezug auf seinen in der Berufungsinstanz abgelehnten Befangenheitsantrag gegen Ri'inOVG Dr. ... geeignet wäre. Er beschränkt sich darauf - wie bereits zur Begründung des abgelehnten Antrags –, geltend zu machen, es habe eine der Konstellation im Verfahren Meng des EGMR (Urteil vom 16. Februar 2021 - Nr. 1128/17, Meng/Deutschland - NJW 2021, 2947 Rn. 47 ff.) vergleichbare Vorbefassung von Ri'inOVG Dr. ... vorgelegen. Soweit der Kläger hierzu behauptet, Ri'inOVG Dr. ... sei "Teil eines eingespielten Systems der Rechts- und Gehörsverweigerung für Jugendliche, die die Inobhutnahme begehrten", gewesen, entsprechen diese Behauptungen wörtlich denjenigen, die der Kläger in der Begründung des genannten Befangenheitsantrags aufgestellt hat (OVG GA Bl. 184 ff.).
11 b. Nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kann die Revision ebenfalls nicht zugelassen werden. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift kommt einer Rechtssache nur zu, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang höchstrichterlich ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten ist.
12
Der Kläger hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:
"Liegt ein Verstoß gegen das Recht auf ein unparteiisches Gericht iSd Art. 6 Abs. 1 EMRK vor, wenn ein Mitglied des erkennenden Gerichts in der gleichen Sachfrage - dem Lebensalter des Klägers und den zum Beleg erforderlichen Beweismitteln - bereits vorbefasst war und sich - ohne den Kläger vorher je gesehen zu haben - festgelegt hat?"
13 Diese Frage rechtfertigt keine Zulassung wegen Grundsatzbedeutung, da sich der von ihr problematisierte Maßstab des Art. 6 Abs. 1 EMRK auf eine - nicht der Nachprüfung des Revisionsgerichts unterliegende - unanfechtbare Vorentscheidung der Ablehnung eines Befangenheitsantrags bezieht (s. o.). Hinsichtlich des in dem erstrebten Revisionsverfahren mit Blick auf § 138 Nr. 1 VwGO allein entscheidungserheblichen Maßstabs willkürlicher oder manipulativer Erwägungen scheitert die Beschwerde an den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
14 2. Dem Kläger kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt und sein Prozessbevollmächtigter nicht beigeordnet werden, weil die Nichtzulassungsbeschwerde zu keinem Zeitpunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg geboten hat (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 Satz 1 und § 121 Abs. 1 ZPO).
15 3. Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt (§ 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i. V. m. § 52 Abs. 2 GKG).