Beschluss vom 12.12.2012 -
BVerwG 3 PKH 8.12ECLI:DE:BVerwG:2012:121212B3PKH8.12.0
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Zitiervorschlag
BVerwG, Beschluss vom 12.12.2012 - 3 PKH 8.12 - [ECLI:DE:BVerwG:2012:121212B3PKH8.12.0]
Beschluss
BVerwG 3 PKH 8.12
- VG Berlin - 16.03.2012 - AZ: VG 9 K 453.09
In der Verwaltungsstreitsache hat der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 12. Dezember 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Kley,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Wysk und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kuhlmann
beschlossen:
Der Antrag des Klägers, ihm Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens BVerwG 3 B 50.12 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. März 2012 zu bewilligen und Rechtsanwalt S. aus Berlin beizuordnen, wird abgelehnt.
Gründe
1 Dem Kläger kann Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet; deshalb kann ihm für dieses Verfahren auch kein Rechtsanwalt beigeordnet werden (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1, § 121 Abs. 1 ZPO; § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 78b Abs. 1 ZPO).
2 Der Kläger studierte ab 1974 marxistisch-leninistische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und schloss im Juli 1976 als Diplomphilosoph ab. Er begehrt das Wiederaufgreifen eines Verfahrens auf berufliche und verwaltungsrechtliche Rehabilitierung, weil er im Jahr 1976 rechtsstaatswidrig aus einem sich an das Philosophiestudium anschließenden Forschungsstudium relegiert worden sei. Infolgedessen sei er zunächst arbeitslos geworden und sodann an einen Verlag zwangsvermittelt worden, wo er bis zu seiner Verhaftung und Verurteilung wegen versuchter Republikflucht im September 1978 als Lektor habe arbeiten müssen.
3 Auf seinen (ersten) Antrag hin wurde der Kläger mit Bescheid des Landesamtes für Gesundheit und Soziales Berlin vom 22. Juni 2000 als politisch Verfolgter anerkannt; als Verfolgungszeit nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) wurde die Zeit seiner Inhaftierung (17. September 1978 bis 1. August 1979) festgestellt. Die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung und Anerkennung einer davor liegenden Verfolgungszeit (17. Juli 1976 bis zum 16. September 1978) lehnte das Landesamt ab. Die Klage auf weitergehende Feststellung einer Verfolgungszeit wurde abgewiesen (Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 8. September 2005), das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision blieb erfolglos (Beschluss vom 13. Juni 2006 - BVerwG 3 B 179.05 ).
4 Im Jahre 2008 beantragte der Kläger beim Landesamt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Er sei im Besitz neuer Beweismittel, mit denen er nachweisen könne, dass er aus politischen Gründen aus dem Forschungsstudium relegiert worden sei. Außerdem lägen Wiederaufnahmegründe nach § 580 ZPO vor. Das Begehren blieb im Verwaltungs- und Klageverfahren erfolglos. Das Verwaltungsgericht nahm zur Begründung seiner Klageabweisung Bezug auf seinen ablehnenden Prozesskostenhilfebeschluss vom 4. November 2010 und führte ergänzend aus: Die eingereichten Zeugenerklärungen seien keine neuen Beweismittel im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, weil sie nicht geeignet seien, eine dem Kläger günstigere Entscheidung in der Sache herbeizuführen. Das angestrebte Graduiertenstudium sei nicht Teil des zuvor durchlaufenen Diplomstudiums gewesen; dieses sei mit der Exmatrikulation des Klägers am 16. Juli 1976 abgeschlossen gewesen. Die weitere Berufsausbildung habe noch nicht begonnen gehabt, weil der Kläger zu keiner Zeit als Forschungsstudent eingeschrieben gewesen sei. Auch die angeführten Beweismittel zögen nicht in Zweifel, dass es für den Beginn des Forschungsstudiums in der DDR eines konstitutiven Aufnahmeaktes durch den Rektor der Universität (Aufnahme/Immatrikulation) bedurft habe. Ohne die Zuweisung eines bestimmten Studienplatzes habe der Kläger aber lediglich einen nicht rehabilitierungsfähigen Aufstiegsschaden erlitten.
5 Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts wird aller Voraussicht nach ohne Erfolg bleiben. Das Vorbringen der Prozessbevollmächtigten des Klägers im Beschwerdeverfahren lässt nicht erkennen, dass ein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann.
6 1. Der Kläger rügt mit der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe seine förmlich gestellten Beweisanträge übergangen und dadurch die Aufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO, den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und Denkgesetze verletzt. Es hätte durch Vernehmung der angebotenen Zeugen und durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden können und müssen, ob er im März 1976 ein Forschungsstudium bereits aufgenommen gehabt habe, ob es dazu eines konstitutiven Aufnahmeaktes bedurft habe und ob ein solcher Akt aufgrund der damaligen Aufnahmepraxis entbehrlich gewesen sei. Ferner hätten die Umstände der rechtsstaatswidrigen Relegation aufgeklärt werden müssen sowie die Frage, ob die Ausführungen von Professor Dr. L. im Vorprozess falsch gewesen seien.
7 a) Der Vortrag des Klägers ergibt keinen Aufklärungsmangel. Das gilt ungeachtet dessen, dass die vom Kläger vorgelegten Beweismittel schwerlich als neu im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG bewertet werden können, weil nicht dargetan ist, dass der Kläger sie nicht bereits in dem wiederaufzugreifenden Verfahren hätte beibringen können. Jedenfalls aber mussten sie das Verwaltungsgericht nicht veranlassen, die angebotenen Beweise zu erheben. Das Verwaltungsgericht hat - insoweit unbeanstandet - angenommen, dass der Kläger mit der Aufnahme des Forschungsstudiums ein weiteres Studium und keine Fortsetzung des mit dem Diplom abgeschlossenen Philosophiestudiums angestrebt hat. Es hat weiter angenommen, dass der Beginn eines Forschungsstudiums nach der damaligen Rechtslage der DDR - auch im Falle des Klägers - einen förmlichen Akt der Zulassung erforderte. Dieser Ausgangspunkt legt zutreffend die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde, wonach die Schutzwirkung des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes auf Eingriffe in eine verfestigte berufsbezogene Position begrenzt ist (vgl. Beschluss vom 4. Februar 2010 - BVerwG 3 PKH 9.09 - ZOV 2010, 145 m.w.N.). Eine verfestigte Position konnte der Kläger erst mit der formellen Zulassung oder Zuweisung eines Studienplatzes erlangen und nicht schon mit der - durch Zeugen belegten - Übertragung und Aufnahme von Tätigkeiten, die das Studium erforderte, wie der Erstellung einer Dissertationskonzeption. Erst der Entzug einer durch formelle Zuweisung begründeten Position hätte einen so genannten Abstiegsschaden bewirken und Anspruch auf Leistungen nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz begründen können.
8 Von diesem Ausgangspunkt her ist dem Verwaltungsgericht kein Aufklärungsmangel unterlaufen, auf dem die Entscheidung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen kann. Das Verwaltungsgericht ist der maßgeblichen Rechtslage in der DDR nachgegangen und hat den Sachverhalt erforscht. Der Kläger hat dies nicht mit durchgreifenden Rügen in Frage gestellt.
9 Es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass es grundsätzlich den Tatsachengerichten vorbehalten ist, Auslegung und Anwendung der Bestimmungen des DDR-Rechts zu ermitteln (Beschluss vom 29. Mai 2012 - BVerwG 3 B 90.11 - ZOV 2012, 213; Urteil vom 9. März 1999 - BVerwG 3 C 21.98 - Buchholz 115 Sonst. Wiedervereinigungsrecht Nr. 21, Beschluss vom 3. Mai 1996 - BVerwG 4 B 46.96 - Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 296). Es liegt dabei gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 293 ZPO im Ermessen des Tatsachengerichts, in welcher Weise es sich über das für seine Entscheidung maßgebende ausländische Recht und dessen Anwendung in der ausländischen Rechtspraxis die erforderliche Kenntnis verschafft (Beschlüsse vom 20. März 1989 - BVerwG 1 B 43.89 - Buchholz 130 § 3 RuStAG Nr. 2 <S. 2 f.> und vom 4. Oktober 1995 - BVerwG 1 B 138.95 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 271). Dies gilt in gleicher Weise für das nicht revisible Recht der ehemaligen DDR (Beschluss vom 14. Oktober 2004 - BVerwG 6 B 6.04 - Buchholz 115 Sonst. Wiedervereinigungsrecht Nr. 51 = NVwZ 2005, 1441).
10 Ein Aufklärungsmangel wäre dem Gericht nur dann unterlaufen, wenn sich ihm hätte aufdrängen müssen, auch die benannten Zeugen zu vernehmen. Das war nicht der Fall. Die Beschwerde erschüttert nicht den tragenden Grund für die Klageabweisung, dass der Kläger ohne eine förmliche Aufnahme in das Forschungsstudium keine verfestigte berufsbezogene Position inne hatte. Eine solche Verfestigung ist auch nicht dadurch eingetreten, dass der Kläger in der Sektion bereits einige Zeit faktisch mitgearbeitet hat, dort gefördert und vom Sektionsleiter für das Studium vorgeschlagen wurde, ein Promotionsthema erhielt und eine Dissertationskonzeption erstellte. Dabei handelt es sich lediglich um Vorbereitungen im Hinblick auf die von der Sektion beabsichtigte Zuweisung eines Studienplatzes. Davon geht der Kläger selbst aus, wenn er hervorhebt, dass ein „offizieller Sektionswechsel“ erforderlich gewesen sei und im Semester 1976/77 habe vorgenommen werden sollen. Die Zeugen bekunden in den von der Beschwerde angeführten schriftlichen Erklärungen nichts anderes, als dass dem Kläger faktisch bereits Studienarbeiten übertragen worden waren, behaupten aber nicht, dass dies Folge einer formellen Aufnahme gewesen sei. Das verwundert nicht, denn der Kläger selbst beharrt mit seiner Beschwerde darauf, dass eine solche Aufnahme nicht erforderlich gewesen sei.
11 b) Auch trifft es nicht zu, dass das Verwaltungsgericht aus der Anordnung über das Forschungsstudium in der DDR einen Schluss gezogen hat, der schlechthin nicht gezogen werden konnte. Im Gegenteil geht die Anordnung ersichtlich von der Notwendigkeit einer Aufnahme in das Forschungsstudium aus und sieht in § 4 Abs. 1 Satz 2 sogar den Abschluss eines Ausbildungsvertrages vor, den der Kläger nicht geschlossen hat. Die Notwendigkeit einer Immatrikulation bestätigen auch universitäre Stellen in ihren Äußerungen, wie der Stellvertretende Direktor für Erziehung und Ausbildung Dr. A. im Antrag vom 5. Oktober 1976 sowie der Direktor für Studienangelegenheiten im Ablehnungsschreiben vom 5. November 1976. Deshalb wäre auch der Vorwurf, der Würdigung des Verwaltungsgerichts liege ein Mangel richterlicher Überzeugungsbildung zugrunde, nicht gerechtfertigt.
12 c) Geht es mithin um die Frage, ob der Kläger eine verfestigte Position als Forschungsstudent inne hatte, kommt es auf die durch schriftliche Erklärungen bezeichneten Einschätzungen der benannten Zeugen nicht an. Insofern kann auch nicht von einer Vorwegnahme der Beweiswürdigung gesprochen werden. Ein Zeugenbeweis wird nicht dadurch unzulässig verfrüht gewürdigt, dass das Gericht Entscheidungserheblichkeit der in das Wissen der Zeugen gestellten Tatsachen verfahrensfehlerfrei verneint. Aus demselben Grund liegt die behauptete Gehörsverletzung nicht vor; denn die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung findet im Prozessrecht eine hinreichende Stütze (vgl. Beschluss vom 14. Oktober 2004 a.a.O.).
13 2. Das Vorliegen von Wiederaufnahmegründen nach § 580 ZPO wegen einer - vermeintlich - falschen Stellungnahme des Professors Dr. L. vom 24. August 1999, die ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG rechtfertigen könnte, ist nach dem Vorstehenden nicht dargetan. Allein aus dem Umstand, dass sich Erklärungen von Zeugen widersprechen, lässt sich keine vorsätzliche oder fahrlässige Falschaussage im Sinne des § 580 ZPO folgern.